Heinrich Lautensack
1881 - 1919
Frank Wedekind's Grablegung.Testimonia
Erich Mühsam
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Eine riesige Beteiligung von weinenden Männern und Frauen und von taktlosen Neugierigen füllte die Einsegnungshalle und hörte den Trauerreden zu, deren eine die Neugierigen auf ihre Kosten kommen ließ und die Weinenden zum Lachen brachte. Ein Reporter, von Wedekind aus vermeintlichen Nützlichkeitsgründen in seiner Nähe geduldet – ach, er wollte ja immer den smarten Geschäftsmann spielen und posierte den Opportunisten um jeden Preis und wurde doch nur mißbraucht und mißdeutet –, sabbelte am Sarge Geschmacklosigkeiten, die einem die Haare in die Luft trieben, drängte sich dem Toten in eine Nähe, die der Lebende nicht ertragen hätte, und die Trauergemeinde trippelte von einem Fuß auf den anderen, und einer sagte halblaut: «Das kommt davon.» Endlich ging es von der Halle zum Grab. Der lange Zug zerriß, und der abgelöste Teil eilte nach, stürmte über den Friedhof, rannte spornstreichs zur Stätte, wo der Sarg gerade hinabgeseilt wurde. Aus dem Gefolge aber löste sich eine wirre Gestalt, suchte Bilder zu stellen, sprach von Filmen und davon, daß er am nächsten Tage bei Frau Tilly Wedekind uns alle versammeln werde, denn er sei jetzt Kinoregisseur und wollte Wedekind durch eine Verfilmung aller seiner trauernden Freunde ein unvergängliches Denkmal setzen. Das war Heinrich Lautensack, der feine, begabte Dichter und Mitbegründer der Elf Scharfrichter. Ich versuchte den aufgeregten Freund zu beruhigen und zog ihn zur Seite, während August Weigert vor der offenen Gruft stand und meine Gedächtnisverse für Frank Wedekind sprach. Aber in demselben Augenblick, in dem er schloß, riß sich Lautensack von meiner Hand, stürzte am Grabe nieder und rief zum Sarge hinab: «Frank Wedekind! Dein letzter Schüler – Lautensack !» Der Wahnsinn war ausgebrochen. Es war die erschütterndste Szene, die ich erlebt habe. Mir brachen die Tränen hervor, daß ich gestützt werden mußte.Erich Mühsam in: «Namen und Menschen», Leipzig 1949. |