Heinrich Lautensack
1881 - 1919
Alfred de MussetDie Geschichte einer weißen Amsel
Übersetzt von Heinrich Lautensack
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VII.
Sechs Wochen etwa, und mein erstes Werk war in die Welt gesetzt. Und wie ich es mir vorgenommen hatte, eine Dichtung in achtundvierzig Gesängen. Natürlich gabs da einige Nachlässigkeiten, infolge der ungeheuren Fruchtbarkeit, aus der heraus ich es geschrieben. Aber ich dachte, der Leser von heute, der die schöne Literatur aus Zeitungen bezieht, wird mir schon keinen Vorwurf machen.Ich hatte einen Erfolg, der meiner würdig, das heißt, der ohne gleichen war. Das Werk handelte von niemand anderem als von mir. Ich war darin der Mode des Tages gefolgt. Ich erzählte meine frühen Leiden mit einer hinreißenden Albernheit. Versetzte den Leser in tausend Familieneinzelheiten von berückendstem Interesse. Die Beschreibung des Napfes meiner Mutter füllte nicht weniger als vierzehn Seiten an. Da war eine Aufzählung aller Fugen, Löcher, Beulen, Sprünge, Splitter, Buckel, Flecke, Farben und Reflexe; ich zeigte das Innere, das Äußere, die Ränder, den Boden, die Seiten und alles Schiefe und alles Gerade, und wie ich auf den Inhalt zu sprechen kam, siehe, da hatte ich sowohl die Gras- wie die Strohhalme, das trockene Laub wie die kleinen Holzstückchen, das bißchen Kiessand wie die paar Tropfen Wasser, die Reste von Fliegen wie die gebrochenen Maikäferbeine, die darin waren, studiert; eine entzückende Schilderung ... Nur glauben Sie ja nicht, daß ich das so in einem Atem hingesetzt hätte. Es gibt Leser, die unverschämt genug wären, das alles einfach zu überspringen. Ich hatte das fein ab- und auseinandergeteilt und es da und dort in die Erzählung hineingeschoben, damit nur nichts verloren ginge. So, daß stets im interessantesten und dramatischsten Moment plötzlich fünfzehn Zeilen Napfschilderung kamen. Das ist, mein ich, eines der größten Geheimnisse der Kunst, und ich geize absolut nicht damit; mag davon profitieren, wer immer will ...Ganz Europa war vom Erscheinen meines Buches ab gebannt. Es verschlang die geheimen Offenbarungen, die ich ihm mitzuteilen geruhte. Wie auch sonst? Ich berichtete nicht nur alles das getreulich, das sich an meine Person knüpfte, ich gab dem Leser obendrein noch ein erschöpfendes Bild all der Träumereien, die mir seit dem zweiten Monat meines Lebens durch den Kopf gegangen waren. Und an der schönsten Stelle hatte ich eine Ode eingeschaltet: als Dotter im Ei gedichtet. Übrigens ist noch wohl zu beachten, daß ich auch nicht verabsäumte, so im Vorübergehen das große Sujet zu behandeln, das heute die ganze Welt bewegt: die Zukunft der Menschheit. Das Problem hatte mich interessiert, ich arbeitete es in einem freien Augenblick ein wenig grob zu einem Intermezzo aus ... zur allgemeinen Befriedigung.Täglich erhielt ich gereimte Komplimente, Glückwunschbriefe und anonyme Liebeserklärungen. Was Besuche angeht, hielt ich mich streng an meine Vorsätze. Meine Tür stand jedermann geschlossen. Nur einmal mußte ich bei zwei Fremden eine Ausnahme machen, die sich als meine Verwandten ankündigen ließen. Der eine war eine Amsel aus Senegall, der andere eine chinesische.– Ach, mein Herr, sagten sie und umarmten mich zum Ersticken, eine wie große Amsel Sie sind! Und wie so ausgezeichnet Sie in Ihrem unsterblichen Gedicht das tiefe Leid des verkannten Genies gespiegelt haben! Wären wirs nicht schon gewesen, wären wir es durch Sie sicher geworden! Wie so sehr sympathisieren wir mit Ihren Schmerzen und mit Ihrer hohen Verachtung der gemeinen Welt! Wir, Herr, wir kennen die geheimen Leiden, die Sie besungen haben, aus uns selbst! Da haben Sie zwei Sonette, die wir gedichtet haben, das eine zum andern, und die wir Sie hinzunehmen bitten!– Und hier wäre außerdem, sagte der Chinese, noch eine Vertonung einer Stelle aus Ihrer Vorrede ... von meiner Frau ... die die Absicht des Autors in wundervoller Weise wiedergibt.– Meine Herren, sagte ich, so weit ich urteilen kann, scheinen Sie von großem Herzen und leuchtendem Geist. Aber verzeihen Sie die Frage. Woher kommt diese Ihre Melancholie?– Oh, mein Herr, sagte der aus Senegall, sehen Sie mich an, wie ich gebaut bin. Mein Gefieder bietet freilich einen ganz angenehmen Anblick, es ist schön und glänzend entengrün. Aber mein Schnabel ist zu kurz und meine Beine sind zu lang, und sehen Sie nur den lächerlichen Schwanz! Meine Proportionen sind ganz falsch. Ist das nicht zum Teufelholen?– Und erst ich! mein Herr, sagte der Chinese. Mein Pech ist noch fürchterlicher. Der Schwanz meines Kollegen ist wie ein Rohrbesen und fegt nur so hin; aber auf mich zeigen die Gassenjungen mit Fingern, indem ich überhaupt keinen habe.– Oh, meine Herren, sagte ich, Sie tun mir in der Seele weh. So peinlich es sein mag, zu wenig oder zuviel zu haben, ist das noch keine Wichtigkeit. Gestatten Sie mir, zu bemerken, daß im Botanischen Garten verschiedentliche Persönlichkeiten sind, die Ihnen ähnlich sehen und die schon lange dort wohnen – in aller Seelenruhe ... ausgestopft! Es genügt nicht, daß eine Schriftstellerin schamlos sei, um ein gutes Buch zu schreiben. Gleicherweise wird aus einer Amsel, die vor Unzufriedenheit platzt, deswegen noch lange kein Genie. Ich bin einzig in meiner Art und das betrübt mich. Ich habe vielleicht Unrecht, aber das ist mein Recht. Ich bin weiß, meine Herren. Werden Sie auch so, und wir wollen sehen, was Sie zu sagen haben. |