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- D i e P a r i s e r
V o r t r ä g e
Z w e i t e D o p p e l v o r l e s u n g
a m 2 5 . F e b r u a r 1 9 2 9
[Die konstitutiven Probleme
der eidetischen Phänomenologie und
die Idee einer Theorie der Erkenntnis.
Die Zurückweisung des
transzendentalen Solipsismus.
Die Lösung des Cartesischen Problems
einer absoluten Philosophie]
- ________________________________________
- 1. Teil
- Mit der Frage nach dem transzendentalen System der Intentionalität, durch das für das ego eine Natur, eine Welt beständig da ist - zunächst in Erfahrung als direkt sichtbare, greifbare usw. und dann durch jederlei sonst auf Welt gerichtete Intentionalität - mit dieser Frage stehen wir eigentlich schon in der Phänomenologie der Vernunft. Vernunft und Unvernunft, im weitesten Sinn verstanden, bezeichnen keine zufällig-faktischen Vermögen und Tatsachen, sondern gehören zur allgemeinsten Strukturform der transzendentalen Subjektivität überhaupt.
Evidenz im weitesten Sinne der Selbsterscheinung, des Als-es-selbst-dastehens, als eines Inne-seins eines Sachverhaltes selbst, eines Wertes selbst und dgl., das ist kein zufälliges Vorkommnis im transzendentalen Leben. Vielmehr alle Intentionalität ist entweder selbst ein Evidenzbewußtsein, das ist das cogitatum als es selbst habend, oder wesentlich und horizontmäßig auf Selbstgebung angelegt, darauf gerichtet. Schon jede Klärung ist eine Evidentmachung. Jedes vage, leere, unklare Bewußtsein ist von vornherein nur Bewußtsein von dem und dem, sofern es auf einen Weg der Klärung verweist, in dem das Vermeinte als Wirklichkeit oder als Möglichkeit gegeben wäre. Jedes vage Bewußtsein kann ich befragen, wie sein Gegenstand aussehen müßte. Freilich gehört es auch zur Struktur der transzendentalen Subjektivität, daß sich Meinungen bilden, die im Übergang zur möglichen Evidenz, bzw. der klaren Vorstelligmachung, ebenso in wirklich fortgehender Erfahrung im wirklichen Übergang von einer Meinung zu der evidenten Sachlage selbst, nicht das Gemeinte als ein mögliches Selbst herausstellen sondern ein anderes. Statt Bestätigung, Erfüllung tritt dann oft Enttäuschung Aufhebung, Negation ein. Aber das alles gehört als typische Art von gegensätzlichen Vorkommnissen der Erfüllung und Enttäuschung zum gesamten Bereich des Bewußtseinslebens. Immer und notwendig ist das ego lebend in cogitationes und immer ist der jeweilige Gegenstand entweder anschaulich (sei es im Bewußtsein, er sei, sei es im Phantasiebewußtsein, als ob er sei) oder auch unanschaulich, sachferne. Und immer kann von ihm aus gefragt werden nach den möglichen Wegen, zu ihm selbst als Wirklichkeit oder als Phantasiemöglichkeit zu kommen, und nach den Wegen, in denen er konsequent sich als seiend ausweisen, in einstimmiger Kontinuität von Evidenzen erreichbar wäre oder in denen er sein Nicht-sein herausstellen würde.
Ein Gegenstand existiert für mich, das ist, er gilt mir bewußtseinsmäßig. Aber diese Geltung ist für mich nur so lange Geltung, als ich präsumiere, daß ich sie bestätigen könnte, daß ich für mich gangbare Wege, das ist frei tätig zu durchlaufende Erfahrungen und sonstige Evidenzen, herstellen könnte, in denen ich bei ihm selbst wäre, ihn als wirklich da verwirklicht hätte. Das bleibt auch bestehen, wenn mein Bewußtsein von ihm Erfahrung ist, Bewußtsein, daß er schon selbst da, selbst gesehen ist. Denn auch dieses Sehen weist fort auf weiteres Sehen, auf die Möglichkeit zu bewähren, und immer wieder das schon als seiend Erworbene wieder zurückversetzen zu können in den Modus fortschreitender Bewährung.
Bedenken Sie die ungeheure Bedeutung dieser Bemerkung, nachdem wir uns auf den egologischen Boden gestellt haben. Wir sehen auf diesem letzten Standpunkt, daß für uns Dasein und So-sein in Wirklichkeit und Wahrheit keinen anderen Sinn hat als Sein aus der Möglichkeit sich ausweisender Bewährung; aber auch, daß diese Bewährungswege und ihre Zugänglichkeit zu mir als transzendentaler Subjektivität selbst gehören und nur als das einen Sinn haben.
Wahrhaft Seiendes, ob Reales oder Ideales, hat also Bedeutung nur als ein besonderes Korrelat meiner eigenen Intentionalität, der aktuellen und der als potentiell vorgezeichneten. Freilich nicht eines vereinzelten cogito; z. B. Sein eines realen Dinges nicht als bloßes cogito der vereinzelten Wahrnehmung, die ich jetzt habe. Aber sie selbst und ihr Gegenstand im Wie der intentionalen Gegebenheit verweist mich vermöge des präsumptiven Horizontes auf ein endlos offenes System möglicher Wahrnehmungen als solcher, die nicht erfunden, sondern in meinem intentionalen Leben motiviert sind, und ihre präsumptive Geltung erst verlieren können, wenn widerstreitende Erfahrung sie aufhebt, und notwendig mit vorausgesetzt sind als meine Möglichkeiten, die ich, wenn ich nicht gehemmt bin, im Hingehen, Herumschauen etc. herstellen könnte.
Aber freilich, das ist alles sehr roh gesprochen. Höchst weitreichende und komplizierte intentionale Analysen sind notwendig, um die Möglichkeitsstrukturen in Bezug auf die jeder Gegenstandsart spezifisch zugehörigen Horizonte auszulegen und damit den Sinn des jeweiligen Seins verständlich zu machen. Von vornherein evident ist nur das eine und Leitende: Was ich als Seiendes habe, gilt mir als Seiendes, und alle erdenkliche Ausweisung liegt in mir selbst, in meiner unmittelbaren und mittelbaren Intentionalität beschlossen, in der also aller Seinssinn mitbeschlossen sein muß.
Damit stehen wir schon in den großen, ja überwältigend großen Problemen von Vernunft und Wirklichkeit, von Bewußtsein und wahrem Sein, wie die Phänomenologie sie allgemein nennt, den konstitutiven Problemen. Zunächst erscheinen sie als begrenzte phänomenologische Probleme, da man unter Wirklichkeit, unter Sein nur an das weltliche Sein denken wird und somit an die phänomenologische Parallele der gewöhnlich so genannten Erkenntnistheorie oder Kritik der Vernunft, die ja üblicherweise auf objektive, auf die Realitätenerkenntnis bezogen wird. Aber in Wahrheit umspannen die konstitutiven Probleme die gesamte transzendentale Phänomenologie und bezeichnen einen ganz allgemeinen systematischen Aspekt, unter den alle phänomenologischen Probleme sich ordnen. Phänomenologische Konstitution eines Gegenstandes, das besagt: Betrachtung der Universalität des ego unter dem Gesichtspunkt der Identität dieses Gegenstandes, nämlich in der Frage nach der systematischen Allheit von wirklichen und möglichen Bewußtseinserlebnissen, die als auf ihn beziehbare in meinem ego vorgezeichnet sind und für mein ego eine feste Regel möglicher Synthesen bedeuten.
Das Problem der phänomenologischen Konstitution irgend eines Typus von Gegenständen ist zunächst das Problem seiner ideal vollkommen evidenten Gegebenheit. Zu jedem Gegenstandstypus gehört seine typische Art möglicher Erfahrung. Wie sieht solche Erfahrung aus nach ihren wesentlichen Strukturen, und zwar wenn wir sie als den Gegenstand ideal vollkommen allseitig herausstellend denken? Daran anschließend die weitere Frage: Wie kommt das ego dazu, ein solches System als verfügbaren Besitz zu haben, auch wenn keine Erfahrung von ihm aktuell ist? Schließlich, was bedeutet es für mich, daß Gegenstände für mich sind, was sie sind, ohne daß ich von ihnen weiß und wußte?
Jeder seiende Gegenstand ist Gegenstand eines Universums möglicher Erfahrungen, wobei wir nur den Erfahrungsbegriff weiten müssen zum breitesten Begriff, dem der richtig verstandenen Evidenz. Jedem möglichen Gegenstand entspricht ein mögliches solches System. Transzendental ist, wie schon gesagt, fortschreitender Gegenstandsindex einer ganz bestimmt zugehörigen universalen Struktur des ego nach wirklichen cogitata desselben und nach Potentialitäten, nach Vermögen. Nun ist <es> aber das Wesen des ego, zu sein in Form wirklichen und möglichen Bewußtseins, und des möglichen nach seinen in ihm selbst liegenden subjektiven Formen des Ich kann, des Vermögens. Das ego ist, was es ist, in Bezug auf intentionale Gegenständlichkeiten, es hat immer Seiendes und möglicherweise Seiendes, und so ist seine Wesenseigenheit die, immerfort Systeme der Intentionalität zu bilden und gebildete schon zu haben, deren Index, die von ihm gemeinten, gedachten, gewerteten, behandelten, phantasierten und zu phantasierenden Gegenstände sind usw.
Aber das ego selbst ist, und sein Sein ist Sein für sich selbst, auch sein Sein mit allem ihm zugehörigen Sonder-seienden ist in ihm konstituiert und konstituiert sich weiter für es. Das Für-sich-selbst-sein des ego ist Sein in beständiger Selbstkonstitution, die ihrerseits das Fundament ist für alle Konstitution von sogenanntem Transzendenten, von weltlichen Gegenständlichkeiten. So ist es das Fundament der konstitutiven Phänomenologie, in der Lehre von der Konstitution der immanenten Zeitlichkeit und der ihr eingeordneten immanenten Erlebnisse eine egologische Theorie zu schaffen, durch die schrittweise verständlich wird, wie das Für-sich-selbst-sein des ego konkret möglich und verständlich ist.
Hierbei tritt eine Vieldeutigkeit des Themas ego hervor: es ist in verschiedenen Schichten der phänomenologischen Problematik ein verschiedenes. In den ersten allgemeinsten Strukturbetrachtungen finden wir als Erfolg der phänomenologischen Reduktion das ego cogito cogitata, und zwar tritt uns entgegen die Mannigfaltigkeit der cogitata, des Ich nehme wahr, Ich erinnere mich Ich begehre usw. und das erste ist, was dabei beachtet wird, daß die vielerlei Modi des cogito einen Identitätspunkt, eine Zentrierung darin haben, daß ich, dasselbe Ich, es bin, das da einmal den Actus Ich denke und dann den Actus Ich bewerte als Schein usw. vollzieht. Eine doppelte Synthese wird merklich, eine doppelte Polarisierung. Viele, nicht alle Bewußtseinsmodi, die da ablaufen, sind synthetisch einig als Bewußtseinsweisen von demselben Gegenstand. Andererseits aber alle cogitationes und zunächst alle meine Stellungnahmen haben die strukturelle Form (ego) cogito, sie haben die Ich-polarisierung.
Aber nun ist zu bemerken, daß das zentrierende ego nicht ein leerer Punkt oder Pol ist, sondern vermöge einer Gesetzmäßigkeit der Genesis mit jedem der von ihm ausstrahlenden Akte eine bleibende Bestimmung erfährt. Habe ich mich z.B. in einem Urteilsakt für ein So-sein entschieden, so vergeht dieser flüchtige Akt, aber ich bin nun weiter das Ich, das so entschieden ist, ich finde mich selbst und bleibend als das Ich meiner mir bleibenden Überzeugungen. So für jede Art Entscheidungen, z.B. Wert- und Willensentscheidungen.
So haben wir also das ego nicht als bloßen leeren Pol, sondern jeweils als das stehende und bleibende Ich der verharrenden Überzeugungen, der Habitualitäten, in deren Veränderung sich allererst Einheit des personalen Ich und seines personalen Charakters konstituiert. Aber davon wieder zu scheiden ist das ego in voller Konkretion, das konkret nur ist in der strömenden Vielfältigkeit seines intentionalen Lebens und mit den darin vermeinten und für es sich konstituierenden Gegenständen. Dafür sagen wir auch ego als konkrete Monade.
Da Ich als transzendentales ego es bin, der ich mich selbst als ego in dem einen und anderen Sinn vorfinden und meines wirklichen und wahren Seins inne werden kann, so ist also auch das <ein konstitutives> und sogar das radikalste konstitutive Problem.
In Wahrheit umspannt also die konstitutive Phänomenologie die gesamte Phänomenologie, obschon sie nicht als solche anfangen kann, sondern mit einer Aufweisung der Bewußtseinstypik und ihrer intentionalen Entfaltung, die erst später den Sinn der konstitutiven Problematik sichtlich macht.
Immerhin, die phänomenologischen Probleme einer Wesensanalyse der Konstitution von realen Objektivitäten für das ego und damit die einer phänomenologischen objektiven Erkenntnistheorie bilden ein großes Reich für sich.
Doch ehe wir diese Erkenntnistheorie mit der gewöhnlichen konfrontieren, bedarf es eines ungeheueren methodischen Fortschrittes mit dem ich so spät komme, um zunächst die Konkretionen unbeschwerter zu Ihnen sprechen zu lassen. Jeder von uns durch phänomenologische Reduktion auf sein absolutes ego zurückgeführt, fand sich in apodiktischer Gewißheit als faktisch Seiender. Umschau haltend fand das ego mannigfache deskriptiv faßbare, intentional zu entfaltende Typen und konnte bald selbst in der intentionalen Enthüllung seines ego fortschreiten. Aber nicht zufällig entschlüpfte mir wiederholt der Ausdruck Wesen und wesensmäßig, was einem bestimmten, von der Phänomenologie erst geklärten Begriff des Apriori gleichkommt. Es ist ja klar: Wenn wir einen cogitativen Typus wie Wahrnehmung - Wahrgenommenes, Retention und Retentioniertes, Wiedererinnerung und Wiedererinnertes, Aussagen und Ausgesagtes, Streben und Erstrebtes usw. als Typus auslegen und beschreiben, so führt das zu Ergebnissen, die bestehen bleiben, wie immer wir vom Faktum abstrahieren. Für den Typus ist die Individualität des exemplarischen Faktums, z. B. der jetzt momentan dahinströmenden Tisch-Wahrnehmung, ganz irrelevant; und selbst das Allgemeine, daß ich, dieses faktische ego, unter meinen faktischen Erlebnissen solche dieses Typus überhaupt habe, ist irrelevant, und die Beschreibung hängt gar nicht von einer Feststellung der individuellen Fakta und ihrer Existenz ab. Und so für alle egologischen Strukturen.
Vollziehe ich z.B. eine Analyse des Typus sinnliche, raumdingliche Erfahrung; gehe ich systematisch weiter in die konstitutive Betrachtung, wie solche Erfahrung einstimmig weiterlaufen könnte und müßte, wenn überhaupt ein- und dasselbe Ding sich nach allem, was ihm als Ding zugemeint sein muß, vollkommen zeigen würde; dann springt die große Erkenntnis hervor, daß apriori in Wesensnotwendigkeit, was für mich als ein ego überhaupt soll wahrhaft seiendes Ding sein können, unter der Wesensform eines bestimmt zugehörigen Struktursystems möglicher Erfahrung steht mit einer apriorischen Mannigfaltigkeit speziflsch zugehöriger Strukturen.
Evidenterweise kann ich mein ego ganz frei umfingieren, kann die Typen als rein ideale Möglichkeiten des nunmehr bloß möglichen ego und eines möglichen ego überhaupt (als freie Abwandlung meines faktischen) betrachten, und erhalte so Wesenstypen, apriorische Möglichkeiten und zugehörige Wesensgesetze, ebenso allgemeine Wesensstrukturen meines ego als eines erdenklichen überhaupt, ohne die ich mich überhaupt oder apriori nicht denken kann, weil sie für jede freie Abwandlung meines ego evident notwendig ebenso bestehen müßten.
So erheben wir uns zu einer methodischen Einsicht, die neben der echten Methode phänomenologischer Reduktion die wichtigste methodische der Phänomenologie ist: nämlich daß das ego, mit den Altvordern zu reden, ein ungeheures eingeborenes Apriori hat und daß die gesamte Phänomenologie oder die methodisch fortgeführte reine Selbstbesinnung des Philosophen Enthüllung dieses eingeborenen Apriori ist in seiner unendlichen Vielgestaltigkeit. Das ist der echte Sinn der Eingeborenheit, den der alte naive Begriff gleichsam durchspürte, aber nicht zu fassen vermochte.
Zu diesem eingeborenen Apriori des konkreten ego, mit Leibniz zu sprechen: meiner Monade, gehört freilich sehr viel mehr als wir besprechen konnten. Es gehört dazu, was nur mit einem Worte angedeutet werden kann, auch das Apriori des Ich in dem besonderen Sinne, der die allgemeine Dreifaltigkeit des Titels cogito bestimmt: das Ich als Pol aller spezifischen Stellungnahmen oder Ich-Akte und als Pol der Affektionen, die auf das Ich von schon konstituierten Gegenständen hingehend es zur aufmerkenden Hinwendung und zu jeder Stellungnahme motivieren. Das ego hat also eine doppelte Polarisierung: die Polarisierung nach mannigfaltigen gegenständlichen Einheiten und die Ich-Polarisierung, eine Zentrierung, vermöge der alle Intentionalitäten auf den identischen Ich-Pol bezogen sind.
Doch in gewisser Weise vervielfältigt sich auch die Ich-Polarisierung im ego indirekt durch seine Einfühlungen als in ihm vergegenwärtigungsmäßig auftretende <Spiegelung> fremder Monaden mit fremden Ich-Polen. Das Ich ist nicht bloß Pol auftretender und verschwindender Stellungnahmen; jede Stellungnahme begründet im Ich etwas Verharrendes, seine bis auf weiteres bleibende Überzeugung.
Die systematische Erschließung der transzendentalen Sphäre als der absoluten Seins- und Konstitutionssphäre, auf die alles Erdenkliche zurückbezogen ist, macht ungeheure Schwierigkeiten, und erst im letzten Jahrzehnt haben sich die Methoden und Problemhöhenstufen klar geordnet.
Sehr spät hat sich insbesondere der Zugang zu den Problemen der universalen Wesensgesetzmäßigkeit der phänomenologischen Genesis erschlossen zu unterst der passiven Genesis in der Bildung von immer neuen Intentionalitäten und von Apperzeptionen ohne jede aktive Beteiligung des Ich. Hier erwächst eine Phänomenologie der Assoziation deren Begriff und Ursprung ein wesentlich neues Gesicht empfängt, vor allem schon durch die zunächst befremdliche Erkenntnis, daß Assoziation ein ungeheurer Titel für eine Wesensgesetzlichkeit ist, ein eingeborenes Apriori, ohne das <das> ego als solches undenkbar ist. Andererseits die Problematik der höherstufigen Genesis, in der durch Ich-Akte Geltungsgebilde erwachsen, und in eins damit das zentrale Ich spezifische Ich-Eigenheiten, z. B. habituelle Überzeugungen, erworbene Charaktere annimmt.
Erst durch die Phänomenologie der Genesis wird das ego als ein unendlicher Zusammenhang von synthetisch zusammengehörigen Leistungen verständlich, und zwar von konstitutiven, welche immer neue Stufen von seienden Gegenständen in Stufen von Relativitäten zur Geltung bringen. Es wird verständlich. wie das ego nur ist, was es ist, in einer Genesis, durch die ihm intentional immerfort, vorläufig oder dauernd, seiende Welten, reale und ideale Welten zueigen werden; zueigen werden aus eigenen Sinnesschöpfungen, zueigen unter apriori möglichen und eingreifenden Korrekturen, Ausstreichungen von Nichtigkeiten, Scheinen usw., die nicht minder als typische Sinnesvorkommnisse immanent erwachsen. Von all dem ist das Faktum irrational, aber die Form, das ungeheure Formensystem der konstituierten Gegenstände und das korrelative Formensystem ihrer intentionalen Konstitution apriori, eine unerschöpfliche Unendlichkeit des Apriori, das unter dem Titel Phänomenologie enthüllt wird und das nichts anderes ist als die Wesensform des ego als eines ego überhaupt, durch meine Selbstbesinnung enthüllt und jeweils zu enthüllen.
Zu den sinn- und seinkonstituierenden Leistungen gehören alle Stufen der Realität wie Idealität, also wenn wir zählen und rechnen, wenn wir Natur und Welt beschreiben, theoretisch behandeln, Sätze bilden, Schlüsse, Beweise, Theorien, sie als Wahrheiten ausbilden usw., so schaffen wir uns damit immer neue Gebilde von Gegenständen, diesmal von idealen, die für uns sind in bleibender Geltung. Vollziehen wir radikale Selbstbesinnung, also Rückgang auf unser, jeder für sich auf sein absolutes ego, so sind all das Bildungen der frei tätigen Ich-Aktivität, eingeordnet in der Stufe der egologischen Konstitutionen, und jedes derartige ideal Seiende ist, was es ist, als Index seiner konstitutiven Systeme. Da stehen also auch alle Wissenschaften, die ich im eigenen Denken und Erkennen in mir zur Geltung bringe. Ihre naive Geltung habe ich als ego inhibiert, aber im Zusammenhang meiner transzendentalen Selbstenthüllung als unbeteiligter Zuschauer meines leistenden Lebens treten sie wie schon die Erfahrungswelt wieder in Geltung, aber rein als konstitutives Korrelat.
Wir gehen jetzt dazu über, diese egologisch-transzendentale Theorie der Seinskonstitution, die alles für das ego je Seiende als in den synthetischen Motivationen seines eigenen intentionalen Lebens entsprungenes Gebilde passiver und aktiver Leistung herausstellt, in Beziehung zu setzen zu der gewöhnlichen Erkenntnistheorie oder Theorie der Vernunft. Allerdings das Fehlen eines Grundstückes der phänomenologischen Theorie, das den Schein des Solipsismus überwindet, wird erst im weiteren Zusammenhang voll empfindlich werden und seine passende Ergänzung wird den Anstoß beseitigen.
Das Problem der traditionellen Erkenntnistheorie ist das der Transzendenz. Sie will, auch wenn sie als empiristische auf der gewöhnlichen Psychologie fußt, nicht bloße Psychologie der Erkenntnis sein, sondern die prinzipielle Möglichkeit der Erkenntnis aufklären. Das Problem erwächst in der natürlichen Einstellung und wird auch weiter in ihr behandelt. Ich finde mich vor als Mensch in der Welt und zugleich als sie erfahrend und sie, mich eingeschlossen, wissenschaftlich erkennend. Nun sage ich mir: Alles, was für mich ist, ist es dank meinem erkennenden Bewußtsein, es ist für mich Erfahrenes meines Erfahrens, Gedachtes meines Denkens, Theoretisiertes meines Theoretisierens, Eingesehenes meines Einsehens. Es ist für mich nur als intentionale Gegenständlichkeit meiner cogitationes. Intentionalität als Grundeigenheit meines psychischen Lebens bezeichnet eine real zu mir als Menschen wie zu jedem Menschen hinsichtlich seiner rein psychischen Innerlichkeit gehörige Eigenheit, und schon Brentano hat sie in den Mittelpunkt der empirischen Psychologie des Menschen gerückt. Wir brauchen also dazu keine phänomenologische Reduktion, wir sind und bleiben auf dem Boden der gegebenen Welt. Und so sagen wir auch verständlich: Alles, was für den Menschen, was für mich ist und gilt, tut das im eigenen Bewußtseinsleben, das in allem Bewußt-haben einer Welt und in allem wissenschaftlichen Leisten bei sich selbst verbleibt. Alle Scheidungen, die ich mache zwischen echter und trügender Erfahrung und in ihr zwischen Sein und Schein, verlaufen in meiner Bewußtseinssphäre selbst, ebenso wenn ich in höherer Stufe zwischen einsichtigem und nicht einsichtigem Denken, auch zwischen apriori Notwendigem und Widersinnigem, zwischen empirisch Richtigem und empirisch Falschem unterscheide. Evident wirklich, denknotwendig, widersinnig, denkmöglich, wahrscheinlich usw., all das sind in meinem Bewußtseinsbereich selbst auftretende Charaktere am jeweiligen intentionalen Gegenstand. Jede Ausweisung, Begründung für Wahrheit und Sein verläuft ganz und gar in mir, und ihr Ende ist ein Charakter im cogitatum meines cogito.
Darin sieht man nun das große Problem. Daß ich in meinem Bewußtseinsbereich, im Zusammenhang der mich bestimmenden Motivation zu Gewißheiten, ja zu zwingenden Evidenzen komme, das ist verständlich. Aber wie kann dieses ganz in der Immanenz des Bewußtseinslebens verlaufende Spiel objektive Bedeutung gewinnen? Wie kann die Evidenz (die clara et distincta perceptio) mehr beanspruchen, als ein Bewußtseinscharakter in mir zu sein? Es ist das Cartesianische Problem, das durch die göttliche veracitas gelöst werden sollte.
Was hat die transzendentale Selbstbesinnung der Phänomenologie dazu zu sagen? Nichts anderes, als daß dieses ganze Problem widersinnig ist, ein Widersinn, in den Descartes nur darum verfallen mußte, weil er den echten Sinn der transzendentalen Epoché und der Reduktion auf das reine ego verfehlte. Aber noch viel gröber ist die gewöhnliche nachcartesianische Einstellung. Wir fragen: Wer ist denn das Ich, das transzendentale Fragen rechtmäßig stellen kann? Kann ich das als natürlicher Mensch und kann ich als das ernstlich fragen, und zwar transzendental: «Wie komme ich aus meiner Bewußtseinsinsel heraus, wie kann, was in meinem Bewußtsein als Evidenzerlebnis auftritt, objektive Bedeutung gewinnen?» So wie ich mich als natürlicher Mensch apperzipiere, habe ich ja schon im voraus die Raumwelt apperzipiert, mich im Raum gefaßt, in dem ich also ein Außer-mir habe! Ist nicht die Giltigkeit der Weltapperzeption schon vorausgesetzt für den Sinn der Frage, während doch ihre Beantwortung erst die objektive Geltung überhaupt ergeben sollte? Es bedarf also der bewußten Ausführung der phänomenologischen Reduktion, um dasjenige Ich und Bewußtseinsleben zu gewinnen, an das transzendentale Fragen als Fragen der Möglichkeit transzendenter Erkenntnis zu stellen sind. Sowie man aber, statt flüchtig eine phänomenologische Epoché zu vollziehen, vielmehr daran geht, in systematischer Selbstbesinnung und als reines ego sein gesamtes Bewußtseinsfeld, also sich selbst enthüllen zu wollen, erkenne man, daß alles je für es Seiende sich in ihm selbst Konstituierendes ist; ferner, daß jede Seinsart, darunter jede als transzendent charakterisierte, ihre besondere Konstitution hat.
Transzendenz ist ein immanenter, innerhalb des ego sich konstituierender Seinscharakter. Jeder erdenkliche Sinn, jedes erdenkliche Sein, ob es immanent oder transzendent heißt, fällt in den Bereich der transzendentalen Subjektivität. Ein Außerhalb derselben ist ein Widersinn, sie ist die universale, absolute Konkretion. Das Universum wahren Seins als etwas außerhalb des Universums möglichen Bewußtseins, möglicher Erkenntnis, möglicher Evidenz fassen zu wollen, beides bloß äußerlich durch ein starres Gesetz aufeinander bezogen, ist ein Nonsens. Wesensmäßig gehört beides zusammen und wesensmäßig Zusammengehöriges ist auch konkret eins, eins in der absoluten Konkretion: der transzendentalen Subjektivität. - Sie ist das Universum möglichen Sinnes, ein Außerhalb ist dann eben Unsinn. Aber selbst jeder Unsinn ist ein Modus des Sinnes und hat seine Unsinnigkeit in der Einsehbarkeit. Das aber gilt nicht für das bloß faktische ego und was ihm faktisch zugänglich ist als für es Seiendes. Die phänomenologische Selbstauslegung ist eine apriorische, und so gilt alles für jedes mögliche, erdenkliche ego und jedes erdenkliche Seiende, also für alle erdenklichen Welten.
Echte Erkenntnistheorie ist danach allein sinnvoll als transzendental-phänomenologische, die es statt mit unsinnigen Schlüssen von einer vermeinten Immanenz auf eine vermeinte Transzendenz, die irgendwelcher Dinge an sich, vielmehr ausschließlich zu tun hat mit der systematischen Aufklärung der Erkenntnisleistung, in der sie durch und durch verständlich wird als intentionale Leistung. Eben damit aber wird jede Art Seiendes, reales und ideales, verständlich als eben in dieser Leistung konstituiertes Gebilde der transzendentalen Subjektivität. Diese Art Verständlichkeit ist die höchste erdenkliche Form der Rationalität. Alle verkehrten Seinsinterpretationen stammen aus der naiven Blindheit für die den Seinsinn mitbestimmenden Horizonte. So führt die pure, in reiner Evidenz durchgeführte und dabei in Konkretion durchgeführte Selbstauslegung des ego zu einem transzendentalen Idealismus, aber einem solchen grundwesentlich neuen Sinnes; nicht eines psychologischen Idealismus, nicht eines Idealismus, der aus sinnlosen sinnlichen Daten eine sinnvolle Welt ableiten will, nicht ein Kantischer Idealismus, der mindestens als Grenzbegriff die Möglichkeit einer Welt von Dingen an sich glaubt offen halten zu können - sondern ein Idealismus, der nichts weiter ist als in Form systematischer egologischer Wissenschaft konsequent durchgeführte Selbstauslegung jedweden Seinssinnes, der für mich, das ego, eben soll Sinn haben können. Dieser Idealismus ist aber nicht ein Gebilde spielerischer Argumentationen, im dialektischen Streit mit Realismen als Siegespreis zu gewinnen. Es ist die an der (dem ego durch Erfahrung vorgegebene) Transzendenz der Natur, der Kultur, der Welt überhaupt in wirklicher Arbeit durchgeführte Sinnesauslegung und das ist systematische Enthüllung der konstituierenden Intentionalität selbst. Der Erweis dieses Idealismus ist die Durchführung der Phänomenologie selbst.
- 2. Teil
- Doch nun muß das einzige wirklich beunruhigende Bedenken zu Worte kommen. Wenn ich, das meditierende Ich, mich durch Epoché auf mein absolutes ego reduziere und auf das darin sich Konstituierende, bin ich dann nicht zum solus ipse geworden, und ist so diese ganze Philosophie der Selbstbesinnung nicht ein purer, wenn auch transzendental-phänomenologischer Solipsismus?
Indessen, ehe man sich hier entscheidet und nun gar durch nutzlose dialektische Argumentationen sich zu helfen sucht, gilt es, die konkrete phänomenologische Arbeit hinreichend weit und hinreichend systematisch durchzuführen, um zuzusehen, wie sich im ego das alter ego als Erfahrungsgegebenheit bekundet und bewährt, welche Art Konstitution für sein Dasein als Dasein in meinem Bewußtseinskreis und meiner Welt aufzukommen hat. Denn ich erfahre ja die Anderen wirklich und erfahre sie nicht nur neben der Natur, sondern in eins verflochten mit der Natur. Ich erfahre dabei die anderen doch in besonderer Weise, ich erfahre sie als nicht nur im Raum im Naturzusammenhang psychologisch verflochten auftretend, sondern erfahre sie als diese selbe Welt, die ich erfahre, auch erfahrend, desgleichen als mich erfahrend wie ich sie erfahre usw. Ich erfahre in mir selbst, im Rahmen meines transzendentalen Bewußtseinslebens alles und jedes und erfahre die Welt als nicht bloß meine private sondern als intersubjektive, für jedermann gegebene und in ihren Objekten zugängliche Welt und darin die Anderen als Andere und zugleich als für einander, für jedermann da. Wie klärt sich das auf, da doch unangreifbar bleibt, daß alles, was für mich ist, in meinem intentionalen Leben Sinn und Bewährung gewinnen kann?
Hier bedarf es einer echt phänomenologischen Auslequng der transzendentalen Leistung der Einfühlung und dazu, solange sie in Frage ist, einer abstraktiven Außer-Geltung-Setzung der Anderen und aller der Sinnesschichten meiner Umwelt, die mir aus der Erfahrungsgeltung der Anderen zuwachsen. Eben damit scheidet sich im Bereich des transzendentalen ego, das ist in seinem Bewußtseinsbereich, eben das spezifisch private egologische Sein ab, meine konkrete Eigenheit als diejenige, deren Analogon ich dann aus Motivationen meines ego her einfühle. Alles eigene Bewußtseinsleben kann ich direkt und eigentlich erfahren als es selbst, nicht aber das fremde: fremdes Empfinden, Wahrnehmen, Denken, Fühlen, Wollen. Aber in mir selbst wird es in einem sekundären Sinn, in der Weise einer eigentümlichen Ähnlichkeitsapperzeption miterfahren, konsequent indiziert, sich dabei einstimmig bewährend. Mit Leibniz zu reden: In meiner Originalität als mir apodiktisch gegebenen Monade spiegeln sich fremde Monaden, und diese Spiegelung ist eine sich konsequent bewährende Indikation. Was da aber indiziert ist, das ist, wenn ich phänomenologische Selbstauslegung vollziehe und darin Auslegung des rechtmäßig Indizierten, eine fremde transzendentale Subjektivität; das transzendentale ego setzt in sich nicht willkürlich, sondern notwendig ein transzendentales alter ego.
Eben damit erweitert sich die transzendentale Subjektivität zur Intersubjektivität, zur intersubjektiv-transzendentalen Sozialität, die der transzendentale Boden ist für die intersubjektive Natur und Welt überhaupt und nicht minder für das intersubjektive Sein aller idealen Gegenständlichkeiten. Das erste ego, auf das die transzendentale Reduktion führt, entbehrt noch der Unterscheidungen zwischen dem Intentionalen, das ihm ursprünglich eigen ist, und dem, was in ihm Spiegelung des alter ego ist. Es bedarf erst einer weitgeführten konkreten Phänomenologie, um die Intersubjektivität als transzendentale zu erreichen. Aber es zeigt sich dabei doch, daß für den philosophierend Meditierenden sein ego das ursprüngliche ego ist, und daß die Intersubjektivität dann in weiterer Folge für jedes erdenkliche ego als alter ego wieder nur denkbar ist als in ihm sich spiegelnde. In dieser Aufklärung der Einfühlung zeigt es sich auch, daß ein abgrundtiefer Unterschied besteht in der Konstitution der Natur, die schon für das abstraktiv isolierte ego einen Seinssinn hat, aber noch keinen intersubjektiven, und der Konstitution der Geisteswelt.
So enthüllt sich der phänomenologische Idealismus als eine transzendental-phänomenologische Monadologie, die nur keine metaphysische Konstruktion ist, sondern eine systematische Auslegung des Sinnes, den für uns alle vor allem Philosophieren die Welt hat, ein Sinn, der nur philosophisch entstellt, aber nicht geändert werden kann.
Der ganze Weg, den wir durchlaufen haben, sollte ein Weg sein mit dem von uns festgehaltenen Cartesianischen Ziel einer universalen Philosophie, das ist universalen Wissenschaft aus absoluter Begründung. Wir dürfen sagen, diese Absicht hat er wirklich innehalten können, und wir sehen schon, daß sie wirklich durchführbar ist.
Das tägliche praktische Leben ist naiv, es ist ein in die vorgegebene Welt Hineinerfahren, Hineindenken, Hineinwerten, Hineinhandeln. Dabei vollziehen sich alle die intentionalen Leistungen des Erfahrens, wodurch die Dinge schlechthin da sind, anonym, der Erfahrende weiß von ihnen nichts; ebenso nichts vom leistenden Denken die Zahlen, die prädikativen Sachverhalte die Werte, die Zwecke, die Werke treten dank den verborgenen Leistungen auf, Glied für Glied sich aufbauend, sie sind allein im Blick. Nicht anders in den positiven Wissenschaften. Sie sind Naivitäten höherer Stufe, Werkgebilde einer klugen theoretischen Technik, ohne daß die intentionalen Leistungen, aus denen alles letztlich entspringt, ausgelegt worden wären.
Wissenschaft beansprucht zwar, ihre theoretischen Schritte rechtfertigen zu können, und beruht überall auf Kritik. Aber ihre Kritik ist nicht letzte Erkenntniskritik, das ist Studium und Kritik der ursprünglichen Leistungen, Enthüllung aller ihrer intentionalen Horizonte, durch die allein die Tragweite der Evidenzen letztlich erfaßt und korrelativ der Seinssinn der Gegenstände, der theoretischen Gebilde, der Werte und Zwecke ausgewertet werden kann. Daher haben wir, und gerade auf der hohen Stufe der modernen positiven Wissenschaften Grundlagenprobleme, Paradoxien, Unverständlichkeiten. Die Urbegriffe, die, durch die ganze Wissenschaft hindurchgehend, den Sinn ihrer Gegenstandssphäre und ihrer Theorie bestimmen, sind naiv entsprungen, sie haben unbestimmte intentionale Horizonte, sie sind Gebilde unbekannter, nur in roher Naivität geübter intentionaler Leistungen. Das gilt nicht nur für die positiven Spezialwissenschaften, sondern auch für die traditionelle Logik mit all ihren formalen Normen. Jeder Versuch, von den historisch gewordenen Wissenschaften her zu besserer Begründung, zu einem besseren Sich- selbst-verstehen nach Sinn und Leistung zu kommen, ist ein Stück Selbstbesinnung des Wissenschaftlers. Es gibt aber nur eine radikale Selbstbesinnung, das ist die phänomenologische. Radikale und völlig universale Selbstbesinnung ist aber untrennbar und zugleich untrennbar von der echten phänomenologischen Methode der Selbstbesinnung in Form der Wesensallgemeinheit. Universale und wesensmäßige Selbstauslegung besagt aber Herrschaft über alle dem ego und einer transzendentalen Intersubjektivität eingeborenen idealen Möglichkeiten.
Eine konsequent fortgeführte Phänomenologie konstruiert also apriori, aber in streng intnitiver Wesensnotwendigkeit und -allgemeinheit die Formen erdenklicher Welten und diese wieder im Rahmen aller erdenklichen Seinsform überhaupt und ihres Stufensystems. Das aber ursprünglich, das ist in Korrelation mit dem konstitutiven Apriori, dem der sie konstituierenden intentionalen Leistungen.
Da sie in ihrem Vorgehen keine vorgegebenen Wirklichkeiten und Wirklichkeitsbegriffe hat, sondern ihre Begriffe von vornherein aus der Ursprünglichkeit der Leistung, der selbst in ursprünglichen Begriffen gefaßten, schöpft und durch die Notwendigkeit, alle Horizonte zu enthüllen, auch alle Unterschiede der Tragweite, alle abstrakten Relativitäten beherrscht, so muß sie zu den Begriffssystemen von sich aus kommen, die den Grundsinn aller wissenschaftlichen Gebilde bestimmen. Es sind die Begriffe, welche alle formalen Demarkationen der Formidee einer möglichen Welt überhaupt vorzeichnen und demnach die echten Grundbegriffe aller Wissenschaften sein müssen. Für solche Begriffe kann es keine Paradoxien geben.
Dasselbe gilt für alle Grundbegriffe, welche den Aufbau und die gesamte Aufbauform der auf die verschiedenen Seinsregionen bezogenen und zu beziehenden Wissenschaften betreffen.
Wir können nun auch sagen: In der apriorischen und transzendentalen Phänomenologie entspringen in letzter Begründung vermöge ihrer Korrelationsforschung alle apriorischen Wissenschaften überhaupt, und, in diesem Ursprung genommen, gehören sie in eine universale apriorische Phänomenologie selbst mit hinein als ihre systematischen Verzweigungen. Dieses System des universalen Apriori ist also auch zu bezeichnen als systematische Entfaltung des universalen, dem Wesen einer transzendentalen Subjektivität also auch Intersubjektivität eingeborenen Apriori oder des universalen Logos alles erdenklichen Seins. Wieder dasselbe besagt: Die systematisch voll entwickelte transzendentale Phänomenologie wäre eo ipso die wahre und echte universale Ontologie, aber nicht bloß eine leere, formale sondern zugleich eine solche, die alle regionalen Seinsmöglichkeiten in sich schlösse, und nach allen zu ihnen gehörigen Korrelationen.
Diese universale konkrete Ontologie (oder auch universale Logik des Seins) wäre also das an sich erste Wissenschaftsuniversum aus absoluter Begründung. Der Ordnung nach wäre die an sich erste der philosophischen Disziplinen die solipsistisch beschränkte Egologie, dann erst in Erweiterung die intersubjektive Phänomenologie, und zwar in einer Allgemeinheit, die zunächst die universalen Fragen behandelt, um sich dann erst in die apriorischen Wissenschaften zu verzweigen.
Dieses universale Apriori wäre dann das Fundament für echte Tatsachenwissenschaften und für eine echte universale Philosophie im Cartesianischen Sinne, eine universale Wissenschaft aus absoluter Begründung. Alle Rationalität des Faktums liegt ja im Apriori. Apriorische Wissenschaft ist Wissenschaft von dem Prinzipiellen, auf das Tatsachenwissenschaft rekurrieren muß, um letztlich, eben prinzipiell begründet zu werden - nur daß die apriorische Wissenschaft keine naive sein darf, sondern aus letzten transzendental-phänomenologischen Quellen entsprungen sein muß.
Schließlich möchte ich, um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen, darauf hinweisen, daß durch die Phänomenologie nur jede naive und mit widersinnigen Dingen an sich operierende Metaphysik ausgeschlossen wird, nicht aber Metaphysik überhaupt. Das an sich erste Sein, das jeder weltlichen Objektivität vorangehende und sie tragende, ist die transzendentale Intersubjektivität, das in verschiedenen Formen sich vergemeinschaftende All der Monaden. Aber innerhalb der faktischen monadischen Sphäre, und als ideale Wesensmöglichkeit in jeder erdenklichen, treten alle die Probleme der zufälligen Faktizität, des Todes, des Schicksals, der in einem besonderen Sinne als sinnvoll geforderten Möglichkeit einzelsubjektiven und gemeinschaftlichen Lebens auf, also auch die Probleme des Sinnes der Geschichte usw. Wir können auch sagen: es sind die ethisch-religiösen Probleme, aber gestellt auf den Boden, in dem alles, was für uns soll möglichen Sinn haben können, eben gestellt sein muß.
So verwirklicht sich die Idee einer universalen Philosophie - ganz anders als Descartes und sein Zeitalter es sich, geleitet von der neuen Naturwissenschaft, dachte - nicht als ein universales System deduktiver Theorie, als ob alles Seiende in der Einheit einer Rechnung stünde, sondern als ein System von phänomenologischen korrelativen Disziplinen auf dem untersten Grund nicht des Axioms ego cogito, sondern einer universalen Selbstbesinnung.
Mit anderen Worten, der notwendige Weg zu einer im höchsten Sinne letztbegründeten Erkenntnis, oder, was einerlei ist, einer philosophischen, ist der einer universalen Selbsterkenntnis, zunächst einer monadischen und dann einer intermonadischen. Das delphische Wort: gnwqi seauton hat eine neue Bedeutung gewonnen. Positive Wissenschaft ist Wissenschaft in der Weltverlorenheit. Man muß erst die Welt durch Epoché verlieren, um sie in universaler Selbstbesinnung wiederzugewinnen. Noli foras ire, sagt Augustinus, in te redi, in interiore homine habitat veritas.
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