BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Carmina Burana

um 1230

 

Mittelhochdeutsche

und gemischtsprachige Texte

der Carmina Burana

 

Textgrundlage:

Carmina Burana

ed. G. Bernt/A. Hilka/O. Schumann,

München 1979

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

 

48a

Otto von Botenlauben (KLD 41,13)

(ca. 1220)

 

Horstu, uriunt, den wahter an der cinne,

wes sin sanch ueriach?

wir muozen uns schaiden nu, lieber man.

also schiet din lip nu jungest hinnen,

do der tach uof brach

unde uns diu naht so fluhtechlichen tran.

naht git senfte, we tuot tach.

Owe, herce lieb, in mach

din nu uerbergen niht.

uns nimit diu freude gar daz grawe lieht.

stand uof, riter!

 

 

112a

Nur in CB überliefert

 

Div mich singen tuot,

getorste ih si nennen!

trurech ist min muot.

owi, vrowe, wenne

wildu mir wesen gvot?

ih reche dir mine hende;

du brennest mih ane gluot!

svoze, die ungenade wende!

 

 

113a

Dietmar von Eist (MF 32,1)

(ca. 1160/80)

 

«Vvaz ist fur daz senen guot,   daz wip nah lieben manne hat?

wie gerne daz min herçe erchande,   wan daz iz so bedwungen stat!»

also reit ein vrowe schone.

«an ein ende ih des wol chome,

wan div huote;

selten sin vergezzen wirt   in minem muote.»

 

 

114a

Nur in CB überliefert

 

Der al der werlt ein meister si,

der geb der lieben guoten tach,

von der ih wol getrostet pin.

si hat mir al min ungemach

mit ir guote gar benomen.

unstaete hat si mir erwert;   ih pin sin an ir genade chomen.

 

 

115a

Nur in CB überliefert

 

Edile vrowe min,

gnade mane ih dich!

din wunnechlicher schin

vil gar verderbet mich.

suoze, erchenne dich!

din lip der ist mir ze wunnechlich.

 

Refl.

Nach im ist mir not;

suoze vrowe, gnade, alde ih pin tot!

 

 

135a

Nach Walther von der Vogelweide

(ca. 1170 - ca. 1230)

 

Der starche winder hat uns uerlan,

div sumerçit ist schone getan;

walt vnde heide sih ih nu an,

loup vnde bluomen, chle wolgetan;

dauon mag uns froude nimmer zergan.

 

 

136a

Nur in CB überliefert

 

Solde ih noch den tach geleben,

daç ich wunschen solde

nah der, div mir froude geben

nach, ob si noh wolde!

min herçe muoz nah ir streben;

mohtih si han holde,

so wolde ih in wunne sweben,

swere ih nimmer dolde.

 

 

137a

Nur in CB überliefert

 

Springerwir den reigen

nu, vrowe min!

vrovn uns gegen den meigen!

uns chumet sin schin.

der winder der heiden tet senediv not;

der ist nu çergangen,

si ist wunnechlich bevangen

von bluomen rot.

 

 

138a

Nur in CB überliefert

 

In liehter varwe stat der walt,

der vogele schal nu donet,

div wunne ist worden manichvalt;

des meien tugende chronet

senide liebe; wer were alt,

da sih div çit so schonet?

her meie, iv ist der bris geçalt!

der winder si gehonet!

 

 

139a

Nur in CB überliefert

 

Zergangen ist der winder chalt,

der mih so sere muote,

geloubet stat der gruone walt;

des frouet sih min gemuote.

nieman chan nu werden alt!

vroude han ih manichualt

von eines wibes guote.

 

 

140a

Nur in CB überliefert

 

Nu suln wir alle froude han,

die zit mit sange wol began!

wir sehen bluomen stan,

div heide ist wunnechclich getan.

tanzen, reien, springerwir   mit froude vnde ouch mit schalle!

daz zimet guoten chinden als iz sol;   nu schinphen mit dem balle!

min vrowe ist ganzer tugende vol;   ih wiez, wiez iv geualle.

 

 

141a

Nur in CB überliefert

 

Div heide   gruonet vnde der walt.

stolçe meide,   wesent palt!

die volgele singent manichualt,

zergangen ist der winder chalt.

 

 

142a

Nur in CB überliefert

 

Ih solde eines morgenes gan

      eine wise breite;

do sah ih eine maget stan,

      div gruozte mih bereite.

si sprah: «liebe, war wend ir?

      durfent ir geleite?

gegen den fuozen neig ih ir,

      gnade ih ir des seite.

 

 

143a

Reinmar (MF 203,10)

(ca. 1190/1210)

 

«Ze niwen vrouden stat min muot

hohe,» sprah ein schone wip.

«ein ritter minen willen tuot;

der hat geliebet mir den lip.

ich wil im iemmer holder sin

danne deheinem mage min;

ih erzeige ime wibes triwe schin.»

 

 

144a

Nur in CB überliefert

 

Ich han gesehen, daz mir in dem herçen sanfte tuot:

des gruonen lovbes pin ich worden wolgemuot;

      div heide wunnechlichen stat;

mir ist liep, daz si also uil der schonen bluomen hat.

 

 

145a

Nur in CB überliefert

 

Uvere div werlt alle min

von deme mere unze an den Rin,

des wolt ih mih darben,

daz chunich . . . . . von Engellant lege an minem arme!

 

 

146a

Nur in CB überliefert

 

Nahtegel, sing einen don mit sinne

miner hohgemuoten chuniginne!

chunde ir, daz min steter muot vnde min herçe brinne

nah irm suozen libe vnde nah ir minne!

 

 

147a

Reinmar (MF 177,10)

(ca. 1190/1210)

 

Sage, daz ih dirs iemmer lone:

hast du den uil lieben man gesehen?

ist iz war, lebet er so schone,

als si sagent vnde ih dih hore iehen?

«vrowe, ih sah in: er ist vro;

sin herçe stat, ob ir gebietet, iemmer ho.»

 

 

148a

Nur in CB überliefert

 

1.

Nu sin stolz vnde hovisch,

nu sin stolz vnde houisch,

nu sin houisch vnde stolz!

 

2.

Venus schivzet iren bolz,

Uenus schivzet irn bolz,

Uenus schivzet irn bolz!

 

 

149

(gemischtsprachig)

Nur in CB überliefert

 

1.

Floret silva nobilis

floribus et foliis.

ubi est antiquus

meus amicus?

hinc equitavit!

eia! quis me amabit?

 

Refl.

Floret silva undique;

nah mime gesellen ist mir we!

 

2.

Gruonet der walt allenthalben.

wa ist min geselle also lange?

der ist geriten hinnen.

owi! wer sol mich minnen?

 

 

150a

Heinrich von Morungen (MF 142,19)

(ca. 1190/1220)

 

Ich pin cheiser ane chrone

vnde ane lant: daz meine ih an dem muot;

ern gestuont mir nie so schone.

wol ir liebe, div mir sanfte tuot!

daz machet mir ein vrowe guot.

ih wil ir dienen iemmer mer;   ih engesah nie wip so wol gemuot.

 

 

151a

Walter von der Vogelweide (51,29 Str. 3)

(ca. 1170 - ca. 1230)

 

So wol dir, meie, wie du scheidest

allez ane haz!

wie wol du die bovme cleidest

vnde die heide baz!

(div hat varue me.)

«du bist churçer, ih pin langer!»

also stritent si uf dein anger,

bluomen vnde chle.

 

 

152a

Nur in CB überliefert

 

Ich gesach den sumer nie,   daz er so schone duhte mich:

mit menigen bluomen wolgetan   div heide hat gezieret sih.

sanges ist der walt so vol;

div zit div tuot den chleinen volgelen wol.

 

 

153a

Nur in CB überliefert

 

Vrowe, ih pin dir undertan

des la mich geniezen!

ih diene dir, so ih beste chan;

des wil dih verdriezen.

nu wil du mine sinne

mit dime gewalte sliezen.

nu woldih diner minne

vil suoze wunne niezen.

vil reine wip,

din schoner lip

wil mih ze sere schiezen!

uz dime gebot

ih nimmer chume,

obz alle wibe hiezen!

 

 

155a

Nur in CB überliefert

 

Si ist schouner den urowe Dido was,

si ist schouner denne vrowe Helena,

si ist schouner denne vrowe Pallas,

si ist schouner denne vrowe Ecuba;

si ist minnechlicher denne vrowe Isabel

unde urolicher denne Gaudile;

mines hercen chle

ist tugunde richer denne Baldine.

 

 

161a

Nur in CB überliefert

 

 

Div werlt frovt sih uber al

gegen der sumerzite:

aller slahte uogel schal

horet man nu wite,

dar zuo bluomen vnde chle

hat div heide vil als ê,

gruene stat der schone walt;

des suln wir nu wesen balt!

 

 

162a

Nur in CB überliefert

 

Svoziv vrowe min,

la mih des geniezen:

du bist min ovgenschin.

Venus wil mih schiezen!

nu la mih, chuniginne, diner minne niezen!

ia nemag mih nimmer din uerdriezen.

 

 

163a

Nur in CB überliefert

 

Eine wunnechliche stat

het er mir bescheiden:

da die bluomen unde gras

stuoden gruone baide,

dar chom ih, als er mih pat.

da geschah mir leide.

lodircundeie! lodircundeie!

 

 

164a

Nur in CB überliefert

 

Ih wolde gerne singen,

der werlde vroude bringen,

mohte mir an ir gelingen,

der ih diene alle mine tage.

der minne wil mich twingen.

in mime herçen ich si trage;

noch lebe ih des gedingen.

 

 

165a

Nur in CB überliefert

 

Mir ist ein wip sere in min gemuote chomen,

uon der han ich gançer tugende vil vernomen;

des minnet si daz herçe min.

ir schoner lip hat mir vrovde vil gegeben.

solde ich nah dem wilien min div zit geleben,

daz ich ihr gelege bi,

. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 

 

166a

Reinmar (MF 185,28)

(ca. 1190/1210)

 

Solde auer ich mit sorgen iemmer leben,

swenne ander lute weren fro?

gvoten trost wil ih mir selbeme geben

vnde min gemuote tragen ho,

so von rehte ein selich man.

si sagent mir alle, truren sta mir iemerlichen an.

 

 

167a

Nur in CB überliefert

 

Swaz hie gat umbe,

daz sint alle megede;

die wellent an man

allen disen sumer gan!

 

 

168a

Neidhart von Reuenthal (11,8)

(ca. 1200 - ca. 1240)

 

Nu grvonet auer div heide,

mit grvoneme loube stat der walt;

der winder chalt

dwanch si sere beide.

div zit hat sich uerwandelot.

ein senediv not

mant mich an der guoten, von der ih ungerne scheide.

 

 

169a

Walther von der Vogelweide (51,37 Str.4)

(ca. 1170 - ca. 1230)

 

Roter munt, wie du dich swachest!

la din lachen sin!

scheme dich, swenne du so lachest

nach deme schaden din!

dest niht wolgetan.

owi so verlorner stunde,

sol von minnechlichen munde

solich unminne ergan!

 

 

170a

Nur in CB überliefert

 

Min vrowe Uenus ist so guot,

si chan vrovde machen

den, swer iren willen tuot;

der herçe muoz lachen.

si hat vrowen in ir huot,

die lat si nit swachen.

swer gegen den hat hohen muot,

der mach gerne wachen.

 

 

171a

Nur in CB überliefert

 

Vrowe, wesent vro!

trostent ivch der sumerzit!

div chumit iv also:

rosen, lilien si uns git.

vrowe, wesent vro!

wie tuot ir nu so,

daz ir so trurech sit?

der chle, der springet ho!

 

 

172a

Nur in CB überliefert

 

Ich han eine senede not, div tuot mir also we;

daz machet mir ein winder chalt vnde ovch der wize sne.

chome mir div sumerzit,

so wolde ich prisen minen lip

umbe ein vil harte schoniz wip.

 

 

173a

Nur in CB überliefert

 

Wol ir libe, div so schone

lebet, alsam div vrowe min!

si treit wol der eren chrone.

in ir dienest wil ich sin;

dest ein ende.

swer daz wende,

der enguuinne

hoher minne

nimmer me!

 

 

174a

Nur in CB überliefert

 

1.

Chume, chume, geselle min,

ih enbite harte din!

ih enbite harte din,

chum, chum, geselle min!

 

2.

Suozer roservarwer munt,

chum vnde mache mich gesunt!

chum vnde mache mich gesunt,

suozer roservarwer munt!

 

 

175a

Nur in CB überliefert

 

Taugen minne div ist guot,

si chan geben hohen muot;

der sol man sih ulizen!

swer mit triwen der nit phliget, deme sol man daz wizen!

 

 

178a

Nur in CB überliefert

 

Ich wil den sumer gruzen, so ih besten chan;

der winder hat mir hivre leides vil getan.

des wil ich ruofen in der vrowen ban:

«ich sih die heide in gruoner varwe stan!

dar suln wir alle gahen,

die sumerzit enphahen!

des tanzes ich beginnen sol, wil ez iv niht versmahen!»

 

 

179a

Nur in CB überliefert

 

Einen brief ich sande

einer vrowen guot,

div mich inme lande

beliben tuot.

stille ih ir enbot. ob sie in gelas,

dar an was

al mins herçen muot;

div reine ist wol behuot.

 

Refl.

Selich wip,

vil suoziz wip,

du gist wol hohen muot;

schone ist div zit,

bi dir swer lit,

sanfte dem daz tuot.

 

 

180

(gemischtsprachig)

Nur in CB überliefert

 

 

1.

O mi dilectissima!

vultu serenissima

et mente legis sedula,

ut mea refert littera?

 

Refl.

Mandaliet! mandaliet!

min geselle chovmet niet!

 

2.

«Que est hec puellula,»

dixi, «tam precandida,

in cuius nitet facie

candor cum rubedine?»

 

Refl.

Mandaliet! mandaliet!

min geselle chovmet niet!

 

3.

Vultus tuus indicat,

quanta sit nobilitas,

que in tuo pectore

lac miscet cum sanguine.

 

Refl.

Mandaliet! mandaliet!

min geselle chovmet niet!

 

4.

Ǡ Que est puellula

dulcis et suavissima?

eius amore caleo,

quod vivere vix valeo.»

 

Refl.

Mandaliet! mandaliet!

min geselle chovmet niet!

 

5.

Circa mea pectora

multa sunt suspiria

de tua pulchritudine,

que me ledunt misere.

 

Refl.

Mandaliet! mandaliet!

min geselle chovmet niet!

 

6.

Tui lucent oculi

sicut solis radii,

sicut splendor fulguris,

qui lucem donat tenebris.

 

Refl.

Mandaliet! mandaliet!

min geselle chovmet niet!

 

7.

«Vellet Deus, vellent di,

quod mente proposui:

ut eius virginea

reserassem vincula!»

 

Refl.

Mandaliet! mandaliet!

min geselle chovmet niet!

 

 

180a

Nur in CB überliefert

 

1.

Ich wil truren varen lan;

vf die heide sul wir gan,

vil liebe gespilen min!

da seh wir der blumen schin.

 

Refl.

Ich sage dir, ih sage dir,

min geselle, chum mit mir!

 

2.

Suoziv Minne, raine Min,

mache mir ein chrenzelin!

daz sol tragen ein stolzer man;

der wol wiben dienen chan!

 

Refl.

Ich sage dir, ih sage dir,

min geselle, chum mit mir!

 

 

181a

Nur in CB überliefert

 

1.

Der winder zeiget sine chraft

den bluomen vnde der weide;

zergannen ist ir grvoçiv chraft,

daz chlaget uns div heide.

 

Refl.

Vve tuot in rife vnde ovch der sne,

da uon stat val der gruone chle.

 

2.

Die uogele swigent gegen der zit;

si lebent in grozen sorgen,

durh daz der vrost in chelte git;

des ligent si verborgen.

 

Refl.

Vve tuot in rife vnde ovch der sne,

da uon stat val der gruone chle.

 

 

182a

Nur in CB überliefert

 

Vns chumet ein lichte sumerzit:

div heide in gruoner varwe lit,

gras, bluomen, chle, loup uns si git;

die wahsent alle widerstrit.

 

Refl.

Swer nah frovden weruen wil,

de habe muot vnde sinne vil!

 

 

183a

Nur in CB überliefert

 

Ich sich den morgensterne brehen.

nu, helt, la dich niht gerne sehen!

uil liebe, dest min rat.

swer tovgenlichen minnet, wie tugentlich daz stat,

da frivnschaft huote bat!

 

 

184

(gemischtsprachig)

Nur in CB überliefert

 

1.

Virgo quedam nobilis,

div gie ze holçe vmbe rîs.

do si die burde do gebant,

 

Refl.

Heia, heia, wie si sanch!

cicha, cicha, wie si sanch!

vincula,

vincula,

vincula rumpebat.

 

2.

Venit quidam iuvenis

pulcher et amabilis,

der zetrant ir den bris.

 

Refl.

Heia, heia, wie si sanch!

cicha, cicha, wie si sanch!

vincula,

vincula,

vincula rumpebat.

 

3.

Er uiench si bi der wizen hant,

erfuort si in daz uogelsanch.

. . . . . . . . . . . . . . . . . .

 

Refl.

Heia, heia, wie si sanch!

cicha, cicha, wie si sanch!

vincula,

vincula,

vincula rumpebat.

 

4.

Venit † swe . . . Aquilo,

der warf si verre in einen loch,

er warf si verre in den walt.

 

Refl.

Heia, heia, wie si sanch!

cicha, cicha, wie si sanch!

vincula,

vincula,

vincula rumpebat.

 

 

185

(gemischtsprachig)

Nur in CB überliefert

 

1.

Ich was ein chint so wolgetan,

virgo dum florebam,

do brist mich div werlt al,

omnibus placebam.

 

Refl.

Hoy et oe!

maledicantur tilie

iuxta viam posite!

 

2.

Ia wolde ih an die wisen gan,

flores adunare,

do wolde mich ein ungetan

ibi deflorare.

 

Refl.

Hoy et oe!

maledicantur tilie

iuxta viam posite!

 

3.

Er nam mich bi der wizen hant,

sed non indecenter,

er wist mich div wise lanch

valde fraudulenter.

 

Refl.

Hoy et oe!

maledicantur tilie

iuxta viam posite!

 

4.

Er graif mir an daz wize gewant

valde indecenter,

er fuorte mih bi der hant

multum violenter.

 

Refl.

Hoy et oe!

maledicantur tilie

iuxta viam posite!

 

5.

Er sprach: «vrowe, gewir baz!

nemus est remotum.»

dirre wech, der habe haz!

planxi et hoc totum.

 

Refl.

Hoy et oe!

maledicantur tilie

iuxta viam posite!

 

6.

«Iz stat ein linde wolgetan

non procul a via,

da hab ich mine herphe lan,

tympanum cum lyra.»

 

Refl.

Hoy et oe!

maledicantur tilie

iuxta viam posite!

 

7.

Do er zu der linden chom,

dixit «sedeamus»,

– div minne twanch sêre den man –

«ludum faciamus!»

 

Refl.

Hoy et oe!

maledicantur tilie

iuxta viam posite!

 

8.

Er graif mir an den wizen lip,

non absque timore,

er sprah: «ich mache dich ein wip,

dulcis es cum ore!»

 

Refl.

Hoy et oe!

maledicantur tilie

iuxta viam posite!

 

9.

Er warf mir uof daz hemdelin,

corpore detecta,

er rante mir in daz purgelin

cuspide erecta.

 

Refl.

Hoy et oe!

maledicantur tilie

iuxta viam posite!

 

10.

Er nam den chocher unde den bogen,

bene venabatur!

der selbe hete mich betrogen.

«ludus compleatur!»

 

Refl.

Hoy et oe!

maledicantur tilie

iuxta viam posite!

 

 

203a

Eckenlied

 

Vns seit uon Lutringen Helfrich,

wie zwene rechen lobelich

ze saemine bechomen:

Erekke unde ovch her Dieterich;

si waren beide uraislich,

da uon sie schaden namen.

als uinster was der tan, da sic an ander funden.

her Dietrich rait mit mannes chraft den walt also unchunden.

Ereke der chom dar gegan;

er lie da heime rosse uil; daz was niht wolgetan.

 

 

204

Städtelob

(gemischtsprachig)

 

1.

Urbs salve regia,

Trevir, urbs urbium,

per quam lascivia

redit ac gaudium!

florescis, patria,

flore sodalium.

per dulzor!

 

Refl.

Her wirt, tragent her nu win,

vrolich suln wir bi dem sin.

 

2.

Trevir metropolis,

urbs amenissima,

que Bacchum recolis,

Baccho gratissima,

da tuis incolis

vina fortissima!

per dulzor!

 

Refl.

Her wirt, tragent her nu win,

vrolich suln wir bi dem sin.

 

3.

Ars dialectica

nil probat verius:

gens Teutonica

nil potat melius;

† et plus munifica

sua dans largius.

per dulzor!

 

Refl.

Her wirt, tragent her nu win,

vrolich suln wir bi dem sin.

 

4.

Iovis in solio

coramque superis

fuit iudicio

conclusum Veneris

rosam rosario

dari pre ceteris.

per dulzor!

 

Refl.

Her wirt, tragent her nu win,

vrolich suln wir bi dem sin.

 

5.

Quid est iocundius

presigni facie:

rosam rosarius

decorat hodie,

unde vox letius

sonat letitie!

per dulzor!

 

Refl.

Her wirt, tragent her nu win,

vrolich suln wir bi dem sin.

 

 

211a

Walther von der Vogelweide

(ca. 1170 - ca. 1230)

(1. Strophe des Palästinaliedes)

 

Nu lebe ich mir alrest werde,

sit min sundeg ovge sihet

daz schone lant unde ovch div erde,

der man uil der eren gihet.

nu ist geschehen, des ih da bat,

ich pin chomen an die stat,

da got mennischlichen trat.

 

 

2*

Nur in CB überliefert

 

1.

Ich lob die liben frowen min

vor allen gvten wiben,

mit dienst wil ich ir stete sin

vnd immer stete beliben.

si ist als ein spigel glas

si ist gantzer tvgende ein adamas

vnd schoner zvhte ist si so vol,

von der ich chvmber dol.

 

2.

Ir roter rosenvarwer mvnt,

der tvt mich senen diche,

ir ovgen brehent ze aller stvnt

sam stern dvrch wolchen blicche.

mins herzen leben ir hant

gebvnden hat an elliv bant.

min ovge sach nie schoner wip.

ein engel ist ir lip.

 

3.

Min leben stat in ir gewalt,

daz sol si wol bedenchen,

lazze mich mit frovden werden alt,

ich wil ir nimmer wenchen.

wil si, ich lebe wol,

daz diene ich immer swie ich sol.

gebivtet si, ich lige tot.

svs leide ich wernde not.

 

 

7*

Johannes 1, 1-14

(Nachtrag 14. Jh.)

 

1.

In anegenge was ein wort, daz wort was mit got, got was daz wort.

2.

vnd was in anegenge mit got,

3.

von im sint alliv dinch gemachet an in ist gemacht nicht, swaz mit im ist gemachet,

4.

daz ist daz ewige leben, daz ewige leben ist ein liecht den livten,

5.

daz liecht daz livchtet in der vinster, die vinster mach sein nicht begreiffen.

6.

Ein mennisch wart gesant von gote des name was Johannes.

7.

der chom zvo einer gezivchnvesse daz er gezivch were des liechtes.

8.

er was nicht daz liecht niwer daz er gezivch were des liechtes.

9.

daz ware liecht ist daz, daz ein igesleichen mennisch erlivchtet der in disiv welt bechumt,

10.

er cham in div welt, div welt erchant sein nicht,

11.

er chom in sein aigen lant die seinen enpfiengen sein nicht

12.

aver die in da enpfiengen den gab er den gewalt, daz si gotes chint werden, vnd die an seinen namen gelavpten

13.

die warn nicht geworn von wollveste des plůtes noch von wollveste des vlaisches wan svnder von gote,

14.

daz wort ist ze vlaische worden, vnd wont in vens wier haben sein ere geschen als eines ainworn svnes wie den sein vater eret voller genaden vnd voller warheit.

§

durch disiv rede des hailgen ewangelii vergebe vens venser herre alle venser Missetat. amen.

 

 

16*

Passionsspiel

(gemischtsprachig)

 

2a.

Fili, dulcor unice,

singulare gaudium,

matrem flentem respice

conferens solatium.

 

2b.

Pectus mentem, lumina

tua torquent vulnera.

que mater, que femina

tam felix, tam misera!

 

3a.

Flos florum,    dux morum,

venie vena,

quam gravis    in clavis

est tibi pena.

 

3b.

Proh dolor,    hinc color

effugit oris,

hinc ruit,    hinc fluit

unda cruoris.

 

4a.

O quam sero deditus,

quam cito me deseris;

o quam digne genitus,

quam abiecte moreris.

 

4b.

O quis amor corporis

tibi fecit spolia;

o quam dulcis pignoris

quam amara premia.

 

5a.

O pia    gratia

sic morientis,

o zelus    o scelus

invide gentis.

 

5b.

O fera    dextera

crucifigentis,

o lenis    in penis

mens patientis.

 

6a.

O verum eloquium

iusti Simeonis!

quem promisit, gladium

sentio doloris.

 

6b.

Gemitus, suspiria

lacrimeque foris

vulneris indicia

sunt interioris.

 

7a.

Parcito proli,

mors, michi noli,

tunc michi soli

sola mederis.

 

7b.

Morte, beate,

separer a te,

dummodo, nate,

non crucieris.

 

8a.

Quod crimen, que scelera

gens commisit effera,

vincla, virgas, vulnera,

sputa, spinas, cetera

sine culpa patitur.

 

8b.

Nato, queso, parcite,

matrem crucifigite

aut in crucis stipite

nos simul affigite!

male solus moritur.

 

9a.

Reddite mestissime

corpus vel exanime,

ut sic minoratus

crescat cruciatus

osculis, amplexibus!

 

9b.

Utinam sic doleam,

ut dolore peream,

nam plus est dolori

sine morte mori

quam perire citius.

 

10a.

Quid stupes, gens misera,

terram se movere,

obscurari sidera,

languidos lugere?

 

10b.

Solem privas lumine,

quomodo luceret?

egrum medicamine,

unde convaleret?

 

11a.

Homicidam liberas,

Iesum das supplicio;

male pacem toleras,

veniet seditio.

 

11b.

Famis, cedis, pestium

scies docta pondere

Iesum tibi mortuum

Barrabamque vivere.

 

12a.

Gens ceca, gens flebilis,

age penitentiam,

dum tibi flexibilis

Iesus est ad veniam.

 

12b.

Quos fecisti, fontium

prosint tibi flumina,

sitim sedant omnium,

Cuncta lavant crimina.

 

13a.

Flete, Sion filie,

tante grate gratie;

iuvenis angustie

sibi sunt delicie

pro vestris offensis.

 

13b.

In amplexus ruite,

dum pendet in stipite;

mutuis amplexibus

se parat amantibus

brachiis protensis.

 

14.

In hoc solo gaudeo,

quod pro vobis doleo.

vicem, queso, reddite,

matris damnum plangite!

 

Tunc iterum amplexetur Iohannem et cantet:

Mi Iohannes, planctum move,

plange mecum, fili nove,

fili novo federe

matris et matertere.

tempus est lamenti,

immolemus intimas

lacrimarum victimas

Christo morienti.

 

Iohannes ad hec:

O Maria, tantum noli

lamentare tue proli!

sine me nunc plangere,

que vitam cupis cedere.

 

Et Iohannes teneat Mariam sub humeris.

Et dicat Iesus ad eam:

Mulier, ecce filius tuus.

 

Deinde dicit ad Iohannem:

Ecce mater tua.

 

Postea vadant Maria et Iohannes de cruce.

Et Iesus dicat:

Sitio.

 

Statim veniant Iudei prebentes spongiam cum aceto.

Et Iesus bibat:

Consummatum est.

 

Tunc Longinus veniat cum lancea et perforet latus eius et ille dicat aperte:

Ich wil im stechen ab daz herze sin,

daz sich ende siner marter pin.

 

Iesus videns finem dicit clamando:

Ely, Ely, lema sabactany, hoc est: Deus meus, Deus meus, ut quid

dereliquisti me?

 

Et inclinato capite emittat spiritum.

Longinus:

Vere filius Dei erat iste.

 

Item:

Dirre ist des waren gotes sůn.

 

Item:

Er hat zaichen an mir getan,

wan ich min sehen wider han.

 

Et unus ex Iudeis dicat ad Iudeos:

Eliam vocat iste. Eamus et videamus, si Elias veniens liberet eum an non.

 

Alter Iudeus:

Si filius Dei es, descende de cruce.

 

Item alter:

Alios salvos fecit, seipsum non potest salvum facere.

 

 

17*

Freidank

(ca. 1215/33)

 

Diu mukke můz sich sere muen,

wil si den ohsen uber luen.

 

Gienge ein hunt des tages tausent stunt

ze chirchen, er ist doch ein hunt.

 

Manich hunt wol gebaret,

der doch der leute varet.

 

Ez dunchet mich ein tumber sin,

swer waent den ouen obergin.

 

Swa ich waiz den wolues zant,

da wil ich hueten meiner hant,

daz er mich niht verwnde,

sein beizzen swirt uon grunde.

 

Der lewe sol auch nimmer lagen,

wellent in die hasen iagen.

 

Div fliug ist, wirt der sumer heiz,

der chuenste uogel, den ich waiz.

 

Der bremen hohgezit zergat,

so der augest ende hat.

 

Die cheuern uliegen unuerdaht,

des uallet maniger in ein paht.

 

Die froesche tuent in selben schaden,

wellent si den storchen zu hůse laden;

di wisen chunnen wol uerstan,

waz ich tore gesprochen han.

 

Der lewe fuerhtet des mannes niht,

wan ob er in hoeret und niht siht.

 

Der cheuer sich selb betriuget,

swenn er ze hohe fliuget.

 

Diu nahtegal diche muet,

swenn ein esel oder ein ohse luet.

 

Der hunt hat leder urezzen,

so man dienstes wil uergezzen.

 

Der hofwart vnd der wind

selten gůte friunde sind.

 

Swer schalchait lernt in der iugent,

der hat uil selten staete tugent.

 

Man siht uil selten richez hůs

ane dieb und ane můs.

 

Von reht iz auf in selben gat,

swer dem andern geit valschen rat.

 

Der esel und di nahtigal

singent ungelichen schal.

 

Swa man den esel chroenet,

da ist daz land gehoenet.

 

Minne, schatz, groz gewin

vercherent gůtes mannes sin.

 

Man minnet nu schatz mere

danne got, lyb, sel vnd ere.

 

So staete friundin nieman hat,

er fuerihte doch ir missetat.

 

Vremede scheidet herzelieb,

stat machet manigen dieb.

 

Swer lieb hat, der wirt selten urei

vor sorgen, daz ez unstaete sei.

 

Herzelieb hat manich man,

der doch gar uerniugeret dran.

 

 

23*

Cantus Ioseph ab Arimathia

 

Ioseph:

Iesus von gotlicher art

ein mensch an alle sunde,

der an schuld gemartret wart,

ob man den vurbaz vunde

genaglet an dem chrivze stan,

daz wer niht chuneges ere.

darumb solt ihr mich in lan

bestaten, rihter, herre.

 

Pilatus:

Swer redelicher dinge gert,

daz stet wol an der maze,

daz er ir werde wol gewert.

du bitest, daz ich laze

dich bestaten Iesum Christ.

daz main ich wol in gůte.

seit er dir so ze herzen ist,

num in nach dinem můte.