Heinrich Lautensack
1881 - 1919
Die Bücherei Maiandros
2. Buch
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Via crucisDer Text zu einer Kantate
Aber auch sonst – für den täglichen beliebigen Gebrauch jedes einzelnsten Gläubigen! – diese Verse gedacht: als eine neue kräftige Vorbereitung und Ausrüstung zu der Heiligen Wallfahrt, das ist: zu der andächtigen Besuchung des schmerzhaften Kreuzwegs, welchen unser Herr und Heiland Jesus Christus, mit dem Kreuz beladen, vom Richthaus Pilati bis auf den Berg Kalvari gegangen ist, abgeteilet in fünfzehn Stationen oder Betorte, aufgerichtet von den PP. Franciskanern in unterschiedlichen Orten und Konventen.
Der erste Teil
I
Wie ich in die wölb'ge Kirche trete,hab ich – wieder! – leider! – kaum ein Stündchen Zeitzu dem vorgenommenen Gebete:dafür, Herr, daß Du mir eine stetenie aussetzend weite Ewigkeitin dem gold'nen Himmelssaaleunverbrüchlich garantierst– ja sogar den Platz zum geist'gen Mahleschon im Voraus zärtlich reservierst,wo ich des Gesanges vollDich anschauend sitzen soll....
II
Oh! ich bin wie jener schlechte Bräutigam– ruft ihm noch so sehr die süße Braut! –,der sich stets zu kargen Urlaub nahmund nur g'rade im Vorbeigehn kamund – wo sich die Braut ein Lebenlang ihm will zu eigen geben! –siehst! – schon wieder nach dem Uhrenzeiger schaut....
III
Doch – schon spür' ich kochend heiße Schamauf dem Herzen, auf den Wangen malenihre rosa Zirkel mir und Zahlen –!Oh! wie wohl verdien' ich solchen blâmeund wie stehn – gleich stigmata! – mir gutall' die schnöd' Dir vorenthalt'nen Wochennun zu Gram und Schande ausgebrochen– Fieberrosen! – mir aus meinem Blut....
IV
Und mit einmal fühl' ich, Herr: Heut' wird es gehn!Heute werd' den Gang ich Deines Leidensbis Kalvari und am Kreuz Verscheidensdeutlich – wie Mechanoplastik! – sehn!Wie zur Maidult, weißt Du, in dem Zelt:– währenddem Gesang krieg'rischer Buren(echt Import und lebend ausgestellt)über'n halben Exerzierplatz gellt –ich vor automat'schen Wachsfiguren!Oh! wie starb der Siebz'gerkämpfer schwer, da schwerund verröchelte schier ewig Alexander,Serbiens umgebrung'ner König, ungefährvierzehn Offiziersdeg'nstiche über'nander!Richtig teils nach Todesschweiß, teils ledernvon den Koppeln, von den Stiefeln roch's mich an,während draußd' die Orgel neu begannihren Faustwalzer zu pledernund hier drinn' unsichtbar wer die Federn,unsichtbar versteckt unter'n Monturen,frisch aufzog wie Regulatoruhren....Herr, das können Reinhardt's Illusionennicht, noch kann es Oberammergau –ja nicht mal Bayreuth darf man hier schonen,Richard Wagners Sohn und zweite Frau:wie die Brustkästen aufs neu von jenen beidenwerkten (wie ich's sonst nur noch beim Eisgang sah!)– g'nau so weis mir heut' Dein bitt'res Leidenvon Pilato bis gen Golgatha!...
V
Bist du also nun bereit und machenwir uns jetzo – ja? – ja? – sogleich auf?– Halt! – ach! zum wievielsten Mal, zum trillionenfachen,startest insgesamt wohl schon zu diesem Lauf,edelster der Renner, Du?! allzeitals totsicherste der Sachenmeistgetippt von aller Christenheit!– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –Doch was red' ich mir rein sportiv's vor!– Wie die Blumen tun in einem Garten,ohn' erst mit dem Blüh'n mich abzuwarten– wie der Wind zuschlägt das Kirchentor –so wie vierundzwanzigstundenweiseje in einem Bruchteil der Sekundeje auf einem vorgeschritt'nern PunktZoll für Zoll die ganze Erdenrundedie Sonn' auftaucht oder untertunkt(auch wenn ich ihr nicht eigens nachreise!): Du bist edler, Herr, denn alle Pferde!denn lieg' ich hier ob'n selbst just in Schlaf,demonstrierst Du in der unter'n Erdesicher eben Tausend'n, was Dich traf –all' die Wunden – Anspei'n und Verhöhnung –Backenstreiche – Geiß'lung – spött'sche Krönung....
VI
· · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · ·... und da deutet Deiner Blicke Spurher auf mich: In Deines Aug's Emailaufgemalt in kleinster Miniaturgleich Blutäderchen so feinstens nurund jedennoch bis ins rasendste Detaildie fünfzehn Stationen! Wohlgezählte Mandelvon Torturen Dir eintätowiert!von Pilati schmutz'gem Seifenhandelangefangen – bis, hypnotisiertund stigmatisiert, die sozusagenKatharina Emmerich die Erste(vulgo vielmehr Kais'rin Helena)durch den modernd'n Erdbod'n durch das allerschwersteKunststück konnte und den Kreuzesschragen,den die Englischen selbst als verlor'n beklagen,nach so langen Jahr'n phosphoreszieren sah....
*
Übrigens, wie Du bisweilen Frauen– oh! beneidenswert! – bevorzugt hast:Was dürft' Helena, was Katharina schauenauf so Traum-Reisen, die ohne Rast– magisch – statt voll Ängste und Gefahrenstets nur voller neuer Wunder waren!Wie auch von bloß blöd-vernünft'gem Denkenheiltest Du zu unheilbarem Wahnjene and're Nonn' – zu Nur-mehr-daran-Denken:wo man Deine Orlo hingetanhaben mochte – einst bei Deiner Szude,süßer Knabe, allersüßter Jude!
*
Herr, beleih' mich mit annähernd gleicherHysterie wie die drei sel'gen Frau'n:Deines Leibes Elfenbein noch bleicher,rosenfarb'ner noch Dein Blut zu schaun –ja aus Deinem spitzen Dornenhutbis in'n krausten Vollbart spritzend Blut:als tätst durch Jerusalemer HaufenVolks und Gassen wahrlich Maschk'ra laufen!
Der zweite Teil
I
Nun aber – brausend einsetzende Orgel. Auf einen jeden Fall heißt das: ob dies Gedicht nun als Kreuzweg-Kantate in größtem Stil vertont und dito aufgeführt wird – oder ob's jener eingangs erwähnte einzelnste Beter betet, in welch letzterer Situation doch der Organist der betr. Kirche gerade ein Orgelstück zu morgen oder übermorgen Sonntag oder Feiertag etwa ausprobieren kann.
Märtyrer! Märtyrerinnen!Der ganze Heiligenkalendermuß herbei!daß in der Kirche hierherinnenein solches Leuchten der Gewänderund solch entsetzliches Geschrei,ein solches Meer aus Mündern sei,hoch übersteigend alle Ränder –Wozu hat man sonst Kirchen gebaut?Kirchen sollen – wie rosige Muscheln enthaltennach tausend Jahr'n noch des Meeres tosigen Laut –:so sollen Kirchen den nie verhalltenund nie verhallenden Schrei verwalten,der einst durchs Mark des Universums ging,sich an des kleinsten Käfers Panzerringals wie am fernsten Stern verfing:Mein Gott – er stirbt!
II
Das letztere war recht wie ein universaler Schrei aus der vielstimmigen großen Orgel: welches man sehr wohl machen kann. – Und dieses Folgende aber ganz leise nur und wie ganz fassungslos in – was es doch ebenfalls gibt! – in der besonderen Vox humana weiter:
Und starb so gräßlich! – Konnt' sich kein malein weniges nur von dem Sterbebett aufheben,nach Luft zu fassen aus Röchelns Qual:Dazu war Sein Bett viel zu schmalund lag dabei noch nicht 'mal eben –sondern stak senkrecht! war ja ein Pfahl! –– – – –mit rostigen Nägeln drangegebenSein Fleisch –
*
wie Fahnen naß an Stangen kleben,wenn abzieht der Gewitterwind...oder weißt du noch – als Kind?Wie in der Kindheitszeit einmalauf der heißen Ofenplatteder Vater ein Spiel uns aufgestellt hatte:an einer Stricknadel ein papieren' Spiral– unruhvoll – wie eine Apfelschal' –oh jenes ringelnd ewig Höherschweben –!
III
Von fern, immer naher kommend, von Pilati Richthaus her gen Kalvari – den abenteuerlichen Zug hat pittoresk das Orchester auszudrücken. Eine ganze Weile. – Bis dann die Stimmen nacheinander – zu einer Fuge, sich bis zum Paroxysmus steigernd – einfallen:
Fühlt sich nicht selbst ungläubigste Sohl'magnetisch an Deinen Fußstapfen hangen?– Nicht gar so eiskalt ist auch Simon wohl,quasi 's Baumfuhrwerk steuernd, hinter Dir einhergangen!
Ab ich – aber ich – ich will umgekehrtDir bereits vom Kalvari entgegenkommen:in meinem Herzen Mariä Schwertund Veronikas Kopftuch umgenommen!
Da! – – naht s' jetzt nicht um die Ecke, die kommandiert' Schar?– Den Pallasch im Herzen, mit flatternden Schleiernstürz' ich laut weinend auf Dich dar:das tragischste Wiedersehn zu feiern!
Welch' Aufeinanderprall – wie im dörflichsten Tanz –Der Knechte Geißeln – wie Cellosaitenkarawatschen s' ums Kreuzholz – das ist ganz Resonanzund sinkt um – wie die Tänzerin – unter Armeausbreiten –
IV
Rezitativisch. Indes von mehreren, einander scheinbar widerstreitenden Stimmen ausgeführt:
Oh, Herr, nun weiß ich so Bescheid – kannst mich direkt ausfragen:ob nicht amende blau das Kleid, das der und die getragen,und ob da nicht ein Haus vorstand und wie die MorgenstrahlenDich warfen gegen selb'ge Wand – ich glaub', ich könnt's mit einiger Hand nachmalen! –
Du aber, blutig's Opferlamm, fährst unter Schrein und Stoßender Henker nicht so sehr zusamm' als vom alleinigen bloßenDrandenken, es kam mir in'n Sinn, daß ich doch von dem allennur ich allein die Ursach' bin: vom dreimaligen Fallen
und Nägeln durch den hohen Spann der Füße, durch die Tellerder Hände, denen's Blut entrann, ausholend wie Propellerund mit turbinengleichem Schwung – – Eh' wolltst mit schneidend Zähnen
abbeißen Dir die eig'ne Zung' und an den eig'nen Tränennach innen zu ertrinken, eh' daß ich es sollte merken:daß all' Dein Tod mitsamt dem graus'gen Weh woraus entstammt? – Aus meinen sündigen Werken!Aus meinen stündlichen mehr als sündlichen Werken!
VZwischenspiel
Eine einzelne Stimme sich hier vor Schluß noch hereindrängend: ein einziges selbstzerstörerisches Lachen:
Und eh Du starbst – noch kurz ehvor:da gab's nicht Sekt. –Da hat man Dir auf Ysop-Rohrnur einen sand'gen Schwamm emporzum Mund gereckt.
Voll Essig und voll Gall' der Schwamm(dazu schien's Nacht!)flügelt, ein Vogel, um den Stamm –gambt Dich! – Dir zieht's die Kiefer z'samm'«Es ist vollbracht»
– Wie sollt' ich je vergessen,daß meiner Sünden Niederschlagim Essig und der Galle lag,«zu trinken und zu essen»!(Psalm 69, 22)
VIAbgesang
Zur Erlangung aller Nachlässe
(Nach der Meinung des Heiligen Vaters.) |