BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Siegfried Keßler

1883 - 1943

 

Berthold Auerbach als Erzieher

 

Text

 

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IX.

Schluß: Würdigung Auerbachs als Erzieher

 

Auerbach hat zu Lebzeiten Ruhm und Anerkennung in reichstem, Maße genießen dürfen, obwohl es auch an Anfeindungen, oft gehässiger Art, nicht fehlte. 145) Sie konnten aber die Sonne seines Ruhmes nicht verdunkeln. Ein Mann, der einen Freiligrath zu schwungvollen Versen begeisterte, zu dem ein Tolstoi wallfahrtete 146), dem zu Ehren ein Gerhart Hauptmann seinen ersten Sohn „Ivo“ nannte, dessen dichterische Gestalten in den Dramen seiner Zeitgenossen 147) jahrzehntelang die Bühnen belebten, dessen Dichtungen noch einen Friedr. Wilh. Weber auf dem Sterbebette erbauten, 148) ein solcher Mann, der „je einmal seinem Volke etwas bedeutet hat, der ist und bleibt ein Baustein in dem Gebäude dieses Volkes.“ 149) Und wenn auch die Dichtung unserer Tage unter der Führung des Realismus und Naturalismus andere Wege einschlug und den Sinn für die schlichten und natürlichen Töne unseres Dichters gewandelt hat, so werden wir nicht vergessen, daß er die höchste und edelste Kunst eines Erziehers verstand: andere zum Schaffen anzuregen!

Er hat, nach einem Worte Anzengrubers, die junge Generation auf den Gedanken gebracht, die Weisen, die der Erzähler Auerbach zur Zither anstimmte, instrumentiert und von einem vollen Orchester begleitet, zu Gehör zu bringen. Darum durfte Friedr. [57] Th. Vischer in seinem Nachruf sagen: 150) „Rein geht dein Geist nun durch die Welt! In fernen Tagen wird er noch bei manchem still in deine Blätter vertieften Leser anklopfen, hier im Vaterlande und weit hinaus über seine Marken, wird ihm leise die Schultern berühren und ihn grüßen, und er wird innig dankend den Gruß erwidern; in fernen Tagen wird dein Name über manche Lippen gehen, die in warmem Gespräche dich nennen und ehren und rühmen. Du bist sterbend nicht gestorben. Leb wohl, Toter! Sei gegrüßt, Lebendiger!

 

[58] Vakat-Seite

 

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145) Den Höhepunkt bilden wohl die Auslassungen Treitschkes (Deutsche Geschichte. Bd. V. S. 385 ff.), worin das bekannte Wort von den Bauern vorkommt, die "verkleidete Juden" seien. Und ferner Hebbel, Tagebücher. III. S. 464. Grillparzers Epigramm auf die Dorfgeschichten. Bulwer war ein schroffer Gegner Auerbachs. (Vgl. dessen Gespräch mit Mels. Blumenthal. Allerhand Ungezogenheiten. Leipzig 1877. S. 97. 5. Aufl.)  

146) Der, wie er selbst bezeugte, von Auerbachs pädagogischen Ideen im Innersten gepackt, auf seinem Gute Jasna-Poljana eine freie Volkshochschule gründete und die Bauernkinder nach Auerbachschen Vorschriften unterwies. (Birukoff, Tolstois Biographie und Memoiren. Wien und Leipzig 1906. S. 374/375.)  

147) Charl. Birch-Pfeiffer und Anzengruber. 

148) Nach mündlichen Mitteilungen des Herrn Prof. Dr. Schwering-Münster. Vgl. dessen Biographie Webers, S. 375 u. 383.  

149) Rosegger über Auerbach.  

150) Grabrede in Nordstetten am 15. Februar 1881.