Max Herrmann-Neiße
1886 - 1941
Empörung, Andacht, Ewigkeit
1918
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Türme in der großen Stadt
Wir wollen uns immer die Hände reichenüber Patina-Grün und Lichter-Flug,doch unsrer ehernen Zungen Zeichen(Wo ist die Stille, die einst uns trug?) | |
5 | haben sich nie vereint,immer war irgendein Feindzwischen uns: Räderspeichen,Autohupen, Reklamen, ein Stadtbahnzug!
Wir starren, verdorrte Bäume, in Schwüle |
10 | (Manchmal schwebt uns ein Luftschiff nah . . .)dürstend nach der Sterne Kühleund der Wolken Gloria.Rauch erdrosselt wehunser: Kyrie! |
15 | und wie Henkerstühlestehn Plätze; Drähte sind wie Mördernetze da.
Über uns kommen Nachtmanöver, Kanonen,wir möchten ausschlagen wie auf dem Walljunge Pferde, aber wir müssen uns schonen |
20 | und stehen immer wie im Stall.Goldner Kreuze Lastliegt auf uns verhaßt.Wo unsre Brüder wohnen,wissen wir nicht. In Scherben zerschellt unsrer einsamen Stimmen Schall . . .
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25 | Unsre Leiber sinken verloren, erbleichenbei Patina-Grün und Lichter-Flug.Wir liegen wie einbalsamierte Leichen,ewiger Krieg tausend Wunden uns schlug.Sind nie vereint, |
30 | immer trennt uns ein Feind,daß wir uns nie erreichen –Wo ist die Stille, die einst uns trug . . . und ertrug? |