BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Else Lasker-Schüler

1869 - 1945

 

Die Nächte Tino von Bagdads

 

1907

 

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Apollydes und Tino sind Zagende

und träumen unter der Mondscheibe

 

STILLE Lichte scheinen durch die gläsernen Wände der Säle, und wir sind ganz allein im gläsernen Schloss, und unsere schlanken Körper sind durchsichtig, sind zart und singen. Aber in unseren Schläfen sickert ein kleiner, roter Blutstropfen auf und nieder und dehnt sich wie ein fliessender Reif um unsere Stirnen. Wir sprechen klingende Dinge, aber unsere Lippen bewegen sich kaum, sie sind von heimlicher Farbe, und unsere Augen sind aus Süsse zuckender Sommernächte. Wir wissen nicht in welchem Lande wir sind, heiss ist es und in der Ferne steigen schwarze Feuer auf, die prangen oben tief in schillernden Rosen. Wir berühren kaum unsere Hände, aber wenn der Blutstropfen hoch steigt in unseren Schläfen, dann drängen sich unsere Lippen zusammen, aber sie küssen sich nicht, sie drohen zu zerbrechen im Wunsch. Nachts liegen wir auf weissen Teppichen und träumen von grausamen Farben – oder Lustgestalten kommen und spielen mit unsere zarten, kühlen Körpern wie mit toten Kindern. Unsere Locken aber sind verbrannt von der Glut des kleinen Blutstropfens, und unsere Lippen stehen geöffnet und schmerzen. Das Laub in den Gärten summt, und an den Randen der Teiche sitzen seltsame Tiere, Eingeweide, bläuliche, graufahle und nicken immer mit ihren Zungen; wir stehen auf dem gläsernen Turm des Schlosses und warten auf die Morgenwinde und wanken nur noch, die Seide unserer Gewänder zittert – wir möchten unsere Hände berühren, unsere Lippen küssen, und unsere Augen sind gespannt wie Gewitteräther. Die gläsernen Wände der Säle krampfen sich – wir suchen etwas – zwei kühle Blicke richten sich spitz auf unsere Herzen – Glasdolche sind es, wir sehen sie immer wieder durch verschimmernde Spiegel – sie haben goldblasse Griffe, zarte Hände – die bewegen sich, sie winken uns – wir möchten uns küssen ... uns küssen! Sie winken – in unseren Schläfen lauscht der Blutstropfen, er streckt seinen Kelch ins Unendliche ............