BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Stefan Zweig

1881 - 1942

 

Silberne Saiten

 

1901

 

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[10-12]

Das Lebenslied.

 

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. . . Und jedes Lebensmal, das ich gefühlt,

Hat in mir dunkle Klänge aufgewühlt.

 

Und doch, das eine will mir nie gelingen,

Mein Schicksal in ein Lebenslied zu zwingen,

 

Was mir die Welt in Tag und Nacht gegeben,

In einen reinen Einklang zu verweben.

 

Ein irres Schiff, allein auf fremden Meer,

Schwankt meine Seele steuerlos einher

 

Und sucht und sucht und findet dennoch nie

Den eig'nen Wiederklang der Weltenharmonie.

 

Und langsam wird sie ihrer Irrfahrt müd.

Sie weiß: Nur einer ist's, der löst ihr Lied,

 

Der fügt die Trauer, Glück und jeden Drang

In einen tiefen, ewig gleichen Sang.

 

Nur durch den Tod, der jede Wunde stillt,

Wird meiner Seele Wunschgebet erfüllt.

 

Denn einst, wenn müd mein Lebensstern versinkt,

Mit matten Lichtern nur der Tag noch winkt,

 

Da werd' ich sein Erlösungswort verspüren,

Er wird mir segnend an die Seele rühren,

 

Und in mir atmet plötzlich heil'ge Ruh . . .

Mein Herz verstummt . . . Er lächelt mild mir zu . . .

 

Und hebt den Bogen . . . Und die Saiten zittern

Wie Erntepracht vor drohenden Gewittern,

 

Und beben, beugen sich – und singen schon

Den ersten, sehnsuchtsweichen Silberton.

 

Wie eine scheue Knospe, die erblüht,

Reift aus dem ersten Klang ein süßes Lied.

 

Da wird mein tiefstes Sehnen plötzlich Wort,

Mein Lebenslied ein einziger Akkord,

 

Und Leid und Freude, Nacht und Sonnenglanz

Umfassen sich in reiner Konsonanz.

 

Und in die Tiefen, die noch keiner fand,

Greift seine wunderstarke Meisterhand.

 

Und was nur dumpfer Wesenstrieb gewesen,

Weiß er zu lichter Klarheit zu erlösen.

 

Und wilder wird sein Lied... Wie heißes Blut

So rot und voll strömt seiner Töne Flut

 

Und braust dahin, wie schaumgekrönte Wellen,

Die trotzig an der eignen Kraft zerschellen,

 

Ein toller Sang lustlechzender Mänaden

Ertost es laut in jauchzenden Kaskaden.

 

Und wilder wird der Töne Bacchanal

Und wächst zur ungeahnten Sinnesqual

 

Und wird ein Schrei, der schrill zum Himmel gellt

– Dann wirrt der wilde Strom und stirbt und fällt.

 

Ein Schluchzen noch, das müde sich entringt . . .

. . . Das Lied verstummt . . . Der matte Bogen sinkt . . .

 

Und meine Seele zittert von den Saiten

Zu sphärenklangdurchbebten Ewigkeiten...