Else Lasker-Schüler
1869 - 1945
Die Nächte Tino von Bagdads
1907
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Der Dichter von Irsahab
NEUNHUNDERTNEUNUNDSECHZIG Jahre war Methusalem alt als er starb. Noch am Mittag stand er auf dem grossen Marktplatz in Irsahab und liess seine Finger herabhängen, die Zweige seiner langen Armäste und hielt den bemoosten Kopf trauernd zur Erde gesenkt. Und die Knaben und Mädchen, die sich in seinem lauschigen Versteck küssten und die Kinder, die ihre Spiele unter seinem Schatten spielten, fürchteten sich vor seiner Düsterkeit. Und dann kam sein Sohn Grammaton und tröstete ihn. Sein Jüngster war es, der Einzige seiner letzten hundertsten Gemahlin, die sich aus Neugierde mit dem himmelalten Greis vermählt hatte. Und so kam es, dass Grammaton aus blauem Auge schaute, weil Methusalem der blauen Ferne näher war, wie der Erde. Und Methusalem sagte zu seinem Sohne Grammaton: Ich werde heute noch sterben, denn ich kann nicht weiter leben ohne Mellkabe meine Amme. Mellkabe war am Morgen bestattet worden und ihre Wiegenlieder schläferten immer aus ihrem Grabe zu Methusalem auf. Und er hörte allerlei Schmeichelnamen und Methusalem sank also ins Grab neben ihr. Und ein alter Rabe setzte sich auf den Rand seiner Stätte, der hiess Henoch und war Methusalems Vater. Nach finsterer Seelenwanderung kam er endlich wieder in Rabengestalt auf die Welt; weil er Wischnu den Gott des Nachbarvolkes beleidigt hatte. Und ausser diesem hinterliess der Himmelalte drei Söhne und eine unzählige Kindeskinderbrut. Und die beiden ältesten Söhne waren Zwillinge und fünfhundert Jahre alt und Grammaton, sein später Sprössling, der so viel himmliche Güte im Gesicht trug, war zu gleicher Zeit mit dem neuen Sternbild Pegasus geboren. Und Grammaton war ein Dichter und das war sein Unglück, denn er konnte nicht zwei von drei unterscheiden, auch hatte er sich nie mit dem Ein- und Verkauf der Ländereien und Viehherden seines Vater abgegeben. Und es leuchtete ihm ein, als sein fünfhundertjähriges Brüderpaar ihm auseinandersetzte, dass die Hinterlassenschaft ihres Vaters sich wohl in zwei, aber nicht in drei Teile teilen lasse und Grammaton verzichtete mit Edeltränen in seinem blauen Auge. Aber seitdem liess ihn sein Grossvater in Rabengestalt keine Ruhe. Er setzte sich auf seine Schulter auf seinen träumenden Lockenkopf und einmal hörte ihn Grammaton, der keine Ahnung von der nahen Blutsverwandschaft des Vogels hatte, in warnendem Tone sprechen. Aber des Schwarzen Verdächtigungen entfachten sein Herz grimmig, bis seine Seele aufging unter Morgenleuchten und sich füllte mit Gold. Und er dachte, ich kann meine goldenen Gedanken nur prägen in Sternen und Zeichen in die Säule, die das Dach meines Vaterhauses trägt. Aber das schlaue Brüderpaar schimpfte ihn einen Heimlichen, der sich vergriff an ihr Eigentum und vertrieben wurde er aus Vater Methusalems reichem Garten. Und da die Säule, die das Dach seines Vaterhauses trug, der Tempel seiner Kunst war, begann er seine Brüder zu hassen und er konnte nicht den Tag erwarten, bis einer den andern erschlug, wie Kain den Abel. Und sein Hass dehnte sich aus auf die Kinder und Kindeskinder und er streute kranke Saat unter ihnen und Eines riss das Andere vom Erdboden fort. Aber ebenso schnell wuchsen sie wieder auf, von Kindeskindeskind aus Kindeskindeskindeskind und starb der Vater, so ersetzte ihn ein Sohn in der Nacht. Und Grammaton sah ein, die ganze Stadt war mit ihm verwandt und sein Hass wuchs von Glied zu Glied und er zertrat das mutwillige Zieglein was ihm in den Weg lief - ehe es wiederkehre einmal auf zukünftigem Sterne als irgend eines kommenden Urneffen Sohnes Sohn. Und es gelang ihm das Geschlecht Methusalem auszurotten und das waren alle Einwohner der Stadt und selbst seinen Tempel, die Säule die das Dach seines Vaterhauses trug, verschonte er nicht. Und nur der Rabe, er konnte nicht mehr sterben, hockte in den Höhlen seiner Schulter, und er, Grammaton, sass auf dem Schwanz eines steinernen Affen und sang:
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