BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Stefan Zweig

1881 - 1942

 

Silberne Saiten

 

1901

 

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[57-61]

Tag und Nacht.

 

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Es sprach der junge Tag in meinen Traum:

 

„Wach auf! Sieh! Meines Mantels goldner Saum

Ist über dunkle Dächer ausgegossen,

Und tausend Ströme sind geflossen

Und wurden Morgenlicht und heller Tag.

Nur Du noch ruhst im Traumeshag

Wo alle Wünsche wie lebendig scheinen

Und sich zu wechselbunten Spiele einen. –

Blick auf! Hörst Du aus fernen Dämmern

Den Rhythmus der Arbeit mit ehernen Hämmern

Wach auf! – Aus allen Poren bricht das Weltgetriebe,

Kein Glied, das ohne Kraft und Schaffen bliebe

Und jedes schmiegt sich wieder sorgsam ein

In meiner Lande unbegrenzte Reihn

Und keiner ruht. – Nur Du allein!“ – :

 

Und tiefer kroch das Leuchten an der Wand.

Auf meinen Augen lag's, wie eine heiße Hand

Und schnell war Lid und Wimper offen

Von goldner Flut des frohen Lichts getroffen.

 

Und wieder klang die leise Stimme mir:

 

„Mit erlesenen Gaben komm ich zu Dir.

Mein Kleid ist weit. Doch seine tausend Falten

Vermöchten nicht der Gaben reiche Zahl enthalten,

Die meine Arme Dir entgegenbreiten.

Ich bringe Dir Ehre und Glück aus den Weiten

Ich habe Dir alle Wege geweitet,

Drauf purpurne Rosen und Blüten gebreitet,

Was Deine Gedanken nur betend erwähnt,

Was Deine Wünsche mit Tränen ersehnt,

Was kaum Du erhofft in schüchternem Denken,

Das will ich Dir heute, heute noch schenken.

Ich will Dir den ungeborenen Willen

In leuchtenden Farben zur Wahrheit erfüllen

Und für das Leid aus fernen, schweren Tagen

Werd' ich Dir wunderweiche Worte sagen,

Und Glück und Sorge, was Dich nur umflicht,

Dir wird es wesenlos und lebt nur im Gedicht. –

Ich mache Dir zaubergewaltig den Arm

Ich führe Dich weg von dem neidischen Schwarm,

Der jedes Streben sinnberauscht verlacht.

Ich nehme Dir alles, was Dich ihnen ähnlich macht.“

 

So sprach der Tag. Ich aber horchte fort

Und schlürfte gierig Wort für Wort.

 

„Doch geb' ich nicht die überreiche Spende

In schlummermüde, arbeitsträge Hände

Und werfe Dir nicht die Gaben dahin. –

Steh' auf und sieh sie im Leben erblühn!

Ich bin der Tag und bin dem Leben gleich

Erfüllung harrt für jeden Wunsch in meinem Reich,

Nicht wirst Du bittend meine Gunst erringen

Nein! Wie ein Weib mußt Du mich zwingen,

Das nicht für weiche Worte seine Gaben gibt

Und nur die Kraft, den starken Willen hebt,

Der sie mit seiner Wucht errungen.“

 

So sprach der Tag mit leisen, weisen Zungen

Und flammte heiß mit grellen, gelben Lichtern,

Und still ward da mein Herz und schüchtern

Bei dieser Worte wahrheitsschweren Klang

Allein der Tag fuhr fort und sang:

 

„Doch hat Dich das Schaffen dann müde gemacht;

Führ' ich Dich neu in die Arme der Nacht.

Durch des Abends blütenrote stille Weiten

Will ich Dich zum Traume heimgeleiten;

Diesem schenkst Du, was ich Dir errungen,

Glück und Glanz und echte, große Lieder

Und er gibt es tausendfach Dir wieder

Durch der Traumessänge seligsüße Weise.

Und so dreht sich Tag und Nacht im Kreise

Bist Du bei mir stark und stolz geworden,

Löst die Nacht mit ihres Lieds Akkorden

Wieder Deine Einsamkeit und Eigensucht

Und des steten Wechsels reiche Frucht

Ist: Daß Du des Nachts die Seele sehnend weitest –

Und des Tags zur Tat Dich froh bereitest.

Doch nun laß des Morgendämmerns bleiche

Traumesgärten! Auf! Zieh ein in meine Reiche.“

 

Und es wuchs in mir ein frohes, heißes Beben

Ich sprang auf, hinein ins volle Leben!