BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ludwig Wittgenstein

1889 - 1951

 

Tractatus Logico-Philosophicus

 

1921/22

 

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6

 

Die allgemeine Form der Wahrheitsfunktion ist:

[p, ξ, N(ξ)]. Dies ist die allgemeine Form des Satzes.

 

6.001

 

Dies sagt nichts anderes, als dass jeder Satz ein Resultat der successiven Anwendung der Operation N'(ξ) auf die Elementar­sätze ist.

6.002

 

Ist die allgemeine Form gegeben, wie ein Satz gebaut ist, so ist damit auch schon die allgemeine Form davon gegeben, wie aus einem Satz durch eine Operation ein anderer erzeugt werden kann.

6.01

 

Die allgemeine Form der Operation Ω' (η) ist also:

[ξ, N(ξ)]' (η) (= [η, ξ, N(ξ)]).

Das ist die allgemeinste Form des Überganges von einem Satz zum anderen.

6.02

 

Und so kommen wir zu den Zahlen: Ich definiere

x = Ω0' x Def. und

Ω'Ωp+1' x = Ωp+1' x Def.

Nach diesen Zeichenregeln schreiben wir also die Reihe

x, Ω' x, Ω' Ω' x, Ω' Ω' Ω' x, . . . . .

so: Ω0' x, Ω0+1' x, Ω0+1+1' x, Ω0+1+1+1' x, . . . . .

Also schreibe ich statt „[x, Ω', ξ]“:

„[Ω0' x, Ωp' x, Ωp+1' x]“.

Und definiere:

0 + 1 = 1 Def.

0 + 1 + 1 = 2 Def.

0 + 1 + 1 +1 = 3 Def.

(u. s. f.)

6.021

 

Die Zahl ist der Exponent einer Operation.

6.022

 

Der Zahlbegriff ist nichts anderes, als das Gemeinsame aller Zahlen, die allgemeine Form der Zahl.

Der Zahlbegriff ist die variable Zahl.

Und der Begriff der Zahlengleichheit ist die allgemeine Form aller speziellen Zahlengleichheiten.

6.03

 

Die allgemeine Form der ganzen Zahl ist: [0, ξ, ξ+1].

6.031

 

Die Theorie der Klassen ist in der Mathematik ganz überflüssig.

Dies hängt damit zusammen, dass die Allgemeinheit, welche wir in der Mathematik brauchen, nicht die zufällige ist.

6.1

 

Die Sätze der Logik sind Tautologien.

6.11

 

Die Sätze der Logik sagen also Nichts. (Sie sind die analytischen Sätze.)

6.111

 

Theorien, die einen Satz der Logik gehaltvoll erscheinen lassen, sind immer falsch. Man könnte z. B. glauben, dass die Worte „wahr“ und „falsch“ zwei Eigenschaften unter anderen Eigenschaften bezeichnen, und da erschiene es als eine merkwürdige Tatsache, dass jeder Satz eine dieser Eigenschaften besitzt. Das scheint nun nichts weniger als selbstverständlich zu sein, ebensowenig selbstverständlich, wie etwa der Satz, „alle Rosen sind entweder gelb oder rot“ klänge, auch wenn er wahr wäre. Ja, jener Satz bekommt nun ganz den Charakter eines naturwissenschaftlichen Satzes und dies ist das sichere Anzeichen dafür, dass er falsch aufgefasst wurde.

6.112

 

Die richtige Erklärung der logischen Sätze muss ihnen eine einzigartige Stellung unter allen Sätzen geben.

6.113

 

Es ist das besondere Merkmal der logischen Sätze, dass man am Symbol allein erkennen kann, dass sie wahr sind, und diese Tatsache schliesst die ganze Philosophie der Logik in sich. Und so ist es auch eine der wichtigsten Tatsachen, dass sich die Wahrheit oder Falschheit der nicht-logischen Sätze nicht am Satz allein erkennen lässt.

6.12

 

Dass die Sätze der Logik Tautologien sind, das zeigt die formalen – logischen – Eigenschaften der Sprache, der Welt.

Dass ihre Bestandteile so verknüpft eine Tautologie ergeben, das charakterisiert die Logik ihrer Bestandteile.

Damit Sätze, auf bestimmte Art und Weise verknüpft, eine Tautologie ergeben, dazu müssen sie bestimmte Eigenschaften der Struktur haben. Dass sie so verbunden eine Tautologie ergeben, zeigt also, dass sie diese Eigenschaften der Struktur besitzen.

6.1201

 

Dass z. B. die Sätze „p“ und „-p“ in der Verbindung „-(p.-p)“ eine Tautologie ergeben, zeigt, dass sie einander wider­sprechen. Dass die Sätze „p ⊃ q“, „p“ und „q“ in der Form „(p ⊃ q).(p) : ⊃ : (q)“ miteinander verbunden eine Tautologie er­geben, zeigt, dass q aus p und p ⊃ q folgt. Dass „(x) . fx : ⊃ : fa“ eine Tautologie ist, dass fa aus (x) . fx folgt. etc. etc.

6.1202

 

Es ist klar, dass man zu demselben Zweck statt der Tauto­logien auch die Kontradiktionen verwenden könnte.

6.1203

 

Um eine Tautologie als solche zu erkennen, kann man sich, in den Fällen, in welchen in der Tautologie keine Allgemein­heitsbezeichnung vorkommt, folgender anschaulichen Methode bedienen: Ich schreibe statt „p“, „q“, „r“ etc. „WpF“, „WqF“, „WrF“ etc. Die Wahrheitskombinationen drücke ich durch Klammern aus. z. B.:

und die Zuordnung der Wahr- oder Falschheit des ganzen Satzes und der Wahrheitskombinationen der Wahrheits­argumente durch Striche auf folgende Weise:

Dies Zeichen würde also z. B. den Satz p ⊃ q darstellen. Nun will ich z. B. den Satz ~(p . ~p) (Gesetz des Wider­spruchs) daraufhin untersuchen, ob er eine Tautologie ist. Die Form „~ξ“ wird in unserer Notation

geschrieben; die Form „ξ . η“ so:

Daher lautet der Satz ~(p . ~q) so:

Setzen wir hier statt „q“ „p“ ein und untersuchen die Verbindung der äussersten W und F mit den innersten, so ergibt sich, dass die Wahrheit des ganzen Satzes allen Wahrheitskombinationen seines Argumentes, seine Falschheit keiner der Wahrheitskombinationen zugeordnet ist.

6.121

 

Die Sätze der Logik demonstrieren die logischen Eigenschaften der Sätze, indem sie sie zu nichtssagenden Sätzen verbinden.

Diese Methode könnte man auch eine Nullmethode nennen. Im logischen Satz werden Sätze miteinander ins Gleichgewicht gebracht und der Zustand des Gleichgewichts zeigt dann an, wie diese Sätze logisch beschaffen sein müssen.

6.122

 

Daraus ergibt sich, dass wir auch ohne die logischen Sätze auskommen können, da wir ja in einer entsprechenden Notation die formalen Eigenschaften der Sätze durch das blosse Ansehen dieser Sätze erkennen können.

6.1221

 

Ergeben z. B. zwei Sätze „p“ und „q“ in der Verbindung „p ⊃ q“ eine Tautologie, so ist klar, dass q aus p folgt.

Dass z. B. „q“ aus „p ⊃ q . p“ folgt, ersehen wir aus diesen beiden Sätzen selbst, aber wir können es auch so zeigen, indem wir sie zu „p ⊃ q . p : ⊃ : q“ verbinden und nun zeigen, dass dies eine Tautologie ist.

6.1222

 

Dies wirft ein Licht auf die Frage, warum die logischen Sätze nicht durch die Erfahrung bestätigt werden können, ebenso wenig, wie sie durch die Erfahrung widerlegt werden können. Nicht nur muss ein Satz der Logik durch keine mögliche Erfahrung widerlegt werden können, sondern er darf auch nicht durch eine solche bestätigt werden können.

6.1223

 

Nun wird klar, warum man oft fühlte, als wären die „logischen Wahrheiten“ von uns zu „fordern“: Wir können sie nämlich insofern fordern, als wir eine genügende Notation fordern können.

6.1224

 

Es wird jetzt auch klar, warum die Logik die Lehre von den Formen und vom Schliessen genannt wurde.

6.123

 

Es ist klar: Die logischen Gesetze dürfen nicht selbst wieder logischen Gesetzen unterstehen.

(Es gibt nicht, wie Russell meinte, für jede „Type“ ein eigenes Gesetz des Widerspruches, sondern Eines genügt, da es auf sich selbst nicht angewendet wird.)

6.1231

 

Das Anzeichen des logischen Satzes ist nicht die Allge­meingültigkeit.

Allgemein sein, heisst ja nur: Zufälligerweise für alle Dinge gelten. Ein unverallgemeinerter Satz kann ja eben­sowohl tautologisch sein, als ein verallgemeinerter.

6.1232

 

Die logische Allgemeingültigkeit könnte man wesentlich nennen, im Gegensatz zu jener zufälligen, etwa des Satzes „alle Menschen sind sterblich“. Sätze, wie Russells „Axiom of reducibility“ sind nicht logische Sätze, und dies erklärt unser Gefühl: Dass sie, wenn wahr, so doch nur durch einen günstigen Zufall wahr sein könnten.

6.1233

 

Es lässt sich eine Welt denken, in der das Axiom of reducibility nicht gilt. Es ist aber klar, dass die Logik nichts mit der Frage zu schaffen hat, ob unsere Welt wirklich so ist oder nicht.

6.124

 

Die logischen Sätze beschreiben das Gerüst der Welt, oder vielmehr, sie stellen es dar. Sie „handeln“ von nichts. Sie setzen voraus, dass Namen Bedeutung, und Elementarsätze Sinn haben: Und dies ist ihre Verbindung mit der Welt. Es ist klar, dass es etwas über die Welt anzeigen muss, dass gewisse Verbindungen von Symbolen – welche wesentlich einen bestimmten Charakter haben – Tautologien sind. Hierin liegt das Entscheidende. Wir sagten, manches an den Symbolen, die wir gebrauchen, wäre willkürlich, manches nicht. In der Logik drückt nur dieses aus: Dass heisst aber, in der Logik drücken nicht wir mit Hilfe der Zeichen aus, was wir wollen, sondern in der Logik sagt die Natur der naturnotwendigen Zeichen selbst aus: Wenn wir die logische Syntax irgend einer Zeichensprache kennen, dann sind bereits alle Sätze der Logik gegeben.

6.125

 

Es ist möglich, und zwar auch nach der alten Auffassung der Logik, von vornherein eine Beschreibung aller „wahren“ logischen Sätze zu geben.

6.1251

 

Darum kann es in der Logik auch nie Überraschungen geben.

6.126

 

Ob ein Satz der Logik angehört, kann man berechnen, indem man die logischen Eigenschaften des Symbols berechnet. Und dies tun wir, wenn wir einen logischen Satz „beweisen“. Denn, ohne uns um einen Sinn und eine Bedeutung zu kümmern, bilden wir den logischen Satz aus anderen nach blossen Zeichenregeln.

Der Beweis der logischen Sätze besteht darin, dass wir sie aus anderen logischen Sätzen durch successive Anwendung gewisser Operationen entstehen lassen, die aus den ersten immer wieder Tautologien erzeugen. (Und zwar folgen aus einer Tautologie nur Tautologien.)

Natürlich ist diese Art zu zeigen, dass ihre Sätze Tauto­logien sind, der Logik durchaus unwesentlich. Schon darum, weil die Sätze, von welchen der Beweis ausgeht, ja ohne Beweis zeigen müssen, dass sie Tautologien sind.

6.1261

 

In der Logik sind Prozess und Resultat äquivalent. (Darum keine Überraschung.)

6.1262

 

Der Beweis in der Logik ist nur ein mechanisches Hilfsmittel zum leichteren Erkennen der Tautologie, wo sie kompliziert ist.

6.1263

 

Es wäre ja auch zu merkwürdig, wenn man einen sinnvollen Satz logisch aus anderen beweisen könnte, und einen logischen Satz auch. Es ist von vornherein klar, dass der logische Beweis eines sinnvollen Satzes und der Beweis in der Logik zwei ganz verschiedene Dinge sein müssen.

6.1264

 

Der sinnvolle Satz sagt etwas aus, und sein Beweis zeigt, dass es so ist; in der Logik ist jeder Satz die Form eines Beweises.

Jeder Satz der Logik ist ein in Zeichen dargestellter modus ponens. (Und den modus ponens kann man nicht durch einen Satz ausdrücken.)

6.1265

 

Immer kann man die Logik so auffassen, dass jeder Satz sein eigener Beweis ist.

6.127

 

Alle Sätze der Logik sind gleichberechtigt, es gibt unter ihnen nicht wesentlich Grundgesetze und abgeleitete Sätze.

Jede Tautologie zeigt selbst, dass sie eine Tautologie ist.

6.1271

 

Es ist klar, dass die Anzahl der „logischen Grundgesetze“ willkürlich ist, denn man könnte die Logik ja aus Einem Grundgesetz ableiten, indem man einfach z. B. aus Freges Grundgesetzen das logische Produkt bildet. (Frege würde vielleicht sagen, dass dieses Grundgesetz nun nicht mehr unmittelbar einleuchte. Aber es ist merkwürdig, dass ein so exakter Denker wie Frege sich auf den Grad des Einleuchtens als Kriterium des logischen Satzes berufen hat.)

6.13

 

Die Logik ist keine Lehre, sondern ein Spiegelbild der Welt. Die Logik ist transcendental.

6.2

 

Die Mathematik ist eine logische Methode.

Die Sätze der Mathematik sind Gleichungen also Scheinsätze.

6.21

 

Der Satz der Mathematik drückt keinen Gedanken aus.

6.211

 

Im Leben ist es ja nie der mathematische Satz, den wir brauchen, sondern wir benützen den mathematischen Satz nur, um aus Sätzen, welche nicht der Mathematik angehören, auf andere zu schliessen, welche gleichfalls nicht der Mathematik angehören.

(In der Philosophie führt die Frage „wozu gebrauchen wir eigentlich jenes Wort, jenen Satz“ immer wieder zu wertvollen Einsichten.)

6.22

 

Die Logik der Welt, die die Sätze der Logik in den Tautologien zeigen, zeigt die Mathematik in den Gleichungen.

6.23

 

Wenn zwei Ausdrücke durch das Gleichheitszeichen verbunden werden, so heisst das, sie sind durch einander ersetzbar. Ob dies aber der Fall ist muss sich an den beiden Ausdrücken selbst zeigen.

Es charakterisiert die logische Form zweier Ausdrücke, dass sie durch einander ersetzbar sind.

6.231

 

Es ist eine Eigenschaft der Bejahung, dass man sie als doppelte Verneinung auffassen kann.

Es ist eine Eigenschaft von „1 + 1 + 1 + 1“, dass man es als „(1 + 1) + (1 + 1)“ auffassen kann.

6.232

 

Frege sagt, die beiden Ausdrücke haben dieselbe Bedeutung, aber verschiedenen Sinn.

Das Wesentliche an der Gleichung ist aber, dass sie nicht notwendig ist, um zu zeigen, dass die beiden Ausdrücke, die das Gleichheitszeichen verbindet, dieselbe Bedeutung haben, da sich dies aus den beiden Ausdrücken selbst ersehen lässt.

6.2321

 

Und, dass die Sätze der Mathematik bewiesen werden können, heisst ja nichts anderes, als dass ihre Richtigkeit einzusehen ist, ohne dass das, was sie ausdrücken, selbst mit den Tatsachen auf seine Richtigkeit hin verglichen werden muss.

6.2322

 

Die Identität der Bedeutung zweier Ausdrücke lässt sich nicht behaupten. Denn um etwas von ihrer Bedeutung behaupten zu können, muss ich ihre Bedeutung kennen: und indem ich ihre Bedeutung kenne, weiss ich, ob sie dasselbe oder verschiedenes bedeuten.

6.2323

 

Die Gleichung kennzeichnet nur den Standpunkt, von welchem ich die beiden Ausdrücke betrachte, nämlich vom Standpunkte ihrer Bedeutungsgleichheit.

6.233

 

Die Frage, ob man zur Lösung der mathematischen Probleme die Anschauung brauche, muss dahin beantwortet werden, dass eben die Sprache hier die nötige Anschauung liefert.

6.2331

 

Der Vorgang des Rechnens vermittelt eben diese Anschauung.

Die Rechnung ist kein Experiment.

6.234

 

Die Mathematik ist eine Methode der Logik.

6.2341

 

Das Wesentliche der mathematischen Methode ist es, mit Gleichungen zu arbeiten. Auf dieser Methode beruht es nämlich, dass jeder Satz der Mathematik sich von selbst verstehen muss.

6.24

 

Die Methode der Mathematik, zu ihren Gleichungen zu kommen, ist die Substitutionsmethode.

Denn die Gleichungen drücken die Ersetzbarkeit zweier Ausdrücke aus und wir schreiten von einer Anzahl von Gleichungen zu neuen Gleichungen vor, indem wir, den Gleichungen entsprechend, Ausdrücke durch andere ersetzen.

6.241

 

So lautet der Beweis des Satzes 2 × 2 = 4:

p)μ'x = Ων×μ'x Def.

Ω2×2'x = (Ω2)2'x = (Ω2)1+1'x = Ω22'x = Ω1+11+1'x

= (Ω'Ω')'(Ω'Ω')'x = Ω'Ω'Ω'Ω'x = Ω1+1+1+1'x = Ω4'x.

6.3

 

Die Erforschung der Logik bedeutet die Erforschung aller Gesetzmässigkeit. Und ausserhalb der Logik ist alles Zufall.

6.31

 

Das sogenannte Gesetz der Induktion kann jedenfalls kein logisches Gesetz sein, denn es ist offenbar ein sinnvoller Satz. – Und darum kann es auch kein Gesetz a priori sein.

6.32

 

Das Kausalitätsgesetz ist kein Gesetz, sondern die Form eines Gesetzes.

6.321

 

„Kausalitätsgesetz“, das ist ein Gattungsname. Und wie es in der Mechanik, sagen wir, Minimum-Gesetze gibt, – etwa der kleinsten Wirkung – so gibt es in der Physik Kausalitäts­gesetze, Gesetze von der Kausalitätsform.

6.3211

 

Man hat ja auch davon eine Ahnung gehabt, dass es ein „Gesetz der kleinsten Wirkung“ geben müsse, ehe man genau wusste, wie es lautete. (Hier, wie immer, stellt sich das a priori Gewisse als etwas rein Logisches heraus.)

6.33

 

Wir glauben nicht a priori an ein Erhaltungsgesetz, sondern wir wissen a priori die Möglichkeit einer logischen Form.

6.34

 

Alle jene Sätze, wie der Satz vom Grunde, von der Kontinuität in der Natur, vom kleinsten Aufwande in der Natur etc. etc., alle diese sind Einsichten a priori über die mögliche Formgebung der Sätze der Wissenschaft.

6.341

 

Die Newtonsche Mechanik z. B. bringt die Weltbeschreibung auf eine einheitliche Form. Denken wir uns eine weisse Fläche, auf der unregelmässige schwarze Flecken wären. Wir sagen nun: Was für ein Bild immer hierdurch entsteht, immer kann ich seiner Beschreibung beliebig nahe kommen, indem ich die Fläche mit einem entsprechend feinen quadratischen Netzwerk bedecke und nun von jedem Quadrat sage, dass es weiss oder schwarz ist. Ich werde auf diese Weise die Beschreibung der Fläche auf eine einheitliche Form gebracht haben. Diese Form ist beliebig, denn ich hätte mit dem gleichen Erfolge ein Netz aus dreieckigen oder sechseckigen Maschen verwenden können. Es kann sein, dass die Beschreibung mit Hilfe eines Dreiecks-Netzes einfacher geworden wäre; das heisst, dass wir die Fläche mit einem gröberen Dreiecks-Netz genauer beschreiben könnten, als mit einem feineren quadratischen (oder umgekehrt) u. s. w. Den verschiedenen Netzen entsprechen verschiedene Systeme der Weltbeschreibung. Die Mechanik bestimmt eine Form der Weltbeschreibung, indem sie sagt: Alle Sätze der Weltbe­schreibung müssen aus einer Anzahl gegebener Sätze – den mechanischen Axiomen – auf eine gegebene Art und Weise erhalten werden. Hierdurch liefert sie die Bausteine zum Bau des wissenschaftlichen Gebäudes und sagt: Welches Gebäude immer du aufführen willst, jedes musst du irgendwie mit diesen und nur diesen Bausteinen zusammenbringen.

(Wie man mit dem Zahlensystem jede beliebige Anzahl, so muss man mit dem System der Mechanik jeden beliebigen Satz der Physik hinschreiben können.)

6.342

 

Und nun sehen wir die gegenseitige Stellung von Logik und Mechanik. (Man könnte das Netz auch aus verschieden­artigen Figuren etwa aus Dreiecken und Sechsecken bestehen lassen.) Dass sich ein Bild, wie das vorhin erwähnte, durch ein Netz von gegebener Form beschreiben lässt, sagt über das Bild nichts aus. (Denn dies gilt für jedes Bild dieser Art.) Das aber charakterisiert das Bild, dass es sich durch ein bestimm­tes Netz von bestimmter Feinheit vollständig beschreiben lässt.

So auch sagt es nichts über die Welt aus, dass sie sich durch die Newtonsche Mechanik beschreiben lässt; wohl aber, dass sie sich so durch jene beschreiben lässt, wie dies eben der Fall ist. Auch das sagt etwas über die Welt, dass sie sich durch die eine Mechanik einfacher beschreiben lässt, als durch die andere.

6.343

 

Die Mechanik ist ein Versuch, alle wahren Sätze, die wir zur Weltbeschreibung brauchen, nach Einem Plane zu konstruieren.

6.3431

 

Durch den ganzen logischen Apparat hindurch sprechen die physikalischen Gesetze doch von den Gegenständen der Welt.

6.3432

 

Wir dürfen nicht vergessen, dass die Weltbeschreibung durch die Mechanik immer die ganz allgemeine ist. Es ist in ihr z. B. nie von bestimmten materiellen Punkten die Rede, sondern immer nur von irgend welchen.

6.35

 

Obwohl die Flecke in unserem Bild geometrische Figuren sind, so kann doch selbstverständlich die Geometrie gar nichts über ihre tatsächliche Form und Lage sagen. Das Netz aber ist rein geometrisch, alle seine Eigenschaften können a priori angegeben werden.

Gesetze, wie der Satz vom Grunde, etc., handeln vom Netz, nicht von dem, was das Netz beschreibt.

6.36

 

Wenn es ein Kausalitätsgesetz gäbe, so könnte es lauten: „Es gibt Naturgesetze“.

Aber freilich kann man das nicht sagen: es zeigt sich.

6.361

 

In der Ausdrucksweise Hertz's könnte man sagen: Nur gesetzmässige Zusammenhänge sind denkbar.

6.3611

 

Wir können keinen Vorgang mit dem „Ablauf der Zeit“ vergleichen – diesen gibt es nicht –, sondern nur mit einem anderen Vorgang (etwa mit dem Gang des Chronometers).

Daher ist die Beschreibung des zeitlichen Verlaufs nur so möglich, dass wir uns auf einen anderen Vorgang stützen.

Ganz Analoges gilt für den Raum. Wo man z. B. sagt, es könne keines von zwei Ereignissen (die sich gegenseitig ausschliessen) eintreten, weil keine Ursache vorhanden sei, warum das eine eher als das andere eintreten solle, da handelt es sich in Wirklichkeit darum, dass man gar nicht eines der beiden Ereignisse beschreiben kann, wenn nicht irgend eine Asymmetrie vorhanden ist. Und wenn eine solche Asymmetrie vorhanden ist, so können wir diese als Ursache des Eintreffens des einen und Nicht-Eintreffens des anderen auffassen.

6.36111

 

Das Kant'sche Problem von der rechten und linken Hand, die man nicht zur Deckung bringen kann, besteht schon in der Ebene, ja im eindimensionalen Raum, wo die beiden kongruenten Figuren a und b auch nicht zur Deckung gebracht werden können, ohne aus diesem Raum herausbewegt zu werden. Rechte und linke Hand sind tatsächlich vollkommen kongruent. Und dass man sie nicht zur Deckung bringen kann, hat damit nichts zu tun.

Den rechten Handschuh könnte man an die linke Hand ziehen, wenn man ihn im vierdimensionalen Raum umdrehen könnte.

6.362

 

Was sich beschreiben lässt, das kann auch geschehen, und was das Kausalitätsgesetz ausschliessen soll, das lässt sich auch nicht beschreiben.

6.363

 

Der Vorgang der Induktion besteht darin, dass wir das einfachste Gesetz annehmen, das mit unseren Erfahrungen in Einklang zu bringen ist.

6.3631

 

Dieser Vorgang hat aber keine logische, sondern nur eine psychologische Begründung.

Es ist klar, dass kein Grund vorhanden ist, zu glauben, es werde nun auch wirklich der einfachste Fall eintreten.

6.36311

 

Dass die Sonne morgen aufgehen wird, ist eine Hypothese; und das heisst: wir wissen nicht, ob sie aufgehen wird.

6.37

 

Einen Zwang, nach dem Eines geschehen müsste, weil etwas anderes geschehen ist, gibt es nicht. Es gibt nur eine logische Notwendigkeit.

6.371

 

Der ganzen modernen Weltanschauung liegt die Täuschung zugrunde, dass die sogenannten Naturgesetze die Erklärungen der Naturerscheinungen seien.

6.372

 

So bleiben sie bei den Naturgesetzen als bei etwas Unantastbarem stehen, wie die Älteren bei Gott und dem Schicksal.

Und sie haben ja beide Recht, und Unrecht. Die Alten sind allerdings insofern klarer, als sie einen klaren Abschluss anerkennen, während es bei dem neuen System scheinen soll, als sei alles erklärt.

6.373

 

Die Welt ist unabhängig von meinem Willen.

6.374

 

Auch wenn alles, was wir wünschen, geschähe, so wäre dies doch nur, sozusagen, eine Gnade des Schicksals, denn es ist kein logischer Zusammenhang zwischen Willen und Welt, der dies verbürgte, und den angenommenen physikalischen Zusammenhang könnten wir doch nicht selbst wieder wollen.

6.375

 

Wie es nur eine logische Notwendigkeit gibt, so gibt es auch nur eine logische Unmöglichkeit.

6.3751

 

Dass z. B. zwei Farben zugleich an einem Ort des Gesichtsfeldes sind, ist unmöglich und zwar logisch unmöglich, denn es ist durch die logische Struktur der Farbe ausgeschlossen.

Denken wir daran, wie sich dieser Widerspruch in der Physik darstellt: Ungefähr so, dass ein Teilchen nicht zu gleicher Zeit zwei Geschwindigkeiten haben kann; das heisst, dass es nicht zu gleicher Zeit an zwei Orten sein kann; das heisst, dass Teilchen an verschiedenen Orten zu Einer Zeit nicht identisch sein können.

(Es ist klar, dass das logische Produkt zweier Elementarsätze weder eine Tautologie noch eine Kontradiktion sein kann. Die Aussage, dass ein Punkt des Gesichtsfeldes zu gleicher Zeit zwei verschiedene Farben hat, ist eine Kontradiktion.)

6.4

 

Alle Sätze sind gleichwertig.

6.41

 

Der Sinn der Welt muss ausserhalb ihrer liegen. In der Welt ist alles wie es ist und geschieht alles wie es geschieht; es gibt in ihr keinen Wert – und wenn es ihn gäbe, so hätte er keinen Wert.

Wenn es einen Wert gibt, der Wert hat, so muss er ausserhalb alles Geschehens und So-Seins liegen. Denn alles Geschehen und So-Sein ist zufällig.

Was es nicht-zufällig macht, kann nicht in der Welt liegen, denn sonst wäre dies wieder zufällig.

Es muss ausserhalb der Welt liegen.

6.42

 

Darum kann es auch keine Sätze der Ethik geben. Sätze können nichts Höheres ausdrücken.

6.421

 

Es ist klar, dass sich die Ethik nicht aussprechen lässt. Die Ethik ist transcendental.

(Ethik und Aesthetik sind Eins.)

6.422

 

Der erste Gedanke bei der Aufstellung eines ethischen Gesetzes von der Form „du sollst . . . .“ ist: Und was dann, wenn ich es nicht tue? Es ist aber klar, dass die Ethik nichts mit Strafe und Lohn im gewöhnlichen Sinne zu tun hat. Also muss diese Frage nach den Folgen einer Handlung belanglos sein. – Zum Mindesten dürfen diese Folgen nicht Ereignisse sein. Denn etwas muss doch an jener Fragestellung richtig sein. Es muss zwar eine Art von ethischem Lohn und ethischer Strafe geben, aber diese müssen in der Handlung selbst liegen.

(Und das ist auch klar, dass der Lohn etwas Angenehmes, die Strafe etwas Unangenehmes sein muss.)

6.423

 

Vom Willen als dem Träger des Ethischen kann nicht gesprochen werden.

Und der Wille als Phänomen interessiert nur die Psychologie.

6.43

 

Wenn das gute oder böse Wollen die Welt ändert, so kann es nur die Grenzen der Welt ändern, nicht die Tatsachen; nicht das, was durch die Sprache ausgedrückt werden kann.

Kurz, die Welt muss dann dadurch überhaupt eine andere werden. Sie muss sozusagen als Ganzes abnehmen oder zunehmen.

Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen.

6.431

 

Wie auch beim Tod die Welt sich nicht ändert, sondern aufhört.

6.4311

 

Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Den Tod erlebt man nicht.

Wenn man unter Ewigkeit nicht unendliche Zeitdauer, sondern Unzeitlichkeit versteht, dann lebt der ewig, der in der Gegenwart lebt.

Unser Leben ist ebenso endlos, wie unser Gesichtsfeld grenzenlos ist.

6.4312

 

Die zeitliche Unsterblichkeit der Seele des Menschen, das heisst also ihr ewiges Fortleben auch nach dem Tode, ist nicht nur auf keine Weise verbürgt, sondern vor allem leistet diese Annahme gar nicht das, was man immer mit ihr erreichen wollte. Wird denn dadurch ein Rätsel gelöst, dass ich ewig fortlebe? Ist denn dieses ewige Leben dann nicht ebenso rätselhaft wie das gegenwärtige? Die Lösung des Rätsels des Lebens in Raum und Zeit liegt ausserhalb von Raum und Zeit.

(Nicht Probleme der Naturwissenschaft sind ja zu lösen.)

6.432

 

Wie die Welt ist, ist für das Höhere vollkommen gleichgültig. Gott offenbart sich nicht in der Welt.

6.4321

 

Die Tatsachen gehören alle nur zur Aufgabe, nicht zur Lösung.

6.44

 

Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern dass sie ist.

6.45

 

Die Anschauung der Welt sub specie aeterni ist ihre Anschauung als – begrenztes – Ganzes.

Das Gefühl der Welt als begrenztes Ganzes ist das mystische.

6.5

 

Zu einer Antwort, die man nicht aussprechen kann, kann man auch die Frage nicht aussprechen.

Das Rätsel gibt es nicht.

Wenn sich eine Frage überhaupt stellen lässt, so kann sie auch beantwortet werden.

6.51

 

Skeptizismus ist nicht unwiderleglich, sondern offenbar unsinnig, wenn er bezweifeln will, wo nicht gefragt werden kann.

Denn Zweifel kann nur bestehen, wo eine Frage besteht; eine Frage nur, wo eine Antwort besteht, und diese nur, wo etwas gesagt werden kann.

6.52

 

Wir fühlen, dass selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind. Freilich bleibt dann eben keine Frage mehr; und eben dies ist die Antwort.

6.521

 

Die Lösung des Problems des Lebens merkt man am Verschwinden dieses Problems.

(Ist nicht dies der Grund, warum Menschen, denen der Sinn des Lebens nach langen Zweifeln klar wurde, warum diese dann nicht sagen konnten, worin dieser Sinn bestand.)

6.522

 

Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.

6.53

 

Die richtige Methode der Philosophie wäre eigentlich die: Nichts zu sagen, als was sich sagen lässt, also Sätze der Naturwissenschaft – also etwas, was mit Philosophie nichts zu tun hat –, und dann immer, wenn ein anderer etwas Metaphysisches sagen wollte, ihm nachzuweisen, dass er gewissen Zeichen in seinen Sätzen keine Bedeutung gegeben hat. Diese Methode wäre für den anderen unbefriedigend – er hätte nicht das Gefühl, dass wir ihn Philosophie lehrten – aber sie wäre die einzig streng richtige.

6.54

 

Meine Sätze erläutern dadurch, dass sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie – auf ihnen – über sie hinausgestiegen ist. (Er muss sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist.)

Er muss diese Sätze überwinden, dann sieht er die Welt richtig.