BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Gottfried von Straßburg

um 1210

 

Tristan

 

XXIII. Belauschtes Stelldichein (14583 - 15046)

 

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Melôt gie dan und reit zehant

ze walde, dâ er Marken vant.

14585

vür wâr er ime dô seite,

daz er der wârheite

ze ende waere komen dâ.

und seite im wie unde wâ,

als ez zem brunnen was geschehen.

14590

«ir muget die wârheit selbe sehen»

sprach Melôt «hêrre, wellet ir,

ze naht sô rîtet dar mit mir.

ine versihe mich keines dinges baz,

swie sô sî gevüegen daz,

14595

sine komen noch hînaht beide dar.

sô muget ir selbe nemen war,

wie sî gewerben under in.»

der künec reit mit Melôte hin

sînes herzeleides warten.

14600

nu si in den boumgarten

bî nahtzîte kâmen,

ir gewerbes war genâmen,

done vant der künec noch daz getwerc

dekeine stat noch kein geberc,

14605

daz in reht unde gebaere

zuo ir lâge waere.

nu stuont dâ, dâ der brunne vlôz,

ein öleboum, der was mâze grôz,

nider unde doch billîche breit.

14610

dâ zuo tâten s'ir arbeit,

daz si ûf den beide gestigen.

ûf dem sâzen s'unde swigen.

 

Tristan, dô ez nahtende wart,

er sleich aber ûf sîne vart.

14615

nu er in den boumgarten kam,

sîne boten er ze handen nam

und leite s'in die giezen

und lie si hine vliezen.

die seiten ie genôte

14620

der seneden Îsôte,

daz ir geselle waere dâ.

Tristan gienc über den brunnen sâ,

dâ beidiu schate unde gras

von dem öleboume was.

14625

aldâ gestuond er trahtende,

in sînem herzen ahtende

sîn tougenlîchez ungemach.

sus kam, daz er den schate gesach

von Marke und von Melôte,

14630

wan der mâne ie genôte

durch den boum hin nider schein.

nu er des schates von in zwein

bescheidenlîche wart gewar,

nu haete er michel angest dar,

14635

wan er erkande sich iesâ

der vâre unde der lâge dâ.

«got hêrre» dâhte er wider sich

«beschirme Îsôte unde mich!

ist daz si dise lâge niht

14640

bî disem schate inzît ersîht,

sô gât si vür sich her ze mir.

geschiht ouch daz, sô werden wir

ze jâmer und ze leide.

got hêrre, habe uns beide

14645

durch dîne güete in dîner pflege!

bewar Îsôte an disem wege.

beleite sunder alle ir trite.

warne die reinen eteswâ mite

dirre lâge und dirre archeit,

14650

die man ûf uns zwei hât geleit,

ê s'iht gespreche oder getuo,

dâ man iht arges denke zuo!

jâ hêrre got, erbarme dich

über sî und über mich!

14655

unser êre und unser leben

daz sî dir hînaht ergeben!»

 

Sîn vrouwe diu künigîn

unde ir beider vriundîn,

Brangaene diu reine,

14660

si zwô si giengen eine

Tristandes boten warten

in ir jâmergarten,

in dem si z'allen stunden,

sô sî vor vâre kunden,

14665

ir jâmer clageten under in.

dâ giengen sî her unde hin

trûrende unde clagende,

ir senemaere sagende.

viel schiere wart Brangaene

14670

der boten unde der spaene

in der vlieze gewar.

ir vrouwen wincte si dar.

Îsôt diu vienc si und sach s'an,

si las Îsôt, si las Tristan.

14675

si nam ir mantel al zehant,

umbe ir houbet sî den want

und sleich durch bluomen und durch gras,

hin dâ boum und brunne was.

nu daz si kam sô nâhen,

14680

daz si beide ein ander sâhen,

Tristan stuont allez ze stete,

daz er doch nie dâ vor getete.

sine kam ê mâles zuo z'im nie,

ern gienge verre gegen ir ie.

14685

nu wunderte Îsôte

sêre unde genôte,

waz dirre maere waere.

ir herze daz wart swaere.

si begunde ir houbet nider lân

14690

und vorhtlîche gegen im gân.

der verte sî grôz angest nam.

nu s'alsô lîse gênde kam

dem boume ein lützel nâher bî,

nu gesach si mannes schate drî

14695

und wiste niuwan einen dâ.

hie bî verstuont si sich iesâ

der lâge unde der vâre

und ouch an dem gebâre,

den Tristan hin z'ir haete.

14700

«â dirre mortraete»

gedâhte sî «waz wirdet der?

waz brâhte dise lâge her?

binamen mîn hêrre der ist hie bî,

swâ er hie bî verborgen sî.

14705

ich waene ouch, wir verrâten sîn.

beschirme uns, hêrre trehtîn!

hilf uns, daz wir mit êren

von hinnen müezen kêren.

hêrre, bewar in unde mich!»

14710

nu gedâhte s'aber wider sich:

«weiz Tristan nû dise ungeschiht

oder enweiz er ir niht?»

nû bedûhte sî zehant,

daz er die lâge haete erkant,

14715

wan sî'n in den gebaerden sach.

 

Si gestuont von verre unde sprach:

«hêr Tristan, mir ist harte leit,

daz ir mîner tumpheit

so gewis und alsô sicher sît,

14720

daz ir mir ze dirre zît

dekeiner sprâche muotet.

daz ir iuwer êren huotet

wider iuwern oeheim unde mich,

diu rede vüegete sich

14725

und stüende iuwern triuwen baz

und mînen êren danne daz,

daz ir sô spaetiu teidinc

und sus getânen haelinc

ûf leget und ahtet her ze mir.

14730

nu sprechet an, waz wellet ir?

ich stân mit angesten hie,

wan daz mich's Brangaene niht erlie,

diu mich es bat und mir ez riet,

als si hiute von iu schiet,

14735

daz ich her zuo z'iu kaeme

und iuwer clage vernaeme.

daz aber ich ir's gevolget hân,

daz ist vil sêre missetân.

si sitzet aber hie nâhe bî.

14740

und ouch swie sicher ich hie sî,

ich gaebe ê doch zewâre

durch boeser liute vâre

ein mîn lit von mîner hant,

ê ieman waere bekant,

14745

daz ich hie bî iu waere.

man hât sô michel maere

von iu gemachet und von mir.

si geswüeren alle wol, daz wir

vil harte waeren kumberhaft

14750

mit valschlîcher vriuntschaft.

des wânes ist der hof vol.

nu weiz ez aber got selbe wol,

wie mîn herze hin ziu stê.

und wil ein lützel sprechen mê:

14755

des sî got mîn urkünde

und enmüeze ouch mîner sünde

niemer anders komen abe,

wan alse ich iuch gemeinet habe,

mit welhem herzen unde wie.

14760

und gihe's ze gote, daz ich nie

ze keinem manne muot gewan

und hiute und iemer alle man

vor mînem herzen sint verspart

niwan der eine, dem dâ wart

14765

der êrste rôsebluome

von mînem magetuome.

daz mich mîn hêrre Marke

bewaenet alsô starke

durch iuwern willen, hêr Tristan,

14770

weiz got dâ missetuot er an,

sô gâr als er erkunnet hât,

wie mîn herze hin z'iu stât.

die mich ze maere habent brâht,

weiz got, die sint vil unbedâht.

14775

in ist mîn herze vil unkunt.

ich hân iu hundert tûsent stunt

vriundes gebaerde vor getân

durch die liebe, die ich hân

ze dem, den ich dâ lieben sol,

14780

dan durch valsch, daz weiz got wol.

ez waere ritter oder kneht,

sô diuhte mich und waere ouch reht

und êret ouch mich starke,

swer mînem hêrren Marke

14785

liep oder sippe waere,

daz ich dem êre baere.

nû verkêret man mir daz.

und enwil ich iu doch niemer haz

durch ir aller lüge getragen.

14790

hêrre, swaz ir mir wellet sagen,

daz saget mir, wan ich wil gân.

ine mag niht langer hie bestân.»

 

«Saeligiu vrouwe» sprach Tristan

«ine hân dâ keinen zwîvel an,

14795

dâ ir's die volge haetet,

irn spraechet unde taetet,

swaz tugend und êre waere.

nune lânt iuch lügenaere,

die iuch mit mir sus hânt bedâht

14800

und uns undurften habent brâht

ûz mînes hêrren hulden

mit michelen unschulden,

daz got vil wol erkennen sol.

saeligiu, nû bedenket wol,

14805

tugenthaftiu küniginne,

und nemet in iuwer sinne,

daz ich sô rehte unschuldic bin

wider iuch und wider in,

und râtet mînem hêrren daz,

14810

sînen zorn und sînen haz,

den er mir âne schulde treit,

daz er den durch sîne höfscheit

hele unde höfschlîche trage

niht langer wan dise ahte tage.

14815

biz daz hab er und habet ouch ir

die gebaerde her ze mir,

als ob ir mir genaedic sît.

so bereite ouch ich mich in der zît,

daz ich von hinnen kêre.

14820

wir verliesen unser êre,

der künec mîn hêrre und ir und ich.

ist daz ir alsus wider mich

gebâret, alse ich hinnen var,

sô sprechent unser vînde dar:

14825

«entriuwen hie was eteswaz an.

nemt war, wie mîn hêr Tristan

gescheiden ist von hinnen

mit des küniges unminnen.»

 

«Mîn hêr Tristan» sprach Îsôt

14830

«ich lite sanfter den tôt,

dan ich mînen hêrren baete,

daz er iht des durch mich taete,

daz hin ze iu waere gewant.

nu ist iu doch daz wol erkant,

14835

daz er mir iezuo lange vrist

durch iuch vil ungenaedic ist,

und wiste er und waere im kunt,

daz ich bî iu ze dirre stunt

eine unde nahtes waere,

14840

ich kaeme es in daz maere,

daz er mir niemer mêre

erbüte liep noch êre.

ob ouch daz iemer sus geschiht,

entriuwen des enweiz ich niht

14845

und wundert mich des starke,

wâ von mîn hêrre Marke

an disen arcwân kaeme,

von wem er den rât naeme,

und ich mich doch noch nie enstuont,

14850

als doch diu wîp vil schiere tuont,

daz ir mir keine valscheit

mit gebaerden haetet vür geleit,

noch ich selbe hin z'iu nie

valsch noch üppekeit begie.

14855

ine weiz, waz uns verrâten hât,

wan unser beider dinc daz stât

übel unde erbermeclîche,

alse ez got der rîche

enzît bedenken müeze

14860

und ez bezzere unde büeze.

Nu hêrre, nû gebietet mir.

ich wil gân, sô gât ouch ir!

iuwer swaere und iuwer arbeit,

daz wizze got, die sint mir leit.

14865

ich haete schulde hin z'iu vil,

der ich doch nû niht haben wil,

daz ich iu solte sîn gehaz.

mich erbarmet aber daz,

daz ir durch mich ze dirre zît

14870

âne schulde sus beswaeret sît.

durch daz wil ich ez übersehen,

und swenne der tac sol geschehen,

daz ir von hinnen müezet varn,

hêrre, sô müeze iuch got bewarn.

14875

der himelischen künigîn

der müezet ir bevolhen sîn!

iuwer bete und iuwer boteschaft

und wiste ich, ob diu keine craft

von mîme râte haete,

14880

ich riete unde taete,

swes sô ich mich versaehe,

dar an iu wol geschaehe.

nu vürhte ich aber sêre,

daz er mir'z verkêre.

14885

swie sô ez aber dar umbe ergê,

swie harte ez mir ze vâre stê,

ich wil iuch doch geniezen lân,

daz ir niht valsches habet getân

wider mînen hêrren unde mich.

14890

swie mir gelinge, sô wirb ich

iuwer bete, sô ich beste kan.»

«genâde vrouwe» sprach Tristan

«und swaz rede ir vindet dâ,

daz enbietet mir iesâ.

14895

wirde aber ich ihtes gewar

und lîhte alsô von hinnen var,

daz ich iuch nie mêre sehe,

swaz sô mir danne geschehe,

vil tugenthaftiu künigîn,

14900

sô müezet ir gesegenet sîn

von allem himelischem her!

wan got weiz wol, erde unde mer

diun getruogen nie sô reine wîp.

vrouwe, iuwer sêle und iuwer lîp,

14905

iuwer êre und iuwer leben

diu sîn iemer gote ergeben!»

 

Sus schieden sî sich under in.

diu küniginne diu gie hin

siuftende unde trûrende,

14910

ameirend unde amûrende,

mit tougenlîchem smerzen

ir lîbes unde ir herzen.

der trûraere Tristan

der gienc ouch trûrende dan

14915

und weinende starke.

der trûrige Marke,

der ûf dem boume dâ saz,

der betrûret aber daz

und gieng im rehte an sînen lîp,

14920

daz er den neven und daz wîp

ze arge haete bedâht.

und die in dar an haeten brâht,

die vervluochte er tûsent stunde

mit herzen und mit munde.

14925

er verweiz ie genôte

dem getwerge Melôte,

daz ez in haete betrogen

und ime sîn reine wîp belogen.

si stigen von dem boume nider

14930

und riten an daz gejegede wider

mit jâmer und mit leide.

Marke und Melôt beide

si haeten zweier hande leit.

Melôt durch die trügeheit,

14935

die er begangen solte hân.

Marke durch den arcwân,

daz er den neven und daz wîp

und allermeist sîn selbes lîp

sô haete beswaeret

14940

und z'übele vermaeret

über hof und über lant.

 

Des morgenes al zehant

hiez er den jegeren allen sagen,

daz sî beliben und vüeren jagen.

14945

er selbe kêrte wider în.

«saget an» sprach er «vrou künigîn,

wie habet ir vertriben sît

iuwer stunde und iuwer zît?»

«hêrre, mîn unmüezekeit

14950

daz was undurftenez leit.

sô was aber mîn vîre

diu harphe und diu lîre.»

«undurften leit?» sprach Marke dô

«waz was daz und wie was dem sô?»

14955

Îsôt ersmierete unde sprach:

«swie ez geschaehe, ez geschach

und geschiht ouch hiute und alle tage.

triure und üppeclîchiu clage

deist mîn und aller vrouwen site.

14960

hie reine wir diu herze mite

und liutern diu ougen.

wir nemen uns dicke tougen

ein michel leit von nihte

und lâzen'z ouch inrihte.»

14965

alsus treip sî'z mit schimpfe hin.

doch nam ez Marke in sînen sin

und marcte ez al gemeine,

ir wort und ouch ir meine.

«Nu vrouwe» sprach er «saget mir:

14970

weiz ieman hinne oder wizzet ir,

wie Tristandes dinc stê?

man seite mir, im waere wê,

do ich aller nâhest hinnen reit.»

«hêrre, iu wart ouch wâr geseit»

14975

sprach aber diu küniginne.

daz meinde sî zer minne.

si wiste wol sîn swaere,

daz diu von minnen waere.

der künec sprach aber dô vürbaz:

14980

«waz wizzet ir, wer seite iu daz?»

«ine weiz, wan alse ich waene

unde als mir Brangaene

von sîner siecheite

in kurzen zîten seite.

14985

diu sach in gester an dem tage

und enbôt mir, daz ich sîne clage

und sîn wort hin z'iu taete

und iuch durch got baete,

daz ir im niht sô sêre

14990

gedaehtet an sîn êre

und haetet iuwer mâze

an übelem gelâze

dise ahte tage doch wider in,

biz daz verrihtet er sich hin,

14995

und lâzet in mit êren

von iuwerm hove kêren

und von dem lande scheiden.

des gert er her z'uns beiden.»

und seite im alle sîne bete,

15000

als er si bî dem brunnen tete

und alse er selbe wol vernam,

wie ez umbe ir beider rede kam.

Der künec sprach aber: «vrou künigîn,

unsaelic müeze er iemer sîn,

15005

der mich dar an ie brâhte!

daz ich in ie verdâhte,

daz ist mir inneclîche leit.

wan ich hân sîne unschuldekeit

in kurzen zîten wol vernomen.

15010

ich bin es alles z'ende komen.

und saeligiu künigîn,

als liep als ich iu süle sîn,

so sî der zorn an iuch verlân.

swaz ir getuot, daz sî getân.

15015

nemet uns beide mich und in

und leget ez under uns beiden hin.»

«hêrre, ine wil» sprach diu künigîn

«hie mite niht harte unmüezec sîn,

wan leite ich ez hiute nider,

15020

ir griffet aber morgen wider

an iuwern arcwân als ê.»

«nein zwâre vrouwe, niemermê.

ine wil im niemer mêre

gedenken an sîn êre

15025

und iuch, vrou küniginne,

umb ûzerlîche minne

iemer lâzen âne wân.»

diz gelübede wart dâ getân.

hie mite wart Tristan besant

15030

unde der arcwân zehant

gâr hin geleit ze guote

mit lûterlîchem muote.

Îsôt wart aber Tristande

von hande ze hande

15035

bevolhen wider in sîne pflege.

der pflag ir aber alle wege

mit huote und mit râte.

si und diu kemenâte

dien wâren niwan als er gebôt.

15040

Tristan und sîn vrouwe Îsôt

diu lebeten aber liebe unde wol.

ir beider wunne diu was vol.

sus was in aber ein wunschleben

nâch ir ungemüete geben,

15045

swie kurz ez wernde waere,

âne iteniuwe swaere.