BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

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blaß geweinten Züge, die blonden, herabfließenden Haare, das schwarze Sammt-Gewand, ja, auch selbst die Nebendinge hatten nur eine Sprache, die des feierlichen Ernstes. – Ich war froh, endlich einmal zu finden, was ich längst gesucht: ein Bild, das Leben athmet, denn die sogenannten stylisirten Schönheiten oder Antiken-Puppen, die Produktionen einer in starrem theoretischen Reifrock eingezwängten Kunst können mich wahrhaft ängstigen und langweilen. – Ary Scheffer scheint mir nicht zu malen um zu gefallen, er malt weil er muß; das Genie führt den Pinsel und nicht Berechnung und Manier.

Vielleicht könntest du noch in deinem Leben einem solch liebenswürdigen Gesichtchen, wie Gretchen hier, begegnen, und dieser Gedanke befreundete mich noch mehr mit dem Bilde. Nur Wirkliches und kein Traum vermag die Seele zu sättigen.

Man wollte mir auch andere Gemälde anpreisen, aber magnetisch zog es mich immer wieder vor den Altar, wo Gretchen kniete, und da stand ich versunken in dem lieblichsten Anblick.

Was die Malerei betrifft, so konnte man das Streben nach höchster Vollendung wahrnehmen.

Im Nachhausegehen überließ ich mich der Frage: warum wohl die meisten Künstler nur Alles in der antiken Form suchen und darüber den Ausdruck versäumen? Es sind  ihre  Gestalten  so  oft  nur  prächtige  Worte  ohne Sinn, weshalb auch ihre Figuren höchstens nur Ge­müth, aber keinen Geist ausdrücken. Ich sehe überall in den Bildern,  es  mögen  auch  Gruppen  da  seyn  von dem ver-

 

schiedensten Alter und Bewegung, nur einen Schnitt der Gesichter, ohne Individualität; der Ausdruck ist der eines passiven Zustandes: Ruhe und Sentimentalität. Es sind Komödianten. Dies ist's, was mich in der bildenden Kunst noch oft unbefriedigt läßt, ja mit Schmerz erfüllen kann. Die Natur spricht sich ja auf das mannigfachste, eigenthümlichste in ihren Werken aus, und doch geben die manierirten Künstler vor, sie nachzuahmen, ihr nachzugehen? –

 

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Am 1. Juni. 

 

Gestern brannte ich vor Sehnsucht, meine liebe Jenny wieder zu sehen, jene liebenswürdige Pariserin, welche eben so reich an Geist, als an Gemüth ist, wenn schon kein französisches Dictionnaire und keine Academie unser sinnreiches Wort: Gemüth aufzuweisen hat. Ich eilte durch Arcaden, Bazars und den Boulevard des Italiens - schon wärmte ich mich an den Gedanken: sie ist dir nahe, und bald war es wirklich so. Gerührt flog ich ihr an den Hals und küßte sie, nicht etwa pariserisch blos in die Lüfte, aber ganz betreten tritt sie zurück: mon Dieu! ma chère, quel cbapeau! Chapeau? wiederholte ich zerstreut. Unterdessen hatte  die  Gute  den  Armen  schon  nach  allen  Seiten  hin gestülpt  und  gestaucht.  Vor  vier  Wochen  hatte  ich  ihn erst  in  Frankfurt  gekauft,  und  er  war,  wie  ich  mir einbildete,  allerliebst.  O  bitterer  Wechsel  des  Lebens! Hätte  doch  die  neueste  Mode  von  Paris  ihn ausgeboren!   Nun   fühle  und  singe  ich  mit  dem  Hirten

 

 


 

Ary Scheffer (1795-1858): Gretchen im Dom

Ary Scheffer (Wikipedia)