BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Stefan Zweig

1881 - 1942

 

Silberne Saiten

 

1901

 

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[82-84]

Ausklang.

 

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Wir beide blicken, Hand in Hand geschmiegt,

Gemeinsam in das gleiche Buch hinein.

Es ist so still. – So still. – Verzitternd liegt

Am Himmel dunkelroter Sonnenschein.

 

Ganz still . . . Nur ab und zu ein Blick

Die Augensterne grüßen sich entgegen

Und schimmern feucht von übergroßem Glück . . .

 

Und leise naht der Herbst auf laubbedeckten Wegen,

Greift in die Blätter, die im Sommertode starben

Und treibt sie hin in kindisch-frohem Spiel.

Er nimmt den Wipfeln ihre fröhlichbunten Farben

Und schneidend ist sein Atemzug und kühl.

Der Wind knirscht zornig in den schwachen Ästen,

Die biegsam seinem rohen Ansturm weichen

Und seine Wut verschäumt nun an den wetterfesten

Jahrhundertalten, sturmgewohnten Eichen.

 

Auch hoch zu unsern Häupten murren da und flüstern

Die Gipfelkronen wehmutsvolle Herbstesmelodien,

Und kranke, müde, dunkelbunte Blätter knistern

Herab zu unserm Buche hin . . . . . . . .

. . .Wie breite schwere Blutestropfen!

 

Wir fahren auf. – Die wilden Herzen klopfen,

Und unsre Blicke treffen sich in banger Frage

Und meiden sich und suchen stets sich neu:

„Der Herbst schon da? Dahin der Sonnenschein

All unsrer jugendfrohen Sommertage?

Der goldne Liebestraum vorbei?. . .“

Kein Wort, kein Blick. – Denn in uns brennt ein Sehnen

Nach unserm Sommerglück, der Liebesnächte engem Kreis.

Und mühsam zwingen wir die aufgequollnen Tränen

Da jeder doch den Herbst – das Ende – nahe weiß.

 

Es ist so still, so furchtbar still. – Kein Ruf, kein Laut! . . .

Die Nacht durchschreitet riesenhaft das Heidekraut,

Sieht uns mit dunklem Auge an und winkt uns zu:

Kommt in mein Reich, dort habt ihr Traumesruh. –

 

Doch wir, wir wandeln schmerzversehnt und zag.

 

Da plötzlich klingt ein wehmutsvoller Nachtigallenschlag,

So schmerzdurchtönt und trauervoll und lind

Aus dunkelübersponnenem Geäst . . .

 

Da wird zur tiefen Qual das stumme Sehnen,

Und bald hat sich der unnennbare Schmerz gelöst,

Der nun in wilden, glühendheißen Tränen

In diese erste dunkle Herbstesnacht verrinnt.