BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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19

 

Pavel, an der Ecke nach dem ehemaligen Ghetto, hat zwei SS zu sich kommandiert: es sind die stärksten Männer der Truppe, der Sturmbannführer und ein anderer Mann. Pavel fordert drohend seinen Wagen: an diese Ecke habe er ihn befohlen. Der Sturmbannführer erschrickt, faßt sich schnell und behauptet, den Befehl an diesen anderen Mann weitergegeben zu haben.

Pavel, fragt den anderen Mann: „Was sagen Sie dazu?“

Der andere Mann: „Heil Hitler!“

Der Wagen des Protektors bleibt dennoch unsichtbar.

Pavel: „Ich äußere mein stärkstes Befremden.“

Der Sturmbannführer: „Melde Eurer Exzellenz gehorsamst, daß ich dachte –.“

Pavel: „Gedacht wird nicht.“

Der Sturmbannführer: „Exzellenz sind eigentlich heute in Brünn, Exzellenz überraschen alle.“

Pavel: „Außer Ihnen. Sie sind verantwortlich für den Wagen, der nicht da ist. Ich bin blitzartig da.“

Der Sturmbannführer: „Zu Befehl, Exzellenz. Melde gehorsamst, daß ich nicht überrascht bin.“

Pavel: „Ein Regiment soll unverzüglich nach Brünn abgehen.“

Der Sturmbannführer, schwillt rot an vor Bestürzung. Verspätet brüllt er: „Zu Befehl!“

Der andere Mann entfernt sich hinter dem Rücken des Sturmbannführers.

Pavel: „Der Aufstand in Brünn ist gefährlich, den Einwohnern der Hauptstadt darf er nicht bekannt werden, deshalb zeig ich mich diesem unverbesserlichen Volk. Es soll den Protektor heil und gesund sehen.“

Während Pavel spricht, ist der andere Mann nach der öffentlichen Telephonzelle gelaufen. Nur Pavel bemerkt es, der Scharführer steht angedonnert stramm.

Pavel zuckt die Achseln und kehrt ihm den Rücken zu: „Beim Wirtshaus Altgeld soll mein Wagen vorfahren. Ihr Gesicht sehe ich mir schon die längste Zeit an.“

Er geht in die Gasse.

Der Sturmbannführer kommt nur schwer zur Besinnung. Dem abgehenden Protektor ruft er nach: „Befehl, Exzellenz!“ Für sich äußert er hörbare Zweifel: „Das Regiment schickt er fort!“ Anlauf, um dem Protektor zu folgen. „Ich darf meinen Posten nicht verlassen.“ Der Anlauf stockt. „Den Protektor muß ich mit meinem Leibe schützen.“ Neuer Anlauf, der auch wieder stockt: „Wohin ist der andere Mann geraten?“

Der Sturmbannführer dreht sich, einsam und ratlos, auf dem leeren Altmarkt: „Sogar die Gemüsestände sind verlassen. Hier manövrierte doch eine Truppe mit Tanks, Maschinengewehren – bin ich verrückt geworden? Ich allein, unter den feindlichen Augen der Eingeborenen, die hinter ihren Fensterläden lauern! Ein Schuß wird fallen!“ Er schwenkt gegen die Häuser seine erhobene Faust; ruft verzweifelt Heil Hitler!

„Heil Hitler!“ antwortet der andere Mann, der zurückkehrt. Der Sturmbannführer fällt ihm in die Arme. „Wir sind zwei!“

Der andere Mann bleibt sachlich. Er meldet, daß er die Befehle des Protektors nach der Burg übermittelt habe.

Der Sturmbannführer: „Welche Befehle?“

Der andere Mann: „Ein Regiment geht ab. Der Telephonverkehr nach Brünn ist gesperrt. Der Aufstand findet streng geheim statt.“

Der Sturmbannführer: „Das sollen Befehle Seiner Exzellenz sein? Sie haben geträumt.“

Der andere Mann: „Ein deutscher Soldat träumt nicht, melde gehorsamst.“

Der Sturmbannführer: „Der Protektor erwartet seinen Wagen im Altgeld. Das ist das einzige, was ich behalten habe.“

Der andere Mann: „Zu Befehl. Habe seinen Wagen nach dem Altgeld bestellt.“

Der Sturmbannführer: „Als er das sagte – jetzt fällt mir's ein, Sie haben das nicht gehört.“

Der andere Mann: „Der deutsche Soldat weiß, was er wissen soll. Mit uns wird Exzellenz nicht hier den Nachmittag verbringen, und das nächste Wirtshaus ist das Altgeld.“

Der Sturmbannführer: „Ich hatte mich schon etwas gewundert, daß ein Protektor ins Altgeld gehen soll. Sie haben es ihm also angesehen. Finden auch nicht weiter merkwürdig, daß er als einzelner Mann hier aus der Bauernkutsche steigt, und weilt amtlich in Brünn, wo befehlsgemäß Aufstand ist? Erklären Sie das alles, oder nur die Hälfte!“

Der andere Mann: „Melde gehorsamst, ich war im Zivilverhältnis ein Intellektueller. Wer erklärt, verfängt sich, sackt ab und ist für den Führer verloren. Ich glaube alles.“

Der Sturmbannführer: „Auch, daß ich Ihnen befohlen habe, an diese Ecke den Wagen des Protektors zu bestellen?“

Der andere Mann: „Sehr wohl. Das waren Ihre Worte.“

Der Sturmbannführer: „Du verdammter Gehirnmensch machst mich verrückt.“ Er dringt auf den anderen Mann ein.

Der andere Mann, während des Ringkampfes: „Ich stelle fest, daß ich die Ehre des Führers verteidige.“ – Als der Sturmbannführer bewußtlos am Boden liegt: „Das Maul eingehauen. Der redet nicht.“