Wolfgang Borchert
1921 - 1947
Draußen vor der Tür
1. Szene
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1. Szene(Abend. Blankenese. Man hört den Wind und das Wasser. Beckmann. Der Andere.)
Beckmann: Wer ist da? Mitten in der Nacht. Hier am Wasser. Hallo! Wer ist denn da?Der Andere: Ich.Beckmann: Danke. Und wer ist das: Ich?Der Andere: Ich bin der Andere.Beckmann: Der Andere? Welcher Andere?Der Andere: Der von Gestern. Der von Früher. Der Andere von Immer. Der Jasager. Der Antworter.Beckmann: Der von Früher? Von Immer? Du bist der Andere von der Schulbank, von der Eisenbahn? Der vom Treppenhaus?Der Andere: Der aus dem Schneesturm bei Smolensk. Und der aus dem Bunker bei Gorodok.Beckmann: Und der – der von Stalingrad, der Andere, bist du der auch?Der Andere: Der auch. Und auch der von heute abend. Ich bin auch der Andere von morgen.Beckmann: Morgen. Morgen gibt es nicht. Morgen ist ohne dich. Hau ab. Du hast kein Gesicht.Der Andere: Du wirst mich nicht los. Ich bin der Andere, der immer da ist: Morgen. An den Nachmittagen. Im Bett. Nachts.Beckmann: Hau ab. Ich hab kein Bett. Ich lieg hier im Dreck.Der Andere: Ich bin auch der vom Dreck. Ich bin immer. Du wirst mich nicht los.Beckmann: Du hast kein Gesicht. Geh weg.Der Andere: Du wirst mich nicht los. Ich habe tausend Gesichter. Ich bin die Stimme, die jeder kennt. Ich bin der Andere, der immer da ist. Der andere Mensch, der Antworter. Der lacht, wenn du weinst. Der antreibt, wenn du müde wirst, der Antreiber, der Heimliche, Unbequeme bin ich. Ich bin der Optimist, der an den Bösen das Gute sieht und die Lampen in der finstersten Finsternis. Ich bin der, der glaubt, der lacht, der liebt! Ich bin der, der weitermarschiert, auch wenn gehumpelt wird. Und der Ja sagt, wenn du Nein sagst, der Jasager bin ich. Und der –Beckmann: Sag Ja, soviel wie du willst. Geh weg. Ich will dich nicht. Ich sage Nein. Nein. Nein. Geh weg. Ich sage Nein. Hörst du?Der Andere: Ich höre. Deswegen bleibe ich ja hier. Wer bist du denn, du Neinsager?Beckmann: Ich heiße Beckmann.Der Andere: Vornamen hast du wohl nicht, Neinsager?Beckmann: Nein. Seit gestern. Seit gestern heiße ich nur noch Beckmann. Einfach Beckmann. So wie der Tisch Tisch heißt.Der Andere: Wer sagt Tisch zu dir?Beckmann: Meine Frau. Nein, die, die meine Frau war. Ich war nämlich drei Jahre lang weg. In Rußland. Und gestern kam ich wieder nach Hause. Das war das Unglück. Drei Jahre sind viel, weißt du. Beckmann – sagte meine Frau zu mir. Einfach nur Beckmann. Und dabei war man drei Jahre weg. Beckmann sagte sie, wie man zu einem Tisch Tisch sagt. Möbelstück Beckmann. Stell es weg, das Möbelstück Beckmann. Siehst du, deswegen habe ich keinen Vornamen mehr, verstehst du.Der Andere: Und warum liegst du hier nun im Sand? Mitten in der Nacht. Hier am Wasser?Beckmann: Weil ich nicht hochkomme. Ich hab mir nämlich ein steifes Bein mitgebracht. So als Andenken. Solche Andenken sind gut, weißt du, sonst vergißt man den Krieg so schnell. Und das wollte ich doch nicht. Dazu war das alles doch zu schön. Kinder, Kinder, war das schön, was?Der Andere: Und deswegen liegst du hier abends am Wasser?Beckmann: Ich bin gefallen.Der Andere: Ach. Gefallen. Ins Wasser?Beckmann: Nein, nein! Nein, du! Hörst du, ich wollte mich reinfallen lassen. Mit Absicht. Ich konnte es nicht mehr aushalten. Dieses Gehumpel und Gehinke. Und dann die Sache mit der Frau, die meine Frau war. Sagt einfach [nur] Beckmann zu mir, so wie man zu Tisch Tisch sagt. Und der andere, der bei ihr war, der hat gegrinst. Und dann dieses Trümmerfeld. Dieser Schuttacker hier zu Hause. Hier in Hamburg. Und irgendwo da unter liegt mein Junge. Ein bißchen Mud und Mörtel und Matsch. Menschenmud, Knochenmörtel. Er war gerade ein Jahr alt und ich hatte ihn noch nicht gesehen. Aber jetzt sehe ich ihn jede Nacht. Und unter den zehntausend Steinen. Schutt, weiter nichts als ein bißchen Schutt. Das konnte ich nicht aushalten, dachte ich. Und da wollte ich mich fallenlassen. Wäre ganz leicht, dachte ich: vom Ponton runter. Plumps. Aus. Vorbei.Der Andere: Plumps? Aus? Vorbei? Du hast geträumt. Du liegst doch hier auf dem Sand.Beckmann: Geträumt? Ja. Vor Hunger geträumt. Ich habe geträumt, sie hätte mich wieder ausgespuckt, die Elbe, diese alte ... Sie wollte mich nicht. Ich sollte es noch mal versuchen, meinte sie. Ich hätte kein Recht dazu. Ich wäre [sei] zu grün, sagte sie. Sie sagte, sie scheißt auf mein bißchen Leben. Das hat sie mir ins Ohr gesagt, daß sie scheißt auf meinen Selbstmord. Scheißt, hat sie gesagt, diese verdammte – und gekeift hat sie wie eine Alte vom Fischmarkt. Das Leben ist schön, hat sie gemeint, und ich liege hier mit nassen Klamotten am Strand von Blankenese und mir ist kalt. Immer ist mir kalt. In Rußland war mir lange genug kalt. Ich habe es satt, das ewige Frieren. Und diese Elbe, diese verdammte alte – ja, das hab ich vor Hunger geträumt.Was ist da?Der Andere: Kommt einer. Ein Mädchen oder sowas. Da. Da hast du sie schon.Mädchen: Ist da jemand? Da hat doch eben jemand gesprochen. Hallo, ist da jemand?Beckmann:
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