BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Lautensack

1881 - 1919

 

Documente der Liebesraserei.

Die gesammelten Gedichte

 

1910

 

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Die blinde Harfnerin bei den Felsen

 

Ein Weib spricht, im Traum eines Mannes:

 

Dies Schweigen sagt mir, daß es Abend ist,

und meine Harfe, die von selber tönt.

Wie viele Lieder wußt ich unter Tag,

wie viele Töne meine Harfe. Jetzt

will eins anheben, das am Tage schwieg,

ein seltsam Lied, das keine Hörer mag,

das zu sich selber redet:

Ich... bin... blind.

Blind für die vielen Wege mancher Fraun,

wenns Abend ist. Ich find mich nicht zurecht,

wo viele Wege gegen Abend träumen

hin unter Bäumen, die voll Dunkel sind.

Ich steh, und wage keinen Schritt zu tun,

wenns Abend ist....

An solchen Abenden

hungert der Tod nach meinem Fleische! Blut

aus allen meinen Wunden, heiß!

und meine Klagen gehn wie durch den Herbst,

in rauhem Wind, wie mit verwöhnten Füßen

hin über abgefallen, schwarz Geäst....

 

Und naht die Nacht, und sind die Fraun

bei ihren Männern ... alle Not,

die ich am Tage sang, flammt doppelt rot!

Ich seh von Bäum und Bergen eine Welt

und Wasser viel und Boote, die im Traum

hingleiten; Wege, eng gesellt;

und grelle Lichter über Heimlichkeiten.

Da zwingt ein Mann ein Weib mit einem Fluch,

da betet eines Mannes Brunst zur Hure,

da reden Zweie wie ein Buch,

dort heben sich vier Hände hoch zum Schwure,

da nahn sich zwei, von dumpfer Lust entstellt,

verzerrt, und überbieten

sich sinnlos an ererbter Kraft,

dort rinnet eines Alten Saft

gelb und vergelbt hin unter jungen Blüten...

da bin ich sehend! überhell

strömts in mich, in mich, dreimal klar!

dreimal verflammt mein dunkles Haar

in eisigen, vereisten Winden!

in meinem Leib verächzt die Glut!

bin eine Seherin über Blinden!.

und wie dies weh, wie Sterben, tut,

so weh – – – –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – 

Spät lieg ich bei den großen Steinen

wach wie bei Männern,. oh so rauh!.

Nun bin ich aller Steine Frau

mit einem unerlösten Weinen....