BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Georg Heym

1887 - 1912

 

Der ewige Tag

 

1911

 

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Ignis

 

Berlin I (II)

 

Beteerte Fässer rollten von den Schwellen

Der dunklen Speicher auf die hohen Kähne.

Die Schlepper zogen an. Des Rauches Mähne

Hing rußig nieder auf die öligen Wellen.

 

5

Zwei Dampfer kamen mit Musikkapellen.

Den Schornstein kappten sie am Brückenbogen.

Rauch, Ruß, Gestank lag auf den schmutzigen Wogen

Der Gerbereien mit den braunen Fellen.

 

In allen Brücken, drunter uns die Zille

10

Hindurchgebracht, ertönten die Signale

Gleichwie in Trommeln wachsend in der Stille.

 

Wir ließen los und trieben im Kanale

An Gärten langsam hin. In dem Idylle

Sahn wir der Riesenschlote Nachtfanale.

 

 

 

Berlin II (I)

 

Der hohe Straßenrand, auf dem wir lagen,

War weiß von Staub. Wir sahen in der Enge

Unzählig: Menschenströme und Gedränge,

Und sahn die Weltstadt fern im Abend ragen.

 

5

Die vollen Kremser fuhren durch die Menge,

Papierne Fähnchen waren drangeschlagen.

Die Omnibusse, voll Verdeck und Wagen.

Automobile, Rauch und Huppenklänge.

 

Dem Riesensteinmeer zu. Doch westlich sahn

10

Wir an der langen Straße Baum an Baum,

Der blätterlosen Kronen Filigran.

 

Der Sonnenball hing groß am Himmelssaum.

Und rote Strahlen schoß des Abends Bahn.

Auf allen Köpfen lag des Lichtes Traum.

 

 

Laubenfest

 

Schon hängen die Lampions wie bunte Trauben

An langen Schnüren über kleinen Beeten,

Den grünen Zäunen, und von den Staketen

Der hohen Bohnen leuchtend in die Lauben.

 

5

Gesumm von Stimmen auf den schmalen Wegen.

Musik von Trommeln und von Blechtrompeten.

Es steigen auf die ersten der Raketen,

Und platzen oben in den Silberregen.

 

Um einen Maibaum dreht sich Paar um Paar

10

Zu eines Geigers hölzernem Gestreich,

Um den mit Ehrfurcht steht die Kinderschar.

 

Im blauen Abend steht Gewölke weit,

Delphinen mit den rosa Flossen gleich,

Die schlafen in der Meere Einsamkeit.

 

 

Die Züge

 

Rauchwolken, rosa, wie ein Frühlingstag,

Die schnell der Züge schwarze Lunge stößt,

Ziehn auf dem Strom hinab, der riesig flößt

Eisschollen breit mit Stoß und lautem Schlag.

 

5

Der weite Wintertag der Niederung

Glänzt fern wie Feuer rot und Gold-Kristall

Auf Schnee und Ebenen, wo der Feuerball

Der Sonne sinkt auf Wald und Dämmerung.

 

Die Züge donnern auf dem Meilendamme,

10

Der in die Wälder rennt, des Tages Schweif.

Ihr Rauch steigt auf wie eine Feuerflamme,

 

Die hoch im Licht des Ostwinds Schnabel zaust,

Der, goldgefiedert, wie ein starker Greif,

Mit breiter Brust hinab gen Abend braust.

 

 

Berlin III (VIII)

 

Schornsteine stehn in großem Zwischenraum

Im Wintertag, und tragen seine Last,

Des schwarzen Himmels dunkelnden Palast.

Wie goldne Stufe brennt sein niedrer Saum.

 

5

Fern zwischen kahlen Bäumen, manchem Haus,

Zäunen und Schuppen, wo die Weltstadt ebbt,

Und auf vereisten Schienen mühsam schleppt

Ein langer Güterzug sich schwer hinaus.

 

Ein Armenkirchhof ragt, schwarz, Stein an Stein,

10

Die Toten schaun den roten Untergang

Aus ihrem Loch. Er schmeckt wie starker Wein.

 

Sie sitzen strickend an der Wand entlang,

Mützen aus Ruß dem nackten Schläfenbein,

Zur Marseillaise, dem alten Sturmgesang.

 

 

Der Hunger

 

Er fuhr in einen Hund, dem groß er sperrt

Das rote Maul. Die blaue Zunge wirft

Sich lang heraus. Er wälzt im Staub. Er schlürft

Verwelktes Gras, das er dem Sand entzerrt.

 

5

Sein leerer Schlund ist wie ein großes Tor,

Drin Feuer sickert, langsam, tropfenweis,

Das ihm den Bauch verbrennt. Dann wäscht mit Eis

Ihm eine Hand das heiße Speiserohr.

 

Er wankt durch Dampf. Die Sonne ist ein Fleck,

10

Ein rotes Ofentor. Ein grüner Halbmond führt

Vor seinen Augen Tänze. Er ist weg.

 

Ein schwarzes Loch gähnt, draus die Kälte stiert.

Er fällt hinab, und fühlt noch, wie der Schreck

Mit Eisenfäusten seine Gurgel schnürt.

 

 

Die Gefangenen I (II)

 

Den harten Weg entlang im kurzen Trab

Zieht sich der Sträflingstrupp, der heim marschiert

Durch kahle Felder in das große Grab,

Das wie ein Schlächterblock ins Graue stiert.

 

5

Sturm singt. Wind pfeift. Vor ihnen weht und irrt

Ein Haufe alter Blätter kunterbunt.

Die Wächter schließen ihren Zug. Es klirrt

An ihrem Rock das große Schlüsselbund.

 

Das breite Tor geht auf im Riesenbau

10

Und wieder zu. Des Tages roter Rost

Bedeckt den Westen. Trübe in dem Blau

Zittert ein Stern im bittern Winterfrost.

 

Und ein paar Bäume stehn den Weg entlang

Im halben Licht verkrüppelt und beleibt.

15

Wie schwarz aus einer Stirn gekrümmt und krank

Ein starkes Horn steht und nach oben treibt.

 

 

Die Gefangenen II (I)

 

Sie trampeln um den Hof im engen Kreis.

Ihr Blick schweift hin und her im kahlen Raum.

Er sucht nach einem Feld, nach einem Baum,

Und prallt zurück von kahler Mauern Weiß.

 

5

Wie in den Mühlen dreht der Rädergang,

So dreht sich ihrer Schritte schwarze Spur.

Und wie ein Schädel mit der Mönchstonsur,

So liegt des Hofes Mitte kahl und blank.

 

Es regnet dünn auf ihren kurzen Rock.

10

Sie schaun betrübt die graue Wand empor,

Wo kleine Fenster sind, mit Kasten vor,

Wie schwarze Waben in dem Bienenstock.

 

Man treibt sie ein, wie Schafe zu der Schur.

Die grauen Rücken drängen in den Stall.

15

Und klappernd schallt heraus der Widerhall

Der Holzpantoffeln auf dem Treppenflur.

 

 

Der Gott der Stadt

 

Auf einem Häuserblocke sitzt er breit.

Die Winde lagern schwarz um seine Stirn.

Er schaut voll Wut, wo fern in Einsamkeit

Die letzten Häuser in das Land verirrn.

 

5

Vom Abend glänzt der rote Bauch dem Baal,

Die großen Städte knien um ihn her.

Der Kirchenglocken ungeheure Zahl

Wogt auf zu ihm aus schwarzer Türme Meer.

 

Wie Korybanten-Tanz dröhnt die Musik

10

Der Millionen durch die Straßen laut.

Der Schlote Rauch, die Wolken der Fabrik

Ziehn auf zu ihm, wie Duft von Weihrauch blaut.

 

Das Wetter schwelt in seinen Augenbrauen.

Der dunkle Abend wird in Nacht betäubt.

15

Die Stürme flattern, die wie Geier schauen

Von seinem Haupthaar, das im Zorne sträubt.

 

Er streckt ins Dunkel seine Fleischerfaust.

Er schüttelt sie. Ein Meer von Feuer jagt

Durch eine Straße. Und der Glutqualm braust

20

Und frißt sie auf, bis spät der Morgen tagt.

 

 

Die Vorstadt

 

In ihrem Viertel, in dem Gassenkot,

Wo sich der große Mond durch Dünste drängt,

Und sinkend an dem niedern Himmel hängt,

Ein ungeheurer Schädel, weiß und tot,

 

5

Da sitzen sie die warme Sommernacht

Vor ihrer Höhlen schwarzer Unterwelt,

Im Lumpenzeuge, das vor Staub zerfällt

Und aufgeblähte Leiber sehen macht.

 

Hier klafft ein Maul, das zahnlos auf sich reißt.

10

Hier hebt sich zweier Arme schwarzer Stumpf.

Ein Irrer lallt die hohlen Lieder dumpf,

Wo hockt ein Greis, des Schädel Aussatz weißt.

 

Es spielen Kinder, denen früh man brach

Die Gliederchen. Sie springen an den Krücken

15

Wie Flöhe weit und humpeln voll Entzücken

Um einen Pfennig einem Fremden nach.

 

Aus einem Keller kommt ein Fischgeruch,

Wo Bettler starren auf die Gräten böse.

Sie füttern einen Blinden mit Gekröse.

20

Er speit es auf das schwarze Hemdentuch.

 

Bei alten Weibern löschen ihre Lust

Die Greise unten, trüb im Lampenschimmer,

Aus morschen Wiegen schallt das Schreien immer

Der magren Kinder nach der welken Brust.

 

25

Ein Blinder dreht auf schwarzem, großem Bette

Den Leierkasten zu der Carmagnole,

Die tanzt ein Lahmer mit verbundener Sohle.

Hell klappert in der Hand die Kastagnette.

 

Uraltes Volk schwankt aus den tiefen Löchern,

30

An ihre Stirn Laternen vorgebunden.

Bergmännern gleich, die alten Vagabunden.

Um einen Stock die Hände, dürr und knöchern.

 

Auf Morgen geht's. Die hellen Glöckchen wimmern

Zur Armesündermette durch die Nacht.

35

Ein Tor geht auf. In seinem Dunkel schimmern

Eunuchenköpfe, faltig und verwacht.

 

Vor steilen Stufen schwankt des Wirtes Fahne,

Ein Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen.

Man sieht die Schläfer ruhn, wo sie gebrochen

40

Um sich herum die höllischen Arkane.

 

Am Mauertor, in Krüppeleitelkeit

Bläht sich ein Zwerg in rotem Seidenrocke,

Er schaut hinauf zur grünen Himmelsglocke,

Wo lautlos ziehn die Meteore weit.

 

 

Die Dämonen der Städte

 

Sie wandern durch die Nacht der Städte hin,

Die schwarz sich ducken unter ihrem Fuß.

Wie Schifferbärte stehen um ihr Kinn

Die Wolken schwarz vom Rauch und Kohlenruß.

 

5

Ihr langer Schatten schwankt im Häusermeer

Und löscht der Straßen Lichterreihen aus.

Er kriecht wie Nebel auf dem Pflaster schwer

Und tastet langsam vorwärts Haus für Haus.

 

Den einen Fuß auf einen Platz gestellt,

10

Den anderen gekniet auf einen Turm,

Ragen sie auf, wo schwarz der Regen fällt,

Panspfeifen blasend in den Wolkensturm.

 

Um ihre Füße kreist das Ritornell

Des Städtemeers mit trauriger Musik,

15

Ein großes Sterbelied. Bald dumpf, bald grell

Wechselt der Ton, der in das Dunkel stieg.

 

Sie wandern an dem Strom, der schwarz und breit

Wie ein Reptil, den Rücken gelb gefleckt

Von den Laternen, in die Dunkelheit

20

Sich traurig wälzt, die schwarz den Himmel deckt.

 

Sie lehnen schwer auf einer Brückenwand

Und stecken ihre Hände in den Schwarm

Der Menschen aus, wie Faune, die am Rand

Der Sümpfe bohren in den Schlamm den Arm.

 

25

Einer steht auf. Dem weißen Monde hängt

Er eine schwarze Larve vor. Die Nacht,

Die sich wie Blei vom finstern Himmel senkt,

Drückt tief die Häuser in des Dunkels Schacht.

 

Der Städte Schultern knacken. Und es birst

30

Ein Dach, daraus ein rotes Feuer schwemmt.

Breitbeinig sitzen sie auf seinem First

Und schrein wie Katzen auf zum Firmament.

 

In einer Stube voll von Finsternissen

Schreit eine Wöchnerin in ihren Wehn.

35

Ihr starker Leib ragt riesig aus den Kissen,

Um den herum die großen Teufel stehn.

 

Sie hält sich zitternd an der Wehebank.

Das Zimmer schwankt um sie von ihrem Schrei,

Da kommt die Frucht. Ihr Schoß klafft rot und lang

40

Und blutend reißt er von der Frucht entzwei.

 

Der Teufel Hälse wachsen wie Giraffen.

Das Kind hat keinen Kopf. Die Mutter hält

Es vor sich hin. In ihrem Rücken klaffen

Des Schrecks Froschfinger, wenn sie rückwärts fällt.

 

45

Doch die Dämonen wachsen riesengroß.

Ihr Schläfenhorn zerreißt den Himmel rot.

Erdbeben donnert durch der Städte Schoß

Um ihren Huf, den Feuer überloht.