Max Herrmann-Neiße
1886 - 1941
Die Laube der Seligen.Eine komische Tragödie.
1919
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Abend. Promenadenweg an einem Fluß. Rechts eine Laube. In der Mitte der Promenade eine Bank. Aus der Ferne hin und wieder Hundegebell. Am andern Ufer des Flusses von Zeit zu Zeit der vorüberhuschende Lichtschein eines Wagens. Frau Emma Maruschke, eine dicke, etwa 35 Jahre alte Witwe kommt Arm in Arm mit ihrem Zimmerherrn, dem 23jährigen schlanken und blonden Schriftsteller Joseph Wurzel.
Hans Blankes Bühnenbild zu «Die Laube der Seligen» (1919)
EmmaDie gottverfluchten Mücken! ... Ich bin schon ganz kaputt! Meine Arme sind ein einziger roter Fleck ... und meine Beine erst! Da meinen's die Biester besonders gut! Komm bloß hier weg! Gehen wir etwas schneller!JosephIch bin wohl krank ... Ich kann nicht mehr.EmmaSchon wieder! Und das will ein Mann sein! –JosephSetzen wir uns doch etwas auf diese Bank.EmmaEs ist gewiß schon elf!JosephKann sein!EmmaWir werden die Elektrische kaum noch erreichen.JosephBei Gott! Es riecht hier nach Leichen! ...EmmaWas redest du für Unsinn, du bist wirklich nicht gesund.JosephEs riecht hier nach Leichen ... ganz deutlich ...EmmaEin toter Hund ward vielleicht hier verscharrt.JosephWeg von hier, weg, bloß weg! Die Angst, der Schreck ... ich bin wie erstarrt! Ich kann im Dunkeln nicht leben, in der Stille, im Schweigen, unter den gespenstischen Zweigen. Die Angst immer im Hals – Oh, das ist ein Ort des Grauns, eine Stätte des Schicksals ... Komm!EmmaAber beruhige dich doch, mein Josel, mein Lieber, du hast ja das Fieber! Erst willst du dich setzen, hier niederlassen, jetzt voller Entsetzen den Platz schnell verlassen. Ich bin doch bei dir!Sie zieht ihn auf die Bank.So! Leg deinen Arm um meine Hüften.JosephDer Gestank von tausend Grüften liegt über mir, in mir ...EmmaDas ist alles Quatsch! So! Leg deinen Kopf an meinen Busen, gib mir deine rechte Patschhand, und vor allem rauch eine Zigarre!JosephZigarre! Ich kann das Zeug nicht vertragen!EmmaDamit wir die Mücken verjagen und den Geruch, der dich bedrückt, hier sind Streichhölzer!Joseph zündet seufzend eine Zigarre an.Ach, ich bin ja verrückt!EmmaSiehst du, du wirst schon wieder vernünftig mein Schatz. Jetzt komm her und gib mir einen herzhaften Schmatz!JosephDu tötest mich! Wenn du mich wenigstens wirklich zu Tode quältest! Was soll ich? Ich kann nichts mehr schaffen! Du machtest mich ganz zu deinem Affen! Dabei liebe ich dich gar nicht, ich kann dich nicht einmal leiden: Du riechst so nach Schweiß, du bist zu dick, zu heiß! Ich möchte dich so gern vermeiden! Du stinkst so nach gebratenem Fett, dein Hemde ist schmutzig, du bist so gewöhnlich! Wie oft schwor ich schon, von dir zu gehn – und doch lag ich jeden Morgen wieder bei dir im Bett – – –Emma gibt ihm wütend ein paar Ohrfeigen.Das sieht dir ähnlich! So ein Idiot, ein gemeiner Lump, er saugt mich aus, er lebt auf Pump, er verpraßt mein Geld, er tut nichts, hat nichts! Na, dir werd ich zeigen, wer Herr ist im Haus: Du fliegst raus!Joseph apathischMeinswegen, schad't nichts!Emma heulendErst tut man ihm alles Liebe und Gute, und nun man hat keinen Dank dafür! Alle Liebe verschmäht! Mit meinem Herzblute hätt ' ich dich genährt, alles hab ich dir gewährt ... grausam, so grausam!JosephHeule nicht, du weißt, ich kann das nicht vertragen – Du kannst dich nicht beklagen, du nicht?Man hört Schritte.Still! Es kommt wer!
Franziskus mit Babette Gistel.
BabetteWohin führst du mich?FranziskusIn die Stille. Zur Laube der Seligen. Wo wir ungestört sind. Komm!Er zieht sie in die Laube.BabetteDa ist jemand drin ...FranziskusDer geniert nicht mehr!Babette schreiendEin Erhenkter!Franziskus hält sie festBleib! Ein von der Schule des Lebens Geschwenkter, wie ich! Bloß daß er allein herkam und das Beste vergaß; während ich dich mitnahm zum Teufelsfraß!Schaukelt den Leichnam hin und her.Das ist das Leben: ein Purzeln, ein Schweben, ein schlotterndes Baumeln, zu Tode sich Taumeln, ein tolles Geschlenker, am Ende der Henker! Verruchtes Gegaukel die Liebesschaukel! Ein hopsender Schluß!Stößt Babette gegen den Toten.Gib doch dem auch einen Kuß! Hast ja so viele geküßt. – – –Babette fällt mit einem Schrei in Ohnmacht.FranziskusHa, so zart! War das zu viel schon, zu hart! Wach auf!Er zwickt sie. Sie erwacht.Babette zitterndWas willst du?FranziskusWas ich haben muß! So hast du viele betört, sie um schmeichelt, verführt, bald zu Tränen gerührt, bald gehätschelt, bald verlacht und zum Narren gemacht. Hast dich gegeben, hast gelockt, hast dir nun selber die Giftsuppe eingebrockt! Nahmst ihnen die Kraft, alles umsonst verpafft! Gabst ihnen Küsse so viel, Griffe da und dort, und fast am Ziel schicktest du sie lachend fort, mit der Begier und dem Brand, dem ungestillten Feuer. Hohläugig sind wir, blaß, gelähmt und matt – aber ich hab es satt! Gib dich mir ganz! Ließest mich dich nackend sehn – wollte schier vergehn! – gesichert hinter verschlossener Glastür spreiztest du deine Beine – aber als du dann hervortratst, warst du wieder ganz die unnahbar Reine, zugeknöpft bis zum Hals und Reformhosen ebenfalls. Wie ich dich auch beschwor – – – Daß ich mich dann je nach Bedarf immer aufs Sofa warf und meine Jugend und Stärke an mir selber verlor!BabetteGab ich dir nicht genug, so viel ich konnte! Du weißt, daß ich einen andern heiraten muß, einen Reichen, keinen deinesgleichen. Ich muß an meine Eltern denken, was willst du dich darum kränken. Tat ich nicht soviel für dich, alles aus Liebe – – –FranziskusDu verdienst Hiebe! Du betrügst mich und uns alle und deinen Bräutigam auch. Du tatst soviel! Ah! ich war dir auch nur ein Spiel. Du weidest dich an meinen Leiden, du lachst über meine wankenden Kniee: du gehst über den grausamsten Heiden, du stehst tief unter dem Viehe! – Willst du nun oder nicht?Babette schmeichelndHier doch aber nicht. In der Nähe von Leichen. Wir wollen schnell nach Hause schleichen. In meinem kleinen Zimmer bei rosigem Ampelschimmer schenk ich mich dir ganz, du ungestümer, ungestümer Franz!FranziskusNein, hier! Grade hier! Du wirst dich nicht wieder von mir stehlen, im Angesicht des Todes sollst du dich mir vermählen! Komm, schon zittern meine Hände, mach ein Ende! In meinen Armen – – –BabetteErbarmen! – Erbarmen! Ich kann ja heut nicht, sowieso nicht ... Nimm doch Vernunft an!Franziskus stürzt auf sie zu, fällt mit ihr hin, ihn rührt der Schlag.BabetteFranz – Franz! Wa.. was? Das ist ein schlechter Spaß! Kalt, ganz kalt! Heiliger Vater ich stehe in deiner Gewalt! Laß mich glücklich diesem Schrecknis entrinnen, bringe mich lebendig von hinnen! Bloß lebend nach Hause, geschwind, geschwind ...Emma gerührtKomm her du unglückliches Kind!Babette erschreckendIch ...ä ... ich ...EmmaWir tun dir nichts zu Leide, ängste dich nicht!JosephOh! um mich häuft sich der Schmutz, berghoch! Ich ersticke! Freilich, du nimmst deinesgleichen in Schutz!EmmaHalts Maul!Babette hat die Situation erfaßtHaben Sie Nachsicht mit mir! Ja wenn alles so wär, wie er gesagt, meiner Ehr!, ich wär eine ehrvergessene Magd! Aber der Ärmste litt ja an Hallizunationen, an Verfolgungswahn, eifersüchtig wie ein Barbar. Der Ärmste – er war! Mein Fränzel tot! (Weint.) Der Laute, Frohe, etwas Rohe, und doch so Traute, nun so stumm, so still! ...JosephKrokodil!BabetteKein Krokodil! Du kennst mich nicht! Wenn ich ihn nicht liebte, wär ich nicht mit hierhergegangen. Wie hab ich an dem Mann gehangen! Trotz seiner Kapriolen und bizarren Launen – – –JosephDer Teufel soll euch holen! ... Wer weiß? Wer kann in euch hinein? Verschlossene goldene Türen! Wer traut euren Schwüren? Wer kann auf eure Treue bauen, euch trauen? Wer? Fiel nicht jeder bisher hinein? Wer kann euch glauben? Kein Schwein! Erst gibt man euch alles, dann ewiger Dalles und einsam verreckt ...EmmaJetzt hat sich der auch angesteckt!BabetteDu bist gewiß nur recht unglücklich ...EmmaVerrückt ist er, Größenwahn! Dabei so ein Hasenfuß! Vielleicht ist er schon ganz naß vor Schreck! Und spielt sich plötzlich auf als Mann, der Geck! Du hattest ja so Angst, daß du nicht gestorben bist, wundert mich nur!JosephAngst – wovor? Keine Spur! Jetzt nicht mehr! Alles fiel ja ab, alles Kleine! Nur dieses: das Verlogne, Gemeine, das heimtückisch Niedere, das Weibliche! –-EmmaUnd der Erhenkte?Babette schnellEs ist Max.JosephHa, du nennst ihn, du kennst ihn, wie? Vielleicht deinetwegen, auch deinetwegen ...BabetteFränzels wegen! Sein bester Freund! Er war auch in mich verschossen; da Franz meine Liebe genossen, ging er in die Lasterhöhlen, in die Spelunken, hat aus vergiftetem Becher getrunken. Dann verseucht bis auf die Knochen kam er hierher gekrochen und machte Schluß. Was fand er kein Maß im Genuß, warum konnte er sich nicht zügeln!JosephOh, könnte ich euch mit glühenden Gabeln striegeln! Ihr, ihr Ewig-Teuflischen, ihr! – Ich kannte auch einen – wenn ich daran denke, muß ich weinen! Kellnerinnen führten ihn in das Mysterium ein. Seine Mutter war zu gelehrt, die hat sich den Satan um ihr Kind geschert. Da wurde er so hundsgemein. Am Ende, es war um ihn jammerschade, eine Kugel durch den Kopf auf der Promenade, auch auf einer Fluß-Promenade, wie hier gerade. Wir haben ihn trauernd zu Grabe getragen, seine Mutter promovierte in denselbigen Tagen! Ach, ihr seid euch ja alle gleich, die eine so, die andre so, und alle verlogen, selbstsüchtig und roh: der Hölle Bereich!EmmaDu Narr, du blöder Tolpatsch, Hanswurst, Clown!BabetteStill! Ein neues Pärchen!EmmaKauer dich hierher! Sie gehen auch nach der Laube. Das réine Schauermärchen!JosephIch schnappe heut noch völlig über; ich glaube, ich halte das nicht mehr lange aus! Zum Überlaufen voll ist der Topf! Großer Gott, mein armer zermarterter Kopf!EmmaPsst!
Friedel und Ewald.
EwaldZur Laube der Seligen! Der Überstandenen, der Ewig Fröhlichen! Guten Abend, meine Herren! Zwei Vorgänger! Wie schön wir's trafen: schon zwei im Hafen, wir sind doch nicht ganz allein. Wünsche wohl zu schlafen!FriedelZwei Tote!EwaldZwei verglimmte Flammen. Schaure nicht zusammen, zwei Kollegen! Zwei, die uns vorangingen auf diesen verschlungenen Wegen. Wie ihre Seelen uns zuklingen! Hörst du es nicht? Sie sind schon drüben im Licht, wir hocken noch im Trüben – – Ich grüße euch einst weilen! Bald, bald sind wir bei euch. Wir wollen uns beeilen!FriedelAch dieser schreckliche Geruch!Ewald– Kein Segen, kein Fluch! Abgestreift wie einen bunten flatternden Schleier! Küsse, Küsse! – – – Ein Totenfest aufjauchzender Zecher, eine silberne Leichenfeier, dann das purpurne duftende Gift in den Becher – Der Rest – – –FriedelMuß es denn sein?EwaldDu weißt es selbst! Ich habe für dich, für uns gedarbt, ich habe Not und Verfolgung erlitten, ich habe für dich gekämpft und gestritten, ich habe meine Eltern verlassen, ich habe für dich gehungert – wochenlang bin ich ohne eine Wohnstätte herumgelungert, ich bin für dich verkommen in Schmutz und Leere, ich gab für dich meine Kunst – meine Ehre – hast du je ein Wort der Klage von mir vernommen? Ich hab es nie bereut, nun da mich bereits der Mantel des Allmächtigen umschwebt, bekenne ich dankbar: Ich habe gelebt!FriedelWarum können wir nicht weiterleben?EwaldDu weißt es selbst! Ich habe an dich in allem, mit allem geglaubt; – schließlich hab ich für dich geplündert und geraubt. Soll ich meine Freiheit verlieren, ich, so stolz – nein! Was kann mir das Leben nach dem, nach dir noch Köstliches geben, noch Süßeres bringen –FriedelWir könnten fliehen, nach Amerika!EwaldIch will dich nicht zwingen. Du wolltest selbst mich begleiten – lebe du! Ich danke dir für alle Seligkeiten, die du mir beschertest. Bleibe zurück!FriedelOhne dich ... ohne mein Glück!EwaldSo komm! Sage der Welt ade, den tausend Lichtern in der Ferne, der Stadt und dem geheimnisvoll auf leuchtenden Strom, dem Duft, so zart, so matt ...
Ein großer dunkler Dampfer, am Vorderteil ein
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