BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Wolfram von Eschenbach

1170/75 - nach 1220

 

Lieder

 

Textgrundlage:

Wolfram von Eschenbach, Werke,

hrsg. von Karl Lachmann, Berlin 5. Aufl. 1891

Die Reihenfolge der Lieder folgt

der Ausgabe von Peter Wapnewski.

 

______________________________________________________________

 

 

 

Lied 1     Den morgenblic bî wahtærs sange erkôs

Lied 2     Ez ist nu tac!

Lied 3     Sîne klâwen

Lied 4     Von der zinnen

Lied 5     Der helnden minne ir klage

Lied 6     Ein wîp mac wol erlouben mir

Lied 7     Ursprinc bluomen, loup ûzdringen

Lied 8     Guot wîp, ich bite dich minne

____________

 

 

 

Lied 1

 

 

I

Den morgenblic bî wahtærs sange erkôs

ein vrouwe dâ si tougen

an ir werden vriundes arme lac.

 

dâ von si der vröiden vil verlôs.

5

des muosen liehtiu ougen

aver nazzen. si sprach ‹ôwê tac!

 

wilde und zam daz vröit sich dîn

und siht dich gerne – wan ich eine. wie sol iz mir ergên!

nu enmac niht langer hie bî mir bestên

10

mîn vriunt: den jaget von mir dîn schîn.›

 

 

II

Der tac mit kraft al durh diu venster dranc.

vil slôze sie besluzzen.

daz half niht: des wart in sorge kunt.

 

diu vriundîn den vriunt vast an sich twanc.

5

ir ougen diu beguzzen

ir beider wangel. sus sprach zim ir munt:

 

‹zwei herze und einen lîp hân wir

gar ungescheiden unser triuwe mit einander vert.

der grôzen liebe der bin ich gar verhert,

10

wan sô du kumest und ich zuo dir.›

 

 

III

Der trûric man nam urloup balde alsus:

ir liehten vel diu slehten

kômen nâher. sus der tac erschein.

 

weindiu ougen – süezer vrouen kus!

5

sus kunden sie dô vlehten

ir munde, ir brüste, ir arm, ir blankiu bein.

 

swelch schiltær entwurfe daz,

geselleclîche als si lâgen – des wære ouch dem genuoc.

ir beider liebe doch vil sorgen truoc,

10

sie pflâgen minne ân allen haz.

 

 

 

Lied 2

 

 

I

«‹Ez ist nu tac!

daz ich wol mac

mit wârheit jehen,     ich wil niht langer sîn.›»

 

‹diu vinster naht

5

hât uns nu brâht

ze leide mir     den morgenlîchen schîn.

 

sol er von mir scheiden nuo,

mîn vriunt, diu sorge ist mir ze vruo:

 

ich weiz vil wol, daz ist ouch im,

10

den ich in mînen ougen gerne burge,

möhte ich in alsô behalten.

 

mîn kumber wil sich breiten:

ôwê des, wie kumt ers hin?     der hôhste vride müeze in noch

an mînen arm geleiten.›

 

 

II

Daz guote wîp

ir vriundes lîp

vaste umbevienc:     der was entslâfen dô.

 

dô daz geschach

5

daz er ersach

den grâwen tac,     dô muose er sîn unvrô.

 

an sîne brüste dructe er sie

und sprach: «jâne erkande ich nie

 

kein trûric scheiden alsô snel.

10

uns ist diu naht von hinnen alze balde:

wer hât si sô kurz gemezzen?

 

der tac wil niht erwinden.

hât diu minne an sælden teil,     diu helfe mir, daz ich dich noch

mit vröiden müeze vinden.»

 

 

III

Sie beide luste

daz er kuste

sie genuoc.     gevluochet wart dem tage.

 

urloup er nam,

5

daz dô wol zam.

nu merket wie     da ergienc ein schimpf bî klage.

 

sie heten beide sich bewegen,

ez enwart sô nâhe nie gelegen,

 

des noch diu minne hât den prîs:

10

obe der sunnen drî mit blicke wæren,

sie enmöhten zwischen si geliuhten.

 

er sprach «nu wil ich rîten.

dîn wîplich güete neme mîn war     und sî mîn schilt hiut hinnen noch

und her noch zallen zîten.»

 

 

IV

Ir ougen naz

dô wurden baz.

ouch twanc in klage:     er muose dan von ir.

 

si sprach hin zim

5

‹urloup ich nim

ze den vröiden mîn;     diu wil nu gar von mir.

 

sît daz ich vermîden muoz

dînen munt, der manegen gruoz

 

mir bôt und ouch dînen kus

10

als in dîn ûzerwelte güete lêrte,

und din geselle, dîniu triuwe: –

 

weme wilt du mich lâzen?

nu kum schier wider ûf rehten trôst.     ôwê dur daz enmac ich noch

strenge sorge niht gemâzen.›

 

 

 

Lied 3

 

 

I

«‹Sîne klâwen

durch die wolken sint geslagen:

er stîget ûf mit grôzer kraft!

 

ich sich in grâwen

5

tegelîch als er wil tagen:

den tac, der im geselleschaft

 

erwenden wil, dem werden man,

den ich bî naht în verliez.

ich bringe in hinnen ob ich kan:

10

sîn vil manigiu tugent mich daz leisten hiez.›»

 

 

II

‹Wahtær du singest

daz mir manige vröide nimt

unde mêret mîne klage.

 

mær du bringest

5

der mich leider niht gezimt

immer morgens gegen dem tage:

 

diu solt du mir verswîgen gar!

daz gebiut ich den triuwen dîn.

des lôn ich dir als ich getar –

sô belîbet hie der geselle mîn.›

 

 

III

«‹Er muoz et hinnen

balde und âne sûmen sich.

nu gib im urloup, süezez wîp!

 

lâz in minnen

5

her nâch sô verholne dich,

daz er behalte êre und den lîp.

 

er gap sich mîner triuwen alsô

daz ich in bræhte ouch wider dan.

ez ist nu tac: naht was ez dô

10

mit drucken an die brüste dîn kus mir in an gewan.›»

 

 

IV

‹Swaz dir gevalle

wahtær sinc und lâ den hie,

der minne brâht und minne enpfienc.

 

von dînem schalle

5

ist er und ich erschrocken ie.

sô ninder morgenstern ûf gienc

 

ûf in der her nâch minne ist komen,

noch ninder lûhte tages lieht:

du hâst in dicke mir benomen

10

von blanken armen – und ûz herzen niht.›

 

 

V

Von den blicken,

die der tac tet durch diu glas,

und dô wahtære warnen sanc,

 

si muose erschricken

5

durch den der dâ bî ir was.

ir brüstlîn an brust si twanc,

 

der rîter ellens niht vergaz

(des wold in wenden wahtærs dôn).

urloup nâh und nâher baz

10

mit kusse und anders gab in minne lôn.

 

 

 

Lied 4

 

 

I

‹«Von der zinnen

wil ich gên, in tagewîse

sanc verbern.

 

die sich minnen

5

tougenlîche, und ob sie prîse

ir minne wern:

 

sô gedenken sêre

an sîne lêre,

dem lîp und êre

10

ergeben sîn.

 

der mich des bæte,

deswâr ich tæte

ime guote ræte

und helfe schîn.

 

15

ritter, wache, hüete dîn!

 

 

II

Niht verkrenken

wil ich aller wahtær triuwe

an werden man.

 

niht gedenken

5

solt du, vrouwe, an scheidens riuwe

ûf künfte wân.

 

ez wære unwæge,

swer minne pflæge,

daz ûf im læge

10

meldens last.

 

ein sumer bringet

daz mîn munt singet

‹durch wolken dringet

ein tagender glast›.

 

15

hüete dîn, wache, süezer gast!»›

 

 

III

Er muose et dannen,

der sie klagen ungerne hôrte.

dô sprach sîn munt:

 

«allen mannen

5

trûren nie sô gar zerstôrte

ir vröiden vunt».

 

swie balde ez tagte,

der unverzagte

an ir bejagte

10

daz sorge in vlôch.

 

unvrömedez rucken,

gar heinlîch smucken,

ir brustel drucken

und mê dannoch

 

15

urloup gap: des prîs was hôch.

 

 

 

Lied 5

 

 

I

Der helnden minne ir klage

du sunge ie gên dem tage,

 

daz sûre nâch dem süezen.

swer minne und wîplich grüezen

5

alsô enpfienc,

 

daz sie sich muosen scheiden, –

swaz du dô riete in beiden,

dô ûf gienc

 

der morgensterne: wahtære swîc,

10

dâ von niht langer sinc!

 

 

II

Swer pfliget oder ie gepflac,

daz er bî liebe lac

 

den merkern unverborgen:

der darf niht durch den morgen

5

dannen streben.

 

er mac des tages erbeiten.

man darf in niht ûz leiten

ûf sîn leben:

 

ein offeniu süeziu wirtes wîp

10

kan solhe minne geben.

 

 

 

Lied 6

 

 

I

Ein wîp mac wol erlouben mir

daz ich ir neme mit triuwen war.

 

ich ger – mir wart ouch nie diu gir

verhabet –, mîn ougen swingen dar.

 

5

wie bin ich sus iuwelenslaht:

si siht mîn herze in vinster naht.

 

 

II

Si treit den helfelîchen gruoz

der mich an vröiden rîchen mac.

 

dar ûf ich iemer dienen muoz.

vil lîhte erschînet noch der tac

 

5

daz man mir muoz vröiden jehen:

noch grœzer wunder is geschehen.

 

 

III

Nu seht waz ein storch den sæten schade:

noch minre schaden hânt mîn diu wîp.

 

ir haz ich ungern ûf mich lade.

diu nu den schuldehaften lîp

 

5

gegen mir treit – daz lâze ich sîn.

ich wil nu pflegen der zühte min.

 

 

 

Lied 7

 

 

I

Ursprinc bluomen, loup ûzdringen

und der luft des meigen urbort vogel ir alten dôn.

 

etswenne ich kan niuwez singen

sô der rîfe liget, guot wîp, noch allez ân dîn lôn.

 

5

die waltsinger und ir sanc

nâch halben sumers teile in niemens ôre enklanc.

 

 

II

Der bliclîchen bluomen glesten

sol des touwes anehanc erliutern, swâ si sint.

 

vogel die hellen und die besten,

al des meigen zît si wegent mit gesange ir kint.

 

5

dô slief niht diu nahtegal.

nu wache aber ich und singe ûf berge und in dem tal.

 

 

III

Mîn sanc wil genâde suochen

an dich, güetlich wîp: nu hilf, sît helfe ist worden nôt.

 

dîn lôn dienstes sol geruochen

daz ich iemer bite und biute unz an mînen tôt.

 

5

lâze mich von dir nemen den trôst

daz ich ûz mînen langen klagen werde erlôst.

 

 

IV

Guot wîp, mac mîn dienst ervinden,

ob dîn helfelîch gebot mich vröiden welle wern,

 

daz mîn trûren müeze swinden

und ein liebez ende an dir bejagen mîn langez gern?

 

5

dîn güetlîch gelâz mich twanc

daz ich dir beide singe al kurz oder wiltu lanc.

 

 

V

Werdez wîp, dîn süeziu güete

und dîn minneclîcher zorn hât mir vil vröide erwert.

 

maht du trœsten mîn gemüete?

wan ein helfelîchez wort von dir mich sanfte ernert.

 

5

mache wendic mir mîn klagen,

sô daz ich werde grôz gemuot bî mînen tagen.

 

 

 

Lied 8

 

 

I

Guot wîp, ich bite dich minne

ein teil durch daz,

sît ich dir niht gebieten mac.

 

du gip mir die gewinne

5

daz ich baz

an dir gelebe noch lieben tac.

 

snel vür mich, wilder danne ein tier

mac mir dîn helfe entwenken.

wilt an triuwe gedenken,

10

sælic wîp,

sô gîst ein liebez ende mir.

 

 

II

Du treist sô vestez herze

ûf mîne vlust.

wie sol der site an dir zergên?

 

ein mûzervalke, ein terze,

5

dem mac brust

niht baz danne dir diu dîne stên.

 

dîn munt ist ûf den kus gestalt,

dîn lachelîchez grüezen

mac mir wol gesüezen

10

sûre nôt.

sus hât dîn minne mîn gewalt.

 

 

III

Möht ich die sælde reichen,

diu sô hôch

ob mîner vröide stêt gezilt!

 

got muoz ir herze erweichen,

5

sît ez noch

der mîner swære niht bevilt.

 

man siht mich alze selten geil.

ein vlins von donrestrâlen

möht ich zallen mâlen

10

hân erbeten,

daz im der herte entwiche ein teil.

 

 

IV

Ir wengel wol gestellet

sint gevar

alsam ein touwic rôse rôt.

 

diu schœn mir wol gevellet:

5

sist valsches bar.

ir ougen bringent mich in nôt,

 

si dringent in mîns herzen grunt.

so entzündet mich ir minne,

daz ich von ir liebe enbrinne.

10

an der stat

bin ich von der süezen wunt.

 

 

V

Ir schœne vröide machet.

durliuhtic rôt

ist ir munt als ein rubîn.

 

swem si von herzen lachet,

5

des sorge ist tôt.

sist mîn spilnder ougen schîn.

 

ir vrömde krenket daz herze mîn,

ich stirbe, mir werde ir minne.

Vênus diu gotinne,

10

lebt si noch, –

si müeste bî ir verblichen sîn.

 

 

VI

Ich wil des mînen ougen

sagen danc,

daz sie sie vunden alsô guot.

 

die ich dâ minne tougen

5

sunder wanc,

diu hât gehœhet mir den muot.

 

daz schaffet mir ir rôter munt.

ir minneclîchez lachen

kan mir wol gemachen

10

hôhen muot.

dâ von mir wirt ein vröide kunt.