BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Lautensack

1881 - 1919

 

Das Gelübde

 

Ausgabe des

Fritz-Gurlitt-Verlags

Berlin 1919

 

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[49]

Dritter Aufzug

 

Wohn=, mit rechts anstoßendem Schlafzimmer im Hotel Batauer Wolf.

 

Mit einiger Mühe sieht man durch das eine Fenster wenigstens rechts hinten über vollbelaubte Kastanienbaumwipfel, charakteristische Hausdächer und stadtwahrzeichenhafte Kirchtürme hinweg ein Stückchen des Kapuzinerklosters auf dem Mariahilfsberge.

 

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Erster Auftritt

Gräfin Helmtrudis. Justizrat Dr. Kreidle. Ein Postbote, Helmtrudis (unterschreibt Empfangsbestätigungen. Sucht hastig wo nach einem Trinkgeld für den Postboten. Gibt).

 

Postbote: I' dank' schö', Frau Gräfin. – Adjeh, (Ab.)

Helmtrudis (sieht die Firmenaufdrucke auf einigen Briefen. Erbricht sie überhaupt nicht, sondern legt sie – angeekelt – seitwärts. – Zwischen Helmtrudis und Justizrat Dr. Kreidle liegt ein Buch: genau von Format und Dicke dasselbe wie das Kirchenrecht am Ende des zweiten Aufzugs. Nur daß es ein ganz neues und ganz anders gebundenes Exemplar ist. – Die Gräfin sitzt hoffnungslos, im Begriffe, alles aufzugeben): Ja, also . . . dann . . . mein lieber Herr Justizrat . . .

Kreidle: Verehrteste gnädigste Frau Gräfin –! – Sie dürfen versichert sein, wie auf das tiefste mich der Fall berührt – menschlich. Allein – juristisch gibt's da beim besten Willen nichts zu machen.

Helmtrudis (ringt im Geiste die Hände): Nichts.

Kreidle: Beim besten Willen nichts. – Ich kann wohl sagen, daß ich mich seit meiner Examenszeit nicht mehr mit dem Kirchenrecht befaßt habe. Aber . . . das ist mir vielleicht jetzt erst vollständig klar geworden, wie bei aller Resignation des kanonischen Rechts in bezug auf die notgedrungene Anpassung an das Staatsrecht da doch noch ein Rest geblieben ist – ein Restchen – ein ganz unscheinbares – in Form eines wie nebensächlichen Zusatzes – ein . . . ein . . . ein . . . ein einziges kleines Staubkorn, ein verschwindendes, sozusagen in der großen Wüstenei des katholischen Kirchenrechts . . . denn das ist zum großen Teil heute Wüste – Trümmerstätte – unfruchtbar gewordene . . . und mit einem Male erweist sich dieses Staubkorn von einer Gewalt wie ein Wall, ein hindernder, wie eine unüberwindliche Wehr – – ja, es ist schlechterdings wie ein gött=[50]liches Wunder – – ganz danach angetan, einen schlimmsten Heiden plötzlich zum alleinseligmachenden Glauben zu bekehren. – Ich werde versuchen, mich etwas nüchterner auszudrücken. – Ihr gräflicher Herr Gemahl ist in der irrtümlichen – Gott sei Dank irrtümlichen! – Meinung, daß Sie, gnädigste Frau Gräfin, tödlich verunglückt seien, Ordenspriester geworden. Das heißt: er hat die drei Gelübde – das heilige Versprechen der steten Keuschheit, der freiwilligen Armut und des vollkommenen Gehorsams – abgelegt, die für einen jeden ewig bindend sind, sofern keine wissentlichen oder auch unbewußten Hindernisse vorliegen. Da stellt es sich mit einem Male heraus, daß gnädigste Frau Gräfin noch am Leben sind . . . und da nun gibt selbst das kanonische Recht zu, daß das abgelegte Gelübde dadurch illusorisch wird und der Ehemann, der ja der Herr Graf in diesem Falle immer noch ist, nach dem geltenden Staatsrecht seine Ehe mit seiner Ehefrau wiederherstellen muß. – Das ist – vielleicht! – ich weiß mich im Augenblick nicht so sehr darüber orientiert das ist vielleicht eine nur notgedrungene Konzession des katholischen Kirchenrechts gegenüber dem Staatsrecht, Vielleicht aber auch nicht . . . Ich bin wahrhaftig nicht so sehr darin beschlagen . . . Jedenfalls indes – ob die katholische Kirche nun einen eidlich erklärten Priester= und Ordensmann freiwillig aus den Klostermauern ziehen läßt oder nicht freiwillig! – sieht da das katholische Kirchenrecht eine kleine Klausel vor – eine verschwindend kleine – scheinbar verschwindend – und doch von größter Tragweite – einen Rufhallend – direkt dem menschlichen Gewissen in die Ohren knallend –: «Gut. Du hast nicht wissen können, daß deine Frau noch lebt. Nun ist sie wieder erschienen. Setze also pflichtschuldigst deine frühere Ehe mit ihr fort. Aber einmal – und wenn auch draußen vor der Welt ungültig – hast du doch unter anderem das heilige Versprechen der steten Keuschheit abgegeben. Wir müssen dich nach dem obwaltenden Staatsgesetz von diesem deinem Keuschheitsgelübde entbinden. Aber wir appellieren nichtsdesto weniger an dein Gewissen, Und – ja, sag' einmal – hast du nicht unter anderm auch uns einstmals vollkommenen Gehorsam geschworen?! Also: Dein Gewissen ist nicht frei. Ist es wenigstens nicht mehr. Nicht mehr so ganz. Deshalb auferlegen wir dir: Setze du [51] ruhig deine frühere Ehe mit deiner Frau fort. Aber unter dieser einen Bedingung: Du darfst deine ehelichen Pflichten deinem Weibe gegenüber wohl erfüllen, jedoch nicht fordern. Mit anderen Worten: Du hast insofern allem staatlichen Recht zum Trotz deiner gelobten Keuschheit auch fernerhin treu zu bleiben – insofern als du dich niemals unterstehen darfst, deinem eigenen fleischlichen Trieb nachzugeben. Sondern du hast unter allen Umständen dich solange eines jeden solchen sinnlichen Genusses zu enthalten – solange es deine Frau nicht von dir verlangt. Nicht ausgesprochen von dir verlangt.» – Das ist – wär' ich persönlich ein weniger frommer Christ und nicht gleichzeitig Gemeindebevollmächtigter, aufgestellt von der Zentrumspartei –, so würde ich beinah' sagen, daß dieser katholischen Bestimmung etwas Jesuitisches inhäriert, was man so gemeinhin Jesuitisches nennt und unter dieser Bezeichnung verächtlich machen will. – Aber andererseits ist diese Bestimmung, wie schon gesagt, einfach wundervoll ausgesonnen vom katholischen Kirchenrecht.

Helmtrudis (wie Marmor, und auch so bleich): Finden Sie –?

Kreidle (unbeirrt): Na, und ob ich das finde, verehrteste gnädigste Frau Gräfin! – (Triumphiert, mit dem Buch in der Hand): Nehmen Sie nur selbst einmal an, gnädigste Frau Gräfin: einen MannMönchPriester, – Der hat nun unter anderm das Gelübde . . . das heilige Versprechen der steten Keuschheit abgelegt. Das ist . . . das ist ein Ehrenwort!

Helmtrudis: Ja aber – – (plötzlich hervorstürzende Tränen. Ein Aufschluchzen, ein Herausschreien – nur sekundenlang, wie die tapferste Frau auf der mittelalterlichsten Folter plötzlich doch einmal, wenn auch, wie gesagt, nur sekundenlang, aufschluchzt und herausschreit): – er war doch Ehemann – und blieb's – und blieb's – – (Vorbei.)

Kreidle (um so hartnäckiger, eiserner): Er gab sein Ehrenwort. – Was das noch überdem gerade in bezug auf Ihren gräflichen Herrn Gemahl heißen will – der, adelig, sogar Offizier war –

Helmtrudis (für sich): Ich – – kann – – nicht mehr – – Er gab doch auch mir – vor'm Traualtar – das Ehrenwort –.

Kreidle: Ich wollte sagen: welch' eine unendlich weise Vorsorge das von seiten des katholischen Kirchenrechts gegenüber dem gültigen [52] Staatsrecht ist. – – Das Kirchenrecht erlaubt dem ehemaligen Priestermönch die von der Ehefrau geforderte Erfüllung der ehelichen Pflicht! Sie gestattet ihm die Ausübung, sobald sie auf ausdrückliches Verlangen des weiblichen Teils geschieht! (Eindringlich): Ja, nehmen Sie nur einmal an, verehrteste gnädigste Frau Gräfin, das Kirchenrecht würde dem freigegebenen Priester oder Mönch das strikte striktissime verbieten –! Was wäre denn dann –? Ha! Dann könnte doch die Frau, die – unbefriedigte – , sofort hingehen und vor dem weltlichen Richter Scheidung der Ehe verlangen, indem der Ehemann die geforderte Erfüllung der ehelichen Pflichten versagt –! Ein Scheidungsgrund, wie er schöner und effektiver überhaupt garnicht gedacht werden kann! – Dann freilich – haja! – wär' das Kirchenrecht im Unrecht – und hätte buchstäblich verloren –

Helmtrudis (mit schier übermenschlicher – überweiblicher Anstrengung): Ich danke Ihnen jedenfalls – Herr Justizrat – für Ihre so gründliche Auslegung und Belehrung –

Kreidle (abwehrend): Gnädigste Frau Gräfin haben mich eigens nur zu diesem Zweck rufen lassen, – (Da wird ein Mensch aus ihm). Ich bin mir wohl bewußt – und es preßt mich im vorhinein schon fast zu Boden nieder – – ich bin mir wohl bewußt, welchen Hochverrat ich an meiner eigenen Religion begehe, wenn ich sage, was ich jetzt sage, verehrteste gnädigste Frau Gräfin –

Helmtrudis (bang): Nun?

Kreidle: Es gibt einen Ausweg. – Wieviele katholische Priester sind in einem halbwegs ähnlich schweren Fall schon zur protestantischen Religion übergetreten!

Helmtrudis (es treibt sie hoch).

Kreidle: Ich selbst kenne Ihren gräflichen Herrn Gemahl als Prediger: – Bestimmen Sie ihn irgendwie, daß er aus der katholischen Kirche austritt, daß er überläuft, wie schon so mancher, und all der große gegenwärtige Konflikt ist dahin –

(Pause.)

Helmtrudis (allmählich das Letzte, Geheimste ausplaudernd): Er sucht nach einer Stellung, wie er mir immer sagt –

Kreidle (achselzuckende Bewegung).

Helmtrudis (weiter): Ich hab' ihm Spione nachgeschickt – hier [53] vom Hotel aus – – Ich weiß sicher, er war in den ganzen vier Wochen, die wir nun schon hier in dem Gasthof wohnen, niemals wieder oben im Kloster. – Aber – trotzdem – er ist nicht von hier fortzubewegen, – Ich weiß auch, er hat niemals in diesen ganzen langen, bangen vier Wochen . . . niemals einen von den Kuttenträgern von da oben hier unten in der Stadt irgendwie heimlich getroffen. – Aber vielleicht ist ihm das bloße Hinauf=schauen=können . . . drüben=drunten vom Inn aus . . . schon genug und mehr als genug nach da droben, – Man kann das verhaßte Kloster ja selbst auch von hier – von einem unserer Fenster aus – ganz gut sehen – da droben –

Kreidle (tritt – als langjähriger Einwohner und Bürger dieser Stadt – zuerst ans falsche . . . und dann erst ans richtige von den beiden Fenstern im Hintergrund und schaut hinauf. Langsam): Ich hab' selber einmal – in einer entsetzlich schweren Stunde – die vielen vielen Stufen dieser hohen Wallfahrts= und Büßertreppe da knieend hinaufgebetet, in einer entsetzlich schweren Stunde –

Helmtrudis (interessiert): Na, und –?

Kreidle (leise): Es hat nix g'holf'n . . .

(Eine Hotelglocke läutet, während ein Wagen tief drunten – wie unterirdisch – anfährt.)

Kreidle: Das ist das Zeichen, daß der Münchener Zug gekommen ist . . . (Er sieht auf seine Taschenuhr): Ganz richtig . . . Und gnädigste Frau Gräfin erwarten doch wen mit eben diesem Zug . . .

Helmtrudis: Meinen Bruder . . . ja . . .

Kreidle (sich empfehlend): Na also . . . Juristisch ist Ihr gräflicher Herr Gemahl nicht zu packen . . . Es tut mir überaus leid, daß ich das Vertrauen, das verehrteste gnädigste Frau Gräfin in mich gesetzt haben, so wenig hab' rechtfertigen können . . . Ich darf mich also wohl empfehlen . . .

Helmtrudis: Ich danke Ihnen, Herr Justizrat . . . (Sie reicht ihm die Hand): Und Ihre Liquidation . . .?

Kreidle: Schicke ich mit Ihrer gnädigen Erlaubnis noch heute im Lauf des Vormittags . . . Empfehl' mich bestens . . . (Verbeugung.)

Helmtrudis: Adieu, Herr Justizrat . . .

Kreidle (ab). [54]

 

 

Zweiter Auftritt

Helmtrudis. Bald darauf: Zimmerkellner mit Oberleutnant Freiherrn Karl von Ruchti.

 

Helmtrudis (steht da. Sieht das Buch liegen. Nimmt's. Trägt's langsam ins Schlafzimmer. Kommt wieder heraus; gewahrt die Briefe; öffnet welche, liest kaum und legt sie auch schon wieder hin): Ah –! (Sodann, wie sie etwa das Geräusch eines Lifts und hernach vom Teppich gedämpfte Schritte – aus welchen Sporen herausklirren und ein Säbel singt – auf dem Korridor hört, überkommt sie fast noch einmal ein solcher Anfall des plötzlichen Hervorschluchzens und =schreiens, den sie aber diesmal überwindet.)

Zimmerkellner (läßt, nachdem er geklopft hat und ihm von Helmtrudis ein) «Herein!» (geworden ist, den Oberleutnant Freiherrn Karl von Ruchti eintreten).

Oberleutnant Freiherr Karl von Ruchti (nachdem sich Zimmerkellner sofort wieder zurückgezogen hat): Grüß di' Gott, Trudel . . .

Helmtrudis: Grüß Gott, Karl . . . (Und als ob er ihr soeben kondoliert hätte): Ich dank dir auch recht schön . . .

von Ruchti: Na also, nur net gar so traurig, Trudel . . . – (Er greift erregt nach seiner Brusttasche und holt hervor wie ein Geschenk): Ein paar Briefe – schau'! – hab' ich dir mit'bracht –

Helmtrudis (auf die eingangs dieses Aufzugs erhaltenen Briefsachen zu): Und wieviel Briefe – schau'! – habt's ihr mir heut' wieder nachschicken lassen –! Briefe – Briefe – und nochmals Briefe –

von Ruchti: Ich hab' auch noch eine Visiten= und zwei Geschäftskarten da –

Helmtrudis (empört sich immer mehr): Briefe – Briefe – und nochmals Briefe und Visiten= und – und Geschäftskarten –

von Ruchti: Sie laufen uns ja das Haus ein in München –!

Helmtrudis: Briefe – Briefe – und nochmals Briefe! – Unverschämte Angebote von Direktoren: ich soll auf ihren Varietes auftreten. – Womöglich noch ehrenrührigere von Buch= wie Zeitungs=Verlegern: ich möcht' meine Memoiren schreiben, – Und dann: einen jeden Tag wieder eine Offerte von wieder einer andern großen Filmfabrik: ich möcht' meine Erlebnisse verfilmen lassen und gleich selber die Hauptrolle spielen, – Ja, diese Herren machen mir in dänischer, französischer, italienischer, amerikanischer wie in schlechter deutscher Sprache den Vorschlag: der Film sollte – mit mir in [55] der Hauptrolle – an Ort und Stelle aufgenommen werden . . . drunten in Arabien . . . und versichern mir einer um den andern, daß die Schiffskatastrophe im Golf von Aden in größtem Maßstab in möglichster Naturtreue aufgezeigt würde – –

von Ruchti (peinlich berührt): Na also, Trudel – (Er hat sich schon ein paarmal scheu umgesehen. Jetzt endlich – leise – ): Ja, is' er denn gar net da? Was?

Helmtrudis (hat sich gefaßt. Und nun tröstet sie ihrerseits): Er muß den Augenblick kommen . . . Ich hab' übrigens 'dacht, er wär' auf'n Zug auf'n Bahnhof 'naus . . .

von Ruchti (treuherzig): I' hab'n aber net g'seh'n . . . (Ohne viel Besinnen den Abwesenden sogar verteidigend): Er wird halt auch net grad sehr erbaut sein, daß i' da plötzlich komm' . . . Denn so viel Militärisches wird ihm trotz seiner klösterlichen Weltflucht im Gedächtnis z'rück'blieb'n sein, daß man einen einfachen Oberleutnant vom Münchener Leibregiment net ausgerechent zum Obersten vom sechzehnten Infant'rieregiment nach Batau herunterschickt . . . Ja also, das is' grad kein so gar g'scheiter Gedanke von dir g'wes'n, Trudel . . . und da is's ihm natürlich sehr peinlich.

Helmtrudis (forschend): So . . . so . . . genau so wie dir?

von Ruchti (mehr und mehr knabenhaft ungeduldig): Herrgottseit'n . . . ja –! . . . na also: jaa –! Wann er nur scho' dawär' –!

Helmtrudis (geht auf den Knopf der elektrischen Klingel zu): Willst nix essen oder . . . trinken?

von Ruchti (kraut sich fast am Kopf): Trinken . . .? – (Zu seiner Schwester): s' batauer Bier soll net grad schlecht sein . . .? – Na also: haltst' mit, so an klein'n Frühschopp'n . . .? – Nur bis daß er endli' kommt . . .?!

Helmtrudis (drückt auf den Knopf).

von Ruchti (nimmt Platz): Wo is' er denn überhaupt's?

Helmtrudis (klagend): Oh mein Gott . . .! – Entweder in einer der vielen . . . vielen Kirchen, oder vielleicht grad wieder draußen in der bischöflichen Brauerei –!

von Ruchti (durstig): In der Brauerei –?

Helmtrudis: In der bischöflichen . . .! In Hackelberg . . .! – Da hab'n s' ihm ja eine Stellung angeboten . . . einen Posten als [56] Brauereiverwalter . . . (Mehr und mehr ausbrechend): Er will ja nix annehmen von mir . . . von uns . . . von den Eltern . . .! – Er hat ja dieser seiner gelobten freiwillig'n Armut no' net abg'schwor'n . . .!!

von Ruchti (bloß verwundert): Das ist ein Mensch . . .! – Ein Mensch ist das . . .!

Helmtrudis: Und aber ich bleib' net hier . . .! – Das sag' ich dir! – Das darfst du mir glaub'n! – Ich bin net dazu zu beweg'n, daß ich hierbleib'! – Er muß aus dieser . . . aus dieser Weihrauch=Atmosphäre da . . . 'raus . . .!!

(Es klopft.)

Helmtrudis (schier klagend): Herein!

Zimmerkellner (erscheint): Frau Gräfin wünschen . . .?

Helmtrudis: Sie hab'n doch auch Flaschenbier?

Zimmerkellner: Innstadt, jawohl, Tafelbier, Helles.

Helmtrudis: Eine Flasche oder . . . oder zwei.

von Ruchti: Drei!

Helmtrudis: Also . . . drei.

Zimmerkellner: Sehr wohl! (Ab.)

von Ruchti: Nämlich . . . für ihn auch gleich eine . . . wenn er kommt . . . Der Papa hat net selber 'runterfahr'n woll'n. Und die Mama hab'n mer aus Leibeskräften zurückhalten müss'n. Du wirst übrig'ns wohl noch wiss'n, daß ich von uns allen mit'nander am allerwenigsten gegen diese deine Heirat mit'm Horst etwas einzuwenden g'habt hab'. Ja, ich hab' dich damals sogar noch unterstützt bei der Mama!

Helmtrudis: Du bist wirklich ehrlich, Karl, – (Sie lächelt): Du meinst, wenn ich nix ausrichten kann gegen ihn, dann du noch viel weniger?

von Ruchti (verlegen): Ja – Kreuzseit'n – (Er kraut sich nun wirklich am Kopf): Wo bleibt denn's Bier so lang?

Helmtrudis: . . . Ich hab' mir halt 'denkt: wenn er bloß einen von euch wiedersieht – –! – Da muß er doch wie endlich aufg'weckt wer'n aus dieser – dieser – – denn es ist doch wirklich schon mehr etwas wie Mondsüchtig=sein von ihm – – (Alles das unterdrückt. Und es arbeitet doch mit aller Macht sich heraus aus ihr.)

(Es klopft wieder.) [57]

von Ruchti: Herein!

Zimmerkellner (bringt auf einem Tablett das Verlangte. Setzt's auf einem Tisch ab. Öffnet die eine Flasche und gießt ein, und zwar in zwei Gläser): Bitte sehr . . . (Geht. Ab.)

von Ruchti (prostend): Auf dein Wohl, Trudel.

Helmtrudis (spricht ihm wie nur mechanisch nach): Auf mein Wohl – (Aber trinkt nicht.)

von Ruchti (hingegen nimmt erst einen herzhaften Schluck und setzt dann hart ab): Ja, also – was ist denn nach'er eigentlich? – I' – i' – i' – i' muß doch sozusag'n Direktiven von dir hab'n, Trudel! – I' – i' – i' bin do' net ausschließlich nur zu mein'm Freund 'runterg'fahr'n . . . zum Oberleutnant Kinateder . . . ah, du kennst'n schon . . ., der übrig'ns mit dieser seiner Engländerin eine noch viel reichere Heirat g'macht hat als wie Horst mit dir, – Und das muß ich euch übrig'ns gleich sag'n: zu Mittag (er betont auf süddeutsch die letztere Silbe): bin i fei' net mit euch zusammen. Sondern da bin ich beim Kamerad'n Kinateder und seiner Engländerin eing'lad'n. Die hab'n sich das einfach . . . net nehmen lassen woll'n . . . Also was is'n eigentlich, Trudel –? – (Sehr feinfühlig): Is' was, das du auch mir anvertrauen kannst –?

Helmtrudis: Man sollt' wohl annehmen (Innerer Krampf): Denn wenn ich 's einem mir ganz fremden . . . stockfremden Justizrat anvertraut hab' – –!

von Ruchti (atmet schwer. Trinkt): Dann, meinst du, könnt'st du's auch eigentlich mir . . . deinem leiblich'n Bruder anvertrau'n? Is's vielleicht so ein ganz juristischer Fall, der wo sich auf die allerintimsten ehelichen Angelegenheiten bezieht –? (Hilflos): Ja also – Trudel (Fast ausrufend): Trudel – –!! (Greift sozusagen nach einem Strohhalm): Gottseidank, sag' i nur, daß unsere Mama net gekommen ist – – (Er gießt sich, vermutlich Schweißtropfen auf seiner weiß und roten Offiziersstirn, auf ein Neues ein. Trinkt und setzt womöglich noch härter ab als vorhin.)

Helmtrudis (hat sich fast ein wenig abgewandt).

von Ruchti: Wird's – wird's – wird's – wird's da vielleicht so irgendetwas als wie mit – mit – mit einer Scheidung –?! Daß nämlich . . . nämlich du die alleinige Schuldtragende sein sollst –?! [58] (Plötzlich Mann, bayerischer): Trudel – paß auf, sag' i dir – – Mit einer Scheidung wird's nix – – dazu bin i' da – – Trudel? Trudel?? Das sag' i' dir – – (Immer drohender): Es hat eine ganz Gewisse gelitten da drunten in Arabien –!! Die hat was leiden müssen – die hat was aushalten müssen –!! Da – da – da gibt's fei' nix –!! Eine von Ruchti is' eine von Ruchti – und die bleibt's –!!

Helmtrudis (beschwörend): Karl –!

von Ruchti: Jetz' brauchst' mir überhaupt's nix mehr z'sag'n, Trudel –! – Jetz' weiß i' schon –! – Jetz' weiß i' überhaupt's alles –!! ( Wieder einfach verwundert): Aber das hätt' ich mir von dem Menschen überhaupt's net 'denkt –!

Helmtrudis (noch beschwörender): Karl –!

von Ruchti (nach nochmaligem Trinken. Die dreiviertel Liter haltende Flasche ist leer. – Fertig): Jetz' is' in mir alles gradgrad gerichtet – bis aufs minimalste Visier.

(Es klopft hinwiederum.)

 

 

Dritter Auftritt

Die Vorigen. Graf Horst von Hilgartsberg (d. i. der frühere P. Felix).

 

Beide (Helmtrudis und von Ruchti zugleich): Herein –?

(Graf Horst von Hilgartsberg – d. i. der frühere P. Felix – tritt ein.)

(Kleine Pause der Verwunderung, daß er geklopft hat!)

Horst (ist übrigens auch für den Beschauer sehr verändert. Denn er ist nun bartlos und trägt einen immerhin neumodischen Anzug und dazu Plätthemd und Stehkragen und Schlips und einen weichen Lodenhut).

von Ruchti (der immer herzlicher wird): Ja – aber – – grüß di' Gott – Horst.

Horst (ebenfalls Herzenston): Grüß dich Gott, Karl.

von Ruchti (wieder mehr und mehr verwundert): Ja – aber – – jetz' sag' mir bloß einmal: seit wann denn klopfst du denn eigentlich an –? (Schier gemacht lustig): Bei seiner eigenen Frau klopft der an der Tür.

Horst (mit so tiefer Stimme wie ein Mönch): Ich hab' drunten sofort erfahr'n, daß du schon da bist, Karl . . . Und da hab' ich mir gedacht, ihr habt's was miteinander zu besprechen . . . (Er kommt nun [59] erst dazu, seiner Frau die Hand zu küssen. – Nett): Weißt du, wen ich soeben getroffen hab'? Den alten Herrn Pfaffinger, den pensionierten Bezirksgeometer von Wolfach, . . . ich hab' dir doch von ihm erzählt . . . Er ist nun wirklich Kapuziner 'worden und geht täglich vom hohen Mariahilfsberg herunter in der Stadt hier ins Gymnasium und ins Lyzeum . . .

von Ruchti (einladend): Magst' a' Bier, Horst? – Wir hab'n scho' für dich mithol'n lass'n.

Helmtrudis: Ich zieh' mich jetz' an – für d'Table d'hote. – (Sie geht nach dem Schlafzimmer. Ab. Sie schließt die Tür von innen. Man hört einen Riegel vorschieben.)

 

 

Vierter Auftritt

von Ruchti. Horst. Ohne Helmtrudis.

 

von Ruchti: Na also – trink' – (nachdem er eingegossen hat).

Horst (ergreift das Glas).

(Sie stoßen stumm miteinander an.)

von Ruchti (nachdem er getrunken hat): Schmeckt eigentlich gar net so nach Provinz, das Bierl.

Horst: Is' besser wie euer Münchener, Kerniger. G'sünder. Is' mehr drin.

von Ruchti (ihn ansehend): Schaust übrigens gut aus, Horst. Bist ja schier dicker 'wor'n – im Kloster. – Menschenskind –! – Schwager und Kamerad –! – Wie lang is's eigentli' her, daß wir uns nimmer g'seh'n hab'n?

Horst: So . . . neun Jahr, Karl.

von Ruchti: Hast'n Kinateder nie 'troff'n hier in Batau, der die steinreiche Engländerin g'heirat't hat –?

Horst: Nein.

(Kleine Pause.)

von Ruchti: . . . Ja also, der Papa hat selber net kommen woll'n . . . Der will sich überhaupt's in gar nix zwischen euch dreinmischen . . . Der will weder was von dir hör'n, noch will er was von seinem ehemaligen Lieblingskind wiss'n, von der Trudel . . . Er schaut's überhaupt's gar nimmer an . . . Er schaut für gewöhnli' grad an ihr vorbei . . . Wie wenn's ein großes Familienunglück wär' . . . Ja also, weißt du, was ich glaub', Horst – aber unter uns g'sagt, Horst – [60] der möcht' sein eigenes Mädel wohl lieber tot sehn als – als so. – Aber daran, Horst, daß unser Papa so ist, bist auch du schuld!

Horst: Ich –?

von Ruchti: Wir wiss'n's. Wir wiss'n's sogar ganz genau. – Nämlich – der Papa liest verschwiegens – in aller Heimlichkeit, wenn wir's net merken sollen – da liest er nämlich doch all' die verzweifelten Briefe, die die Trudel über dich nach München an die Mama schreibt. – Mit einem einzigen Wort: Papa ist fast deiner Meinung in diesem Fall. Er hat beinah' die gleichen Anschauungen wie du. Aber das Schlimme ist, daß du ihn darin noch bestärkst! Er wär' vielleicht längst – und voller Reue – davon abgekommen, wie er sich, wahrscheinlich nur ungern und gezwungen, zu seinem leiblichen Kind verhält. Aber dann kommt wieder so ein Brief von der Trudel über dich – und da gibt er dir, scheint's, immer wieder recht. Er hat geradezu einen gewissen Halt an dir! – Verstehst mich, Horst?

Horst: Ich glaub', ich versteh'

von Ruchti: Aber ich mein', Horst, ich als Bruder, daß in diesem Fall doch nix aus unserm sonstig'n Ehrenkodex gilt!

Horst: Du als . . . Bruder

von Ruchti: . . . Das weiß die Trudel vielleicht gar nicht, daß es nicht ausgeschlossen ist, daß du nach allem Vorhergegangenen vielleicht nicht wieder Offizier werden könntest –

Horst: Aber ich will's ja auch gar nicht –

von Ruchti: Aber das rechnet ja auch gar nicht! – Denn du bist ja – glücklicherweise – schon längst nicht mehr Offizier! – Ich meine, wir dürfen billig von dir erwarten, daß du dich heute nicht plötzlich wieder einzig und allein auf den Offiziersehren=Standpunkt versteifst! – Denn den hast du doch aufgegeben, indem du seinerzeit ins Kloster gegangen bist. – Ich meine – Horst! – Schwager! – geh', so mach' mir's doch net so schwer! – ich meine, daß wir in diesem Falle an dich appellieren dürfen als an einen ehemaligen Mönch – – Als solcher läßt du doch wohl christlichere Milde walten als irgendein Offiziersehrenrat. – Der Papa, der ist in diesem Fall freilich, scheint's, ganz und gar verknöcherter Offizier. Alle wir Brüder aber denken anders! [61] Und du darfst ebenfalls nicht so denken wie der Papa. Und aber auf schon gar keinen Fall darfst du den Papa, wie gesagt, darin auch noch bestärken! Das ist deine Schwagerpflicht gegen uns, denn wir sind und bleiben die Brüder von der Trudel, von einem denn doch etwas moderneren Gesichtspunkt aus als wie unser alter Papa –

Horst (schweigt).

(Kleine Pause.)

von Ruchti (ihm wieder zuprostend): Und nun bitt' ich dich, Horst – sag', was ist denn eigentlich zwischen euch! – Ich möchte, daß du mir's frei sagst! – Die Trudel hat vorhin net so recht damit 'rausrücken wollen, – Ich selber weiß ja wohl mehr, als ich der Trudel vorhin eingestanden hab', – Aber alles weiß ich nicht! – Ich kann mir denken, daß es eine nur allzu delikate Sache ist. – Ja, denk' doch nur selber einmal an, wie das arme Mädel zurückgekommen ist! – Was die hat aushalten müss'n! – Schon wirklich eine reine weibliche Odyssee! – Darüber steht nix nix in keinem Kodex, Schwager! – Das ist rein nur Sache als Mann! – Und du als ihr Mann darfst sie jetzt nicht verstoßen! – Da gibt's keinen Scheidebrief –!! (Er wurde immer erregter. Aber dabei auch immer mehr unbedingt fordernd,)

Horst (sieht ihn an): Du bist ein netter Kerl, Schwager –

von Ruchti (im Tone absoluter Gemütlichkeit, Nur daß dahinter eine ungeheure Klaue steht): Da irrst du dich aber, Horst, – Ich bin gar nicht so nett, wie du vielleicht glaubst –

Horst (leicht): So geh', Karl, sei g'scheit

von Ruchti (ganz spitz, ganz krallenscharf ): Nein, g'scheit mußt du sein –

Horst (stutzt vor dieser riesig aufgestandenen Gefahr): Ichmuß –?!

von Ruchti (ganz einfach nun wieder): Erlaß mir alle Sentimentalitäten, Horst. Erlaß mir so wahre Kinderstubenmärchen, wie die Trudel, unsere Schwester, noch klein war, noch ganz klein. Ich könnt' dir auch gar net so viel davon erzählen, weil ich doch dann bald ins Kadettenkorps 'kommen bin, Ich hab' sie doch bloß richtig allemal in den Ferien g'seh'n! Denn die einzelnen kurzen Sonntagsbesuche kann ma' doch net rechnen. Na, und in den Ferien, da war [62] sie allemal schon wieder ein bisserl g'wachs'n . . . Siehst du, das ist alles, was ich von der Trudel aus unsern Kindertagen weiß. Aber das ist was anderes, was ich in bezug auf die Trudel fühle, auch heute noch, längst im beinah' überfällig'n Oberleutnantsalter! – (Er kämpft mit sich): Wenn ich das Wort Schwester in einer leisesten Geringereinschätzung höre, dann, Horst, kann's sein, daß ich rabiat werd'. – (Lächelt gezwungen): Also – du siehst, Sch wager, daß ich gar net so « nett» bin –

Horst (wieder das Stutzen von zuvor): Willst du mich vielleicht zu etwas zwingen –? – So – so im Namen und Auftrag deiner ganzen vier Brüder –?

von Ruchti (schier weich): Sagen sollst du mir jetzt endlich bald überhaupt's was, Horst – Mitteilung machen – gesteh'n – in Form von Anvertrauen, was du denn gegen meine – gegen unsere Schwester hast – –

Horst (bricht aus): Ich hab' nichts gegen sie, Karl, – Ich hab' alles für sie. – (Zornig): So erinner' dich doch gefälligst selber dran, was du noch vorhin vom Offiziersehrenstandpunkt g'sagt hast –

von Ruchti: Psst – (er sieht besorgt nach der Schlafzimmertür. – Fest): Ich erinner' mich genau . . . Ich hab' g'sagt, was der vielleicht nach starren Gesetzesbuchstaben entscheiden würde, Horst . . . Ich hab' aber auch g'sagt, daß das für uns fünf Brüder wenigst'ns nicht gilt

Horst (kalt): Es gibt da noch eine andere Entscheidung, mit der ich die mögliche Erkenntnis eines Offiziersehrenrats nur in Vergleich setzen will –

von Ruchti; Und die wäre, Schwager –?

Horst: Das Kirchenrecht!

von Ruchti (schier eigensinnig): Das Kirchenrecht? – Das kenn ich aber gar nicht!

Horst: Ich hab's auch kaum gekannt. – Aber es verlohnt, es kennen zu lernen, Karl –

von Ruchti (wieder naiv): Jetz' bin ich aber wirklich neugierig –

Horst (einigermaßen beschwörend): Behalte dir immer vor Augen – bei allem, was ich dir jetzt sage, Karl, behalt' dir immer vor Augen, was ein Offiziersehrenrat da erkennen würde – [63]

von Ruchti (willig): Also gut –

Horst (sieht sich um): Na, wo hab' ich denn gleich das Buch wieder –?

von Ruchti: Das Kirchenrecht –?

Horst: Es muß drinnen im Schlafzimmer sein.

von Ruchti: Na, da g'hört's ja wohl auch hin!

(Sie stehen beide etwas befangen. – Kleine Pause.)

Horst (geht schließlich entschlossen an die Tür. Klopft): Helmtrud –

Helmtrudis Stimme (von drinnen): Ja? (Kleine Pause. – Der Riegel wird zurückgeschoben. Die Tür öffnet sich.)

Horst: Das Kirchenrechtsbuch, Helmtrud, du weißt. Es wird bei dir drinnen sein.

Helmtrudis Stimme: Ja, Gleich. (Wieder kleine Pause. – Dann erscheint ein ganz nackter Frauenarm, und in der Hand ist das Buch.)

Horst: Danke schön, Helmtrud, (Er nimmt's.)

(Die Tür schließt sich wieder. – Wieder Riegel, – Und noch einmal eine kleine Pause.)

Horst (schlägt die betreffende Stelle auf, zeigt mit dem Finger darauf und gibt seinem Schwager das Buch): Da . . .

von Ruchti (liest. Mit lautlos sich bewegenden Lippen. Liest noch einmal. Mit starrem Mund. Bemüht sich zu verstehen. Und versteht gleichwohl nicht): Wenn ich richtig verstand'n hab', willst du die Trudel . . . ins Kloster hab'n . . .? (Die Stirnadern schwellen allgemach.)

Horst: Ja.

von Ruchti: Na, und du . . .? – Wollt ihr eins ums andere da hinein? Willst du vielleicht, daß ihr miteinander abwechs'lt? Erst bist du drin g'wes'n und jetz' soll sie hinein, obschon sie es eigentlich war, die dich wieder 'rausgekriegt hat? – (Ganz heiser): Betrachtest du das als so eine Art geistliches Sanatorium?!

Horst: Du scheinst dich doch etwas verlesen zu hab'n, – Der Fall liegt so – er steht doch ganz klar da! – daß ich – ich, Karl – obwohl verheiratet, trotzdem Mönch und Priester bleiben kann, wenn meine Frau dieselben Gelübde ablegt –!

von Ruchti: Ah so – – also – du willst ebenfalls wieder zurück –? (Das war ziemlich gutmütig. – Nun aber wieder feindlich): Du . . . du opferst dich sozusagen für sie?! – Das heißt: eh' daß sie [64] weiter hier heraußen in der Welt herumlaufen darf und wenigstens freie Luft atmen, lieber kehrst du auch wieder hinter die Mauern zurück –?!

Horst: Ja, sag' einmal – willst du mich nicht verstehen oder begreifst du tatsächlich so schwer? – Ja, glaubst du denn, ich hätt' nur darauf gewartet, bis sich mir die Pforten meines Klosters wieder öffneten? – Du kannst doch unmöglich von mir annehmen, daß ich das Mönchskleid bloß wie zu einer Karnevals=Redoute angezogen hab' –!

von Ruchti (erstaunt, verwundert): Also – du wolltest überhaupt's gar net wieder 'raus?

Horst: Ich wollt' überhaupt's gar net wieder 'raus.

von Ruchti: Aber doch wohl . . . einigermaßen . . . wegen der Trudel . . .?!

Horst (langsam): Ich hab' dich vorhin gebeten, Karl, du möchtest dir während all des Folgenden, das ich dir sagen werde, immer vor Augen halten, wie ein von dir zitierter Offiziersehrenrat wohl über die Helmtrud absitzen würde.

von Ruchti: Ah so! – Hm, – Und so, meinst du (er schlägt auf das Buch), sitzt das Kirchenrecht da über die Trudel ab?

Horst: Das Recht, das ich als Katholik anerkenne! Dem ich mich mit meinem ganzen Gewissen unterwerfe!

von Ruchti (langsam, voll erwägend): Also – aus der staubigen Wüste kaum herauss'n: huit (pfeifender Ton), hinein mit ihr ins reinigende Kloster, – (Den Schwager ansehend): Allerdings – jetzt versteh' ich dich, Horst, – (Mit tief – zutiefst geholtem Atem): Arme Trudel – Aus der Gefangenschaft ins Gefängnis – – Aus dem Regen in die Traufe – Du scheinst mir der richtige Fegefeuerwerker, du –

Horst: Schimpf mich nur aus.

von Ruchti (auffahrend): Ja, bin denn vielleicht ich daran schuld, daß – –

Horst (gut): Werd' doch nicht gleich so kleinlich, Karl, – Ja, geb' denn ich wem die Schuld? – Glaubst du an gar nix Höheres –? Ja, ist denn das nicht ein Weg, gradaus gewiesen von der göttlichen Vorsehung? – Ich bin Priester, Karl. Ich bin Mönch.

von Ruchti: Augenblicklich nicht mehr. Sondern das bist du höchstens gewes'n. [65]

Horst: Ich will's zumindest wieder werden. (Mit echtem Pathos): Gottesstreiter . . .

von Ruchti (erwidert nichts darauf).

(Pause.)

Horst (nimmt das Buch): Jetzt aber magst du selber raten, Karl, – Dieses Gesetz da (aufs Buch klappend) ist kein so starrer, toter Buchstab'n. Sondern das sieht auch Ausnahmebestimmungen vor. – So geh' do' her, I' zeig' dir's, – Der verheiratete Mann kann natürlich nur ins Kloster gehen oder – wie ich in meinem Fall – ins Kloster zurückkehren, wenn erstens einmal die Frau zustimmt und zweitens sowohl für das Fortkommen der Frau als auch für das der Kinder hinreichend gesorgt ist. Die Frau selber aber muß nur ebenfalls ins Kloster gehen, wenn sie noch sehr jung ist.

von Ruchti: Ja, aber – die Trudel ist doch jung!

Horst: Na, so schau doch her. – Die Frau braucht – aber auch für den Fall, daß sie noch so jung ist – doch nicht ins Kloster zu gehen, wenn sie andere Verpflichtungen – als wie Kinderpflege zum Beispiel – da steht doch ganz deutlich « Kinderpflege» – davon zurückhalten.

von Ruchti: Ja, aber – die Trudel und du, ihr habt's doch keine Kinder! – Oder wo solltet ihr denn auch Kinder herhab'n?

Horst: Da steht doch noch eine Ausnahme, für den Fall, daß die Frau erstens noch sehr jung ist, und zweitens nicht einmal Kinder hat: Auch dann kann sie eventuell von den geistlichen Obern die Erlaubnis erlangen, weiter in der Welt leben zu dürfen, unter der Bedingung freilich, daß sie ein immerwährendes – hier! – da! – ein immerwährendes Keuschheitsgelübde ablegt.

von Ruchti (stiert in die Zeilen, die ihm fast vor seinen Augen verschwimmen. – Wieder richtend, wie ein Richter): Also du selber gibst es zu, daß sie nicht ins Kloster braucht. Sondern du verlangst nur – wie billig von dir! – daß sie wegen ihrer bunten und abenteuerlichen Erlebnisse drunten in Innerarabien ein immerwährendes Keuschheitsgelübde ablegt?

Horst: Nicht einmal so sehr für sie – aber für mich doch! für mich! – Denn ich will doch wieder ins Kloster zurück! – Oder [66] was soll ich hier herauß'n anfangen – nach allem Vorhergegangenen. – (Er hat sich bezwungen. Wird hart. Er verhärtet. Wie ein Urteil): Gleichwohl mag die Helmtrud selber entscheiden, was ihr gerechter dünkt: entweder nur das immerwährende Keuschheitsgelübde ablegen und dann weiter hier herauß'n in der Welt leben – oder aber lieber gleich ganz hinein mit ihr ins Kloster.

von Ruchti (still): Du meinst, sie wird freiwillig das schlimmere Los von den beiden wählen und ganz ins Kloster gehen?

Horst (wie oben): Ich hoffe, sie wird sich für das Leichtere entscheiden und in aller Form den Schleier nehmen. Denn das ist doch wohl das Leichtere.

von Ruchti (widerspricht): Das Schwerere.

Horst (unbewegt): Das Leichtere. – (Sonor): Und dabei die innigere Vereinigung mit Gott.

(Lange Stille.)

von Ruchti: Da wär' ich nun also nach Batau herunterg'fahr'n, von meinen Eltern und Brüdern mit allen nur erdenklichen – energischen! scharfen! – Vollmachten ausgestattet, und statt dess'n sitz' ich nun da und laß mich von dir wie ein Schulbub' belehren. – Hast du jemals daran gedacht, daß du protestantisch werden könntest? – Meinet= und unsertwegen sogar protestantischer Pfarrer, wenn dir die Seelsorge und das Predigeramt gar so sehr in Fleisch und Blut übergegangen sind –?

Horst: Ich lieg' doch an solcherlei Gesetzen nicht etwa gekettet wie ein Hund, daß ich nur darauf warte, damit ihr mir die Freiheit gebt! – Der, der dies grundlegende Buch geschrieben hat, Karl – das ist zufällig ein Abgefallener von unserm Glauben. Der ist protestantisch geworden! – Trotzdem ist und bleibt es das Buch übers Kirchenrecht; das beste Nachschlagewerk, das in keinem noch so kleinen katholischen Pfarrhause fehlt.

von Ruchti (wieder schwer von Mitleiden): Was ist denn nach'er – – Weiß die Trudel schon, was du mit ihr vorhast? Hast du's ihr schon g'sagt, daß sie ins Kloster muß?

Horst: Das Buch hat sich vorhin nicht ganz umsonst drinnen bei ihr gefunden, – Ich glaub', sie hat wer weiß wie oft schon d'rin g'les'n, – Übrigens hat sie sich dieses Exemplar durch die Waldbauersche Buchhandlung eigens kommen lass'n. [67]

von Ruchti: Hast du sie auf besondere Stellen hingewies'n?

Horst (schüttelt stumm mit dem Kopf).

von Ruchti (aufgebracht): Sie soll den betreffenden Passus also gar wohl auch noch von selber finden – was? – Ohne jede Hilfe von deiner Seite läßt du sie dabei? Ganz . . . also wirklich ganz von selber soll sie d'rauf kommen? – Du willst sie sozusagen allmählich reif dafür wer'n lass'n?! (Merkwürdig fest): Das kann ich nicht zugeb'n, Horst – auf gar keinen Fall.

Horst (schweigt.)

von Ruchti (sich verzweifelt auflehnend): Das arme Mädel –! – Kennt sich heut' vielleicht in einem arabischen Koran noch eher aus als wie – (Bezwingt sich wieder): Lieber sag' ich ihr's selber, Horst, aber – – aber auf einen jeden Fall muß ich zuerst mit den Eltern und Brüdern sprechen. – Du hast mich ja nun wohl (ihn brennend ansehend) genügend orientiert. – Außerdem: hat's dir so lang . . . hat's dir ganze vier Wochen no' net pressiert mit einer diesbezüglichen Erklärung, so kann's auch noch drei . . . vier . . . oder höchstens fünf Tage lang dauern! (Entschlossen): Das Buch da nehm' ich jedenfalls mit, daß du's weißt! – (Bebend mit allen Fibern): Und dir, Horst, zwing' ich zuerst noch die heilige Versicherung ab, daß du ihr von nix eher sagst . . . von nix, Horst, von all' dem.

Horst: Das Versprechen kann ich dir beim besten Willen nicht geben.

von Ruchti (scharf): Was?

Horst (ringend mit Atem so wie mit Gefühl): Du möchtest jetzt von hier mit der für mich wenig schmeichelhaften Meinung weggehen, daß ich Helmtrud seit unserm Wiedersehn einer Art Kasteiung unterwerfe – was?! Und zwar: ich nur sie –!! Einer sowas wie fleischlichen und seelischen Abtötung –?! – Ja, glaubst du denn, ich leide nicht mit ihr mit?!

von Ruchti (zwingt seine Stimme nieder, so sehr er nur kann): Im übrigen find' ich das hundsgemein von dir, mit einer Frau in zwei solchen Hotelzimmern zusammenzuhausen, wenn man auch nur eine Sekunde lang einen solchen Schritt in bezug auf ihr ganzes ferneres Leben vorhat als wie du!!

Horst (ist nicht im mindesten zusammengezuckt): Ich bitte dich um Ent=[68]schuldigung, wenn ich dich mit der größten und bedeutendsten Vorbedingung für mein ganzes weiteres Zusammenleben mit Helmtrudis noch nicht bekannt gemacht hab. – (Märtyrerhaft: der Ausdruck muß angebracht sein): Aber jetz' muß's sein. Jetz' hilft keine Rüdsicht mehr darauf, daß du ausgerechent der Bruder von Helmtrudis bist. – Ich hab dir bisher etwas verschwiegen, – Nun gut: ich werd' dir ein Merkzeichen einleg'n an dieser Stelle des Buches. (Er geht auf ihn zu. Will ihm das Buch abnehmen, und als der es – streitsüchtig – zu behalten versucht, ringt er's ihm eben mit einiger Müh' ab. – Sodann schlägt er auf und reicht ihm die Stelle hin.)

von Ruchti (liest, so ähnlich wie vorhin schon einmal): – – –

Horst (kommt ihm zu Hilfe): Daß ich einmal das Gelübde ablegte, das wirkt nach. – Wir dürfen sonst zwar leben wie zwei andere Eheleute auch, nur darf der Mann den ehelichen Verkehr (den Finger darauf) wohl leisten – nicht aber fordern! – Und das weiß Helmtrudis! (Diese Sätze kamen immer noch etwas ängstlich=schneller. – Aber nun wieder gefaßt, auf alles gefaßt): Das ist ihr bei meinem Abschied aus dem Kloster gedruckt vorgehalten worden: so wie du's jetzt schwarz auf weiß vor dir siehst. – Aber davon hat sie euch natürlich in keinem Brief mit keiner Silbe etwas verlaut'n lass'n – was –? wie –?? hab' ich recht –?!

von Ruchti: Nein. Davon . . . nichts. (Lange Pause.)

von Ruchti (wie man einen Schlafenden weckt): Horst – jetz' pass' auf – – du mußt endlich fort von hier –! – Ah nein, du, die Trudel, du, die ist nicht so dumm! Die hat genau herausgefunden, daß du von hier weg mußt! Von hier weg! Vom Kloster! Aus der Näh' vom Kloster!

Horst: Das kann ich nicht! – Ich bekomm' mein Leben von hier – (sarkastisch): ja, von hier, von der Nähe! – (Wieder ernst. Gläubig. Voll schier eines kindlichen Vertrauens): Ich war beim Bischof. – Ich krieg' eine Stellung, – Auf einem bischöflichen Besitz, – Draußen in der bischöflich'n Brauerei. – Die geistlich'n Herrn verlass'n mich nicht. – Die lass'n mich nicht im Stich. – Die setz'n mich gar bald in Stand, daß ich meine Frau ernähren kann. – Die haben mir schon Vorschuß 'geb'n, denn von was sonst hätt' ich das Hotel hier bezahlen können. [69]

von Ruchti: Du kannst von uns – von mir – von Trudel Geld hab'n. – Wir brauch'n kein'n Vorschuß von einer bischöflich'n Brauerei –!!

Horst (rätselhaft starr): Ich muß aber doch meine Frau aus meinem Eigenen ernähren können.

von Ruchti (abschneidend): Also du kommst mit, – Ich dulde keine Widerrede mehr. – Auf einen jeden Fall vorläufig wenigstens kommst' mit. – (Scheltend): Das muß denn doch erst untersucht werden, ob diese Stellung da, die du kriegen sollst, auch eine halbwegs standesgemäße für euch ist.

Horst: Ich komm' nicht mit!

von Ruchti: Das sind vielleicht alles ganz und gar verstockte, hinterlistige, feige, meineidige Ausreden von dir.

Horst: Ich komm' nicht mit!

von Ruchti (sieht mit einem plötzlichen Einfall auf die Uhr): Himmiherrgottsakarament, Ich muß ja zum Kinateder. Es ist die höchste Zeit! Ich kann doch unmöglich absag'n. Aber – (Er sieht seinen Schwager wieder einmal brennend an): Aber – vielleicht ist das auch ganz gut so. So bleibt dir Zeit zum überleg'n. – (Besorgt, schier erschrocken): Nein – nicht überleg'n –! Nicht nachdenken, Horst! Versprich mir das –! Du versprichst mir, daß du mit der Trudel jetz' runter ess'n gehst zur Table d'hote . . . Die wird sowieso schon hungrig sein . . . Ich meine, du versprichst mir, Horst, daß du . . . daß du wart'st, bis ich wiederkomm' . . . (betonend): mit allem.

Horst: Ich verspreche dir nichts.

von Ruchti: Du . . . versprichst . . . nichts . . .?!

Horst: Nix.

von Ruchti (fängt an zu keuchen in seiner Ohnmacht, die – gar nicht lächerlich – hier rein durch gesellschaftliche Rücksichtnahme entsteht): Weißt du, was ich jetzt möcht' –

Horst: Nun? (Erhebt seinen Blick zu ihm.)

von Ruchti (schreiend): Schießen möcht' ich jetzt auf dich – – Mich schießen mit dir – – da! – da!! – so! – so!! – (Er erhebt den linken Arm): Mit der linken Hand – Auf links schießen möcht' ich mich mit dir – (Der Riegel fährt zurück.)

Helmtrudis (stürzt – aber angezogen – aus dem Schlafzimmer). [70]

 

 

Fünfter Auftritt

Die Vorigen. Helmtrudis.

 

Helmtrudis: Karl!!

von Ruchti (seiner selbst nicht mehr mächtig): Warum hab' ich's nicht getan –? – Warum hab' ich Rindviech statt so vieler guter Vorsätze nicht einfach einen Revolver mitgenommen – oder zwei

Helmtrudis (ihren Mann – Horst – mit  ihrem Leibe  deckend):  Karl –!!

Horst (schiebt die Frau leis vor sich weg): Na so schieß doch! Du sollst so oft auf mich abdrücken dürf'n wie du nur willst. – Ich aber ding' mir als einzige Gegenwehr dieses Buch da von dir aus.

Helmtrudis: Horst –!!

von Ruchti: Dieses Büchel – von einem Protestanten –??

Helmtrudis: Karl –!!

von Ruchti (wie oben): Dich muß man nur unschädlich machen – dann sind alle Schwierigkeiten mit einem Schlag vorbei.

Horst (schier eigensinnig): Dann bleibt doch immer noch dieses Buch.

von Ruchti (das Letzte versuchend. Er sieht von jetzt ab seinen Schwager überhaupt nicht mehr an): Trudel – bis ich wiederkommt hast du alles gepackt! – Du fährst heut' abend mit mir zurück nach München! – Der . . . Papa will's! – Hörst du, Trudel? – Der Papa –!!

Helmtrudis (wie sich erst langsam erinnernd): Der . . . Papa –? – (Ganz einfach): Der Papa hat kein Recht über mich mehr. Die Mama nicht mehr. Du nimmer. Alle nimmer. Ich pack' nicht ein und ich fahr' nicht mit dir zurück. Ich allein – nicht! – (Ganz klein. Ein Kind): Er . . . muß . . . mit. – (Sie dreht sich langsam um. Wie eine Puppe, die man dreht. Wie ein abnormer Mensch – moto homo – , den man in einer Schaubude auf der Batauer Maidult gezeigt hat. So dreht sie sich langsam nach ihrem Mann um): Oder nein: er muß auch nicht mit . . . Ich will gar nicht . . . Er muß auch nicht mehr . . . Wir zwei bleib'n da . . . Das ist nichts, daß du gekommen bist . . . Geh' du nur zu dein'm Kameraden und seiner Frau . . . Wir zwei – wir bleib'n da . . . (Das letztere ganz im Tone von: «Wir machen's uns gemütlich hier – wenn du erst nimmer da bist» . . .)

von Ruchti (aufbrausend): Trudel –! – Jetz' is's wohl auf einmal mit dir auch nimmer so ganz richtig –?

Helmtrudis (einfach): Geh, Karl . . . Schau, du kommst doch sonst [71] zu spät . . . Und nach'er komm' wieder her . . . Mach' dich bald frei von dein'm Kamerad'n und seiner Frau . . . Nach'er red'n wir noch einmal drüber . . . ruhiger, Karl . . .

von Ruchti (schmerzlich): Trudel –! – Du weißt, wie gern ich dich hab' – – (Er nimmt das Kirchenrechtsbuch, Steckt's ein.)

Helmtrudis: Scho' recht, Karl . . . Geh', Karl . . .

von Ruchti (ungewollt säbelklirrend – ab. Ja, eigentlich ein wenig so wie auf scheuer Flucht – davon. Man hört, als er schon draußen ist, noch seine klimpernden Sporen).

 

 

Sechster Auftritt

Die Vorigen. Ohne von Ruchti.

 

(Lange Pause.)

Helmtrudis (in einem ganz veränderten Ton, der auf eine Veränderung ihrer ganzen Sinnesrichtung schließen läßt. Und doch auch ein ganz klein wenig beabsichtigt, dieser Ton: wie Frauen nun einmal sind. Jedenfalls eine solche Frau wie diese geht da sogleich auf eine andere Art zwar als zuvor auf ein Ziel zu . . . aber das Ziel erweist sich als das nämliche wie zuerst . . . oder es wär' keine Frau): Wir bleiben . . . wir zwei . . . Wir ziehen nur von hier aus . . . aus'm Hotel . . . und wohnen uns privat wo ein . . . Ich kann das nicht mitanseh'n, Horst, daß sie so mit dir umspringen . . . Das ist ja beinah' als wie mit mir . . . – Ja. Sie schätzen dich genau so sehr nur mehr halb ein als wie mich . . .

Horst (vom vorhergehenden Auftritt und namentlich von dessen letztem Ende ebenso sehr gepackt als von der Gewalt ihrer sanften Stimme, die wie eine weiße duftende Frauenhaut auf ihn wirkt): Bin ich nicht immer nett zu dir g'wes'n, Helmtrud? – Hab' ich dir jemals was getan? – Dein Bruder glaubt, ich maltraitier' dich irgendwie –!

Helmtrudis: Nein, nein, – Nein, ich bin's – ich bin's, der noch alles fremd ist, Ich, die sich noch nicht eing'wöhnen hat können –

Horst: Nein, Helmtrud. Mirmir ist alles ebenso fremd. Oder sogar noch viel fremder wie dir. – Du – du bist eine Frau. Und Frauen, die denken einfach: sie seien wieder da. – Du bist ja auch richtig erst wieder zurückgekommen. Du bist wie gewaltsam verschleppt g'wes'n. Und nun ist dir alles neugewonnen. Du wärst sofort wieder völlig eing'lebt, wenn ich nicht wäre, – Aber ich – ich bin net fortg'wes'n, Wenigst'ns net auf [72] die g'waltsame Art wie du. Sondern ich hab' mich freiwillig verbannt g'habt. Ich hab abg'schloss'n g'habt mit allem Weltlichen. – Du hast immer und immer wieder g'hofft, du kämst noch amal zurück, – Ich aber hab' fest und stark vertraut, daß ich nicht wieder zurückkommen brauch' – nie wieder zurückkommen, – Das ist der große Unterschied, Helmtrud –

Helmtrudis: Ich hab' nie ganz g'glaubt, daß du tot wärst, Ich hab's nie ganz für möglich halten können –

Horst: So sind die Frauen. Du warst immer noch hier. Sogar auch tief – tief – zutiefst – da – da – da drunten wo. So sind die Frauen.

Helmtrudis: Ich hab' immer g'glaubt, daß es noch einmal anfangen müßt' – genau da, wo's auf so elementare Weis' zwischen uns aufg'hört hat –

Horst: Ja ja – ganz gewiß – ich versteh' dich vollkommen –

Helmtrudis: . . . Wie wir von Konstantinopel mit'm Nordsüdexpreß heraufg'fahr'n sind . . . da war hier in Batau Zollrevision . . . Zwei Herrn, die mit uns 'raufg'fahr'n sind, zeigten uns das Kloster, in dem du bis dahin immer noch ganz ahnungslos warst . . . Da hab' ich den Steinhaufen da droben (sie deutet zurück durchs Fenster hinaus) mit seinen flimmernden goldenen Kreuzen auf den beiden Türmen und mit seiner steinernen Stiegen bis 'runter an'n Fluß ang'seh'n, als ob er mir bereits in manchem Traum erschienen g'wes'n wär' . . . Ich meine, das Bild kam mir so gar net neu vor . . . so gar net unbekannt . . .

Horst (als ob er eine wissenschaftliche These bewahrheitet fände): Ja ja – sehr richtig. – (Und aber: dieses wissenschaftliche Ergebnis stände in absolutem Widerspruch mit seiner Religion, an die er unerschütterlich glaubt! . . .)

Helmtrudis: Das ist auch eine Art Glauben, Horst, und eine Art Glaubensstärke –

Horst: Bei euch Frauen – ja. Bei uns Männern allerdings könnt's leicht sein, daß es nur ein nachträglich hineinkonstruierter Fatalismus wäre, der sich Gott sei Dank gelohnt hat – das heißt, nachdem das Schlimmste schon vorbei war und sich alles zum Guten wendete –

(Pause,) [73]

Horst (und nun sieht er die Briefe, die daliegen. Und er liest die Briefe. Das heißt: er liest einen sozusagen an, wie man etwas anißt, und legt ihn wieder weg. Einen zweiten ditto. Ein dritter verlohnt sich ihm schon nicht mehr. Es ist ja doch immer dasselbe: von Varietédirektoren, von Buch= wie Zeitungsverlegern, von Filmfabriken. Er hat schon öfter welche – solche gelesen. Er läßt das Ganze wieder sein. – Aber ohne mit einer Bewegung etwas zu verraten.)

Helmtrudis (hat ihm zugesehen. Ebenfalls ganz beruhigt. Und nun so ganz versöhnt und als wär' nie ein Sprung in ihrer Vereinigung als wie Glas vorgekommen. Ohne die geringste Klage oder Anklage wie auch schon vorher in all ihren Sätzen in diesem Auftritt. –Wie eine Geige klingt): Ich muß jetzt oft darüber nachdenken – es bleibt mir ja jetzt auch so viel Zeit dazu – hier in so einem Hotelzimmer – – ich muß jetzt oft darüber nachdenken, wie du damals warst. Nicht etwa wie du als Bräutigam g'wes'n bist. Aber wie sich so die ersten Tage unserer Ehe gestaltet haben. Du kannst mich leicht verweisen, als ob das eine Erinnerungstäuschung von mir ist . . . (Sie sagt das so, als ob er sich seitdem von Grund aus gebessert hätte in einem jeden Betracht): Ich muß so oft jetzt daran denken, wie die wenigen Tage auf unserer so schnell unterbrochenen Hochzeitsreise waren . . .

Horst (horcht auf): – –

Helmtrudis: . . . Schwankende Bretter. Ewig schwankende. Zuerst unter unsern Füßen auf den Schienen, Und dann unter unsern selbigen Füßen auf dem Wasser, Warum bist du übrigens damals sogleich von der Bahn aufs Schiff? Aus dem Schlafwagen heraus – kaum heraus – sogleich auf ein Schiff? Von den rollenden Brettern herunter sogleich auf schaukelnde? Ist eine solche Unruhe in dir g'wes'n, daß du ewig nur dahingleit'n hast woll'n? – Manchmal hab' ich mir auch schon gedacht: er hat sich damit einen Zwang auferlegen woll'n: er hat sich nur immer mit mir erst in ein Eisenbahnabteil und dann gar auf ein Schiff freiwillig eing'sperrt, mit mir zusammeng'sperrt, vielleicht weil er mir beim allerersten Spaziergang im Freien einfach auf und davong'lauf'n wär', – Ich übertreib's in der Erinnerung vielleicht ein bisserl. Wir hab'n ja die Billetts bereits fest g'löst g'habt zu unserer Weltreise. Aber wir hätten außerdem Zeit wie Geld g'habt, – (Und da springt sie auf und hängt sich mit einemmal an seinen Hals): Warum bist du damals so g'wes'n zu mir –? Ich mein', ich hätt' ja überhaupt nie was von [74] dir g'habt –! Hab' ich das aber verdient – namentlich auch in der darauffolgenden Zeit – – in den neun Jahren Sklaverei – und widerwilligstem Haremsleben –?! Ich mein' grad', ich hätt' wirklich nie etwas von dir g'habt –? –? ich möcht' endlich was von dir hab'n – – und ist es nicht deine Pflicht, mir endlich einigermaßen durch deine Liebe Genugtuung zu verschaffen für all die Unbilden, die ich wehrlos erduldet hab' –?! Warum willst du jetzt kein Geld von mir annehmen –? Warum wart'st du auf eine solche – vielleicht niedere Stellung –? Oder bist du vielleicht damals vor neun Jahren schon so seltsam zu mir g'wes'n, nur weil's dich g'reut hat, daß du in mir eine solch Reiche geheiratet hast –?!

Horst (ganz hilflos): Ich bitt' dich, Helmtrud, mach's nicht vom bloßen Geld abhängig – –

Helmtrudis (heiß): Ich bau' uns ein Häusel, Du. Ich bau' uns ein Haus. Ich bau' dir's mein'tsweg'n – Wir bauen uns ein Haus, ganz nach deinen Angaben, Ich bau' dir's mein'tsweg'n hier auf'n Berg hinauf: schräg vis=à=vis vom Kloster, Wir richten dir mein'tsweg'n sogar eine Zelle ein: denn du lebst doch noch! Bist nicht ertrunk'n damals, wie mir eine der fürchterlichsten Stunden meines Lebens hat vorgaukeln woll'n! – Du lebst doch noch! – Aber ich – ich leb' auch noch. – Mein Gott, mein Gott, oh – Horst, geh', so sei doch vernünftig: ich bin g'fangen g'halt'n wor'n und du hast dich selbst eing'sperrt – – ja, hätt' denn das nicht auch gerade umgekehrt der Fall sein können –?! – Daß du g'fangen g'nommen word'n wärst – und ich mich freiwillig eing'sperrt hätt' –? – Wenn ich dich an meine Stelle denke – dich, Horst – dichdichdichdichoh was würd' ich für Mitleid für dich haben –?!

Horst (erschüttert): Weißt du, was ich von dir fordere –

Helmtrudis (allmählich rasend werdend, darum nicht etwa «zweideutig»): Du hast kein Recht zu fordern

Horst (verzweifelt): Heilige Mutter Maria –

Helmtrudis (sie deutet irgendwo hin, wo sie annimmt, daß das Buch noch liege): In dem Buch steht, daß du kein Recht zu fordern hast – –

Horst: Helmtrud –! ich bitt' dich – [75]

Helmtrudis: Da steht auch nichts von Bitten=dürfen mehr drin in dem Buch. – Das ist dir da alles nicht mehr erlaubt – –

Horst: Du verstehst mich nicht –

Helmtrudis (läuft mit einem Male zur Ausgangstür und schließt sie von innen ab. Kehrt zurück und steht da und sieht ihn – irr – an): Ich –? – Ich –? – Ah – ich will dich ja gar nimmer verstehn, – (Steht wieder da und blickt ihn wie irr an. Und aber sagt wie ganz besonnen): Ich bin ja keine Frau mehr, wenn ich mir durch dich – und nur durch dich – die eigenen Kleider vom Leib reiß'n muß. – (Wieder empört bis ins Innerste): Das soll ich um mich verdient haben –?? (Wieder geschäftig): Wart' noch ein bisserl. – (Sie rennt nach dem Schlafzimmer, dessen Türe von ihrem Auftreten und Herausstürzen her immer noch offen stand. Sie rennt durch die offene Tür und läßt sie auch weiterhin geöffnet. Und man hört unter den wiederholten, aber diesmal ungleich mehr noch wie einen Monolog gesprochenen Worten): Und das soll ich um mich verdient haben –?? (hört man, wie sie im Schlafzimmer drinnen erst unvernünftig an den Stores hin und herzieht und – sich dann erst besinnend – darauf die lichtundurchlässigen Rouleaux rollen macht.)

Horst (steht ratlos. Horcht nur).

Helmtrudis (erscheint wieder im Türrahmen): Ich bin ja keine Frau mehr, wenn ich mir durch dich – und nur durch dich – die eigenen Kleider vom Leib reiß'n muß. – (Tonlos hat sie das wiederholt, – – Plötzlich – winselnd): KommHorst – –! (Aber sie hat nicht die Kraft, ihm etwa voranzugehen. Sondern sie bleibt am Türrahmen lehnen, wie eine Statue, die, einen Augenblick zum Leben erwacht, wieder in Starrheit zurückverfällt und – im Fallen=wollen – nur noch einen Halt an eben einem Türpfosten findet. Und sie bleibt so. Und so bleibt sie. Bleibt lehnen. Bleibt.)

Horst (erwartet abgewandten Gesichts, bis sie sich endlich vom Türrahmen – ins Schlafzimmer hinein – entfernen würde).

Helmtrudis (jedoch bleibt so).

Horst (wendet sich schließlich um. Denkt, daß das ein weibliches Manöver sei, und resolviert sich, wenigstens ein paar Schritte auf sie zu zu gehen. Er tut's).

Helmtrudis (bleibt).

Horst (geht noch näher).

Helmtrudis (bleibt).

Horst (geht an ihr – durch den Türrahmen hinein – vorbei. Doch geht er mit einer solchen nachtwandlerischen Sicherheit, daß er sie nicht im geringsten streift).

Helmtrudis (ist – mit längst schon geschlossenen Augen – ganz Horchen). [76]

Horst (unsichtbar – d. h. ganz ins Schlafzimmer hineingegangen – tut drinnen noch ein paar Schritte).

Helmtrudis (im Türrahmen – schlägt die Augen auf).

Horst (drinnen irgendwo – bewegt sich nicht mehr. Mit gar keinem einzigen Laut).

Helmtrudis (schreit entsetzlich auf und stürzt von der Öffnung zum Schlafzimmer weg – weg – weg – nur weg – in der entgegengesetzten Richtung ins Wohnzimmer hinein. Sinkt wo nieder. Mit den Knien auf dem Fußboden. Mit dem Gesicht auf einem Stuhl).

(Lange Pause. – Ohne einen Laut. – Endlich erscheint):

Horst (ähnlich wie vorhin seine Frau im Türrahmen. Aber – – als Tier, Mit blutunterlaufenen Augen. Unartikuliert): Warum bist du nicht gekommen? Nachdem du mich – endlich! – endlich!! – so sehr gerufen hast?! – Ich hätte dichmitteneingefragt, was wohl Kuß auf arabisch heißt –!! – Sie wohnen in Zelten, die Araber – ja –? – Sie gleichen auch heute noch denjenigen aus Hiobs Zeit –? – Seine Wohnung ist das Zelt, sein Gerät Kamelsattel und Wasserschlauch. – Ich hab' drüber nachgelesen, – Sein Reichtum ist das Kamel und das Pferd. – Sie tragen nur Hemd und Mantel, – Du mußt wissen, daß ich mir über sie Literatur verschafft habe, – Und solches würde mir immer vor Augen stehen. Wie Feuer vor den Augen. Solches würde ich dich immer wieder fragen, – Ich würde dir dadurch unser Leben zur Hölle machen, – – so sehr lieb' ich dich, – Weißt du jetzt, wie sehr ich dich liebe? Hast du das je gewußt? – Weißt du jetzt, daß ich dich schon darum lieben müßte, daß dich in der Zwischenzeit statt meiner mohammedanischearabischesemitische Hunde geliebt haben?! – Weißt du jetzt, wie sehr ich dich liebe, oh – wie sakrilegisch gern ich deinen Leib hätte, darum, daß er von andern – in Sand und Staub – in Wüste und Sonne – gehabt worden ist?! – Weißt du jetzt, daß ich mit dir auch hinuntergehen müßtedaß ich dir aus anhänglichster Liebe selbst folgen müßte – wenn du etwa so einen vorgeschlagenen Kontrakt von einer Filmfabrik annehmen würdest –?! – Ich selber würde nicht nur den Mönch in der Zwischenzeit spielen ich würde auch die Herren da unten gern persönlich kennen lernen wollen –!! Ich würde dich ja keinen [77] Schritt mehr allein gehen lassen können unser ganzes ferneres Leben lang –!! Du müßtest mich den Herren auf arabisch vorstellen – – mich als denjenigen – ausdrücklich denjenigen, der damals derweil im Kloster gewesen ist –!! Und ich würde mit den braunen Kerls Händedrücke tauschen!! – –!! – Aber du kannst auch ruhig die verschiedensten Varietékontrakte unterzeichnen – – das gilt mir jetz' schon ganz gleich –! Deine Eltern und deine Brüder zwar würden dann nichts mehr von dir wissen wollen dafür aber ich –! Oh – ich folge dir, wohin du willst! Du kannst ruhig den ersten Varietékontrakt unterzeichnen, der dir die doppelte Gage verspricht unter der Bedingung, daß ich allabendlich allem Publikum sichtbar in einer durch die Tageszeitungen bekanntgegebenen, öffentlich vorher bezeichneten ganz gewissen Loge sitzen muß –!! Du kannst das alles von mir verlangen, denn so sehr lieb' ich dich –! – Und wenn wir dann gerade einen Monat frei sind, dann kehren wir in das Häuserl zurück – zu unserer Erholung in das Häuserl zurück, das du mir mit deinem Geld gebaut hast – in das Häuserl, das wir uns so bauen, hier oben auf'n Berg bau'n, daß ich, von einer Varietétournee zurückgekehrt, (aufschreiend): immer wieder schräg vis=à=vis das Kloster Maria=Hilf sehen kann, darin ich einst gewes'n bin – – –!!!

Helmtrudis (hat zugehört. Hat jedes seiner Worte eingesogen in sich. Hat sich keins entgehen lassen. – Erhebt sich, das Kleid glatt streifend): Also gut – – kehr' du hinter deine Mauern zurück – – (ganz geschäftsmäßig): – Das heißt soviel als wie – lassen wir uns scheiden.

Horst: Es gibt keine Scheidung.

Helmtrudis (die Stirn runzelnd): Es gibt keine –?

Horst: Ja, hast du denn das Buch nicht geles'n?

Helmtrudis (bang): Was gibt es denn dann –?

Horst (stark): Daß du dieselben Gelübde ablegst wie ich – – Das heißt: daß du ebenfalls ins Kloster gehst.

Helmtrudis (begreift langsam): Das soll auf mich zutreffen –?

Horst (starr): Das ist das Kirchenrecht!

Helmtrudis (sich noch ungläubig wehrend): – – – Ich habe nur ein Gelübde gekannt und getan und gehalten – – und das – – – warst – – – du – – – – Du bist mein Gelübde [78]

Horst (ernsthaft): Dein Bruder Karl scheint tatsächlich das Buch mitgenommen zu haben – – (Er sucht.)

Helmtrudis (beide Hände auf dem Herzen): Du – – bist – – – mein – – Gelübde – – –

Horst (sucht ganz ernsthaft – gewissenhaft das Buch).

 

(Vorhang.)