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MASKEN-GARDEROBE
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Wer eine Todesnachricht überbringt, erscheint sich sehr wichtig. Sein Gefühl macht ihn – selbst wider allen Verstand – zum Botschafter aus dem Reiche der Toten. Denn die Gemeinschaft aller Toten ist so riesig, daß sogar der, der nur vom Tod berichtet, sie verspürt. ‚Ad plures ire‘ hieß bei den Lateinern sterben.
In Bellinzona bemerkte ich drei Geistliche in der Wartehalle des Bahnhofs. Sie saßen auf einer Bank schräg gegenüber von meinem Platz. Ich beobachtete hingegeben die Geste dessen, der in der Mitte saß und durch ein rotes Käppchen vor seinen Brüdern ausgezeichnet war. Er spricht zu ihnen, indem er die Hände über dem Schoß gefaltet hält und nur ab und zu die eine oder die andere ganz wenig hebt und bewegt. Ich denke: Die rechte Hand muß immer wissen, was die Linke tut.
Wer kam nicht schon einmal aus der Metro ins Freie und war betroffen, oben in das volle Sonnenlicht zu treten. [77] Und dennoch schien die Sonne vor ein paar Minuten, als er hinunterstieg, genau so hell. So schnell hat er das Wetter auf der Oberwelt vergessen. So schnell wird wiederum sie selber ihn vergessen. Denn wer kann mehr von seinem Dasein sagen, als daß er zwei, drei andern durch ihr Leben so zärtlich und so nah wie das Wetter gezogen ist.
Immer wieder, bei Shakespeare, bei Calderon füllen Kämpfe den letzten Akt und Könige, Prinzen, Knappen und Gefolge ‚treten fliehend auf‘. Der Augenblick, da sie Zuschauern sichtbar werden, läßt sie einhalten. Der Flucht der dramatischen Personen gebietet die Szene halt. Ihr Eintritt in den Blickraum Unbeteiligter und wahrhaft Überlegener läßt die Preisgegebenen aufatmen und umfängt sie mit neuer Luft. Daher hat die Bühnenerscheinung der ‚fliehend‘ Auftretenden ihre verborgene Bedeutung. In das Lesen dieser Formel spielt die Erwartung von einem Orte, einem Licht oder Rampenlicht herein, in welchem auch unsere Flucht durch das Leben vor betrachtenden Fremdlingen geborgen wäre.
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