Heinrich Lautensack
1881 - 1919
Die Samländische Ode
Fragmente aus dem Nachlaß
Erstausgabe:Die Samländische Odeund ihre Fragmente aus dem NachlaßBerlin: Stammtischblätter der Maximilian-Gesellschaft(Herausgegeben von Alfred Richard Meyer), 1926Textgrundlage:Heinrich Lautensack, Das verstörte Fest,Gesammelte Werke.Herausgegeben von Wilhelm Lukas Kristl.München: Carl-Hanser-Verlag 1966
|
|
____________________________________________________
| |
Fragmente aus dem Nachlass
Nein, das ist nicht vom Sommer nur. Daß nun den zweitenSommer schon Krieg geht. Immer tiefer in Polen.: Davon ist nichts verwitwet. – Auch in friedlicher'n Zeitenwar's ein Immer-wieder an Stuten und Fohlenund Kühen und Kälbern Vorüber-gleiten;ob mit dem Wagen, ob mit der Bahn.: So – tierhaft – aus Weiblich- und Mütterlichkeitenscheint all dies Land zusammengetan.
: So: aus Weibeinsamkeiten, Urmütterlichkeiten,tierhaften, alles zusammengetan.
Die Stuten stehen: entbehrend der Wonnen.Mannlos. Wie katholische Wege-Madonnen.
Als wollten sie nur 'mal ein Kind tief-innenin 'n Leib. Mann verachtend. Nach Kind schmachtend.Wie jene modernen Lyrikerinnen.
Und die Fohlen tragen helmbuschige Mähnenvon Goldfarb'. Zu ihrem Fell aus Flieder.Von Weißgoldfarb'! Wie germanischer Ahn.Wie germanischen Ahns glas-gelblichte Lider,unter denen blaßblaue Augen Vorschauen.Haar vom Glanz von den eigenen Zähnen!– Gezüchtet – rein wie für die Zirkuslaufbahn!So gleißgoldfarben alle Nägel und Mähnen . . . .
* * *
Ei! – elementar: – eija! das muß wohl auf Samland geltendas Wort, das. Auf Pflanze und Tier. Wo sich Tiere aus Pflanzen erbau'n:wie nie! – Dito Pflanzen aus Tieren. Ja.Pflanzen aus Tier'n wie sonst selten! –Du mußt mal so eine Herdweid – bis Novembernebel brau'n –eine Herdweid, beginnend von Lenz über Sommer bis Tiefherbst, erschau'n!
* * *
Und dies Alles: dies Nichts schier als Frucht und Vieh,soweit dein Blick im Umkreis treibt.: Vieh, das nicht müder nachts draußen bleibtals Gras und Getreide –: du weißt nicht wie -
Mit eins hätt'st du beinah laut aufgeschrie'n –: Wie in fernsten fremdesten Kolonien –!Wie tief unterm anderen Wendekreis –unterm Kreuz des Südens – Kapkolonie -
So ungeheuerer Sturm. So enorm starke Windmassen,galoppierend über See her. Sobald sie das Meer verlassen,weichen Parke unter Erbleichen ihrem Ritt aus.Der erste Hufschlag an Land:aufspritzen machend Berge von Drüsensand,die's verstreut herträgt bis an unser Haus . . . .So fegt die aus Luft geballte Artillerie . . . .
Wolken schatten auf dem Meer . . . .
Dies wird vorüber sein; wie bald vielleicht,und ich – war hier und komm' nicht wieder her.Flüchtling – wie Wolkenschatten auf dem Meer . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Freilichals ich zuerst dich ersah, da sah ich kaum sehr besonnen.Da wähnt' ich mich innen-erschauter feindlicher Länder Raub;blickend mit äußerem Aug' nur umrändert von Tränen und Staub,Tränen des Abschieds und Staub schlürfend marschierender Kolonnen,in deren Mitte ich stak...!Da war ich – seit kurzem – Rekrut.Gram allem Leben. Zag. Rein mir selbst nicht mehr gut.Und da – freilich – sah ich dich anders.Da sah ich nur wie hinter Stäben,wie hinter Gitterstäben nur aus nach dir – so vertiert –;seitwärts der Straßen immer wieder probier'nd den Tod in den Schützengräben,die man dir wollüstig grausam, mein Land, subkutan injiziert –.Oh wie oft, wie so oft ich das Sterben-müssen probiert!Mich auf Totsein einexerziert –!Und so, wie Sterbende hab' ich da anfangs in dir deliriert:Wasser!. . .Auf drei Seiten Küste aufruh'nd –(: Wie während der ersten Lehr'schräg auf den Stuhl gestellt Trommel der Jugendwehr –)Auf drei Seiten Küste aufruh'nd –(: Wie die Römer beim Essen lagen.Wie in der Barke ruhte Kleopatravor Caesar. Vor Antonius . . . .)Daß über Gewitterdonner aus Rauschenoder – vor Cranz – eine Minentösung oder – beiLabiau – einen Kanonenschußnoch die in Fischhausen sogleich ihre Bemerkungen tauschen –(Wann erfühlt' ich das doch? – Einmal –? bei einem Kuß –?. . .)Oh! jeder dunkelste Laut und von am weitesten fort;ja selbst streuendes Feuer aus einem Maschinengewehrund puckerts so fern, so fern von Pillau her;: für uns Palmnickener hört sich's so ohrennah,so wie aus uns heraus an; so eben-dawie ein über'n Tisch hin gesprochenes Wort;wie ein über'n Tisch hin gesprochenes Wort so genau;wie ein über'n Tisch hin gesprochenes Wort oder Kuß,den du auf dem Schamhügel opferst deiner geliebtesten Frau!
* * *
Sondern immer noch hörst du den hallenden, mächtig heraufhallenden Ruf,tagsüber immer noch, immer,Ruf wie von tief unter Wassern aufknallenden Schilden,von Ritterschilden, Deutschordensritterschilden, ein unterirdisches Tosen,aus welchem sich, in Obertönen singend, Marienlegenden bilden . . . .Und abends leuchtet von Rosen ein Schimmer,immer noch von den gleichen Rosen,aus denen das Meer Aphroditen erschuf . . . .
* * *
. . . . Daß von Pflanzen und Tieren dies Überwiegendeinem Sinnen entreift . . . wie: dies ganze Land- traumhaft begreift es dein Verstand –müßt' eh'r unterm südlichen Wendekreis liegen!. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Und sehr bald erschienen Schwarze als Mäherin diesen – wahrhaftig! – diesen Maisfeldern, diekein Kirchturm am Horizont überragt,und durch welche – vorausgesandt wie ein Späher –nur eine eingleisige Eisenbahnstrecke sich wagt.
* * *
Einsamkeiten, ach: Einsamkeitenwie nur in Uranfängen von Menschheiten(Uranfängen von Menschzeiten)! schauern dich anund trauern dich an in diesem Lande: Samland!. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Wie soll ich's am treffendsten schildern?Welches Bild von öffentlichen Bildern, welches Bild will mir gleich zur Hand?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Ja, so entblößt scheint von Menschen Samland: wie wenn in paradiesischem Hain?nachdem er den Bruder erschlug, sich zurückverirrt und verwirrt hätte Kain(hinterm Rücken des Cherubim mit dem bloßen hauenden Schwert)und hätte fortan nie mehr, nie mehr Brandopfer zu bringen begehrt:so bar jedes wärmeren Hauchs,so wenig fährt von jenseits der Hügel hier Rauchin Feierabendhimmel von Herden aus Hüttenund küßte Aschenstätten oft noch von den Eltern herein . . . .
* * *
Bluttod eines Landsturmmannes auf Urlaub
Ich weiß nicht, wie – heut bei der Nagelpflege –dies Bild erstand; dies trunkene Bild erstand.Die Feile steckte mir auf halbem Wegeam Mittelfinger meiner linken Hand.Die Feile, die sonst wie ein silbern Schiffum weiße Riffe rosa Inseln schliff.
Ach! weiß ich gleich nicht, wie dies Bild erstand,ich sah's, ich sah's:Ein jeder meiniger Fingernagelrandwar plötzlich was.
Ich weiß nicht, wie dies Bild erstand,doch sah ich's heute bei der Nagelpflege:Mondsicheln, fünf, zunehmende, jede ein erstes Viertel,- an meiner linken Hand.Und eine Mondsichel, abnehmend, letztes Viertel,scheint auch an meiner Rechten jeder Fingernagelrand.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Doch weiß ich's nicht mehr so genau.Und wie ich heut die Fingernägel schau- noch zieren Sicheln mich beschämend,die Morgen- und die Abendrötender Fingernägel meiner Frau . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .die meinen? dunkeln rosig blauund weder zu- mehr noch abnehmendverfließt all in ein rötlich Grau!
Aus der Landstürmer-Zeit
Seit ich den Dienst am Telephon verrichte- nur drei Minuten Parkwegs bis ans Meer! –scheint alles wieder mir in solchem Lichtewie einer Schwangeren ihr Kind scheint: – Her
leih ich mich wieder. Schenk mich neu an Träume.Entschuld'ge mich nicht länger so wie Gras.Nein! reihe mit im Reih'n der letzten Bäumeund such mich in der Ostsee Spiegelglas.
Tief wie aus Mombert-Muscheln höhlt die Brandung;ich schließe alles Leben – schon verschor'n! –neu in mich ein, ohn' alle Zwischenwandung,wie Kind im Leibe oder Met im Hörn.
Ja, ich ertrag's kaum, weiterhin zu wartengleich tausend Schritt am Strand dem Rettungsboot. –Und starb vorgestern noch auf hunderttausend Artenden nah-gewähnten Schützengrabentod!
Das ist der West. Vor dieser einz'gen Silbe- ward ich blicklos? – verschwind'! die blaue See.Wie ein Atom verzehrt von einer Milbe.Und wie ein Schacht liegt's gähnend, wo voreh'
Schaum-Herrscherkronen, – Szepter und –Emblemewie über Berge Kissen hingerollt . . . .Doch böt' mir einer alle Diademe,die ungebrochen starr'n aus Bernsteingold
hier durch den Schlamm und Tang gleich irdnen Scherben:Ich stürz wie Homburg vor Natalie hin –wie schon gefällt hin –: Ich muß sterben! Sterben!Nur dies hat Sinn noch! Grauenvollen Sinn!
Landstürmers NachtgesangAn der Bernsteinküste in Palmnicken
Eine geriefte gläserne Kugel, rollend hin bald und bald her,scheint von der Hotelterrasse durch die Parklichtung das Meerheute abend zu der Stunde, da mein leichter Dienst beginnt.Dienst: so leicht wie eine Handvoll Strandsand durch die Finger rinnt.
Dienst: so fast ohn' all' mein Zutun wie die Glocke jetzo schrilltund ins dargehaltene Hörrohr flußgewordene Stimme quillt:«Kleiner Dampfer. Nur ein Schornstein und ein Mast. Auf hoher See.Richtung? In der Richtung SO herwärts steuernd aus NW.»
Dienst: so mühlos trägt den Dampfer diese bernsteinheilige Flut,als die Meldung wird getragen schaukelnd hin über mein Blutaus dem Ohr bis in die Feder. Aus der Feder in das Buch.Dienst: so wehte heute mittag einer Dame Schleiertuch . . . .
Wieder klingelt's. Wieder füllt sichs Hörrohr an. «Wer da?» Es tautmuschel-innen ein vom Abend überfärbter Menschenlaut:«Kleiner Dampfer. Nur ein Schornstein und ein Mast. Auf hoher See»;wacht ein anderer Posten. «Richtung?» – «SO aus NW.»
Und das Flüstern einer dritten Wache naht sich mit Geläut:Kleine Kinder in der Wiegen, mein' ich, werden so betreut.Kleiner Dampfer. Flut ist Wiege. Wiege tritt St. Petri Zeh'.«Nur ein Schornstein. Auch ein Mast bloß. Richtung SO aus NW.»
Dienst – ach! hier der Dienst. – Mir träumt wohl? Und ich fühle, wie ich schnauf:In 'ner Hundertstelsekunde wache ich verschlafen aufin der alten Kasematte meiner früheren Bastion;Unteroffizier im Helm, und Kameraden wiehern schon.
Und all' meinige Versetzung schwind't wie Wolke oder Schaum.So wie Bernstein Mücken einschließt, deren Mumienalter kaumnachzurechnen geht, so wähnt' ich, daß ich dem entronnen war.Und bleib' doch gefangen noch. Gefangen doch noch tausend Jahr!
Ach! mein ganzes Dasein wirft sich so wie Wolke oder Schaum.War, daß ich Rekrut gewesen, vielmehr nur ein arger Traum,den ich jetzt auf Wache träumte – Kasematte, Bastion –?(Wie kann man auf Wache träumen – vor dem wachen Telephon –!)
Dunkel wird's vor meinen Sinnen. Stimme aus der Wand her spricht:«Kleiner Dampfer. Mit 'nem blauen, blauen und 'nem roten Licht.»Lampen zünden sich vor mir an. Funken glühn komplementär.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Eine geriefte gläserne Kugel, rollend hin bald und bald her –. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Einer Palme Blatt – und nickend – liegt das ausgerollte Meer . . . . |