BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Lautensack

1881 - 1919

 

Totentanz

 

Jugendgedichte

 

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Die Sünde

(Ein Tagebuch)

 

Dein dunkles Haus ist angefüllt mit Nacht

und Rausch und Rauch und Küssen fremder Lippen

– soviel! – und Tränen eines, der nun tot.

 

*

 

Dein Blick ist Glanz. Dein Blick ist Glanz, nicht Glut,

nicht wilde Glut – dein Blick ist kühler Glanz

wie Mond – ist ewiger Glanz – ist Gottheitglanz!

 

– Ich schlief

bei einem Weibe, deren Leib so sehr

dem deinen glich – und fand in ihrem Auge

nur wilde Glut – und wollte Glanz, nicht Glut –

ewigen Glanz!

Nicht Bettleraugen, deren Hungerglühen

vor Brot vergeht – die Augen eines Spielers,

die Augen eines Spielers, ihren Glanz,

den Gottheitglanz der Augen eines Spielers!

Dein Blick ist Glanz – verträumter Schwachheit

ewiger Hohn und Stachel – Glanz der Welt –

 

*

 

– – Und deine Hände – deine Lippen!

Hände und Lippen eines reifen Weibes,

die über einem Jünglingsleibe

noch einmal blühen. In dem vollen Haar

Duft von Vergangenem, von Fremd- und Fernem.

In dem noch vollen, oft geküßten Haar.

Dein Leib so oft zerwühlt, so wild zerwühlt –

uralte Erde, über die

ein junger Pflug hingehen soll!

 

*

 

Nun lastet dein geliebter Leib auf mir

wie über dieser Erde

Unendlichkeit von Sternenglanz und Götter.

Des Himmels Lichter sinken tief in mich –

Des Himmels Sterne tief in meine Augen –

in meinem Blick wohnt Gott.

 

*

 

Gemisch von Mann und Weib, Mädchen und Greisin

von unerklärtem, knabenhaftem Reiz,

Erzrätsel du! Ein Weib mit Elfenfüßen

und mit dem Nacken eines jungen Stiers!

Verrat an deiner Selbst! Du Gotteslüge –

urewige Wahrheit –

 

*

 

– Tag und Traum vergeht.

Du selber nur aus keinem Tag noch Traum –

enthüllst dich ganz. Von deinen reinsten Lippen

fließt das Verschwiegenste – – im Hurenlied.

Wir sind uns bis ins Tiefste offenbar –

bekannt und ähnlich und einander gleich!

Lust! Wir sind eins! Unser Geschlecht

ist eins geworden.

 

*

 

Du bist nicht du – du bist nicht mehr – die Zeit:

mein Gotthauch löscht dich wie ein Licht.

Ich bin die Sünde, die der Ewigkeit

Ewigkeitskränze um die Stirne flicht!

Ich bin die Sünde! – – – –