Robert Musil
1880 - 1942
Der Mann ohne Eigenschaften
Zweiter Teil:Seinesgleichen geschieht
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95Der Großschriftsteller, Rückansicht
Es ist fast zu bekannt, um davon zu sprechen: Seit ihre berühmten Gäste sich davon überzeugt hatten, daß der Ernst des Unternehmens keine großen Anstrengungen von ihnen fordere, gaben sie sich als Menschen, und Diotima, die ihr Haus von Lärm und Geist erfüllt sah, war enttäuscht. Sie kannte als eine hohe Seele das Gesetz der Vorsicht nicht, wonach man sich als Privatmann entgegengesetzt benimmt wie in seinem Beruf. Sie wußte nicht, daß Politiker, nachdem sie sich im Sitzungssaal Spitzbuben und Betrüger genannt haben, im Erfrischungssaal freundlich nebeneinander frühstücken. Daß Richter, die als Juristen einen Unglücklichen zu schwerer Strafe verurteilt haben, ihm nach Schluß der Verhandlung als Menschen teilnehmend die Hand drücken, wußte sie wohl, aber sie hatte nie daran etwas auszusetzen gefunden. Daß Tänzerinnen außerhalb ihres zweideutigen Berufs oft einen hausmütterlich einwandfreien Lebenswandel führen, hatte sie manchmal erzählen gehört und fand es sogar rührend. Auch erschien es ihr als schönes Sinnbild, daß Fürsten zu Zeiten die Krone ablegen, um nichts als Mensch zu sein. Aber als sie wahrnahm, daß auch Fürsten des Geistes sich inkognito ergehen, kam ihr dieses Doppelverhalten sonderbar vor. Welche Leidenschaft ist es und welches Gesetz liegt dieser allgemeinen Neigung zugrunde und bewirkt, daß Männer außerhalb des Berufs sich nichts wissen machen von den Männern, die sie innerhalb des Berufs sind? Sie sehen nach Schluß ihrer Arbeit, wenn sie aufgeräumt sind, genau so aus wie ein aufgeräumtes Büro, wo das Schreibzeug in den Laden verwahrt ist und die Sessel auf den Tischen stehn. Sie bestehen aus zwei Männern, und man weiß nicht, ob sie nun eigentlich am Abend oder am Morgen zu sich zurückkehren?So sehr es ihr darum schmeichelte, daß ihr Seelengeliebter allen Männern gefiel, die sie um sich versammelt hatte, und namentlich mit den jüngsten unternehmend verkehrte, entmutigte es sie doch zuweilen, ihn in diese Betriebsamkeit verflochten zu sehn, und sie fand, daß sich ein Geistesfürst weder den Verkehr mit dem gewöhnlichen Geistesadel so angelegen sein lassen dürfte, noch dem beweglichen Markten der Gedanken zugänglich sein sollte.Die Ursache lag darin, daß Arnheim kein Geistesfürst war, sondern ein Großschriftsteller.Der Großschriftsteller ist der Nachfolger des Geistesfürsten und entspricht in der geistigen Welt dem Ersatz der Fürsten durch die reichen Leute, der sich in der politischen Welt vollzogen hat. So wie der Geistesfürst zur Zeit der Fürsten, gehört der Großschriftsteller zur Zeit des Großkampftages und des Großkaufhauses. Er ist eine besondere Form der Verbindung des Geistes mit großen Dingen. Das mindeste, was man von einem Großschriftsteller verlangt, ist darum, daß er einen Kraftwagen besitzt. Er muß viel reisen, von Ministern empfangen werden, Vorträge halten; den Chefs der öffentlichen Meinung den Eindruck machen, daß er eine nicht zu unterschätzende Gewissensmacht darstelle; er ist chargé d'affaires des Geistes der Nation, wenn es gilt, im Ausland Humanität zu beweisen; empfängt, wenn er zu Hause ist, notable Gäste und hat bei alledem noch an sein Geschäft zu denken, das er mit der Geschmeidigkeit eines Zirkuskünstlers machen muß, dem man die Anstrengung nicht anmerken darf. Denn der Großschriftsteller ist keineswegs einfach das gleiche wie ein Schriftsteller, der viel Geld verdient. Das gelesenste Buch“ des Jahres oder Monats braucht er niemals selbst zu schreiben, es genügt, daß er gegen diese Art der Bewertung nichts einzuwenden hat. Denn er sitzt in allen Preisgerichten, unterzeichnet alle Aufrufe, schreibt alle Vorworte, hält alle Geburtstagsreden, äußert sich zu allen wichtigen Ereignissen und wird überall gerufen, wo es zu zeigen gilt, wie weit man es gebracht hat. Denn der Großschriftsteller vertritt bei allen seinen Tätigkeiten niemals die ganze Nation, sondern gerade nur ihren fortschrittlichen Teil, die große, beinahe schon in der Mehrheit befindliche Auserlesenheit, und das umgibt ihn mit einer bleibenden geistigen Spannung. Es ist natürlich das Leben in seiner heutigen Ausbildung, das zur Großindustrie des Geistes führt, so wie es umgekehrt die Industrie zum Geist, zur Politik, zur Beherrschung des öffentlichen Gewissens drängt; in der Mitte berühren sich beide Erscheinungen. Darum weist die Rolle des Großschriftstellers auch nicht etwa auf eine bestimmte Person hin, sondern stellt eine Figur am gesellschaftlichen Schachbrett dar, mit einer Spielregel und Obliegenheit, wie sie die Zeit ausgebildet hat. Die des Guten beflissenen Menschen dieser Zeit stehen auf dem Standpunkt, daß es ihnen wenig nützt, wenn irgendwer Geist habe (es ist davon so viel vorhanden, daß es auf etwas mehr oder weniger nicht ankommt, jedenfalls glaubt jeder für seine Person genug zu haben), sondern daß man den Ungeist bekämpfen müsse, wozu es nötig ist, daß der Geist gezeigt, gesehen, zur Wirkung gebracht werde, und weil sich dazu ein Großschriftsteller besser eignet als selbst ein größerer Schriftsteller, den vielleicht nicht mehr so viele verstehen könnten, trägt man nach Kräften dazu bei, daß die Größe recht ins Große gerät.Wenn man das so versteht, war Arnheim daraus, daß er eine der ersten, probeweisen, wenn auch schon sehr vollkommenen Verkörperungen dieser Verhältnisse bedeutete, kein schwerer Vorwurf zu machen, doch gehörte immerhin eine gewisse Anlage dazu. Denn die meisten Schriftsteller würden gerne Großschriftsteller sein, wenn sie es nur könnten, aber das ist so wie mit den Bergen: zwischen Graz und Sankt Pölten gibt es viele, die genau so auszusehen vermöchten wie der Monte Rosa, bloß stehen sie zu niedrig. Die unerläßlichste Voraussetzung, um ein Großschriftsteller zu werden, bleibt also die, daß man Bücher oder Theaterstücke schreibt, die sich für hoch und niedrig eignen. Man muß wirken, ehe man das Gute wirken kann; dieser Grundsatz ist der Boden eines jeden Großschriftstellerdaseins. Und das ist ein wundersames, gegen die Versuchungen der Einsamkeit gerichtetes Prinzip, geradezu das Goethesche Prinzip des Wirkens, daß man sich nur in der freundlichen Welt regen müsse, so komme dann alles andere von selbst. Denn wenn ein Schriftsteller einmal zu wirken anfängt, so tritt eine bedeutsame Wandlung in seinem Leben ein. Sein Verleger hört auf, zu bemerken, daß ein Kaufmann, der Verleger werde, einem tragischen Idealisten gleiche, weil er doch mit Tuch oder unverdorbenem Papier ganz anders verdienen könnte. Die Kritik entdeckt in ihm einen würdigen Gegenstand für ihr Schaffen, denn Kritiker sind sehr oft keine bösen Menschen, sondern, dank den ungünstigen Zeitumständen, gewesene Lyriker, die ihr Herz an etwas hängen müssen, um sich aussprechen zu können; sie sind Kriegs- oder Liebeslyriker, je nach dem inneren Erträgnis, das sie günstig anbringen müssen, und es ist begreiflich, daß sie dazu lieber das Buch eines Großschriftstellers als das eines gewöhnlichen Schriftstellers wählen. Nun hat natürlich jeder Mensch nur eine begrenzte Arbeitsfähigkeit, deren beste Ergebnisse verteilen sich leicht auf die jährlichen Neuerscheinungen aus Großschriftstellerfedern, und so werden diese zu Sparkassen des nationalen Geisteswohlstandes, indem jede von ihnen kritische Interpretationen nach sich zieht, die keineswegs nur Auslegungen, vielmehr geradezu Einlagen sind, während für alles übrige entsprechend wenig übrig bleibt. Ins Größte wächst das aber erst durch die Essayisten, Biographen und Schnellhistoriker, die ihr Bedürfnis an einem großen Mann verrichten. Mit Respekt zu sagen, Hunde ziehen zu ihren recht gemeinen Zwecken eine belebte Ecke einem einsamen Felsen vor; wie sollten da nicht Menschen, die den höheren Drang haben, ihren Namen öffentlich zu hinterlassen, einen Fels wählen, der offenkundig einsam ist?! Ehe er sich dessen versieht, ist so der Großschriftsteller kein Wesen mehr für sich allein, sondern eine Symbiose, das Ergebnis nationaler Arbeitsgemeinschaft im zartesten Sinn und erlebt die schönste Versicherung, die das Dasein zu geben vermag, daß sein Gedeihen mit dem Gedeihen zahlloser anderer Menschen auf das innigste verflochten ist.Und wahrscheinlich ist das der Grund, warum man oft als einen allgemeinen Zug im Charakter der Großschriftsteller auch ein ausgeprägtes Wohlverhaltensgefühl findet. Von den kämpferischen Mitteln des Schreibens machen sie nur Gebrauch, wenn sie ihre Geltung bedroht fühlen; in allen übrigen Fällen zeichnet sich ihr Verhalten durch Ausgeglichenheit und Wohlwollen aus. Sie sind vollendet tolerant gegen Nichtigkeiten, die zu ihrem Lobe gesagt werden. Sie lassen sich nicht leicht dazu herab, andere Autoren zu besprechen; aber wenn sie es tun, dann schmeicheln sie selten einem Mann von hohem Rang, sondern ziehen es vor, eines jener unaufdringlichen Talente zu ermuntern, die aus neunundvierzig Prozent Begabung und einundfünfzig Prozent Unbegabung bestehen und vermöge dieser Mischung so geschickt zu allem sind, wo man eine Kraft braucht, aber ein starker Mann schaden könnte, daß über kurz oder lang ein jedes von ihnen einen einflußreichen Posten in der Literatur hat. Aber ist damit diese Beschreibung nicht schon über das hinausgegangen, was nur dem Großschriftsteller eigentümlich ist? Ein gutes Sprichwort sagt, wo Tauben sind, fliegen Tauben zu, und man macht sich schwer eine Vorstellung davon, wie bewegt es heutzutage schon um einen gewöhnlichen Schriftsteller zugeht, lange ehe er Großschriftsteller, schon wenn er Buchbesprecher, Feuilletonredakteur, Funkverweser, Filmmixer oder Herausgeber eines Literaturblättchens ist; manche von ihnen gleichen jenen kleinen Eselchen und Schweinchen aus Gummi, die hinten ein Loch haben, wo man sie aufbläst. Wenn man die Großschriftsteller solche Umstände sorgsam erwägen und sie bemüht sieht, daraus das Bild eines tüchtigen Volks zu machen, das seine Großen ehrt, muß man es ihnen nicht danken? Sie veredeln das Leben, wie es ist, durch ihre Teilnahme. Man versuche, sich das Gegenteil vorzustellen, einen schreibenden Mann, der alles das nicht täte. Er müßte herzliche Einladungen ablehnen, Menschen zurückstoßen, Lob nicht wie ein Belobter, sondern wie ein Richter bewerten, natürliche Gegebenheiten zerreißen, große Wirkungsmöglichkeiten als verdächtig behandeln, nur weil sie groß sind, und hätte als Gegengabe nichts zu bieten als schwer ausdrückbare, schwer zu bewertende Vorgänge in seinem Kopf und die Leistung eines Schriftstellers, worauf ein Zeitalter, das schon Großschriftsteller besitzt, wirklich nicht viel Wert zu legen braucht! Würde ein solcher Mann nicht außerhalb der Gemeinschaft stehen und sich mit allen Folgen, die das hat, der Wirklichkeit entziehen müssen?! – Es war jedenfalls die Meinung Arnheims. |