BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Lautensack

1881 - 1919

 

Frank Wedekind's Grablegung.

Ein Requiem

 

1919

 

____________________________________________________

 

 

 

Totenklage meines Meister und Lehrers

 

Lautensack berichtet in diesem tagebuchartigen Text, daß ihn die Unglücksbotschaft in Passau, im Cafe Wittelsbach erreichte. Am nächsten Morgen bricht er sofort nach München auf und kommt zum Waldfriedhof:

Da erwartete mich am Hauptausgang der Halle ein blutjunger Operateur mit seinem rohfilmgefüllten Kurbelapparat. Für wen und wie viel drehen Sie? Für – er nannte eine bekannte Firma, nicht gerade eine Gegnerin meiner eigenen, welch letztere sich auf Aktuelles nie noch eingelassen, und antwortete: «Aber nur fünfzehn Meterchen.»

Aber nun stürzte ich mich auf die Gelegenheit und wie in mein ureigenstes künstlerisches Element. Und wenn ich die möglichst restlose kinematographische Wiedergabe aus meiner eigenen Tasche bezahlen und mir von dem Erholungsreisestipendium einer gütigsten aller Fabriken abziehen muß:

Hier vollzieht sich die heilige Grablegung meines einzigen Meisters und Lehrers Frank Wedekind.

Wie viel Meter hast Du vor deiner Kurbel, Mensch?!

75-80, lautete die Antwort des Goldjungen.

Machst Du noch für eine Firma denn?

Er sei nur selbstständig, der 23jährige Bengel, dessen Auge einen glühenden Feuereifer vermuten ließ und eine berufliche Tüchtigkeit auf meinen allerersten Blick.

In drei Minuten war die Sache erledigt und abgemacht. Hinter meiner einst gebrochenen Schädelbasis arbeitete es, einen Lärm erregend wie zuweilen in meinem Neubabelsberger Dramaturgen-zimmer aus dem unweiten Maschinenraum.

Ich fühlte etwas wie von selber ablaufend. Ich sagte: heute so viel als möglich Ausbeute bei diesem blendenden Wetter.

Ich habs gewagt mit Sinnen: Ich eröffne eine bayerische Filiale und bin nicht nur zu einer Erholung hierher geschickt. Und mein war der köstliche Rest von 60-65 Negativmetern, unberührt von Sünde wie der Tote auf dem Katafalk, über dessen unendlich bekränzten Sarg hin soeben der Dichter Dr. Max Halbe zu dem Dahingeschwundenen sprach. (Ich war zu spät gekommen....)

Ich erkundigte mich eilends beim Wärter nach dem Plan des Waldfriedhofs und wußte von Langheinrich, dem treuesten Freund des Märtyrers, ganz von selber, daß die letzte Ruhe und Rast unter gütigster Zuvorkommenheit der Behörden an einem Platze eingesargt werden sollte, da wo ein dramatischer Riese am sichtbarsten für seine ganze heute schon tolle Gemeinde hingehört. Noch ein paar Silben – preußisch-militärisch, wie ich's da draußen gelernt, in den letzten drei Jahren – schmeichelte ich mich gleichzeitig in meinem altbayerischen und studentisch gefärbten Dialekt ein wenig bei dem Operateur mit seinem ausgezeichneten hochaufgestellten Gaumont mit etwas innerer PatheEinrichtung und den Wächtern ein – und bald fand ich Polizeihilfe und bat das Publikum so münchnerisch-höflich, wie ich mich nur noch erinnerte: In einer Sache wie der Grablegung des größten deutschen Dramatikers, dessen Schüler, wenn auch sein geringster, ich war, sei eine Herstellung eines Films eine ebenso heilige Sache. Ich erwähnte, daß das Arrangement von dem bedeutenden Münchener Architekten Max Langheinrich, übrigens einem langjährigen Freund und Gönner von mir, in Verabredung mit dem hohen edlen Münchener Bühnen-Klub getroffen sei; und da müsse alles gehen wie nur bei der Filmstatisterie. Ein einziger verdorbener Negativmeter bei einer so unaufhaltsam tragischen Vollendung koste bis zu zwanzig, fünfzig, ja hundert Mark, je nach höherer und höchster Bedeutung. Das Hauptverhalten des verehrl. Publikums und meiner Landsleute sei ein für alle Mal klar: schon rein aus Achtung für den von uns – und so bald – und so unschuldig von uns Gegangenen und zur Sicherung der Wahrung seines höchsten Ruhms, den dieser Münchener Dichter so spät erreicht und so früh mit dem Leben begleichen mußte – – dahinsehen, wo eine begründete Neugierde einen blikken macht, nämlich auf den Portaleingang wie ein gelehriger Statist (der in Berlin in diesen Kriegszeiten 20 Mark verdient, die er für reichliche Ausgaben an Lebensmitteln wie an sündteuerer Kleidung auch gebraucht – ein Ei bezahlen wir im Kettenhandel mit 1.50 da droben! –) und nicht etwa in unmenschlicher Eitelkeit und alles verderben hier in den Aufnahmeapparat, da wir sonst, falls Sie von dieser empfänglichen Pupille doch beim Panorama-Drehen gestreift würde, so irrsinnig verkehrt aussehen würden, daß die Exposition restlos verdorben und bei dem unaufhaltsamen Gang einer Grablegung unwiderbringlich und unersetzlich unbrauchbar wäre!

Also im Spalier bleiben. Nicht so immer mehr auf den Apparat zudringen. Ich habe die Polizei um ihre bereitwillig erteilte Hilfe gebeten und werde, falls einer ein Kind etwa allzu sehr aus den Reihen laufen läßt, was alles schon vorgekommen sei, ich mit meinem eigenen Leibe zu retten versuchen würde, was ich nur immer in meiner Verzweiflung vermöchte.

So etwas ist kein Volksfest auf der Theresienwiese! Sondern das soll zu einem entsetzlichen Abbild des Sterben-müssens und dennoch aller Welt zur Erhebung als Beweis eines unsterblichen Genies dienen, wie dieses mein Meister selig war!!

Ich fand fast Rührung. Jedenfalls war alles gehörig eingeschüchtert.

Inzwischen hatte sich in mir automechanisch das ganze ungeschriebene und nur im Geist zu lesende Szenarium entwickelt.

Ich teilte dem glühenden Operateur, der sich gerne einem Regisseur unterwarf, die Einteilung der Meterlängen mit und welche Etappen. Und aufblenden und abblenden bei einer so düsteren Sache im hellsten Spätnachmittagssonnenschein wollte ich ihm behilflich sein.

Plötzlich öffnen sich endlich nach anderthalben Stunden und nachdem die erlesensten Geister ihrem unvergänglichen Freund Zukunft und Ewigkeit zugeschworen hatten zum allzu frühen Abschied von seinem Leben, das so oft ein Verzweifeln gewesen – aber im Tode dürfe er von seinen Werken erhoffen, daß sie immer und immer weiterleben würden –:

Da duckte ich mich wie eine Katze unter dem Apparat vorbei, stets wissend, wie weit ich außer Sehlinie war und es ging alles glücklich und glatt.

Ich ging erst dann ebenso feierlich und erschüttert und weinend im Kondukte mit, begrüßte Schauspieler, Schriftsteller und Direktoren nur mit den nassen Augen und blickte meinerseits bloß wieder in Wasser und Feuchtigkeit der Pupillen....

Erst kam die Witwe Frau Tilly Angebetete wankend und doch eine Germania, die alle Last des letzten Geleits in tiefen schwarzen Schleiern auf ihre jungen Mutterschultern nahm – und dann die intellektuellen Heroen Münchens, Berliner berühmte Größen, denen ich ehrfurchtsvoll und doch so überglücklich begegnete ... und dann ....

Schlug ich mich in die Büsche.