Irmgard Bock
* 1937
Religion und Politik - ein Versuch
2007/2021
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4. Glaube und Kirchenzugehörigkeit in Europa
Es ist allerdings zu fragen, ob die Problematik des Verhältnisses von Glaube und Politik auch heute noch eine ist, die die Menschen in Europa überhaupt beschäftigt.Dass es in Europa zu einer weitgehenden Säkularisierung gekommen sei, darüber bestand lange weitgehend Einigkeit. Dennoch ist zu überlegen, ob diese Meinung nicht relativiert werden muss, wenn man zwischen Privatisierung und Säkularisierung unterscheidet.Die hohen Zahlen der Kirchenaustritte bedeuten nicht unbedingt eine Abwendung vom Christentum, wenn man die Aussagen der Betroffenen ernst nimmt. Außerdem ist ein sich verstärkender Einfluss von Religion auf Politik weltweit zu beobachten, dessen bedenkliche Auswüchse, der Fundamentalismus. nicht nur ein Problem des Islams sind. Zu fragen wäre, ob nicht eine vergleichbare Tendenz auch sonst zu registrieren ist.Die EVSSG (European Value System Study Group) hat erstmals 1981-83 Daten zu dieser Frage im damals noch kleineren Europa (12 Staaten) erhoben (28754 Befragte) und 10 Jahre später mit einer größeren Stichprobe (35731 Befragte) wiederholt. 1) Methodisch handelt es sich um Selbsteinschätzungen“. 2)1999 hielten sich 67% der Menschen selbst für religiös. Ihr Anteil ist in den letzten Jahren leicht gestiegen, schwankt aber nach Ländern beträchtlich. Über 75% erreichten Polen, Rumänien, Litauen, Kroatien, Slowakei, Lettland, Ukraine in Osteuropa, Portugal, Italien, Griechenland, Österreich, Dänemark und Malta in Westeuropa. Auf unter 50% kamen Bulgarien, Tschechien, Estland, Weißrußland, Frankreich, Großbritannien, Schweden; zwischen 75% und 50% lagen Slowenien, Rußland, Ungarn, Irland, Island, Finnland, Belgien, Niederlande, Nordirland, Luxemburg, Spanien und Deutschland. Man sieht, dass man kaum von einem einheitlichen Trend in Europa sprechen kann. Die Geschichte des Landes und der Kirche(n) spielen sicher eine gewichtige Rolle, wenn man diese Unterschiede erklären will.Um diese Selbsteinschätzung zu verobjektivieren, wurde nach religiösen Handlungen wie Gebet oder Meditation gefragt, und ob Gott auch im täglichen Leben wichtig sei. Danach ergeben sich folgende Werte: 65% der Europäer sind als sehr religiös oder religiös einzustufen, 35% als eher nicht religiös oder gar nicht religiös. Außerdem werden einzelne Elemente christlicher Religion sehr differenziert abgelehnt: Das Verständnis von Gott findet höchste Zustimmung (77%); 55% glauben an ein Leben nach dem Tod, aber nur 34% an die Hölle. Daneben gibt es aber auch Elemente in der persönlichen Überzeugung, die nicht als christlich bezeichnet werden können: der Glaube an Reinkaination und Telepathie oder Glücksbringer z.B. Zulehner fasst zusammen, dass die größte Gruppe von sog. Glaubenskomponisten“ gestellt wird, die esoterischen Elementen eher stark zustimmen und sie mit christlichen und auch magischen Elementen verbinden. 30% der Europäer sind als nichtglaubend zu bezeichnen.Diese Zahlen sind aber nicht unbedingt mit denen für eine Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft identisch. In dieser Studie wurden der Katholizismus, Protestantismus incl. Freikirchen und die Orthodoxie berücksichtigt. 1999 waren in den befragten Ländern 73% Mitglied einer Religionsgemeinschaft mit erheblichen Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern. 3)Es ist schade, dass genauere Werte für Moslems nicht erhoben wurden. Die Bemerkung, dass Angehörige der übrigen Religionsgemeinschaften (Juden. Moslems. Hindus. Buddhisten)“ eine kaum nennenswerte Minderheit unter den Befragten“ 4) ausgemacht habe, lässt die Frage nach der Auswahl der Probanden aufkommen, wenn man bedenkt, dass der Islam z.B. in der Bundesrepublik inzwischen die drittgrößte Religionsgemeinschaft ausmacht.
―――――――― 1) Mit Bezug auf deutsche Jugendliche wurde eine ähnliche Erhebung von Ziebertz (2006) gemacht. 2) Vgl. Zulehner, Paul M. (2002): Die Sehnsucht nach Sinn. In: Denz, Hermann (Hrsg.): Die Europäische Seele – Leben und Glauben in Europa. Wien: Czernin Verlag, S. 23-41. 3) Weitere Zahlen können hier nicht ausgebreitet werden. Es sei deshalb ausdrücklich auf die genannten Studien verwiesen. 4) Vgl. Zulehner, Paul M (2002): a.a.O., S. 31. |