Karl Jakob Hirsch
1892 - 1952
Kaiserwetter
1931
Zweiter Teil
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Ein Abend
Wenn euer Stationsvorsteher nachts auf dem Bahnsteig steht, braucht er keine Laterne... der leuchtet ja im Dunkeln“, sagte der dicke Zigarrenhändler Ludwig Wätjen und lachte dabei so, daß er beinahe einen Erstickungsanfall bekam. Die Heiterkeit der übrigen Gäste, die bei Hermann Wendelken im Hohenzollernhof“ saßen, war gedämpft. Schließlich wußte man ja, wie die Dinge standen, und man war ja auch kein Unmensch. Wätjen war aus Bremen und konnte so einen Witz riskieren. Ein Tjammer“, sagte er, ,,en reinen Tjammer...“Dann erzählte er umständlich und auf plattdeutsch, daß der höchste und schönste Augenblick seines Lebens der sei, wenn er an einem mächtig kalten Wintertage, wenn so alles klirrt, eine schwarze Brasil sich ansteckt und dann mitten durch die Kälte über Land geht. So eine schwarze Brasil, die wärmt, und man hat schon ganz klamme Ohren und Finger, und dann so stundenlang auf der Chaussee, und dann in 'ne Wirtschaft und einen Köm trinken... das ist das Schönste. Weißte, so 'ne richtige schwarze Brasil mit Sumatradeckblatt, wie du sie bei mir schon für siebzig Mark kriegen kannst.“ Wätjen meinte nicht pro Stück, sondern pro Tausend.Es war übrigens weit davon entfernt, Winter zu sein. Gott sei Dank war das überstanden. Es war Mai und schon sehr warm. Es gibt noch ein Gewitter“, meinte Hermann.Die Fenster standen weit offen, es war neun Uhr abends. Hermann dachte daran, daß das Eis zu Ende sei. Er muß morgen mal telefonieren und was bestellen.Auch sonst denkt er so manches. An seine Frau, die nun ganz sachte eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht war. Im Josephsstift war man sich nicht einig über ihre Krankheit geworden, und Sezieren wollte er nicht zulassen.Die Geschichte mit Gesine wurde nun schwieriger, sie war seine Stütze, aber er wußte, daß sie auf mehr rechnete. Aber er war vorsichtig. Nur nicht binden, dachte er, erst mal das Leben genießen. Er vergaß, daß er es eigentlich schon genug getan hatte.]awoll... Herr Wätjen, drei Helle... zwei Köm... jawoll, danke.“Hat der Zug wieder Verspätung... wie immer, was?“Ich glaube nicht... da ist ja schon das Signal... machen Sie man zu... und also bis nächste Woche...“Tjawoll... tjawoll...“Wätjen geht ab, trifft in der Türe Gesine. Die trägt Schwarz, obwohl der alte Geffken noch lebt, aber Frau Wendelken ist erst seit vier Wochen tot. Die Leute finden das übertrieben, denn Hermann trägt nur einen Flor, aber Gesine weiß schon, was sie will.Nur mit Cohrs weiß sie es nicht so recht, das ist der einzige Schatten in ihrem Leben. Vater Geffken ist ja wohl gut aufgehoben, er schimpft zwar furchtbar und droht mit der Heimkehr; aber was will so ein alter Mann machen?Hermann... hast du Cohrs gesehen...?“Nee... wieso denn, der kommt doch nicht mehr hierher, der geht doch jetzt zu Bruns, da kann man nichts machen.“Ich hab ihn heute gesehen, da ging er hier vorbei, der sieht sehr schlecht aus, was machen wir bloß...“Wendelken wischt die Gläser ab; Er ist wütend.Wir... sagst du, wir... was geht das alles mich an?“Gesine lacht bloß: Alter Esel, du hast's nötig.“Hermann packt Gesine am Arm: Jetzt bist du ruhig, verstanden!“Warum ich... sei du doch still... du lustiger Witwer...“Sie geht hinaus, schmeißt die Tür zu. Gemeines Weib, denkt Hermann, richtiges gemeines Stück. Wie kam er da heraus?Das ganze Leben muß er wohl die Gesine mit herumschleppen. Er hat sie satt, aber sie hat ihn in der Tasche. Übrigens kann sie gar nichts machen, sie fliegt höchstens selber hinein.Guten Abend... Herr Wachtmeister...“'n Abend, Wendelken... ein Helles bitte...“Der Landjäger und Gendarm Kreikenberg steht in der Türe. Er füllt sie ganz aus. Er hat einen mächtigen Umfang und schwitzt. Er setzt sich ächzend.Mensch“, sagt er, Mensch, das ist 'ne Schweinerei... der Cohrs is weg.“Was“, schreit Hermann, was heißt das... weg?“Er ist nicht auf der Station, sollte um sieben wieder Dienst machen, zu Hause ist er auch nicht, die suchen nun alles ab, haben nach Geestemünde telefoniert...“Wendelken wird es heiß, er geht an die Tür und ruft: Gesine... Gesine...!“Keine Antwort.Kreikenberg war ein gutmütiger Mensch, aber heute war er böse. Das war auch 'ne Sache für einen Familienvater, so abends um halber neune, wenn man gerade die Stiebel von den brennenden Füßen abgezogen hat, wieder loszutuffeln und so 'n Stationsbeamten zu suchen, der ausgekniffen war. Gott, tja, auch... was soll man da machen? – Er trinkt sein Bier aus und geht.Jan Viehbrock erscheint, der Kohlenhändler aus Weyerdeelen, er war wie immer ziemlich betrunken.Viehbrock fuhr jeden zweiten Tag, oder besser gesagt jede zweite Nacht, von Weyerdeelen nach Bremen, mit seinem Wagen. Fuhr nachts um zwölf los und kam gegen Morgen in Bremen an, da lud er Torf ab und Kohlen auf, bummelte durch die Stadt, kannte alle Leute vom Torfhafen bis zur Schwachhauser Chaussee, gab hier und da einen aus, schnakte und spuckte und soff. Auf diese Weise war er an die fünfundfünfzig Jahre alt geworden, ein wetterfester Mensch, gutmütig in den wenigen Augenblicken der Nüchternheit, voll von Herrschergelüste, wenn er betrunken war. Sein Pferd hielt an jeder Wirtschaft, und es war so abgerichtet, daß es nur anhielt, wenn Licht in der Gaststube war. Nachts zwischen eins und sechs Uhr früh konnte Jan ruhig auf dem Bock schlafen, das Pferd ging an allen Kneipen vorüber. Jan war an diesem Abend mit dem Zug angekommen und wartete auf die Kleinbahn, die ihn nach Hause bringen sollte. Er war in Bremen gewesen, in einer Hypothekensache.Viehbrock fragte: Wo ist denn die Deern...?“ Er meinte Gesine. Hermann sagte, sie sei mal fortgegangen. Da meinte Jan: Was sagt die denn zu der Sache mit Cohrs?“Was für 'ne Sache?“ fragte Hermann.Na, den haben se doch eben unterm Zug rausgeholt“, sagte Jan gemütlich und setzte hinzu: So 'n Döskopp!“Hermann zitterte, er schluckte heftig und sauste zur Tür hinaus. Die Gaststube blieb ohne Wirt. Da ging ]an entschlossen zur Theke und goß sich einen Köm ein, noch einen. Als er beim vierten hielt, stand plötzlich Gesine hinter ihm, wachsbleich und verstört, sie setzte sich in die Ecke und starrte vor sich hin. Bald darauf kam Hermann, setzte sich neben Gesine. Dann kam Kreikenberg zurück und schimpfte furchtbar, er schmiß das dicke Notizbuch auf den Tisch und strich sich seinen Schnauzbart.Man hörte Schritte, Hermann stürzte an die Tür, zwei Herren traten ein und ein Gendarm, der Oberwachtmeister aus Lesum. Die Herren setzten sich an den Tisch. Gesine wurde schonend verhört, Hermann gab mit leiser Stimme und sehr umständlich Auskunft. Die Herren von der Mordkommission tranken dann jeder ein großes Bier. Ab und zu kamen einige Gäste, die sich aber still drückten, als sie die ernste Tafelrunde sahen. ]an Viehbrock wollte sich aufspielen, da er als erster die traurige Botschaft gebracht hatte, aber er kam nicht zur Geltung. Er ging um neun und sagte: Djüs ok...“Als der Bremer Zug einfuhr, sagte Hermann zu Kreikenberg: Wo denn?...“Hier gleich am Bahndamm, Deubel ok!“Gesine wischte sich die Augen. Sie war bedrückt und erleichtert zugleich, aber fürchtete sich vor irgend etwas. Sie dachte plötzlich an ihren Vater. Sagte zu Hermann: Ich fahre morgen nach Hannover... Der zischte sie an: Willst du nicht zur Beerdigung bleiben?...“Ach so...!“Daran hatte Gesine nicht gedacht.Die Mordkommission verabschiedete sich, der Oberwachtmeister sagte zu Kreikenberg, daß die Leiche in der Halle bleiben müßte. Tjawoll“, sagte Kreikenberg.Als alle gegangen waren, saßen Gesine und Hermann allein in der Gaststube. Draußen war das Gewitter näher gekommen, es donnerte schon, Hermann ging ans Fenster, es roch nach Regen...Der tote, verstümmelte Cohrs lag noch vier Tage in der Leichenhalle und wartete auf die ewige Ruhe.Im Hohenzollernhof“ saßen zwei gebückte, verzweifelte Menschen, Vater und Mutter Cohrs aus Geestemünde, und warteten auf die Beerdigung, die erst stattfinden konnte, wenn die Staatsanwaltschaft die Leiche zur Beerdigung freigegeben hatte. Es lag zwar klarer Selbstmord vor, aber der Staat war genau und umständlich. Die erlösende Meldung kam nicht. Kreikenberg telefonierte den ganzen Tag nach Verden, ohne Resultat. Es waren furchtbare Tage für Hermann und Gesine. Die Blicke der beiden Alten waren kaum zu ertragen. Am vierten Tag entschloß sich Hermann und ging zu Kreikenberg, setzte ihm auseinander, daß es so nicht weitergehen könne.Na. .. ich kann nichts machen... gar nichts... Ihr müßt euch gedulden...!“Hermann beschwor den Gendarm, er bestürmte ihn, er bat ihn, er schimpfte, er wurde grob und schrie, bis Kreikenberg ihn hinauswarf. Der Gendarm konnte wirklich nichts tun, er wurde selbst angeschnauzt. Schließlich kam noch Gesine angelaufen und fing an zu jammern. Da sagte Kreikenberg endlich: Ich weiß von nichts, macht, was ihr wollt!“ Das war ein Wort.In einem Tage war alles vorbereitet. Der Pastor hatte sich sogar bereit erklärt, die Glocke läuten zu lassen, und kurz vor der Dunkelheit wurde Albert Cohrs beerdigt.Man konnte kaum noch sehen. Der Kirchhof war voller Menschen. Auch die Eisenbahn war vertreten. Der Sarg wurde ans Grab getragen. Der Pastor räusperte sich und sprach von Sohnesliebe und Kindespflicht, Mutter Cohrs weinte herzzerbrechend. Gesine, in Schwarz, stand vorn am Grab. Hermanns Zylinder war etwas gegen den Strich gebürstet. Als der Sarg in die Erde gesenkt wurde, läutete die Glocke klein und zaghaft, wie ein Armesünderglöckchen. Der Sarg rutschte mit der Spitze nach vorn und kam nicht ganz auf den Rand der Grube hinunter.So lag Albert Cohrs schief und unbequem im Grabe, er stand beinahe noch, und er war ja eigentlich noch lebendig, da der Staat den Tod noch nicht genehmigt hatte.Im Hohenzollernhof“ war die Kaffeetafel gedeckt. Der Butterkuchen war frisch und schmeckte herrlich. Die gedrückte Stimmung wurde etwas besser, und die beiden Alten fragten, wann denn ihr Zug ginge.Man war wieder in den Alltag zurückgekehrt. Da erschien plötzlich Kreikenberg, verlegen und doch triumphierend. Er hatte einen Zettel in der Hand, ein Telegramm. Er gab es dem Vater Cohrs, der sagte zitternd zu seiner Frau: Lies es vor.“ Mutter Cohrs hatte die Brille gesucht und las, ehe es jemand verhindern konnte, langsam und akzentuiert wie ein Schulmädchen: Leiche... Cohrs... freigegeben... Staatsanwaltschaft.“ |