BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Eugenie Schwarzwald

1872 - 1940

 

Zur Mädchenschulreform

 

1911

 

Quelle: Neue Freie Presse, 14. Januar 1911, S. 23-25

Textversion: Irmgard Bock

 

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Zur Mädchenschulreform.

Von Dr. phil. Eugenie Schwarzwald

 

Erst kürzlich ist bei uns in Österreich die Frage der höheren Mädchenbildung in der öffentlichen Diskussion hervorgetreten, während diese Angelegenheit in Preußen schon seit Jahren mit Gründlichkeit und unter allgemeiner Teilnahme behandelt worden ist und die Debatten auch schon zu einer definitiven Neuordnung geführt haben. Daß eine solche auch bei uns erfolgen müsse, steht in Fachkreisen lange fest; der Ministerialerlaß von 1900, der den Typus des sechsjährigen Lyzeums eingeführt hat, hat sich ja selbst als provisorisch bezeichnet. Er hat zwar unzweifelhaft erfreuliche Ergebnisse gehabt. Er hat zur Schaffung zahlreicher Mädchenmittelschulen durch Kommunen, Korporationen und Private Anstoß gegeben, dem Bedürfnis nach besserer Bildung der weiblichen Jugend Bahn geschaffen. Daß er mit der Absolvierung des Lyzeums und der zugehörigen Reifeprüfung auch den Zugang zur Universität verbunden hat, ist damals nur ein Zugeständnis an die Frauenwelt gewesen, hat aber dann doch auch als kräftiges Reizmittel zur Schaffung der neuen Schulen und zu ihrer Frequentierung gewirkt. Die Aussicht, Universitätsstudien, wenn auch nur als außerordentliche Hörerin und ohne Aussicht auf Doktorat etc. machen zu können, hat offenbar die Lyzealschülerin sehr gelockt, die sechs Klassen wirklich und ordentlich zu absolvieren.

Nichtsdestoweniger läßt sich nicht leugnen, dass der bestehende Lyzealtypus den berechtigten Forderungen der Frauenwelt nach Vermittlung einer der Knabenbildung gleichwertigen höheren Mädchenbildung noch nicht entspricht. Der Lehrplan, der für die Lyzeen gilt, ist in vielen und wichtigen Richtungen mangelhaft und ergänzungsbedürftig. Gerade die wichtigsten und modernsten Bildungsfächer, die Naturwissenschaften im weiteren Sinne, die mathematischen Fächer, die Geschichte, sind unzulänglich bedacht. Das Sprach- und Literaturwissen tritt infolgedessen relativ zu sehr in den Vordergrund, und der alte Aberglaube, das Frauenhirn sei von vorneherein fürs Aesthetische überwiegend veranlagt und von Natur ohne Neigung für exaktes Wissen, quantitatives Denken und logische Folgerichtigkeit, hat sichtbar genug eine große Rolle gespielt. Diese unrichtige Voraussetzung zu bekämpfen, ist wohl eine der wichtigsten Aufgaben der strebenden Frauenwelt. Wer als Lehrer den wahren Heißhunger kennen gelernt hat, mit dem die Mädchen positives Wissen, lebendige Anschauung von Tatsachen und Aufklärung über was und wie empfangen, der wird in jenen Irrtum nie verfallen; ja, der Andrang der Mädchen zur Universität und der anerkannte Fleiß und die Stetigkeit, womit sie durchschnittlich den Studien nachgehen, sind gleichfalls Belege dafür, daß Mädchen- und Knaben-Unterricht sich vielleicht in Methode, Verfahren, kurz im Formellen durchaus aber nicht in Stoff und Wesen zu unterscheiden haben. Demgemäß wird jede Reform des Mädchenlyzeums bei Festhaltung der modernen Sprachbildung (Französisch und Englisch) in den sogenannten Realfächern ein größeres Ausmaß positiver Kenntnisse verstatten müssen. Diese Forderung ist ganz unabhängig von der Frage, ob der sechsjährige Lehrgang erhalten bleiben oder auf einen sieben- oder, nach Art der Knabenschulen, achtjährigen erweitert werden soll. Es geht nicht, daß das sechzehnjährige Mädchen, welches das Lyzeum absolviert hat, zwar zwei fremde Sprachen einigermaßen beherrscht und fast alle wichtigeren ästhetischen Schriftsteller dreier Kulturgebiete mehr oder weniger intim kennen gelernt hat, vom Bau und den Gesetzen des Weltalls keinerlei Kenntnis hat, bezüglich des hochmodernen Wissensgebietes der Chemie, welches Wirtschaft und Technik beherrscht mit kümmerlichen Belehrungen über die Gewinnung von Butter und Käse abgefertigt worden ist, über die physikalischen Grundgesetze und deren Weltbedeutung nur Oberflächliches weiß und von jeglicher ernsten Mathematik und Raumanschauung ferngehalten, dabei aber jahrelang mit überflüssiger, unverstanden gebliebener Zinseszinsrechnung, die nie gebraucht wird, und unzulänglicher Buchführung abgequält und damit zu richtiger Abscheu vor allem, was Mathematik heißt, erzogen wird. Daher wird, ob nun das Lyzeum auch künftig den Abgang zur Universität gewähren und wie es anderweitig ausgebaut werden wird, jedenfalls darauf gesehen werden müssen, daß die nun einmal gewährte Lernzeit auch solid ausgenützt und daß wirklich positive Bildungselemente, also Kenntnisse in positivistischen Disziplinen, moderner Art vermittelt werden.

Man hat zu sehr darauf den Ton gelegt, daß die zur Universität entlassenes Lyzealschülerin in der Vor bildung hinter dem Gymnasiasten (oder der Gymnasiastin) weit zurückstehe und daher in den Universitätsstudien nicht recht mitkönne. Dies mag teilweise richtig sein. Erklärlich, denn das Gymnasium hat zwei Jahre länger gedauert, hat den Schüler achtzehn-, nicht sechzehnjährig entlassen und hat ihm schon in den ersten sechs Jahren in einigen wichtigeren Gegenständen einen intensiveren und positiveren Lehrgang geboten. Dazu kommt noch ein ganz besonderer Übelstand. Nach der Studienordnung darf die Inskription auf der Fakultät erst im achtzehnten Lebensjahre erfolgen; das Mädchen, welches das Lyzeum absolviert hat, ist normalerweise erst sechzehn Jahre alt; sie muß daher vor der Reifeprüfung bis zur Universität zwei Jahre in den Studien pausieren was ihren Kenntnisstand natürlich empfindlich beeinträchtigt. An diesem Punkte zeigt sich, daß das Recht zum Universitätsbesuch seinerzeit recht unorganisch und äußerlich an das Lyzeum geknüpft worden ist und man sich wenig darum gekümmert hat, ob damit ein einigermaßen harmonisches Durchlaufen eines höheren und höchsten Bildungsweges den Frauen auch wirklich ermöglicht sein würde. Wenn nun angesichts der sich daraus ergebenden Schwierigkeiten vielfach die Parole ausgegeben worden ist, den Lyzeen das Maturarecht zu entziehen und es auf die Mädchengymnasien einzuschränken, so ist das ja gewiß sehr einfach, scheint mir aber nicht gerecht. Die Universität ist nun einmal die höchste Bildungsstätte, ihr Besuch ist den Frauen prinzipiell eröffnet worden. Die Frauenmittelschule ist aber derzeit nicht das Gymnasium, sondern das Lyzeum; was will man den Absolventinnen desselben statt der Universität für Ersatz bieten? Oder will man den so zahlreichen, in allen Städten des Reiches geschaffenen, mit großen Kosten erhaltenen und nunmehr von etwa zehntausend Schülerinnen besuchten Anstalten einfach das entziehen, was ihnen nun einmal als Konsequenz ihrer Leistungen und zur Vollendung ihrer Ziele verliehen worden ist? Findet man, daß die Lyzealabsolventin in den allgemeinen Universitätslehrgang nicht ganz hineinpaßt, so ließen sich ja vielleicht, da die Frequenz in den letzten Jahren so sehr zugenommen hat, für die vom Lyzeum kommenden Hörerinnen, sowie die Absolventinnen der Lehrerinnenbildungsanstalten und männlichen außerordentlichen Hörer gewiß eigene Kurse und Vorlesungen einrichten, die ihrer Vorbildung und ihren Bedürfnissen besser angepaßt sind, wozu Privatdozenten leicht zu verwenden wären. Wird, was ja unausweichlich geschehen muß, einerseits der Lehrplan der Lyzeen ergänzt und das Lehrziel erhöht und bekümmert sich andererseits die Fakultät auch positiv um die Bedürfnisse dieses ihr im übrigen ja durch Fleiß, Ernst und innerste Teilnahme willkommenen großen Zuwachses an Hörerschaft, so ist durchaus nicht einzusehen, welcher wesentliche Grund gegen den Universitätsbesuch der gebildeten und eifrigen jungen Weiblichkeit obwalten sollte. Daß sie schon durch ihren Kollegienbesuch – an Seminarien und Übungen darf sie ohnehin nicht teilnehmen – die höher qualifizierten Kollegen störe, ist nicht recht verständlich. Man hört allerdings auch den Vorwurf, gerade diese Hörerinnen gäben durch ihre Anwesenheit zu Flirt Anlaß und täten dadurch dem Ernste des Ortes Abbruch. Ich glaube, derlei wird sich nirgends ganz vermeiden lassen, wo junge Menschen verschiedenen Geschlechts sind, und ich fürchte, daß unsere Gymnasiastinnen, selbst bei der gründlichsten Ausbildung im Griechischem, manchmal in den gleichen Fehler verfallen dürften. Sonst müßte man die Frequenz weiblicher Hörer ganz verbieten. Übrigens ist auch zu bedenken, daß durchaus nicht alle oder auch nur ein großer Teil der Lyzealabsolventinnen auf die Universität sich drängt, um den Beruf von Lyzeallehrerinnen zu ergreifen. Das Gros der Hörerinnen hat überhaupt keine von vornherein bestimmten Berufsabsichten, sondern folgt einem natürlichen, nur zu begrüßenden Wissensdrang: und wenn dann aus dem Universitätsbesuch die Möglichkeit zu einem Beruf gleichsam als Reserve und wirtschaftlicher Rückhalt sich ergibt, so kann solches nur der Würde der Frau und der Ebenmäßigkeit der Ehe nützlich sein. Vom Standpunkte der weiblichen Interessen ist es daher unbillig, die Lyzealabiturientin von der Hochschule prinzipiell auszuschließen und für bezügliche Privilegien der Mädchengymnasien einzutreten. Es ist ein Mißgriff, alle Frauen, die im Frauenleben oder im Berufe etwas Rechtes werden wollen, auf unser jetziges Gymnasium zu schicken. Wir hatten in den letzten Jahren schon gehofft, die Frauenbewegung habe ihre Kinderkrankheit, die Sucht, die Männer in allem und jedem nachzuahmen, ganz überwunden. Es bedeutet einen Rückfall, bei der Mädchenschulreform das Knabenschulwesen zum Muster zu nehmen. Das klassizistische Gymnasium zur Normalschule für die höherstrebendes Frau erklären, ist kein Fortschritt, sondern ein handgreiflicher Rückschritt in einer Zeit, die das Knabengymnasium in so vielen Richtungen kritisiert und zu reformieren strebt, die vielfach die Privilegien der humanistischen Schulen durchbricht und die der riesenhaft gewachsenen Bedeutung und Macht des technischen Wissens und der zugehörigen Berufe durch Schaffung neuer Schultypen Rechnung zu tragen sucht. Natürlich hat auch das klassizistische Studium den Frauen offenzustehen, so gut wie jedes andere, aber die Frauen auf dieses allein festlegen, hieße sie freiwillig in eine Beengtheit einschnüren, unter der die Männer seufzen. Wir Frauen haben den großen unschätzbaren Vorteil, von keiner gelehrten Tradition belastet, uns ein neues Haus zimmern zu können. Dieses können wir uns frei, nach modernen Bedürfnissen und rationellen Grundsätzen bauen und sollten lieber aus den Fehlern der männlichen Vergangenheit lernen, als alles gedankenlos von vorne durchmachen. Das Mädchenlyzeum, so mangelhaft es sonst sein mag, ist nun aber wenigstens in seiner praktischen Gestaltung so ein frischer, moderner Anfang gewesen. Es zu einer originalen, eigenweiblichen, vollgiltigen Bildungsanstalt auszubauen und ihm vollkommenere neue Typen an die Seite zu setzen, dies wäre der richtige Weg zum Ausbau des weiblichen Bildungswesens.

Die einfache Übertragung der Knabenmittelschule ins Weibliche wäre aber nicht nur unrationell und rückständig, sondern auch aus besonderen Gründen unangemessen: Ein achtjähriger Lehrgang, wie für die Knaben vorgeschrieben, ist für die Mädchen zu lang. Die Frau gelangt früher zur Reife als der Mann, sowie sie ja auch früher altert, und sowie ihre physischen, so gelangen auch ihre geistigen Funktionen und Kräfte früher zur vollen Leistungsfähigkeit. Die Mädchen haben daher von Natur wegen ein Anrecht darauf, in intellektueller Beziehung ihrer weiblichen Eigenart entsprechend behandelt zu werden: kann und darf die Frau mit siebzehn oder achtzehn Jahren Gattin und Mutter, ja eventuell auch Familienhaupt und Vormund sein, so soll sie auch als Student früher als vollreif angesehen werden als der Jüngling. Es ist daher nicht nur ungerecht, sondern auch durchaus naturwidrig wenn, wie sogar nach der neuen preußischen Studienordnung leider der Fall die Mittelschulstudien des Mädchens, bis ins neunzehnte oder gar, wenn Zufälle dazwischentreten, noch bis in ein späteres Lebensjahr ausgedehnt werden. Auch beeinträchtigt lange Hinausschleppung der Studien Heiratsfähigkeit und Heiratsgelegenheit in mehr oder minder empfindlichem Maße. Führt schon die Verzögerung der Ehegründung und wirtschaftlichen Selbständigkeit bei den studierenden Männern zu argen sozialen Mißständen, so sind die analogen üblen Folgen für die junge weibliche Welt noch empfindlicher und ihre Vermeidung von höchster Wichtigkeit.

Es ist also gerecht und natürlich, wenn auch der vollgiltige, zum Universitätsstudium berechtigende Mittelschullehrgang so eingerichtet wird, daß er normalerweise bereits mit dem 17. Lebensjahre des Mädchens abschließt. Ein siebenjähriger Lehrgang kann und muß durchaus hinreichen die Mädchen zur Universitätsreife zu führen. Man hat vielfach angeregt, die volle (gymnasiale) Universitätsreife an eine auf das Lyzeum aufzusetzende dreijährige Oberstufe zu knüpfen, worin der Unterricht in jenen Fächern, die im Lyzeum fehlen oder unzureichend gepflegt werden, nachgetragen werden soll. Latein und Griechisch sowie Mathematik würden darin die Hauptsache ausmachen. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß eine solche Oberstufe als organische, regelmäßige Einrichtung abzulehnen ist. Sie dehnt das Mittelschulstudium auf neun Jahre aus, währt also noch länger als das gymnasiale der Knaben, und wäre mit dem ausschließlichen Drill in einigen wenigen Fächern, hauptsächlich den klassischen Sprachen, unter Beiseitesetzung der im Lyzeum gepflegten Sprachen und Disziplinen, ohne organischen und systematischen Anschluß an das Vorangegangene, pädagogisch ein Monstrum. Derartiges ist eigentlich nur mehr eine Presse zur Erlangung des Maturitätszeugnisses und kann gelegentlich und in vereinzelten, sozusagen Notfällen, zu diesem speziellen Zwecke dienlich sein, ist aber durchaus keine Schul- oder Bildungsanstalt. Eine solche darf ihr Ziel nicht in der notdürftigen Herrichtung der Zöglinge für ein bestimmtes Examen haben, sondern hat in einem harmonischen, einigermaßen vielseitigen Bildungsgang selbst ihren Schwerpunkt zu suchen, ohne Rücksicht auf außerhalb gelegene Nützlichkeitszwecke.

Eine rationelle Ergänzung des Lyzeums wäre dagegen die Anfügung einer Frauenschule, das heißt eines einjährigen Kurses für die Absolventinnen von Lyzeen, Gymnasien und dergleichen, um ihnen zur Weiterführung ihrer Bildung und hauswirtschaftlichen und praktisch-pädagogischen Vorbereitung für ihren Frauenberuf entsprechende Belehrungen und Übungen zu bieten. Ein solcher Aufbau auf die reguläre Mädchenmittelschule ist auch in der neuen preußischen Ordnung vorgesehen, und würde sicherlich vielfachen Bedürfnissen entsprechen.

Nach dem Vorstehenden läßt sich nun das eigentliche Problem dahin formulieren: soll das heutige Lyzeum so ausgestaltet werden, daß es eine zu voller Universitätsreife führende (siebenklassige) Mittelschule wird, oder ist neben das Lyzeum – welches natürlich auch dabei zu reformieren wäre – ein neuer weiblicher Mittelschultypus zu setzen? Letzterer hätte vorwiegend modern- realistisch gestaltet zu werden, jedoch auch die klassizistisch-humanistische Richtung wahlweise miteinzuschließen.

Den Interessen der Frauenbildung wäre mit einer größeren Mannigfaltigkeit der zugänglichen Bildungswege besser gedient, als mit der Unifizierung aller Schulen nach einem einzigen Typus. Nebeneinanderbestehen mannigfaltiger Bildungswege zwischen denen nach Neigung, Tätigkeit, Bedürfnis und Notwendigkeit gewählt werden kann, wird zur Notwendigkeit. Wird doch heute in Bezug auf das Knabenvolksschulwesen als arger Übelstand empfunden die monopolistische Organisation desselben. Bei den weiblichen Schulen, die sich nach den neuen Bedürfnissen, von Tradition und staatlichem Schulmonopol unbelastet, frei organisieren lassen, können solche Mißstände vermieden werden, indem ihrer Einrichtung möglichste Freiheit und Mannigfaltigkeit gewährt werden. Es liegt also kein Hindernis vor, die, Mädchenlyzeen als allgemeine weibliche Bildungsschulen weiter bestehen zu lassen, daneben aber die Möglichkeit einer Art weiblicher siebenklassiger Realgymnasien zu schaffen, die nach eigenen, den weiblichen Bedürfnissen angepaßten, aber stofflich den Knabenlehrplänen durchaus gleichwertigen Lehrplänen organisiert, den vollen Zugang zur Universität eröffnen. Diese Mädchen-Realgymnasien müßten zweistufig organisiert sein, so daß die nach Absolvierung der Unterstufe, das ist der vierten Klasse, abgehenden Schülerinnen, eine einigermaßen in sich abgeschlossene Bildung mitnehmen würden, um in Fach- oder Gewerbeschulen, Frauenschulen, Fortbildungskursen, Beruf oder Familie und Haus sich für das weitere Leben vorzubereiten. Damit träte für die Oberstufe eine Entlastung von Elementen ein, die einen höheren Bildungsgang nicht wählen können und wollen. Läßt sich doch gewöhnlich auch erst im Alter von etwa 13 oder 14 Jahren ein Urteil über die Fähigkeiten und Neigungen der Schülerinnen abgeben und vernünftigerweise eine Entscheidung treffen, ob sie nach Absolvierung der Mittelschule einen höheren Lehrgang oder gar einen gelehrten Beruf einschlagen sollen oder nicht. Der Zudrang zur Universität und den gelehrten Berufen wäre damit gehemmt und eine zweckmäßige Auswahl nach Befähigung und Neigung ermöglicht. Das siebenklassige Realgymnasium hätte wahlweise auch eine klassizistisch-humanistische Oberstufe mit einzuschließen, die sich an die gemeinsame Unterstufe anzugliedern hätte und bis auf die sprachlichen Fächer alle Unterrichtszweige mit der realistischen Schule gemeinsam haben könnte. Natürlich wäre es auch eminent praktisch die Lehrpläne beider Schulkategorien so einzurichten, daß in den höheren Klassen des Realgymnasiums jederzeit noch ein Uebertritt in ein Lyzeum soll möglich sein können.

Keine Mittelschulreform wird aber zulänglich sein, wenn sie nicht durch entsprechende Einrichtungen auf der höchsten Lehranstalt, das ist der Universität, ihre organische Ergänzung findet. Im Rahmen unseres Themas sei darauf hingewiesen, daß die Art, wie die künftigen Mittelschullehrer und -Lehrerinnen für ihren künftigen Beruf vorbereitet werden, natürlich von ausschlaggebender Bedeutung für den Betrieb der Mittelschulen, den Geist und das pädagogische System an ihnen sein muß. Derzeit ist nun die universitäre Vorbereitung zum Lehramtsberufe nicht durchaus befriedigend, denn sie ist eine fast ausschließlich gelehrt-spezialistische und läßt die allgemein-wissenschaftliche sowie die praktisch=pädagogische Seite einer solchen Vorbereitung gar sehr im Hintergrund. Die Frauenwelt sollte sich daher nicht einfach mit den Einrichtungen zur Vorbereitung zur Universität und der Eröffnung dieser für die Mädchen beruhigen; vielmehr wird sie auf organische Einrichtungen dringen müssen, um für ihre Mittelschulen jene (weiblichen) Lehrkräfte zu erhalten, die für deren Weiterentwicklung und Vervollkommnung notwendig sind.