BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Schubartgymnasium Aalen

gegründet 1912

 

Aus den Zeiten der Lateinschule

 

Dr. Hermann Stützel

Erinnerungen eines alten Lateinschülers

 

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Die ersten Neger in Aalen

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Mit mir waren zwei waschechte Negerbuben aus Kamerun in die Lateinschule eingetreten. Beide hatten seit 1891 mit uns die Volksschule besucht. Wir hatten damals nicht wenig gestaunt, als diese 2 Schwarzen eines Tages in der Schule auftauchten.

Und das kam so: Eine der wichtigsten deutschen Kolonien war Kamerun. Dort wirkte seit 1888 der Kaiserliche Finanzrat Gustav Pahl aus Aalen. Das Geburtshaus von Herrn Pahl steht am Marktplatz (jetzt Konditorei Baumgärtner). Das Grabmal von Herrn Pahl auf dem hiesigen St.-Johann-Friedhof ist bemerkenswert durch die bronzene Erdkugel. Als Herr Pahl 1891 von Kamerun auf Urlaub nach Deutschland fuhr, um sich zu verheiraten, nahm er zwei Negerknaben mit: den 16jährigen Rudolf Manga Bell und den 10jährigen Tube Metom. Rudolf war der Sohn eines Häuptlings, ein Königssohn, dessen Vater in England erzogen worden war, der aber zum Ärger der Engländer seinen Sohn auf alle Fälle deutsch erziehen lassen wollte. Tubes Vater war ein sehr intelligenter Dolmetscher. Auch Tube war sehr begabt und sollte nach dem Willen seines Vaters Arzt werden. Auf der Überfahrt nach Deutschland war Rudolf erkrankt, so daß Herr Pahl ihn nach Tübingen in die Klinik brachte.

 

Tube Metam und Rudolf Manga Bell

 

Zunächst kam also nur Tube in Aalen an. Die Familie des Lehrers Oesterle hatte sich zur Aufnahme der beiden Neger bereit erklärt. Als sich die Nachricht von der bevorstehenden Ankunft Tubes in Aalen verbreitete, strömte eine ungeheure Menschenmenge nach dem Bahnhof, um einen echten Schwarzen zu sehen. Eine Musikkapelle marschierte auf, und vor dem Bahnhof wartete ein Landauer, in dem Herr Pahl mit seinem Schützling Platz nahm. Unter Vorantritt der Musik fuhr der Wagen, gefolgt von vielen Hunderten, nach dem Elternhaus von Herrn Pahl am Marktplatz. Auch das Wohnhaus von Herrn Oesterle in der Friedhofstraße war von Menschen dicht umlagert, so daß die Familie Oesterle nur unter großen Schwierigkeiten mit ihrem neuen Gast in das Haus gelangen konnte. Rudolf kam bald aus Tübingen nach, und nun traten beide Neger in unsere Volksschulklasse bei Herrn Oesterle ein. Rudolf bekam, da er ziemlich groß war und nicht mehr in die Bänke paßte, ein besonderes Tischchen.

Wir Buben traten den Negern nicht etwa ablehnend oder gar feindselig gegenüber. Im Gegenteil, es bahnten sich bald wirkliche Freundschaften an. Beide Neger führten sich sehr gut auf und waren überall beliebt. Herr Oesterle war auch ein hervorragender Erzieher. Der intelligente Tube konnte sich schon nach sechs Wochen auf deutsch verständigen. 1893 traten beide Schwarze mit uns in die Lateinschule über. Beide wurden in Aalen getauft und konfirmiert.

Für uns Buben waren die neuen Mitschüler natürlich sehr interessant. Um ihre Freundschaft wurde richtig gebuhlt, denn beide waren körperlich sehr gewandt, gute Läufer und Schwimmer. Rudolf verfügte über ungeheure Körperkräfte; wer ihn zum Freund hatte, dem konnte so leicht nichts passieren.

1892 war das Schwimmbad im Hirschbach eröffnet worden, das die Kameruner oft besuchten. Einmal merkte Rudolf, der am Rand des Wasserbeckens stand, daß ein im Wasser stehender Badegast ihn neugierig fixierte. Das ärgerte ihn. Er wartete, bis der andere nach einer anderen Richtung blickte, sprang ins Wasser, schwamm unter dem Wasser auf den anderen zu und tauchte plötzlich vor dem Badegast auf. Dieser erschrak furchtbar - er glaubte, der Leibhaftige sei erschienen -, stieß einen Schrei aus, flüchtete aus dem Wasser und verließ Hals über Kopf die Badeanstalt.

Eines Tages unternahm die Lateinschule einen Schulausflug, an dem sich auch die beiden Schwarzen beteiligten. Wir stiegen zum Rechberg auf, an dessen Hängen ein Bauernjunge die Geißen des Dorfes Rechberg hütete. Rudolf hatte sich ein weißes Tuch auf den Kopf gelegt, um sich gegen die sengenden Sonnenstrahlen zu schützen. Als nun der Hütejunge den schwarzen Mann den Berg heraufkommen sah, stieß er einen schrecklichen Schrei aus: „Der Teufel kommt, der Teufel kommt!“, ließ seine Geißen im Stich und rannte, dauernd schreiend, dem Dorfe zu.

Unsere beiden schwarzen Kameraden blieben bis 1895 in Aalen. Tubes Vater, der den Unterhalt für seinen Sohn laufend bezahlt hatte, starb 1894. Das Auswärtige Amt trat zunächst für Tube ein, erlaubte aber leider nicht, daß er Arzt wurde. Er mußte Koch werden und kam von hier nach Ulm in ein Offizierskasino. Nach einigen Jahren ging er nach Kamerun zurück. Bei einer Expedition in das Innere des Landes soll er ums Leben gekommen sein.

Auch Rudolf kehrte nach Kamerun zurück. Er schrieb uns noch ein paarmal aus seiner Heimat. Zu Beginn des Weltkrieges 1914 wurde er beschuldigt, Spionage zugunsten der Engländer getrieben zu haben. Er wurde deshalb gehenkt. Wir hatten Rudolf als sehr guten, anständigen Menschen kennengelernt, dem ein Verrat nicht zuzutrauen war. Wie die Basler Mission später mitteilte, entbehrte die Beschuldigung auch jeglicher Grundlage; Rudolf sei einem Justizmord zum Opfer gefallen.

Das waren also die ersten Neger, die man in Aalen gesehen hat.