BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adalbert Stifter

1805 - 1868

 

Der Nachsommer

 

Dritter Band

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

3. Die Mittheilung

 

Zu Hause hatten sie mich noch nicht erwartet, weil ich ihnen durch meinen Brief angezeigt hatte, daß ich mit meinem Gastfreunde eine kleine Reise zu einer alterthümlichen Kirche machen würde. Auch hatten sie sich vorgestellt, daß ich noch einmal in meinen Aufenthaltsort in das Hochgebirge gehen und mich auf der Rückreise eine Zeit in dem Sternenhofe aufhalten werde. Sie irrten aber; denn obwohl ich in beiden Orten war, war ich doch nicht lange dort, und es drängte mein Herz, den Meinigen zu eröffnen, wie meine Angelegenheiten stehen. Als ich dieses gethan hatte, waren sie bei Weitem weniger ergriffen, als ich erwartet hatte. Sie freuten sich, aber sie sagten, sie hätten gewußt, daß es so sein werde, ja sie hätten seit Jahren die jezige Entwicklung schon geahnt. Im Rosenhause und im Sternenhofe, meinten sie, würde man mich nicht so freundschaftlich und gütig behandelt haben, wenn man mich nicht lieb gehabt und wenn man nicht selbst das, was sich jezt ereignet hat, als etwas Angenehmes betrachtet hätte, dessen Spuren man ja doch habe entstehen sehen müssen. So lieb mir diese Ansicht war, weil sie die Gesinnungen meiner Angehörigen gegen mich ausdrückte, so konnte ich doch nicht umhin, zu denken, daß nur die Meinigen die Sache so betrachten, weil sie eben die Meinigen sind, und daß sie mich auch darum des Empfangenen für würdig erachteten. Ich aber wußte es anders, weil ich Natalien und ihre Umgebung kannte und ihren Werth zu ahnen vermochte. Ich konnte das, was mir begegnete, nur als ein Glück ansehen, welches mir ein günstiges Schicksal entgegen geführt hatte und dessen immer würdiger zu werden ich mich bestreben müsse.

Mein Vater sagte, es sei alles gut, die Mutter ließ in wehmüthiger und freudiger Stimmung immer wieder die Worte fallen, daß denn so gar nichts für ein so wichtiges Verhältniß vorbereitet sei; die Schwester sah mich öfter sinnend und betrachtend an.

Ich sprach die Bitte aus, daß die Eltern mir nun beistehen müßten, das, was in den gegenwärtigen Verhältnissen zu thun sei, auf das Schicklichste zu thun, und ich legte auch den Wunsch dar, daß ich nach des Vaters Ansicht eine größere Reise unternehmen möchte.

«Es sind mehrere Dinge nöthig», sagte der Vater. «Zuerst, glaube ich, erwartet man von deinen Eltern eine Annäherung an sie; denn die Angehörigen der Braut können sich nicht schicklich zuerst den Angehörigen des Bräutigams vorstellen. Außerdem hat mir dein Gastfreund Liebes erwiesen, was ich ihm noch nicht habe vergelten können. Ferner hat dir dein Gastfreund Mittheilungen zu machen, die er für nothwendig hält; und endlich solltest du wirklich, wie du auch selber wünschest, eine größere Reise machen, um wenigstens im Allgemeinen Menschen und Welt näher kennen zu lernen. Was deine Gegenleute thun werden, ist ihre Sache, und wir müssen es erwarten. Unsere Angelegenheit ist jezt, das, was uns obliegt, auf solche Weise zu thun, daß wir uns weder vordrängen noch daß etwas geschehe, was wie geringere Achtung dessen aussähe, was uns durch diese Verbindung gebothen wird. Ich glaube, die natürlichste Ordnung wäre folgende. Du mußt zuerst die Mittheilungen deines Freundes anhören, weil sie dir zuerst ohne Bedingung angetragen worden sind. Dann werde ich mit deiner Mutter eine Reise zur Mutter deiner Braut machen und bei dieser Gelegenheit deinen Gastfreund besuchen. Endlich magst du den Vorschlag thun, daß du eine Reise zu höherer Ausbildung zu unternehmen wünschest. Weil aber dein Gastfreund selber gesagt hat, daß du, ehe er dir seine Mittheilungen macht, zu größerer Ruhe kommen sollst, und weil es andererseits unziemend wäre, zu sehr zu drängen, so kannst du nicht jezt sogleich zu ihm gehen und ihn um seine Eröffnungen bitten, sondern du mußt eine Zeit verfließen lassen und ihn später, vielleicht im Winter, besuchen. Dadurch sieht er auch, daß du einerseits nicht zudringlich bist und daß du andererseits, da du in ungewohnter Jahreszeit zu ihm kömmst, doch die Sehnsucht zu erkennen gibst, deine Sache zu fördern. Und damit du gewisser zu der erforderlichen Ruhe gelangest, schlage ich dir vor, mich auf einer kleinen Reise in meine Geburtsgegend zu begleiten, die wir in Kürze antreten können.

Wenn du dann im Winter zu deinem Gastfreunde kömmst, so kannst du ihm unsere Grüße bringen und ihm sagen, daß wir mit Beginn der schöneren Jahreszeit kommen und für dich um die Hand der Tochter seiner Freundin werben werden.»

Alle waren mit diesem Vorschlage vollkommen einverstanden. Besonders freute sich die Mutter, als sie hörte, daß der Vater von freien Stücken auf einen Reiseplan gekommen sei, dessen Richtung sie gar nicht errathen hätte.

«Ich muß mich ja üben», erwiederte er, «wenn ich im Frühlinge eine Reise in das Oberland bis in die Nähe der Gebirge antreten soll, die uns auch in den Rosenhof bringt und weiß Gott wie weit noch führen kann; denn wenn Leute, die immer zu Hause sind, einmal von der Wanderungslust ergriffen werden, dann können sie auch ihres Reisens kein Ende finden und besuchen Gegend um Gegend.»

Ich aber sagte hierauf: «Weil Klotilde nie die Gebirge gesehen hat, weil sie in dieser ganzen Angelegenheit am weitesten zurückgesezt ist, weil ich ihr immer versprochen habe, sie in die Berge zu führen, und weil die Erfüllung dieses Versprechens durch meine größere Reise wieder hinaus geschoben werden könnte: so mache ich ihr den Vorschlag, mit mir, wenn ich mit dem Vater von unserer kleinen Reise zurückgekommen bin, einen Theil des Herbstes in dem Hochgebirge zuzubringen. Die Tage des Herbstes, selbst die des Spätherbstes, sind in den Gebirgen meistens sehr schön, und wir können in den klaren Lüften weiter herum sehen, als es oft in dem schwülen und gewitterreichen Dunstkreise der Monate Juni oder Juli möglich ist.»

Klotilde nahm diesen Vorschlag mit Freude an, und ich versprach ihr, in den Tagen, die noch bis zu meiner Abreise mit dem Vater verfließen werden, alles anzugeben, was sie an Kleidern und sonstigen Dingen zu der Gebirgsreise bedürfe, welche Gegenstände sie dann während meiner Abreise vorrichten lassen könne.

«Wenn ich zu den Mittheilungen meines Freundes an Ruhe gewinnen muß», sezte ich hinzu, «so könnten diese Reisen das beste Mittel dazu abgeben.»

Der Vater und die Mutter waren mit meinem Vorschlage sehr zufrieden. Die Mutter sagte nur, sie werde an den Vorbereitungen Klotildens mitarbeiten und besonders darauf sehen, daß alles vorhanden sei, was zu dem Schuze der Gesundheit gehöre.

Ich erwiederte, daß das sehr gut sei und daß ich auch bei der Reise selber alle Maßregeln ergreifen werde, daß Klotildens Gesundheit keinen Schaden leide.

Wir fingen wirklich am andern Tage an, die Dinge zu bereden, welche Klotilde zur Reise brauche. Sie ging rüstig an die Anschaffung. Ich entwarf ein Verzeichniß der Nothwendigkeiten, welches ich nach und nach ergänzte. Als einige Zeit verflossen war, glaubte ich es so vervollständigt zu haben, daß nun nicht leicht mehr etwas Wesentliches vergessen werden konnte.

Indessen rückte auch der Tag heran, an welchem ich mit dem Vater abreisen sollte.

Am frühen Morgen desselben sezten wir uns in den leichten Reisewagen, dessen sich der Vater immer bedient hatte, wenn er größere Entfernungen zurücklegen mußte. Jezt war er lange nicht mehr aus dem Wagenbehältniß gekommen. Auf Anordnung der Mutter wurde er einige Tage vorher von Sachkundigen genau untersucht, ob er nicht heimliche Gebrechen habe, welche uns in Schaden bringen könnten. Als dies einstimmig verneint worden war, gab sie sich zufrieden. Wir hatten Postpferde, wechselten dieselben an gehörigen Orten und hielten uns in ihnen so lange auf, als es uns beliebte. Gegen jeden Abend ließ der Vater noch bei Tageslicht halten, es wurde das Nachtlager bestellt und wir machten vor dem Abendessen einen Spaziergang. In diesen Tagen, an denen ich mehr Stunden hintereinander ununterbrochen mit dem Vater zubrachte, als dies je vorher der Fall gewesen war, sprach ich auch mehr mit ihm als je zu einer anderen Zeit. Wir sprachen von Kunstdingen: er erzählte mir von seinen Bildern, sagte mir Manches über ihre Erwerbung, was ich noch nicht wußte, und verbreitete sich in guter Rede über ihren Kunstwerth, er kam auf seine Steine und erklärte mir Manches; wir ergingen uns in Büchern, die uns beiden geläufig waren, sezten ihren Werth, wenn er dichterisch oder wissenschaftlich war, auseinander und erinnerten uns gegenseitig an Theile des Inhaltes; wir sprachen auch von Zeitereignissen und von der Lage unsers Staates.

Er erzählte mir endlich von seinem kaufmännischen Geschäfte und machte mich mit dessen Grundlagen und Stellungen bekannt. Er zeigte mir Theile der Gegend, durch die wir fuhren, und unterrichtete mich von dem Schicksale mancher Familie, die in diesem oder jenem Abschnitte der Landschaft wohnte. Unter diesen Verhältnissen kamen wir am vierten Tage an dem Orte unserer Bestimmung an. Die Gegend war mir völlig unbekannt, weil mich meine Wanderungen nie hieher getragen hatten.

Am Saume des Waldes, der den Norden unseres Landes begrenzt, ging ein Thal hin, das einst Wald gewesen war und das jezt zerstreute Häuser, einzelne Felder, Wiesen, Felsen, Schluchten und rinnende Wasser in seinem Bereiche hegte. Eines der Häuser, halb aus Holz gezimmert und halb gemauert, war das Geburtshaus meines Vaters. Es stand am Rande eines Wäldchens, das von dem großen Walde herstammte, der einst diese ganzen Gegenden bedeckt hatte. Es war gegen West durch eine Gruppe sehr großer und dicht stehender Buchen gedeckt. daß ihm die Winde von dorther wenig anhaben konnten, hatte gegen Ost den Schuz eines Felsens, im Norden den des großen Waldbandes und schaute gegen Süden auf seine nicht unbeträchtlichen Wiesen und Felder, deren Ergiebigkeit in Getreide gering, in Futterkräutern außerordentlich war, weßhalb der größere Reichthum auch in Herden bestand. Wir fuhren in das Gasthaus des Thales, ließen unsere Reisedinge abpacken, bestellten uns auf einige Tage Wohnung und besuchten dann die sehr entfernten Verwandten, welche jezt des Vaters Stammhaus bewohnten. Es war gegen Mittag. Sie nahmen uns, da wir uns entdeckt hatten, sehr freundlich auf und verlangten, daß wir unser Gepäcke holen lassen und bei ihnen wohnen sollten. Nur auf die dringenden Vorstellungen des Vaters, daß wir ihnen die Bequemlichkeit nähmen und selber keine gewännen, gaben sie nach und verlangten nur noch, daß wir zum bevorstehenden Mittagessen bei ihnen bleiben sollten, was wir annahmen.

Da wir nun in der großen Wohnstube saßen, zeigte mir der Vater den geräumigen Ahorntisch, bei dem er und seine Geschwister ihre Nahrung eingenommen hatten. Der Tisch war alt geworden, aber der Vater sagte, daß er noch in derselben Ecke stehe, von den zwei Fenstern beglänzt und von der hereinscheinenden Sonne beleuchtet wie einst. Er zeigte mir seine gewesene, neben der Stube befindliche Schlafkammer.

Dann gingen wir hinaus, er wies mir die Treppe, die auf den hölzernen Gang führte, welcher rings um den Hof lief, und den Quell, der sich noch immer mit hellem Wasser in den Granittrog ergoß, welchen schon sein Urgroßvater hatte hauen lassen, er wies mir den Stall, die Scheune und hinter ihr den Waldweg, auf dem er, noch ein halbes Kind, mit einem Stabe in der Hand die Heimath verlassen habe, um in der Fremde sein Glück zu suchen. Wir gingen sogar in das Freie und dort herum. Der Vater blieb häufig stehen und erinnerte sich noch der Fruchtgattungen, welche auf verschiedenen Stellen gestanden waren, als er mit einem Täfelchen, darauf sich rothe und schwarze Buchstaben befanden, in das eine Viertelstunde entlegene hölzerne Haus ging, das an der Straße stand, von Buchen umgeben war und die Schule für alle Kinder des Thales vorstellte. Er sagte, es sei alles noch wie zur Zeit seiner Kindheit, die nehmlichen Begrenzungen, die nehmlichen kleinen Feldwege und dieselben Wassergräben und Quellrinnsale. Er sagte, es sei ihm, als ständen sogar dieselben Arnicablumen auf der Wiese, die er als Knabe angeschaut habe, und da er mich zu dem Steinbühl geführt hatte, der am Rande der Felder lag, so ragten die Himbeerzweige empor, rankten sich die dornenreichen Brombeerreben um die Steine und wucherten die Erdbeerblätter, gerade wie die, von denen er als Knabe gepflückt hatte. Vom Steinbühl gingen wir zu dem einfachen Essen, das wir mit unsern Verwandten verzehrten. Nach demselben besuchten wir mit dem jezigen Eigenthümer alle Besizungen. Der Vater sagte, dort habe sein Vater gepflügt, geeggt, gegraben, hier habe seine Mutter mit der Schwester, der Magd und den Tagelöhnern Heu gemacht, dort seien die Kühe und Ziegen gegen den Wald hinan gegangen wie sie jezt gehen, und die Seinigen haben ausgesehen wie die Leute jezt aussehen.

Als wir zurückgekehrt waren, verabschiedeten wir uns, der Vater dankte für die Bewirthung und sagte, daß er gegen den Abend noch einmal in das Haus kommen werde.

Da wir uns in dem Zimmer unseres Gasthofes befanden, öffnete der Vater seinen Koffer und nahm allerlei Dinge aus demselben hervor, welche zu Geschenken für die Bewohner des Hauses bestimmt waren, in dem wir gespeist hatten. Ich war von ihm nie in die Kenntniß gesezt worden, welche Bewohner wir in seinem Vaterhause treffen würden, er mußte sie wohl auch selber nicht genau gekannt haben. Ich war also nicht mit Geschenken versehen. Der Vater hatte aber auch für diesen Fall gesorgt, er gab mir mehrere Dinge, besonders Stoffe, kleine Schmucksachen und Ähnliches, um es bei unserem Abendbesuche in dem Hause auszutheilen. Er hatte nicht gleich bei seiner Ankunft die Geschenke mitnehmen wollen, weil er es, obwohl die Leute nur die gewöhnlichen Thalbewohner dieser Gegend waren, für unschicklich hielt, mit Gaben belastet das Haus zu betreten und ihnen gleichsam sagen zu wollen: ‹Ich glaube, daß ihr das für das Wichtigste haltet.› Jezt aber war er ihnen etwas schuldig geworden und konnte den Dank für die gute Aufnahme abstatten.

Als wir die Geschenke in dem Hause vertheilt und dafür die Freude und den Dank der Empfänger geerntet hatten, die in zwei Eheleuten mittlerer Jahre, in deren zwei Söhnen, einer Tochter und in einer alten Großmutter bestanden - den Knecht und die zwei Mägde nicht gerechnet -, war es mittlerweile Nacht geworden, und wir kehrten wieder in unsere Herberge zurück.

Wir blieben noch vier Tage in der Gegend. Der Vater besuchte in meiner Begleitung viele Stellen, die ihm einst lieb gewesen waren, einen kleinen See, einen Felsblock, von dem eine schöne Aussicht war, eine Gartenanlage in einem nicht sehr entfernten schloßähnlichen Gebäude, die hölzerne Schule und vor allem die eine und eine halbe Wegestunde entfernte Kirche, welche das Gotteshaus des Thales war und um welche der Kirchhof bog, in welchem sein Vater und seine Mutter ruhten. Eine weiße Marmortafel, die er und sein Bruder hatten sezen lassen, ehrte ihr Angedenken. Sonst ging der Vater auch fast in allen Zeiten des Tages auf den Wegen der Felder und des Waldes herum.

Am fünften Tage traten wir die Rückreise zu den Unsrigen an.

Wir waren am frühen Morgen noch zu unsern Verwandten gegangen. Sie waren, wie es bei Landleuten in solchen Fällen gebräuchlich ist, schöner angekleidet als sonst und erwarteten uns. Wir nahmen in herzlicher Weise Abschied. Ich versprach, da ich ohnehin das Wandern gewohnt sei und viele Gegenden besuche, auch hieher wieder zu kommen und noch öfter in dem kleinen Hause vorzusprechen. Der Vater sagte, es könne sein, daß er wieder komme oder auch nicht, wie es sich eben beim Alter füge. Man müsse erwarten, was Gott gewähre. Die Leute begleiteten uns in das Gasthaus und blieben da, bis wir den Wagen bestiegen hatten. Aus den Worten ihres Abschiedes und ihrer Danksagungen erkannte ich, daß der Vater ihnen auch eine Summe Geldes gegeben haben müsse. Sie sahen uns sehr lange nach.

Im Fortfahren war der Vater anfangs ernst und wortkarg, es mochte ihm das Herz schwer gewesen sein. Später entwickelte sich bei uns wieder ein Verkehr der Rede, wie er auf der Herreise gewesen war.

Am Abende des dritten Tages nach unserer Abfahrt waren wir wieder in dem Hause in der Vaterstadt.

Die Mutter war sehr erfreut, daß der Aufenthalt von elf Tagen in der freien Luft für den Vater von so wohltätigen Folgen gewesen sei. Seine Wangen haben sich nicht nur schön roth gefärbt, sie seien auch voller geworden, und das Auge sei weit klarer, als wenn es immer auf das Papier seiner Schreibstube geblickt hätte.

«Das ist nur die Wirkung des Anfangs und eine Folge des Reizes des Wechsels auf die körperlichen Gebilde», sagte der Vater, «im Verlaufe der Zeit gewöhnt sich Blut, Muskel und Nerv an die freie Luft und Bewegung und das erste röthet sich nicht mehr so, und die lezten schwellen. Allerdings aber wirkt viel Aufenthalt in freier Luft und gehörige Bewegung, in welche sich keine Sorgen mischen, weit günstiger auf die Gesundheit, als ein stettiges Sizen in Stuben und ein Hingeben an Gedanken für die Zukunft. Wir werden schon einmal, und wer weiß wie nahe die Zeit ist, auch dieses Glück genießen und uns recht darüber freuen.»

«Wir werden uns freuen, wenn du es genießest», erwiederte die Mutter, «du entbehrst es am meisten und dir ist es am nöthigsten. Wir Andern können in unsern Garten und in die Umgebung der Stadt gehen, du suchst immer die düstere Stube. Weil du es aber schon so oft gesagt hast, so wird es doch einmal wahr werden.»

«Es wird wahr werden, Mutter», antwortete der Vater, «es wird wahr werden.»

Sie wendete sich an uns, wir sollen bestätigen, daß der Vater nie so gesund und so heiter ausgesehen habe als nach dieser kurzen Reise.

Wir gaben es zu.

Nun mußte aber auch noch auf eine andere Reise gedacht werden, weil heuer einmal der Sommer der Reisen war, und wir mußten dieselbe ins Werk sezen, meine und Klotildens Fahrt ins Gebirge. Der Herbst war schon da, wie ich an den Buchenblättern um das Geburtshaus meines Vaters hatte wahrnehmen können, die bereits im Begriffe waren, die rothe Farbe vor ihrem Abfallen zu gewinnen. Es war keine Zeit mehr zu verlieren.

Für Klotilden waren die Vorbereitungen fertig, ich brauchte keine, weil ich immer in Bereitschaft war, und so konnten wir ungesäumt unsere verabredete Fahrt beginnen.

Die Mutter legte mir das Wohl der Schwester sehr an das Herz, der Vater sagte, wir sollen die Muße nach unserer besten Einsicht genießen, und so fuhren wir bei dem Aufgange einer klaren Herbstsonne aus dem Thore unseres Hauses.

Ich wollte die Schwester, welche ihre erste größere Reise machte, nicht der Berührung mit anderen Menschen in einem gemeinschaftlichen Wagen aussezen, da man deren Wesen und Benehmen nicht voraus wissen konnte; deßhalb zog ich es vor, mit Postpferden so lange zu fahren, als es mir gut erscheinen werde, und dann die Art unsers Weiterkommens im Gebirge je nach der Sachlage zu bestimmen. Es hatte diese Art zu reisen noch den Vortheil, daß ich anhalten konnte, wo ich wollte, und daß ich der Schwester Manches erklären durfte, ohne dabei auf jemand Rücksicht nehmen zu müssen, der als Zeuge gegenwärtig wäre. Auch konnten wir uns in unseren geschwisterlichen Gesprächen über unsere Angehörigen, unser Haus und andere Dinge nach der freien Stimmung unserer Seele bewegen. Auf diese Art fuhren wir zwei Tage. Ich gönnte ihr öfter Ruhe, da sie ein fortwährendes Fahren nicht gewohnt war, und endete immer noch lange vor Abend unsere Tagreise. Wir sahen die Berge schon immer in der Nähe von einigen Meilen mit unserem Wege gleich laufen; aber ihre Theile waren hier weniger wichtig. Es war mir äußerst lieblich, die Gestalt der Schwester neben mir in dem Wagen zu wissen, ihr schönes Angesicht zu sehen und ihren Atem zu empfinden. Ihre schwesterliche Rede und die frische Weise, alles, was ihr neu war, in die vollkommen klare Seele aufzunehmen, war mir unaussprechlich wohltätig.

Am Vormittage des dritten Tages ließ ich sie ruhen. Für den Nachmittag mietete ich einen Wagen, und wir fuhren von der Poststraße weg gerade dem Gebirge zu. Unsere Fahrt war von angenehmer und heiterer Stimmung begleitet, und wir ergingen uns in mannigfaltigen Gesprächen. Als die blauen Berge in der klaren Luft, die einen milchig grünlichen Schimmer hatte, uns entgegen traten, leuchtete ihr Auge immer freundlicher und ihre Mienen waren theilnehmend der Gegend, in die wir fuhren, zugekehrt. Gleich wie bei dem Vater rötheten sich nach dieser dreitägigen Reise auch ihre zarten Wangen, und ihre Augen wurden glänzender. So kamen wir endlich an dem Orte an, den ich für unsere Nachtruhe bestimmt hatte. An demselben rauschte die grüne Afel mit ihren Gebirgswässern vorüber, welches Rauschen durch ein schief über das Flußbett gezogenes Wehr noch vermehrt wurde. Waldhänge in langen Rücken begannen schon sich zu erheben, und oberhalb des dunkeln Randes eines bedeutend hohen Buchenwaldes blickte bereits das rothe Haupt eines im Abende glühenden Berges herein, auf welchem schon einzelne Strecken von Schnee lagen.

Des andern Tages mietete ich ein Gebirgswägelchen, wie sie zum Fortkommen auf Wegen, die nicht Poststraßen sind, in den Gebirgen am besten dienen und deren Pferde an die Gegenstände des Gebirges und an die Beschaffenheit seiner Wege gewöhnt und daher am zuverlässigsten sind. Wir brachten unsere Sachen in demselben, so gut es ging, unter und fuhren der glänzenden Afel entgegen, immer tiefer in die Berge hinein. Ich nannte jeden Namen eines vorzüglichen Berges, machte auf die Bildungen aufmerksam und suchte die Farben, die Lichter und die Schatten zu erörtern. Überall begannen schon die Laubwälder die röthliche und gelbliche Färbung anzunehmen, was den Hauch über all den Gestaltungen noch lieblicher machte.

Da ich in eine gewisse Tiefe des Gebirges gekommen war, änderte ich die Richtung und fuhr nun nach der Länge desselben hin. Als zwei Tage vergangen waren und der dritte auch schon dem Nachmittag zuneigte, blickte uns aus der Tiefe des Thales das Gewässer des Lautersees entgegen. Wir kamen um den Rücken eines breiten Waldberges herum, und die Glanzstellen entwickelten sich immer mehr. Endlich lag der größte Theil des Spiegels unter dem Gezweige der Tannen, der Buchen und der Ahorne zu unsern Füßen. Wir sanken mit unserem Wäglein auf dem schmalen Wege immer tiefer und tiefer, bis wir nach etwa zwei Stunden an dem Ufer des Sees anlangten und die Steinchen in seinen seichten Buchten hätten zählen können. Wir fuhren an dem Ufer dahin, umfuhren eine kleine Strecke des Sees und kamen in dem Seewirthshause an. Dort lohnte ich unsern Fuhrmann ab und mietete uns für mehrere Tage ein. Klotilde mußte dasselbe Zimmer bekommen, welches ich während der Zeiten meiner Vermessungen des Lautersees innegehabt hatte. Ich begnügte mich mit einem kleineren Stübchen in ihrer Nähe. Man staunte das schöne, und wie man sich ausdrückte, vornehme Mädchen an, und ich gewann sichtbar an Ansehen, da ich eine solche Schwester hatte.

Alle, die ein Ruder führen konnten oder die geübt waren, Steigeisen anzulegen und einen Alpenstock zu gebrauchen, kamen herzu und bothen ihre Dienste an. Ich sagte, daß ich sie rufen werde, wenn wir sie bedürfen und daß wir uns dann ihrer Gesellschaft sehr erfreuen würden.

Zuerst machte ich Klotilden ein wenig in ihrem Zimmerchen wohnhaft. Ich zeigte ihr bedeutsam Stellen, die sie aus ihren Fenstern sehen konnte, und nannte ihr dieselben. Ich zeigte ihr, wie ich in verschiedenen Richtungen auf dem See gefahren war, um seine Tiefe zu messen, und wie wir uns bald auf dieser, bald auf jener Stelle des Wassers festsezen mußten. Sie richtete sich Farben und Zeichnungsgeräthe zurechte, um zu versuchen, ob sie nicht auch nach der unmittelbaren Anschauung von den Räumen ihres Zimmerchens aus etwas von den Gestaltungen, die sie hier sehen konnte, auf das Papier zu übertragen vermöchte.

Die folgenden Tage brachten wir damit zu, in den Umgebungen des Seehauses Spaziergänge zu machen, damit Klotilde sich ein wenig in diese Bildungen einlebe. Das vorausgesagte schöne Wetter war eingetroffen, es dauerte fort, und so konnten wir uns der Freude und dem Vergnügen, welche diese Gänge uns gewährten, um so ungestörter hingeben, als auch der Stand unserer Gesundheit ein vortrefflicher war und die Befürchtungen, welche die Mutter und zum Theile auch ich in Hinsicht Klotildens gehegt hatten, nicht in Erfüllung gingen. Wir schickten von hier aus Briefe nach Hause.

In der Folge der Tage führte ich sie auf den See hinaus. Ich führte sie auf die verschiedenen Theile, die entweder an sich schön und bedeutend waren oder von denen man schöne und merkwürdige Anblicke gewinnen konnte. Ich unterstüzte sie mit allen meinen Erfahrungen, die ich mir durch meine mehrfältigen Aufenthalte in dem Gebirge gesammelt hatte. Sie nahm alles mit einer tiefen Seele auf, und durch meine Hilfe waren ihr manche Umwege erspart, welche diejenigen, die zum ersten Male die Berge besuchen, machen müssen, ehe es ihnen gelingt, sich die Größe und Erhabenheit der Gebirge aufschließen zu können. Auf den Seefahrten unterstüzten uns zwei junge Schiffer, die meine steten Begleiter bei meinen Messungen gewesen waren. Wir gingen auch bergan. Ich hatte Klotilden Fußbekleidungen machen lassen, welche nach Innen weich, nach Außen aber hart und dem rauhen Gerölle Widerstand leistend waren. Auf dem Haupte trug sie einen bequemen Schirmhut und in der Hand einen eigens für sie gemachten Alpenstock. Wenn wir auf die Höhen kamen, wurde mit Freude die Aussicht genossen. Klotilde versuchte auch nach der Anschauung etwas zu zeichnen und zu malen; aber die Ergebnisse waren noch weit mangelhafter als bei mir, da sie einen geringeren Vorrath von Erfahrung zu dem Versuche brachte.

Nachdem über eine Woche vergangen war, führte ich Klotilden mittelst eines gleichen Fuhrwerkes, wie wir sie bisher im Gebirge gehabt hatten, in das Lauterthal und in das Ahornhaus. Dort fanden wir ein besseres Unterkommen als in dem Seehause, und wir erhielten zwei nebeneinander befindliche geräumige und freundliche Zimmer, deren Fenster auf die Ahorne vor dem Hause hinausgingen und durch die gelben Blätter derselben auf die blauduftigen Höhen sahen, die vom Hause gegen den Süden standen. Ich zeigte meine Schwester der Wirthin, ich zeigte sie dem alten Kaspar, der auf die Kunde meiner Ankunft sogleich herbei gekommen war, und ich zeigte sie den andern, welche sich gleichfalls reichlich eingefunden hatten. Es war hier ein noch größerer Jubel als in dem Seehause, es freute sie, daß eine solche Jungfrau in die Berge gekommen und daß sie meine Schwester sei. Sie bothen ihre Dienste an und näherten sich mit einiger Scheu.

Klotilde betrachtete alle diese Menschen, die ich ihr als meine Begleiter und Gehilfen bei meinen Arbeiten vorstellte, mit Vergnügen, sie sprach mit ihnen und ließ sich wieder erzählen. Sie lernte sich immer mehr in die Art dieser Leute ein. Ich fragte um meinen Zitherspiellehrer, weil ich Klotilden diesen Mann zeigen wollte und weil ich auch wünschte, daß sie sein außerordentliches Spiel mit eigenen Ohren hören möchte. Wir hatten zu diesem Zwecke unsere beiden Zithern in unserm Gepäcke mitgenommen. Man sagte mir aber, daß seit der Zeit, als ich ihnen erzählt habe, daß er von meinen Arbeiten fortgegangen sei, kein Mensch, weder in den nähern noch in den ferneren Thälern, etwas von ihm gehört habe. Ich sagte also Klotilden, daß sie keinen andern als die gewöhnlichen einheimischen Zitherspieler werde hören können, wie sie dieselben auch bereits gehört habe und wie sie ihr anziehender erschienen seien als die Kunstspieler in der Stadt und als ich, der ich wahrscheinlich ein Zwitter zwischen einem Kunstspieler und einem Spieler des Gebirges sei. Wir richteten uns in unserem Zimmer ein und begannen ungefähr so zu leben, wie wir in der Umgebung des Seehauses gelebt hatten. Ich führte Klotilden in das Echerthal zu dem Meister, welcher unsere Zithern verfertiget hatte. Er besaß noch immer die dritte Zither, welche mit meiner und Klotildens ganz gleich war. Er sagte, es seien zwar Käufer von Zithern gekommen, die diese gepriesen hätten; aber das seien Gebirgsleute gewesen, die nicht so viel Geld haben, sich eine solche Zither kaufen zu können. Die Andern, welche die Mittel besäßen, vorzüglich Reisende, ziehen Zithern vor, welche eine schöne Ausschmückung haben, wenn sie auch theurer sind, und lassen die stehen, deren Tugenden sie nicht zu schäzen wissen. Er spielte ein wenig auf ihr, er spielte mit einer großen Fertigkeit; aber in jener wilden und weichen Weise, mit welcher mein schweifender Jägersmann spielte und welche gerade diesem Musikgeräthe so zusagte, vermochte weder er zu spielen noch hatte ich jemanden so spielen gehört. Ich sagte dem alten Manne, daß das Mädchen meine Schwester sei und daß sie auch eine von den drei Zithern besize, von denen er sage, daß sie die besten seien, die er in seinem Leben gemacht habe. Er hatte seine Freude darüber, gab Klotilden ein Bündel Saiten und sagte: «Es sind meine besten Zithern und werden wohl auch meine besten bleiben.»

Wir besuchten die Thäler und einige Berge um das Ahornhaus, und Kaspar oder ein Anderer waren zuweilen unsere Begleiter und Träger.

Ich führte Klotilden auch in das Häuschen, in welchem ich die Pfeilerverkleidungen für den Vater gekauft hatte, ich führte sie in das steinerne Schloß, in welchen sie ursprünglich gewesen sein mochten, und ich führte sie auch in das Rothmoor, wo sie das Arbeiten in Marmor betrachten konnte.

Wir blieben länger in dem Ahornhause, als wir im Seehause gewesen waren, und alle Menschen waren hier noch freundlicher, zutraulicher und hilfreicher als dort. Die Wirthin war unermüdet in Dienstanerbietungen gegen meine Schwester. Zu Ende unseres Aufenthaltes traten hier kühle und regnerische Tage ein. Wir verbrachten sie still in der heitern Wohnlichkeit des Hauses. Aber aus der Beschaffenheit des Laubes an den Bäumen und dem Aussehen der Herbstpflanzen auf den Matten, aus dem Verhalten der Thiere und aus der Beschaffenheit des Pelzes derselben erkannte ich, daß die dauernde kalte und unfreundliche Zeit noch nicht gekommen sei und daß noch warme und klare Tage eintreten müssen. Als daher das Wetter sich wieder aufheiterte, verließ ich mit Klotilden das Ahornhaus und schlug den Weg in das Kargrat ein.

Ich hatte mich in meinen Voraussezungen nicht getäuscht. Nachdem zwei halb heitere und kühle Tage gewesen waren, die wir mit Fahren zugebracht hatten, zog wieder ein ganz heiterer, zwar am Morgen kalter, in seinem Verlaufe aber sich schnell erwärmender Tag über die beschneiten Gipfel herauf, dem eine Reihe schöner und warmer Tage folgte, die den Schnee auf den Höhen und den, welcher das Eis der Gletscher bedeckt hatte, wieder weg nahmen und das leztere so weit sichtbar machten, als es in diesem Sommer überhaupt sichtbar gewesen war. Wir hatten am zweiten dieser schönen Tage das Kargrat erreicht. Die Reise war darum von so langer Dauer gewesen, weil wir kleine Tagefahrten gemacht hatten und weil wir die Berge hinan und hinab recht langsam gefahren waren. Wir zogen in die Ärmlichkeit unserer Wohnung, die durch die Größe und Öde der Gegend, von welcher sie umgeben war, noch mehr herabgedrückt wurde, ein. Am zweiten Tage nach unserer Ankunft, da alles vorbereitet worden war, folgte mir Klotilde auf das Simmieis. Es waren Führer, Träger von Lebensmitteln und von Allem, was auf einer solchen Wanderung nothwendig oder nüzlich sein konnte, und endlich auch solche, die eine Sänfte hatten, mitgegangen. Wir waren am ersten Tage bis zur Karzuflucht gekommen. Dort waren wir in dem aus Holzblöcken für die Besteiger der Karspize gezimmerten Häuschen über Nacht geblieben, hatten aus mitgebrachtem Holze Feuer gemacht und uns unser Abendessen bereitet.

Mit Anbruch des nächsten Tages gingen wir weiter und kamen im Glanze des Vormittages auf die Wölbung des Gletschers. Daß an eine Besteigung der Karspize nicht gedacht werden konnte, war natürlich.

Wir betrachteten hier nun, was zu betrachten war, und als sich Kälte in den Gliedern einstellen wollte, traten wir den Rückweg an. In der Zuflucht wurden wieder Speisen bereitet, und dann gingen wir vollends hinab. Als wir zurückgekehrt waren, sank mir Klotilde fast erschöpft an das Herz.

Ich legte am andern Tage Klotilden mehrere Zeichnungen, die ich von Gletschern, ihren Einfassungen, Wölbungen, Spaltungen, Zusammenschiebungen und dergleichen gemacht hatte, vor, damit sie in der frischen Erinnerung das Gesehene mit dem Abgebildeten vergleichen konnte. Ich machte auf Vieles aufmerksam, führte Manches in ihr Gedächtniß zurück und erwähnte hier auch als an der geeignetsten Stelle, wie sehr die Abbildung hinter der Wirklichkeit zurück bleibe. In den nächsten zwei Tagen besuchten wir noch verschiedene Stellen, von denen wir das Eis und die Schneegestaltungen dieser Berge betrachten konnten. Auch einen Wassersturz von einer steilrechten Wand zeigte ich Klotilden. Hierauf aber begann ich auf unsere Rückreise zu den Eltern zu denken. Die Zeit war nach und nach so vorgerückt, daß ein Aufenthalt in diesen hochgelegenen Räumen, besonders für ein der Stadt gewohntes Mädchen, nicht mehr ersprießlich war. Ich schlug daher Klotilden vor, nun auf dem nächsten Wege durch das ebenere Land unsere Heimath zu gewinnen zu suchen. Sie war damit einverstanden. Von dem nächsten größeren Orte her wurde ein Fuhrwerk bestellt, welches uns auf die erste Post bringen sollte. Wir nahmen von unserer Wirthin und ihrem Manne so wie von unsern Trägern und Führern, die noch zum Empfange eines kleinen Geschenkes herbei gekommen waren, Abschied; wir verabschiedeten uns von dem Pfarrer, der uns zuweilen besucht und uns auf Schönheiten, von seinem kleinen Gesichtskreise aus, aufmerksam gemacht hatte, und fuhren auf unserem Karren, der nur mit einem Pferde bespannt war, auf dem schmalen Wege von dem Kargrat hinab. Das Lezte, was wir von dem kleinen Örtchen sahen, war die mit Schindeln bedeckte Wand des Pfarrhofes und die gleichfalls mit Schindeln bedeckte Wand der schmalen Seite der Kirche. Ich sagte Klotilden, daß diese Bedeckungen nothwendig seien, um die in diesen Höhen stark wirkende Gewalt des Regens und des Schnees von dem Mauerwerke abzuhalten. Wir konnten nur noch einen Blick auf die zwei Gebäude thun, dann trat eine Höhe zwischen unsere Augen und sie. Wir glitten mit unserem Fuhrwerke sehr schnell abwärts, wilde Gründe umgaben uns, und endlich empfing uns der Wald, der die Niederungen suchte, in ihnen dahin zog und schon wohnlicher und wärmer war. Wir kamen unter Wiegen und Ächzen unseres Wägleins immer tiefer und tiefer, Fahrgeleise von Holzwegen, die den Wald durchstrichen, mündeten in unsere Straße, diese wurde fester und breiter, und wir fuhren zuweilen schon eben und behaglich dahin.

Als wir den Ort erreicht hatten, an welchem sich die nächste Post befand, lohnte ich den Führer meines Wägleins ab, sendete ihn zurück und nahm Postpferde. Wir fuhren in gerader Richtung auf dem kürzesten Wege aus dem Gebirge gegen das flachere Land, um die Heerstraße zu gewinnen, die nach unserer Heimath führte. Immer mehr und mehr sanken die Berge hinter uns zurück, die milde Herbstsonne, die sie beschien, färbte sie immer blauer und blauer, die Höhen, die uns jezt begegneten, wurden stets kleiner und kleiner, bis wir in das Land hinaus kamen, dessen Gefilde mit lauter dem Menschen nuzbarem Grunde bedeckt waren. Dort trafen wir auf die große Straße. Bisher waren wir gegen Norden gefahren, jezt änderten wir die Richtung und fuhren dem Osten zu. Wir hatten auch bessere Wägen.

Da wir einen Tag auf dieser Straße gefahren waren, ließ ich an einem Orte halten und beschloß, einen Tag an demselben zu bleiben; den Abend und die Nacht brachten wir in Ruhe zu. Am andern Tage gegen Mittag führte ich die Schwester auf einen mäßig hoben Hügel. Der Tag war ein sehr schöner Herbsttag, der Schleier, welcher im Vormittage so Hügel als Gründe zart umwebt hatte, war einer völligen Klarheit gewichen. Ich befestigte mittelst Schrauben mein Fernrohr an dem Stamme einer Eiche und richtete es. Dann hieß ich Klotilden durchsehen und fragte sie, was sie sähe.

«Ein hohes, dunkles Dach», sagte sie, «aus welchem mehrere breite und mächtige Rauchfänge empor ragen. Unter dem Dache ist ein Gemäuer von ebenfalls dunkler Farbe, in welchem große Fenster in gemäßen Entfernungen stehen. Das Gebäude scheint ein Viereck zu sein.»

«Und was siehst du weiter, Klotilde, wenn du das Rohr in die Umgebungen des Gebäudes richtest?» fragte ich. «Bäume, die hinter dem Hause stehen, gleichsam wie ein Garten», antwortete sie. «Die Mauern des Gebäudes sind dort licht wie die unserer Häuser. Dann sehe ich Felder, in ihnen wieder Bäume, hie und da ein Haus und endlich wolkenartige Spizen, die wie das Hochgebirge sind, das wir verlassen haben.»

«Es ist das Hochgebirge», antwortete ich.

«Ist das etwa - -?» fragte sie, den Kopf von dem Fernrohre wegwendend und mich ansehend.

«Ja, Klotilde, das Gebäude ist der Sternenhof», antwortete ich. «Wo Natalie wohnt?» fragte sie.

«Wo Natalie wohnt, wo die edle Mathilde verweilt, wo so treffliche Menschen ein und aus gehen, wohin meine Gedanken sich mit Empfindung wenden, wo sanfte Gegenstände der Kunst thronen und wo ein liebes Land um all die Mauern herum liegt», antwortete ich.

«Das ist der Sternenhof!» sagte Klotilde, blickte wieder in das Fernrohr und sah lange durch dasselbe.

«Ich habe dich mit Freude auf diesen Hügel geführt, Klotilde», sagte ich, «um dir diesen Ort zu zeigen, in dem mein warmes Herz schlägt und ein tiefer Theil von meinem Wesen wohnt.»

«Ach lieber, theurer Bruder», antwortete sie, «wie oft gehen meine Gedanken an den Ort und wie oft weilt mein Gemüth in seinen mir noch unbekannten Mauern!»

«Du begreifst aber», sagte ich, «daß wir jezt nicht hingehen können und daß die Angelegenheit ihre naturgemäße Entwickelung haben muß.»

«Ich begreife es», antwortete sie.

«Du wirst sie sehen, an deinem Herzen halten und sie lieben», sagte ich.

Klotilde sah wieder in das Rohr, sie sah sehr lange in dasselbe und betrachtete alles genau. Ich lenkte ihren Blick auf die Theile, die mir wichtig schienen, erklärte ihr alles und erzählte von dem Schlosse und von denen, die in demselben sind.

Es war indessen der Mittag gekommen, wir lösten das Fernrohr ab und gingen langsam unserer Wohnung zu.

«Kann man hier nicht auch das Rosenhaus deines Freundes sehen?» fragte sie im Heimgehen.

«Hier nicht», erwiederte ich, «hier ist nicht einmal der höchste Theil der Rosenhausgegend zu erblicken, weil der Kronwald, den du gegen Norden siehst, sie deckt. Im Weiterfahren werden wir auf einen Hügel kommen, von dem aus ich dir die Anhöhe zeigen kann, auf welcher das Haus liegt und von dem aus du mit dem Fernrohre das Haus sehen kannst.»

Wir gingen in unsere Wohnung, und am nächsten Tage fuhren wir weiter. Als wir an die Stelle gekommen waren, von welcher man die Höhe des Asperhofes sehen konnte, ließ ich halten, wir stiegen aus, ich zeigte Klotilden den Hügel, auf welchem das Haus meines Gastfreundes liegt, richtete das Fernrohr und ließ sie durch dasselbe das Haus erblicken. Wir waren aber hier so weit von dem Asperhofe entfernt, daß man selbst durch das Fernrohr das Haus nur als ein weißes Sternchen sehen konnte. Nach dessen Betrachtung fuhren wir wieder weiter.

Als nach diesem Tage der dritte vergangen war, fuhren wir gegen Abend durch den Thorweg des Vorstadthauses unserer Eltern ein.

«Mutter», rief ich, da uns diese und der Vater, der unsere Ankunft gewußt hatte und daher zu Hause geblieben war, entgegen kamen, «ich bringe sie dir gesund und blühend zurück.»

Wirklich war Klotilde, wie es dem Vater auf seiner kleinen Reise ergangen war, durch die Luft und die Bewegung kräftiger, heiterer und in ihrem Angesichte reicher an Farbe geworden, als sie es je in der Stadt gewesen war.

Sie sprang von dem Wagen in die Arme der Mutter und begrüßte diese und dann auch den Vater freudenvoll; denn es war das erste Mal gewesen, daß sie die Eltern verlassen hatte und auf längere Zeit in ziemlicher Entfernung von ihnen gewesen war. Man führte sie die Treppe hinan und dann in ihr Zimmer. Dort mußte sie erzählen, erzählte gerne und unterbrach sich öfter, indem sie das inzwischen heraufgebrachte Gepäck aufschloß und die mannigfaltigen Dinge heraus nahm, die sie in den verschiedenen Ortschaften zu Geschenken und Erinnerungen gekauft oder an mancherlei Wanderstellen gesammelt hatte. Ich war ebenfalls mit in ihr Zimmer gegangen, und als wir geraume Weile bei ihr gewesen waren, entfernten wir uns und überließen sie einer nothwendigen Ruhe.

Nun folgte für Klotilden fast eine Zeit der Betäubung, sie beschrieb, sie erzählte wieder, sie sezte sich vor Zeichnungen hin, blätterte in ihnen oder zeichnete selber und suchte in der Erinnerung Gesehenes nachzubilden.

Aber auch für mich war diese Reise nicht ohne Erfolg gewesen. Was ich halb im Scherze, halb im Ernste gesagt hatte, daß ich durch diese Reise zu einer größeren Ruhe kommen werde, ist in Wirklichkeit eingetroffen. Klotilde, welche alle die Gegenstände, die mir längst bekannt waren, mit neuen Augen angeschaut, welche alles so frisch, so klar und so tief in ihr Gemüth aufgenommen hatte, hatte meine Gedanken auf sich gelenkt, hatte mir selber etwas Frisches und Ursprüngliches gegeben und mir Freude über ihre Freude mitgetheilt, so daß ich gleichsam gestärkter und befestigter über meine Beziehungen nachdenken und sie mir gewissermaßen vor mir selber zurecht legen konnte.

Ich hatte mit Natalien keinen Briefwechsel verabredet, ich hatte nicht daran gedacht, sie wahrscheinlich auch nicht. Unser Verhältniß erschien mir so hoch, daß es mir kleiner vorgekommen wäre, wenn wir uns gegenseitig Briefe geschickt hätten. Wir mußten in der Festigkeit der Überzeugung der Liebe des Andern ruhen, durften uns nicht durch Ungeduld vermindern und mußten warten, wie sich alles entwickeln werde. So konnte ich mit dem Gefühle von Seligkeit von Natalien fern sein, konnte mich freuen, daß alles so ist, wie es ist, und konnte dessen harren, was meine Eltern und Nataliens Angehörige beginnen werden.

Klotilden, welche ihren Bergen, Lüften, Seen und Wäldern die Farbe geben wollte, die sie gesehen hatte, suchte ich beizustehen und zeigte ihr, worin sie fehle und wie sie es immer besser machen könne. Wir wußten es jezt, daß man die zarte Kraft, wie sie uns in der Wesenheit der Hochgebirge entgegen tritt, nicht darstellen könne und die Kunst des großen Meisters nur in der besten Annäherung bestehe. Auch in ihrem Bestreben, die Art, wie sie im Gebirge die Zither spielen gehört hatte und die eigenthümlichen Töne, die ihr dort vorgekommen waren, nachzuahmen, suchte ich ihr zu helfen. Wir konnten wohl beide unsere Vorbilder nicht völlig erreichen, freuten uns aber doch unserer Versuche.

Bei einigen Freunden machte ich gelegentlich zwei oder drei Besuche.

So war der Winter gekommen. Ich faßte, weil ich schon nach dem Rathe des Vaters beschlossen hatte, im Winter meinen Gastfreund zu besuchen, zugleich auch den Entschluß, einmal im Winter in das Hochgebirge zu gehen und, wenn dies möglich sein sollte, einen hohen Berg zu besteigen und auf dem Eise eines Gletschers zu verweilen. Ich bestimmte hierzu den Januar als den beständigsten und meistens auch klarsten Monat des Winters. Gleich nach seinem Beginne fuhr ich von dem Hause meiner Eltern ab und fuhr in dem flimmernden Schnee und in der blendenden Hülle, die alle Fluren deckte, im Schlitten der Gegend zu, in welcher meine Freunde lebten. Das Wetter war schon durch zehn Tage beständig und mäßig kalt gewesen, der Schnee war reichlich, und auf der Bahn glitten die Fahrzeuge wie in den Lüften dahin. Wie ich sonst nie anders als im offenen Wagen fuhr, so fuhr ich auch jezt, mit guten Pelzen versehen, im offenen Schlitten und freute mich der weichen Hülle, die um meinen Körper war, und auch der, die überall und allüberall lag, freute mich der schweigenden bereiften Wälder, der ruhenden Obstbäume, die ihre weißen Gitter ausstreckten, der Häuser, von denen der wohnliche Rauch aufstieg, und der Unzahl der Sterne, die Nachts in dem kalten und finsteren Himmel feuriger funkelten als je sonst im Sommer. Ich hatte vor, zuerst die Gebirge und dann meinen Gastfreund zu besuchen.

Ich fuhr bis in die Nähe des Lauterthales. Da ich die Straße verlassen sollte, mietete ich einen einspännigen Schlitten, weil in den Seitenwegen, auf denen man immer im Winter nur mit einem Pferde fährt, die Bahn zu enge ist, als daß zwei Pferde sicher neben einander gehen könnten, und fuhr in das Thal und in das Ahornwirthshaus. Die Ahorne streckten ungeheure, abentheuerlich gestaltete, entblätterte und mit feinen Zweigen wie mit Bärten versehene Arme der winterlichen Luft entgegen, das fensterreiche Wirthshaus war in seiner braunen Farbe gegen die Schneedecke auf seinem Dache und gegen den Schnee, der überall ringsum lag, noch brauner als sonst, und die Fichtentische vor dem Hause waren abgebrochen und in Aufbewahrung gethan worden. Die Wirthin empfing mich mit Erstaunen und mit Freude, daß ich in einer solchen Jahreszeit komme, und gab mir das beste Versprechen, daß meine Stube so warm und heimlich sein solle, als wehe kein einziges Lüftchen hinein, und so licht, als schiene die Sonne, wenn sie überhaupt scheint, sonst nirgends hin als auf meine Fenster. Ich ließ meine Geräthschaften in die Stube bringen, und bald loderte auch ein lustiges Feuer in dem Ofen derselben, der ausnahmsweise, wie es sonst in den Gebirgen fast gar nicht vorkömmt, von Innen zu heizen war. Die Wirthin hatte es so einrichten lassen, weil von Außen der Zugang zu dem Ofen so schwer gewesen war. Als ich mich ein wenig erwärmt und meine Hauptsachen in Ordnung gebracht hatte, ging ich in die allgemeine Gaststube hinunter. In ihr waren verschiedene Leute anwesend, die der Weg vorbei führte oder die eine kleine Erquickung und ein Gespräch suchten. Bei den vielen und sehr nahe stehenden Fenstern drang ein reichliches Licht herein, so daß die Sonnenstrahlen des Wintertages um die Tische spielten, was um so wohltätiger war, da auch eine behagliche Wärme von den in dem großen Ofen brennenden Klözen das Zimmer erfüllte. Ich fragte wieder um meinen Zitherspiellehrer, es hatte niemand etwas von ihm gehört. Ich fragte um den alten Kaspar, er war gesund, und es wurde auf meine Bitte um ihn gesendet. Ich sagte, daß ich im Sinne hätte, von dem Lautersee in die Eisfelder der Echern hinaufzusteigen. Ich hätte Anfangs Lust gehabt, das Simmieis an der Karspize zu besuchen; aber der Zugang ins Kargrat sei mir im Winter sehr unangenehm, und wenn die Echern auch etwas tiefer liegen als die Simmen, so seien sie doch schöner und von unvergleichlich wohlgebildeten Felsen eingefaßt. Alle riethen mir von meinem Unternehmen ab, es sei im Winter nicht durchzudringen, und die Kälte sei auf den Bergen so groß, daß sie kein Mensch zu ertragen vermöge. Ich widerlegte die Einwürfe vorerst dadurch, daß ich sagte, es sei eben im Winter niemand auf den Echern gewesen, wie sie selber berichten, und daß man daher nichts Sicheres wissen könne.

«Aber man kann es sich denken», erwiederten viele.

«Erfahrung ist noch besser», sagte ich.

Indessen kam der alte Kaspar. Die Sache wurde ihm gleich von den Anwesenden erzählt, und er rieth auch entschieden von dem Unternehmen ab. Ich sagte, daß viele Forscher in Naturdingen im Winter schon auf hohen Bergen gewesen seien, auf höheren als den Echern, daß sie dort Nächte und zuweilen auch eine Reihe von Tagen und Nächten zugebracht haben. Man wendete immer ein, das seien andere Berge gewesen, und in den hiesigen gehe es durchaus nicht. Der alte Kaspar verstand sich endlich ganz allein dazu, mich, wenn ich durchaus wolle, zu begleiten. Aber das Wetter, meinte er, müßten wir uns sorgsam dazu auslesen. Ich erwiederte ihm, daß ich Geräthe bei mir hätte, die mir anzeigen, wenn eine schöne Zeit bevorstehe, daß ich mich auch ein wenig auf die Zeichen an dem Himmel verstehe und daß ich selber auf den Höhen nicht gar gerne in einen Schneesturm oder in einen langedauernden Nebel gerathen möchte. Alle andern Leute, welche mir sonst gerne bei meinen Bergarbeiten geholfen hatten und welche ich ebenfalls ins Wirthshaus hatte rufen lassen, lehnten es durchaus ab, mich im Winter in die Echern zu begleiten. Dem Kaspar sagte ich, er müsse sich vorbereiten. Ich hätte selber verschiedene Dinge bei mir, von denen er sich die aussuchen könne, von welchen er glaube, daß er sie auf unserer Wanderung mitnehmen möge. Den Tag, an welchem wir zum See hinunter gehen werden, würde ich ihm dann schon sagen. Ich ging unter den lebhaftesten Gesprächen der Anwesenden über diesen Gegenstand in meine Stube zurück und brachte den Abend in derselben zu. Ich wußte, daß sie nun tief in die Nacht hinein über die Sache sprechen würden und daß in den nächsten Tagen für das ganze Thal diese Unternehmung den Stoff der Unterredungen bilden wurde.

Es meldete sich nun auch wirklich keiner mehr, um mich und Kaspar zu begleiten.

Die Zeit bis zum Beginne unsers Unternehmens brachte ich damit zu, daß ich Wanderungen in der Umgegend machte. Ich betrachtete die Wälder, die in Ruhe und Pracht dastanden, ich betrachtete die Höhen, auf welchen die unermeßlichen Schneemengen lagen, ich betrachtete die Echernwand, von der eine Last von Eiszapfen niederhing, deren manche die Dicke von Bäumen hatten, zuweilen losbrachen und mit Krachen und Klingen in den Schnee niederstürzten, ich ging auf Berge und schaute in die stille, gleichsam verdichtete Winterluft und auf alle die weißen Gebilde, die durch dunkle Wälder, durch Felsen und durch das sanfte Blau der fernen Bergzüge geschnitten waren.

Gegen die Mitte des Januars, zu welcher Zeit gewöhnlich das Wetter am ausdauerndsten zu sein pflegt, stellten sich die Zeichen ein, daß längere Zeit schöne Tage sein werden. Ein etwas weicher Lufzug der vorigen Tage hatte sich verloren, die graue Decke am Himmel war verschwunden und den verwaschenen Federwolken war eine tiefe Bläue gefolgt. Die Luft zog aus Osten, die Kälte mehrte sich, der Schnee flimmerte und Abends zeigte sich der feine blauliche Duft in den Gründen, der heitere Morgen und immer größere Kälte versprach. Meine Werkzeuge gaben starken Luftdruck und große Trockenheit an.

Ich sagte dem alten Kaspar, daß wir nunmehr aufbrechen würden. Wir nahmen an Alpenstöcken, Steigeisen, Stricken, Schneereifen, Decken, Kleidern, was wir nöthig erachteten, eine Schaufel, eine Axt, Kochgeschirr und Lebensmittel auf mehrere Tage. So bepackt gingen wir zu dem See. Dort theilten wir unsere Dinge in zwei bequeme Lasten, daß jeder mit der seinigen so leicht als möglich gehen könne, und erwarteten den nächsten Morgen.

Beim Grauen des Lichtes machten wir uns auf den Weg und stiegen mit unseren sehr hohen Stiefeln, die ich eigens zu diesem Zwecke hatte machen lassen, in den tiefen Schnee der Wege, die zu den Höhen, auf die wir wollten, führten, die aber nur im Sommer betreten wurden, die jezt keine Spur zeigten und die wir nur fanden, weil wir der Gegend sehr kundig waren. Wir gingen mehrere Stunden in diesem tiefen Schnee, dann kamen Wälder, in denen er niederer lag und durch welche das Fortkommen leichter war. Viele Gerölle und schiefliegende Wände, die nun folgten, zeigten ebenfalls weniger Schnee als die Tiefe, und es war über sie im Winter leichter zu gehen, als ich es im Sommer gefunden hatte, da die Unebenheiten und die kleinen scharfen Riffe und Steine mit einer Schneedecke überhüllt waren. Als wir die ersten Vorberge überwunden hatten und auf die Hochebene der Echern gekommen waren, von der man wieder den blauen See recht tief und dunkel in der weißen Umgebung unten liegen sah, machten wir ein wenig Halt. Die Oberfläche der Echern oder die Hochebene, wie man sie auch gerne nennt, ist aber nichts weniger als eine Ebene, sie ist es nur im Vergleiche mit den steilen Abhängen, welche ihre Seitenwände gegen den See bilden. Sie besteht aus einer großen Anzahl von Gipfeln, die hinter und neben einander stehen, verschieden an Größe und Gestalt sind, tiefe Rinnen zwischen sich haben und bald in einer Spize sich erheben, bald breitgedehnte Flächen darstellen. Diese sind mit kurzem Grase und hie und da mit Knieföhren bedeckt, und unzählige Felsblöcke ragen aus ihnen empor. Es ist hier am schwersten durchzukommen. Selbst im Sommer ist es schwierig, die rechte Richtung zu behalten, weil die Gestaltungen einander so ähnlich sind und ein ausgetretener Pfad begreiflicher Weise nicht da ist: wie viel mehr im Winter, in welchem die Gestalten durch Schneeverhüllungen überdeckt und entstellt sind, und selbst da, wo sie hervorragen, ein ungewohntes und fremdartiges Ansehen haben. Es sind mehrere Alpenhütten in diesem Gebiete zerstreut, und es befinden sich im Sommer Herden hier oben, die aber, wie zahlreich sie auch sind, in der großen Ausdehnung verschwinden und sich gegenseitig oft Monate lang nicht sehen. Wir wünschten noch beim Lichte des Tages über diese Erdbildungen hinüber zu kommen und hatten vor, zur Einhaltung der Richtung uns gegenseitig in unserer Kenntniß der Riffe und der Hügelgestaltungen zu unterstüzen und uns die entscheidenden Bildungen wechselseitig zu nennen und zu beschreiben. Am oberen Ende der Hochebene, wo wieder die größeren Felsenbildungen beginnen und das Verirren weit weniger möglich ist, steht im Bereiche großer Kalksteinblöcke eine Sennhütte, die Ziegenalpe genannt, welche das Ziel unserer heutigen Wanderung war. Am Rande der Bergansteigung und dem Anfange der Hochebene, wo wir jezt waren, sezten wir uns nieder. Es liegt da ein großer Stein, der beinahe ganz schwarz ist. Er ist nicht nur dieser Farbe willen an sich merkwürdig, sondern besonders darum, weil er durch eben diese Farbe, dann durch seine Größe und seine seltsame Gestalt von Weitem gesehen werden kann und denen, die von der Ziegenalpe durch die Hochebene abwärts kommen, zum Zeichen, und wenn sie bei ihm angelangt sind, zur Beruhigung des richtig zurückgelegten Weges dient. Weil Vielen, die auf der Hochebene sind, Sennen, Alpenwanderern, Jägern, der Stein ein Versammlungsort ist, so findet sich von ihm ab schon ein merkbar ausgetretener Pfad und man kann die Richtung zu dem See hinab nicht mehr leicht verfehlen. Auch ist die gegen Sonnenaufgang überhängende Gestalt des Felsens geeignet, vor Regen und heftigen Westwinden zu schüzen. Als wir bei ihm angelangt waren, sahen wir freilich keine Spur eines Menschen rings um ihn; denn unberührter Schnee lag bis zu seinen Wänden hinzu, und er stand noch einmal so schwarz aus dieser Umgebung hervor. Wir fanden aber auf kleineren Steinen, die unter seinem Überdache lagen, und auf die der Schnee nicht hereingefallen war, Raum zum Sizen und folgten dieser Einladung willig, da sich schon Ermüdung eingestellt hatte. Kaspar schnallte die Umhüllungen der Decken auseinander und holte zwei leichte, aber wärmende Pelze und andere Pelzsachen hervor, die ich dazu bestimmt hatte, unsere Körper und Füße, die im Wandern sich sehr erwärmt hatten, in der Ruhe vor Verkühlung zu schüzen. Als wir diese Pelzdinge umgethan hatten, schritten wir dazu, uns durch Speise und Trank zu erquicken. Etwas Wein und Brod reichte zu dem Zwecke hin. Ich betrachtete, nachdem unser Mahl vollendet war, den Wärmemesser, welchen ich gleich nach unserer Ankunft an einer freien Stelle auf meinen Alpenstock aufgehängt hatte, und zeigte meinem Begleiter Kaspar, daß die Wärme hier oben größer sei, als wir sie gestern zu gleicher Tageszeit unten in der Ebene des Sees gehabt hatten. Die Sonne schien sehr kräftig auf den Schnee, es wehte kein Lüftchen, an dem grünlich blaulichen Himmel lagerten nur ein paar sehr dünne weißliche Streifen. Auch konnte man von dem Steinvorsprunge, von dem aus der See zu erblicken war, fast deutlich wahrnehmen, daß unten nicht nur die dichtere, sondern auch kältere Luft liege. Denn so deutlich und klar der See zu erblicken war, so zog sich doch an den weißen oder weißgesprenkelten Wänden desselben ein feiner blaulich schillernder Dunst hin zum Zeichen, daß dort unsere obere, wärmere Luft mit der unteren, schon seit längerer Zeit über dem See stehenden kälteren zusammengrenze und sich da ein sanfter Beschlag bilde. Ich schaute nur noch auf den Feuchtigkeitsmesser und den des Luftdruckes, dann packte Kaspar unsere Decken und Pelze, ich meine Geräthe ein, und wir gingen unsers Weges weiter.

Mit großer Vorsicht suchten wir die Richtung, die uns noththat, zu bestimmen. Auf jeder Stelle, die eine größere Umsicht gewährte, hielten wir etwas an und suchten uns die Gestalt der Umgebung zu vergegenwärtigen und uns des Raumes, auf dem wir standen, zu vergewissern. Ich zog zum Überflusse auch noch die Magnetnadel zu Rathe. In den Niederungen und Mulden zwischen einzelnen Höhen mußten wir uns der Schneereife bedienen. Gegen den späten Nachmittag stiegen uns die höheren und dunkleren Zacken der Echern aus dem Schnee entgegen. Als die Sonne fast nur mehr um ihre eigene Breite von dem Rande des Gesichtskreises entfernt war, kamen wir in der Ziegenalpe an. Hier hatten wir einen eigenthümlichen Anblick. Es ist da eine Stelle, von welcher aus man nicht mehr zu dem See oder zu seiner Umgebung zurücksehen kann, dafür öffnet sich gegen Sonnenuntergang ein weiter Blick in die Lichtung des Lauterthales, besonders aber in das Echerthal, in welchem der Mann wohnt, welcher meine und Klotildens Zither gemacht hatte. In diese Ferne wollte ich noch einen Blick thun, ehe wir in die Hütte gingen. Aber ich konnte die Thäler nicht sehen. Die Wirkung, welche sich aus dem Aneinandergrenzen der oberen, wärmeren Luft und der unteren, kälteren, wie ich schon am schwarzen Steine bemerkt hatte, ergab, war noch stärker geworden, und ein einfaches, wagrechtes, weißlichgraues Nebelmeer war zu meinen Füßen ausgespannt. Es schien riesig groß zu sein und ich über ihm in der Luft zu schweben.

Einzelne schwarze Knollen von Felsen ragten über dasselbe empor, dann dehnte es sich weithin, ein trübblauer Strich entfernter Gebirge zog an seinem Rande, und dann war der gesättigte, goldgelbe, ganz reine Himmel, an dem eine grelle, fast strahlenlose Sonne stand, zu ihrem Untergange bereitet. Das Bild war von unbeschreiblicher Größe. Kaspar, welcher neben mir stand, sagte: «Verehrter Herr, der Winter ist doch auch recht schön.»

«Ja, Kaspar», sagte ich, «er ist schön, er ist sehr schön.»

Wir blieben stehen, bis die Sonne untergegangen war. Die Farbe des Himmels wurde für einen Augenblick noch höher und flammender, dann begann alles nach und nach zu erbleichen und schmolz zulezt in ein farbloses Ganzes zusammen. Nur die gewaltigen Erhebungen, die gegen Süden standen und die das Eis, das wir besuchen wollten, enthielten, glommen noch von einem unsichern Lichte, während mancher Stern über ihnen erschien. Wir gingen nun in dem beinahe finster gewordenen und ziemlich unwegsamen Raume zur Hütte, um in derselben unsere Vorbereitungen zum Übernachten zu treffen. Die Hütte war, wie es im Winter immer ist, wo sie leer steht, nicht gesperrt. Ein Holzriegel, der sehr leicht zu beseitigen war, schloß die Thür. Wir traten ein, steckten eine Kerze in unsern Handleuchter und machten Licht. Wir suchten das Gemach der Sennerinnen und ließen uns dort nieder. In den Schlafstellen war etwas Heu, ein grober Brettertisch stand in der Mitte des Gemaches, eine Bank lief an der Wand hin und eine bewegliche stand an dem Tische. Wir hatten vor, hier erst unser eigentliches warmes Tagesmahl zu bereiten. Aber, worauf wir kaum gefaßt waren, es zeigte sich nirgends auch nicht der geringste Vorrath von Holz. Ich hatte für den Fall Weingeist bei mir, um einige Schnitten Braten in einer flachen Pfanne rösten zu können; aber wir zogen es vorzüglich wegen der Erwärmung des Körpers vor, ein Stück Bank zu verbrennen und dem Eigenthümer Ersaz zu leisten. Kaspar machte sich mit der Axt an die Arbeit, und bald loderte ein lustiges Feuer auf dem Herde. Ein Abendessen wurde bereitet, wie wir es oft bei unsern Gebirgsarbeiten bereitet hatten, aus dem Heu der Schlafstellen, den Decken und den Pelzen wurden Betten zurecht gemacht, und nachdem ich noch meine Meßwerkzeuge, die im Freien vor der Hütte aufgehängt waren, betrachtet hatte, begaben wir uns zur Ruhe. Auch jezt am späten Abende war bei ganz heiterem, sternenvollem Himmel eine viel mindere Kälte in dieser Höhe als ich vermuthet hatte.

Ehe der Tag graute, standen wir auf, machten Licht, kleideten uns vollständig an, richteten all unsere Dinge zurecht, bereiteten ein Frühmahl, verzehrten es und traten unsern Weg an. Die Echernspize stand fast schwarz im Süden, wir konnten sie deutlich in die blasse Luft über dem Haustein, der uns noch unsere Eisfelder deckte, empor ragen sehen. Der Tag war wieder ganz heiter. Obgleich es noch nicht licht war, durften wir eine Verirrung nicht fürchten, denn wir mußten geraume Zeit zwischen Felsen empor gehen, die unsere Richtung von beiden Seiten begrenzten und uns nicht abweichen ließen. Wir legten, weil der Schnee in diesen Rinnen sich angehäuft hatte, unsere Schneereife an und gingen in der ungewissen Dämmerung vorwärts. Nach etwas mehr als einer Stunde Wanderung kamen wir auf die Höhe hinaus, wo die Gegend sich wieder öffnet und gegen Osten weite Felder hinziehen. Diese biegen, nachdem sie sich ziemlich hoch erhoben, gegen Süden um einen Fels herum und lassen dann den Eisstock erblicken, zu dem wir wollten. Dieser drückt mit großer Macht von Süden gegen Norden herab und hat zu seiner südlichen Begrenzung die Echernspize. Auf den erklommenen Feldern war es schon ganz licht; allein die Berge, welche wir am östlichen Rande derselben unter uns und weit draußen erblicken sollten, waren nicht zu sehen, sondern am Rande der mit Schnee bedeckten Felder sezte sich eine Farbe, die nur ein klein wenig von der Schneefarbe verschieden war, fast ins Unermeßliche fort, die des Nebels. Er hatte seit gestern noch mehr überhand genommen und begrenzte unsere Höhe als Insel. Kaspar wollte erschrecken. Ich aber machte ihn aufmerksam, daß der Himmel über uns ganz heiter sei, daß dieser Nebel von jenem sehr verschieden sei, der bei dem Beginne des Regen- oder Schneewetters zuerst die Spizen der Berge in Gestalt von Wolken einhüllt, sich dann immer tiefer, oft bis zur Hälfte der Berge, hinabzieht und den Wanderern so fürchterlich ist; unser Nebel sei kein Hochnebel, sondern ein Tiefnebel, der die Bergspizen, auf denen das Verirren so schrecklich sei, freilasse und der beim Höhersteigen der Sonne verschwinden werde. Im schlimmsten Falle, wenn er auch bliebe, sei er nur eine wagrechte Schichte, die nicht höher stehe, als wo der schwarze Stein liegt. Von dort hinab aber ist uns der Weg sehr bekannt, wir müssen unsere eigenen Fußstapfen finden und können an ihnen abwärts gehen.

Kaspar, welcher mit dem Gebirgsleben sehr vertraut war, sah meine Gründe ein und war beruhigt.

Während wir standen und sprachen, fing sich an einer Stelle der Nebel im Osten zu lichten an, die Schneefelder verfärbten sich zu einer schöneren und anmuthigeren Farbe, als das Bleigrau war, mit dem sie bisher bedeckt gewesen waren, und in der lichten Stelle des Nebels begann ein Punkt zu glühen, der immer größer wurde und endlich in der Größe eines Tellers schweben blieb, zwar trübroth, aber so innig glimmend wie der feurigste Rubin. Die Sonne war es, die die niederen Berge überwunden hatte und den Nebel durchbrannte. Immer röthlicher wurde der Schnee, immer deutlicher, fast grünlich seine Schatten, die hohen Felsen zu unserer Rechten, die im Westen standen, spürten auch die sich nähernde Leuchte und rötheten sich. Sonst war nichts zu sehen als der ungeheure, dunkle, ganz heitere Himmel über uns, und in der einfachen großen Fläche, die die Natur hieher gelegt hatte, standen nur die zwei Menschen, die da winzig genug sein mußten. Der Nebel fing endlich an seiner äußersten Grenze zu leuchten an wie geschmolzenes Metall, der Himmel lichtete sich und die Sonne quoll wie blizendes Erz aus ihrer Umhüllung empor. Die Lichter schossen plözlich über den Schnee zu unsern Füßen und fingen sich an den Felsen. Der freudige Tag war da.

Wir banden uns die Stricke um den Leib und ließen ein ziemlich langes Stück von der Leibbinde des einen zu der des andern gehen, damit, wenn einer, da wir jezt über eine sehr schiefe Fläche zu gehen hatten, gleiten sollte, er durch den andern gehalten würde. Im Sommer war diese Fläche mit vielen kleinen und scharfen Steinen bedeckt, daher der Übergang über sie viel leichter. Im Winter kannte man den Boden nicht, und der Schnee konnte ins Gleiten gerathen. Ohne Hilfe der Schneereife, die hier, weil sie unbehilflich machten, nur gefährlich werden konnten, gelangten wir mit angewandter Vorsicht glücklich hinüber, lösten die Stricke, bogen nach einer darauf erfolgten mehrstündigen Wanderung um die Felsen und standen an dem Gletscher und auf dem ewigen Schnee.

Auf dem Eise, da wir nach uns sehr bekannten Richtungen auf demselben vorschritten, zeigte sich beinahe mit Rücksicht auf den Sommer gar keine Veränderung. Da auch im Sommer fast jeder Regen des Thales die Höhen entweder gar nicht trifft oder auf ihnen Schnee ist, so war es jezt auf dem Gletscher wie im Sommer, und wir schritten auf bekannten Gebieten vorwärts. Wo die Eismengen geborsten und zertrümmert waren, hatte sie an ihren Oberflächen der Schnee bedeckt, mit den Seitenflächen sahen sie grünlich oder blaulich schillernd aus dem allgemeinen Weiß hervor, weiter aufwärts, wo die Gletscherwölbung rein dalag, war sie mit Schnee bedeckt. Der einzige Unterschied bestand, daß jezt keine einzige breite oder lange Eisstelle blosgelegt in ihrer grünlichen Farbe da stand, was doch zuweilen im Sommer geschieht. Wir verweilten einige Zeit auf dem Eise und nahmen auf demselben auch unser Mittagmahl, in Wein und Brod bestehend, ein.

Unter uns hatte sich aber indessen eine Veränderung vorbereitet. Der Nebel war nach und nach geschwunden, ein Theil der fernen oder der näheren Berge war nach dem andern sichtbar geworden, verschwunden, wieder sichtbar geworden, und endlich stand Alles im Sonnenglanze ohne ein Flöckchen Nebel, der wie ausgetilgt war, in sanfter Bläue oder wie in goldigem Schimmer oder wie im fernen, matten Silberglanze, in tiefem Schweigen und unbeweglich da. Die Sonne strahlte einsam ohne einer geselligen Wolke an dem Himmel. Die Kälte war auch hier nicht groß, geringer als ich sie im Thale beobachtet hatte, und nicht viel größer als sie auch zu Sommerszeiten auf diesen Höhen ist.

Nachdem wir uns eine geraume Weile auf dem Eise aufgehalten hatten, traten wir den Rückweg an. Wir gelangten leicht an den gewöhnlichen Ausgang des Gletschers, von wo aus man das Hinabgehen über die Berge einleitet. Wir fanden unsere Fußstapfen, die in der ungetrübten Oberfläche des Schnees, da hierauf selten auch Thiere kommen, sehr deutlich erkennbar waren, und gingen nach ihnen fort. Wir kamen glücklich über die schiefe Fläche und langten gegen Abend in der Ziegenalpe an. Es war hier schon zu dunkel, um noch etwas von der Umgebung sehen zu können. Wir hielten in der Hütte wieder unser warm zubereitetes Abendmahl, wärmten uns am Reste der Bank und erquickten uns durch Schlaf. Der nächste Morgen war abermals klar, in den Thälern lag wieder der Nebel. Da auch die Nacht vollkommen windstill gewesen war, so hatten wir uns jezt in Hinsicht unsers Rückweges über die Hochebene nicht zu sorgen. Unsere Fußstapfen standen vollkommen unverwischt da, und ihnen konnten wir uns anvertrauen. Selbst da, wo wir rathend gestanden waren und etwa den Alpenstock seitwärts unseres Standortes in den Schnee gestoßen hatten, war die Spur noch völlig sichtbar. Wir kamen früher als wir gedacht hatten an dem schwarzen Steine an. Dort hielten wir wieder unser Mittagmahl und gingen dann unter dem sich immer mehr und mehr lichtenden Nebel, der uns aber hier kein wesentliches Hinderniß mehr machte, die steile Senkung der Berge hinunter. Der an ihrem Fuße beobachtete Wärmemesser zeigte wirklich eine größere Kälte, als wir auf den Bergen gehabt hatten.

Am Nachmittage waren wir wieder in dem Seewirthshause.

Am andern Tage gingen wir in das Ahornhaus im Lauterthale. Alles umringte uns und wollte unsere Erlebnisse wissen. Sie wunderten sich, daß die Unternehmung so einfach gewesen sei, besonders aber, daß die Kälte, die schon im Sommer gegen die Wärme der Thäler so abstehe, im Winter nicht ganz fürchterlich soll gewesen sein. Kaspar war ein wichtiger Mann geworden.

Ich aber war von dem, was ich oben gesehen und gefunden hatte, vollkommen erfüllt. Die tiefe Empfindung, welche jezt immer in meinem Herzen war und welche mich angetrieben hatte, im Winter die Höhen der Berge zu suchen, hatte mich nicht getäuscht. Ein erhabenes Gefühl war in meine Seele gekommen, fast so erhaben wie meine Liebe zu Natalien. Ja, diese Liebe wurde durch das Gefühl noch gehoben und veredelt, und mit Andacht gegen Gott, den Herrn, der so viel Schönes geschaffen und uns so glücklich gemacht hat, entschlief ich, als ich wieder zum ersten Male in meinem Bette in der wohnlichen Stube des Ahornhauses ruhte.

Es hat mich nicht gereut, daß ich noch die Weihe dieser Unternehmung auf mich genommen hatte, ehe ich zu meinem Gastfreunde ging, um ihm meinen Winterbesuch zu machen.

Ich hielt mich nur noch so lange in dem Lauterthale auf, um noch die bedeutendsten Stellen desselben im Winterschmucke zu sehen und um die Einleitung zu treffen, daß dem Eigenthümer der Ziegenalpe die Bank, die wir verbrannt hatten, ersezt würde. Dann fuhr ich in einem Schlitten in der Richtung nach dem Asperhofe hinaus. Kaspar hatte recht herzlich von mir Abschied genommen, er war mir durch diese Unternehmung noch mehr befreundet geworden, als er es früher gewesen war.

Die größere Wärme in den oberen Theilen der Luft, welche nur ein Verbote des beginnenden Südwindes gewesen war, hatte sich nun völlig geltend gemacht, der Südwind war in den Höhen eingetreten, obwohl es in der Tiefe noch kalt war, Wolken hatten die Berge umhüllt, zogen über die Länder hinaus und schüttelten Regen herab, der in Gestalt von Eiskörnern unten ankam und mir um das Haupt und die Wangen prasselte, als ich in dem Asperhofe eintraf.

Die Pferde und der Schlitten wurden in den Meierhof gebracht, ich ging zu meinem Gastfreunde. Er saß in seinem Arbeitszimmer und ordnete Pergamentblätter, von denen er einen großen Stoß vor sich hatte. Ich begrüßte ihn, und er empfing mich wie immer gleich freundlich.

Ich sagte ihm, daß ich seit meiner lezten Anwesenheit im Asperhofe fast immer gereist sei. Erst hätte ich noch das Kargrat besucht, weil ich dort zu ordnen gehabt hätte, dann sei ich zu meinen Eltern gegangen, hierauf habe ich mit meinem Vater einen Besuch in seiner Heimath gemacht, dann sei ich mit meiner Schwester auf eine Zeit, um ihr ein Vergnügen zu bereiten, in das Hochgebirge gefahren, als hierauf der Winter gekommen sei, habe ich die Echerngletscher besucht, und nun sei ich hier.

«Ihr seid wie immer herzlich willkommen», sagte er, «bleibt bei uns, so lange es euch gefällt, und seht unser Haus wie das eurer Eltern an.»

«Ich danke euch, ich danke euch sehr», erwiederte ich.

Er zog an der Klingel zu seinen Füßen, und die alte Katharina kam herauf. Er befahl ihr, meine Zimmer zu heizen, daß ich sie sehr bald benuzen könne.

«Es ist schon geschehen», antwortete sie. «Als wir den jungen Herrn hereinfahren sahen, ließ ich durch Ludmilla gleich heizen, es brennt schon; aber ein wenig gelüftet muß noch werden, neue Überzüge müssen kommen, der Staub muß abgewischt werden, ihr müßt euch schon ein wenig gedulden.»

«Es ist gut und recht», sagte mein Gastfreund, «sorge nur, daß alles wohnlich sei.»

«Es wird schon werden», antwortete Katharina und verließ das Zimmer.

«Ihr könnt, wenn ihr wollt», sagte er dann zu mir, «indessen, bis eure Wohnung in Ordnung ist, mit mir zu Eustach hinüber gehen und sehen, was eben gearbeitet wird. Wir können hiebei auch bei Gustav anklopfen und ihm sagen, daß ihr gekommen seid.»

Ich nahm den Vorschlag an. Er zog eine Art Überrock über seine Kleider, die beinahe wie im Sommer waren, an, und wir gingen aus dem Zimmer. Wir begaben uns zuerst zu Gustav, und ich begrüßte ihn. Er flog an mein Herz, und sein Ziehvater sagte ihm, er dürfe uns in das Schreinerhaus begleiten. Er nahm gar kein Überkleid, sondern verwechselte nur seinen Zimmerrock mit einem etwas wärmeren und war bereit, uns zu folgen. Wir gingen über die gemeinschaftliche Treppe hinab, und als wir unten angekommen waren, sah ich, daß mein Gastfreund auch heute an dem unfreundlichen Wintertage barhäuptig ging. Gustav hatte eine ganz leichte Kappe auf dem Haupte. Wir gingen über den Sandplaz dem Gebüsche zu. Die Eiskörner, welche eine bereifte, weiße und rauhe Gestalt hatten, mischten sich mit den weißen Haaren meines Freundes und sprangen auf seinem zwar nicht leichten, aber noch nicht für eine strenge Winterkälte eingerichteten Überrocke. Die Bäume des Gartens, die uns nahe standen, seufzten in dem Winde, der von den Höhen immer mehr gegen die Niederungen herab kam und an Heftigkeit mit jeder Stunde wuchs. So gelangten wir gegen das Schreinerhaus. Wie bei meiner ersten Annäherung stieg auch heute ein leichter Rauch aus demselben empor, aber er ging nicht wie damals in einer geraden luftigen Säule in die Höhe, sondern wie er die Mauern des Schornsteins verließ, wurde er von dem Winde genommen, in Flatterzeug verwandelt und nach verschiedenen Richtungen gerissen. Auch waren nicht die grünen Wipfel da, an denen er damals empor gestiegen war, sondern die nackten Äste mit den feinen Ruten der Zweige standen empor und neigten sich im Winde über das Haus herüber. Auf dem Dache desselben lag der Schnee. Von Tönen konnten wir bei dieser Annäherung aus dem Innern nichts hören, weil außen das Sausen des Windes um uns war.

Da wir eingetreten waren, kam uns Eustach entgegen, und er grüßte mich noch freundlicher und herzlicher, als er es sonst immer gethan hatte. Ich bemerkte, daß um zwei Arbeiter mehr als gewöhnlich in dem Hause beschäftigt waren. Es mußte also viele oder dringende Arbeit geben. Die Wärme gegen den Wind draußen empfing uns angenehm und wohnlich im Hause. Eustach geleitete uns durch die Werkstube in sein Gemach. Ich sagte ihm, daß ich gekommen sei, um auch einen kleinen Theil des Winters in dem Asperhofe zu bleiben, den ich in demselben nie gesehen und den ich nur meistens in der Stadt verlebt habe, wo seine Wesenheit durch die vielen Häuser und durch die vielen Anstalten gegen ihn gebrochen werde.

«Bei uns könnt ihr ihn in seiner völligen Gestalt sehen», sagte Eustach, «und er ist immer schön, selbst dann noch, wann er seine Art so weit verleugnet, daß er mit warmen Winden, blaugeballten Wolken und Regengüssen über die schneelose Gegend daher fährt. So weit vergißt er sich bei uns nie, daß er in ein Afterbild des Sommers, wie zuweilen in südlichen Ländern, verfällt und warme Sommertage und allerlei Grün zum Vorschein bringt. Dann wäre er freilich nicht auszuhalten.»

Ich erzählte ihm von meinem Besuche auf dem Echerngletscher und sagte, daß ich doch auch schon manchen schönen und stürmischen Wintertag im Freien und ferne von der großen Stadt zugebracht habe.

Hierauf zeigte er mir Zeichnungen, welche zu den früheren neu hinzu gekommen waren, und zeigte mir Grund- und Aufrisse und andere Pläne zu den Werken, an denen eben gearbeitet werde. Unter den Zeichnungen befanden sich schon einige, die nach Gegenständen in der Kirche von Klam genommen worden waren, und unter den Plänen befanden sich viele, die zu den Ausbesserungen gehörten, die mein Gastfreund in der Kirche vornehmen ließ, welche ich mit ihm besucht hatte.

Nach einer Weile gingen wir auch in die Arbeitsstube und besahen die Dinge, die da gemacht wurden. Meistens betrafen sie Gegenstände, welche für die Kirche, für die eben gearbeitet wurde, gehörten. Dann sah ich ein Zimmerungswerk aus feinen Eichen- und Lärchenbohlen, welches wie der Hintergrund zu Schnizwerken von Vertäflungen aussah, auch erblickte ich Simse, wie zu Vertäflungen gehörend. Von Geräthen war ein Schrein in Arbeit, der aus den verschiedensten Hölzern, ja mitunter aus seltsamen, die man sonst gar nicht zu Schreinerarbeiten nimmt, bestehen sollte. Er schien mir sehr groß werden zu wollen; aber seinen Zweck und seine Gestalt konnte ich aus den Anfängen, die zu erblicken waren, nicht errathen. Ich fragte auch nicht darnach, und man berichtete mir nichts darüber.

Als wir uns eine Zeit in dem Schreinerhause aufgehalten und auch über andere Gegenstände gesprochen hatten, als sich in demselben befanden oder mit demselben in Beziehung standen, entfernten wir uns wieder, und mein Freund und Gustav geleiteten mich in das Wohnhaus zurück und dort in meine Zimmer. In ihnen war es bereits warm, ein lebhaftes Feuer mußte den Tönen nach, die zu hören waren, in dem Ofen brennen, alles war gefegt und gereinigt, weiße Fenstervorhänge und weiße Überzüge glänzten an dem Bette und an jenen Geräthen, für die sie gehörten, und alle meine Reisesachen, welche ich in dem Schlitten geführt hatte, waren bereits in meiner Wohnung vorhanden. Mein Gastfreund sagte, ich möge mich hier nun zurecht finden und einrichten, und er verließ mich dann mit Gustav.

Ich packte nun die Gegenstände, welche ich in meinen Reisebehältnissen hatte, aus und vertheilte sie so, daß die beiden Gemächer, welche mir zur Verfügung standen, recht winterlich behaglich, wozu die Wärme, die in den Zimmern herrschte, einlud, ausgestattet waren. Ich wollte es so thun, ich mochte mich nun lange oder kurz in diesen Räumen aufzuhalten haben, was von den Umständen abhing, die nicht in meiner Berechnung lagen. Besonders richtete ich mir meine Bücher, meine Schreibdinge und auch Vorbereitungen zu gelegentlichem Zeichnen so her, daß alles dies meinen Wünschen, so weit ich das jezt einsah, auf das Beste entsprach. Nachdem ich mit allem fertig war, kleidete ich mich auch um, damit die Reisekleider mit bequemeren und häuslichen vertauscht wären.

Hierauf machte ich einen Spaziergang. Ich ging in dem Garten meinen gewöhnlichen Weg zu dem großen Kirschbaume hinauf. Aus dem in dem Schnee wohl ausgetretenen Pfade sah ich, daß hier häufig gegangen werde und daß der Garten im Winter nicht verwaist ist, wie es bei so vielen Gärten geschieht und wie es aber auch bei meinen Eltern nicht geduldet wird, denen der Garten auch im Winter ein Freund ist. Selbst die Nebenpfade waren gut ausgetreten, und an manchen Stellen sah ich, daß man nach dauerndem Schneefalle auch die Schaufel angewendet habe. Die zarteren Bäumchen und Gewächse waren mit Stroh verwahrt, alles, was hinter Glas stehen sollte, war wohl geschlossen und durch Verdämmungen geschüzt, und alle Beete und alle Räume, die in ihrer Schneehülle dalagen, waren durch die um sie geführten Wege gleichsam eingerahmt und geordnet. Die Zweige der Bäume waren von ihrem Reife befreit, der Schnee, der in kleinen Kügelchen daher jagte, konnte auf ihnen nicht haften, und sie standen desto dunkler und beinahe schwarz von dem umgebenden Schnee ab. Sie beugten sich im Winde und sausten dort, wo sie in mächtigen Abtheilungen einem großen Baume angehörten und in ihrer Dichtheit gleichsam eine Menge darstellten. In den entlaubten Ästen konnte ich desto deutlicher und häufiger die Nestbehälter sehen, welche auf den Bäumen angebracht waren. Von den gefiederten Bewohnern des Gartens war aber nichts zu sehen und zu hören. Waaren wenige oder keine da, konnte man sie in dem Sturme nicht bemerken oder haben sie sich in Schlupfwinkel, namentlich in ihre Häuschen, zurückgezogen? In den Zweigen des großen Kirschbaumes herrschte der Wind ganz besonders. Ich stellte mich unter den Baum neben die an seinem Stamme befindliche Bank und sah gegen Süden. Das dunkle Baumgitter lag unter mir, wie schwarze, regellose Gewebe auf den Schnee gezeichnet, weiter war das Haus mit seinem weißen Dache, und weiter war nichts; denn die fernere Gegend war kaum zu erblicken. Bleiche Stellen oder dunklere Ballen schimmerten durch, je nachdem das Auge sich auf Schneeflächen oder Wälder richtete, aber nichts war deutlich zu erkennen, und in langen Streifen, gleichsam in nebligen Fäden, aus denen ein Gewebe zu verfertigen ist, hing der fallende Schnee von dem Himmel herunter. Von dem Kirschbaume konnte ich nicht in das Freie hinausgehen; denn das Pförtchen war geschlossen. Ich wendete mich daher um und ging auf einem anderen Wege wieder in das Haus zurück.

An demselben Tage erfuhr ich auch, daß Roland anwesend sei. Mein Gastfreund holte mich ab, mich zu ihm zu begleiten. Man hatte ihm in dem Wohnhause ein großes Zimmer zurecht gerichtet. In demselben malte er eben eine Landschaft in Ölfarben. Als wir eintraten, sahen wir ihn vor seiner Staffelei stehen, die zwar nicht mitten in dem Zimmer, doch weiter von dem Fenster entfernt war, als dies sonst gewöhnlich der Fall zu sein pflegt. Das zweite der Fenster war mit einem Vorhange bedeckt. Er hatte ein leinenes Überkleid an seinem Oberkörper an und hielt gerade das Malerbrett und den Stab in der Hand. Er legte beides auf den nahestehenden Tisch, da er uns kommen sah, und ging uns entgegen. Mein Gastfreund sagte, daß er mich zu dem Besuche bei ihm aufgefordert habe und daß Roland wohl nichts dagegen haben werde.

«Der Besuch ist mir sehr erfreulich», sagte er, «aber gegen mein Bild wird wohl viel einzuwenden sein.»

«Wer weiß das?» sagte mein Gastfreund.

«Ich wende viel ein», antwortete Roland, «und Andere, die sich des Gegenstandes bemächtigen, werden auch wohl viel einzuwenden haben.»

Wir waren während dieser Worte vor das Bild getreten.

Ich hatte nie etwas Ähnliches gesehen. Nicht, daß ich gemeint hätte, daß das Bild so vortrefflich sei, das konnte man noch nicht beurtheilen, da sich Vieles in den ersten Anfängen befand, auch glaubte ich zu bemerken, daß Manches wohl kaum würde gemeistert werden können. Aber in der Anlage und in dem Gedanken erschien mir das Bild merkwürdig. Es war sehr groß, es war größer als man gewöhnlich landschaftliche Gegenstände behandelt sieht, und wenn es nicht gerollt wird, so kann es aus dem Zimmer, in welchem es entsteht, gar nicht gebracht werden. Auf diesem wüsten Raume waren nicht Berge oder Wasserfluten oder Ebenen oder Wälder oder die glatte See mit schönen Schiffen dargestellt, sondern es waren starre Felsen da, die nicht als geordnete Gebilde empor standen, sondern, wie zufällig, als Blöcke und selbst hie und da schief in der Erde staken, gleichsam als Fremdlinge, die wie jene Normannen auf dem Boden der Insel, die ihnen nicht gehörte, sich seßhaft gemacht hatten. Aber der Boden war nicht wie der jener Insel oder vielmehr, er war so, wo er nicht von den im Alterthume berühmten Kornfeldern bekleidet oder von den dunkeln, fruchtbringenden Bäumen bedeckt ist, sondern wo er zerrissen und vielgestaltig ohne Baum und Strauch mit den dürren Gräsern, den weiß leuchtenden Furchen, in denen ein aus unzähligen Steinen bestehender Quarz angehäuft ist und mit dem Gerölle und mit dem Trümmerwerke, das überall ausgesät ist, der dörrenden Sonne entgegenschaut. So war Rolands Boden, so bedeckte er die ungeheure Fläche, und so war er in sehr großen und einfachen Abtheilungen gehalten, und über ihm waren Wolken, welche einzeln und vielzählig schimmernd und Schatten werfend in einem Himmel standen, welcher tief und heiß und südlich war.

Wir standen eine Weile vor dem Bilde und betrachteten es. Roland stand hinter uns, und da ich mich einmal wendete, sah ich, daß er die Leinwand mit glänzenden Augen betrachtete. Wir sprachen wenig oder beinahe nichts.

«Er hat sich die Aufgabe eines Gegenstandes gestellt, den er noch nicht gesehen hat», sagte mein Gastfreund, «er hält sich ihn nur in seiner Einbildungskraft vor Augen. Wir werden sehen, wie weit er gelingt. Ich habe wohl solche Dinge oder vielmehr ihnen Ähnliches weit unten im Süden gesehen.»

«Ich bin nicht auf irgend etwas Besonderes ausgegangen», antwortete Roland, «sondern habe nur so Gestaltungen, wie sie sich in dem Gemüthe finden, entfaltet. Ich will auch Versuche in Ölfarben machen, welche mich immer mehr gereizt haben als meine Wasserfarben und in denen sich Gewaltiges und Feuriges darstellen lassen muß.»

Ich bemerkte, als ich seine Geräthe näher betrachtete, daß er Pinsel mit ungewöhnlich langen Stielen habe, daß er also sehr aus der Ferne arbeiten müsse, was bei einer so großen Leinwandfläche wohl auch nicht anders sein kann und was ich auch aus der Behandlung ersah. Seine Pinsel waren ziemlich groß, und ich sah auch lange, feine Stäbe, an deren Spizen Zeichnungskohlen angebunden waren, mit welchen er entworfen haben mußte. Die Farben waren in starken Mengen auf der Palette vorhanden.

«Der Herr dieses Hauses ist so gütig», sagte Roland, «und läßt mich hier wirthschaften, während ich verbunden wäre, Zeichnungen zu machen, welche wir eben brauchen, und während ich an Entwürfen arbeiten sollte, die zu den Dingen nothwendig sind, die eben ausgeführt werden.»

«Das wird sich alles finden», antwortete mein Gastfreund, «ihr habt mir schon Entwürfe gemacht, die mir gefallen. Arbeitet und wählt nach eurem Gutdünken, euer Geist wird euch schon leiten.»

Um Roland, der hier vor seinem Werke stand und dessen ganze Umgebung, wie sie in dem Zimmer ausgebreitet war, auf Ausführung dieses Werkes hinzielte, nicht länger zu stören, da die Wintertage ohnehin so kurz waren, entfernten wir uns.

Da wir den Gang entlang gingen, sagte mein Gastfreund: «Er sollte reisen.»

Als es dunkel geworden war, versammelten wir uns in dem Arbeitszimmer meines Gastfreundes bei dem wohlgeheizten Ofen. Es war Eustach, Roland, Gustav und ich zugegen. Es wurde von den verschiedensten Dingen gesprochen, am meisten aber von der Kunst und von den Gegenständen, welche eben in der Ausführung begriffen waren. Es mochte wohl Vieles vorkommen, was Gustav nicht verstand, er sprach auch sehr wenig mit; aber es mochte doch das Gespräch ihn mannigfaltig fördern, und selbst das Unverstandene mochte Ahnungen erregen, die weiter führen oder die aufbewahrt werden und in Zukunft geeignet sind, feste Gestaltungen, die sich fügen wollen, einleiten zu helfen. Ich wußte das sehr wohl aus meiner eigenen Jugend und selbst auch aus der jezigen Zeit.

Da ich in mein Schlafgemach zurückgekehrt war, fühlte ich es recht angenehm, daß die Scheite aus dem Buchenwalde meines Gastfreundes, der ein Theil des Alizwaldes war, in dem Ofen brennen. Ich beschäftigte mich noch eine Zeit mit Lesen und theilweise auch mit Schreiben.

Am anderen Morgen war Regen. Er fiel in Strömen aus blaulich gefärbten, gleichartigen, über den Himmel dahin jagenden Wolken herab. Der Wind hatte zu solcher Heftigkeit zugenommen, daß er um das ganze Haus heulte. Da er aus Südwesten kam, schlug der Regen an meine Fenster und rann an dem Glase in wässerigen Flächen nieder. Aber da das Haus sehr gut gebaut war, so hatte Regen und Wind keine anderen Folgen als daß man sich recht geborgen in dem schüzenden Zimmer fand. Auch ist es nicht zu leugnen, daß der Sturm, wenn er eine gewisse Größe erreicht, etwas Erhabenes hat und das Gemüth zu stärken im Stande ist. Ich hatte die ersten Morgenstunden bei Licht in Wärme damit hingebracht, dem Vater und der Mutter einen Brief zu schreiben, worin ich ihnen anzeigte, daß ich auf dem Echerneise gewesen sei, daß ich alle Vorsicht beim Hinaufsteigen und Heruntergehen angewendet habe, daß uns nicht der geringste Unfall zugestoßen sei und daß ich mich seit gestern bei meinem Freunde im Rosenhause befinde. An Klotilden legte ich ein besonderes Blatt bei, worin ich, auf ihre theilweise Kenntniß des Gebirges, die sie sich auf der mit mir gemachten Reise erworben hatte, bauend, eine kleine Beschreibung des winterlichen Hochgebirgbesuches gab. Als es dann heller geworden und die Stunde zum Frühmahle gekommen war, ging ich in das Speisezimmer hinunter. Ich erfuhr nun hier, daß es im Winter der Gebrauch sei, daß Eustach und Roland, deren gestrige Anwesenheit bei dem Abendessen ich für zufällig gehalten hatte, mit meinem Gastfreunde und Gustav an einem Tische speisen. Es sollte auch im Sommer so sein; allein da oft in dieser Jahreszeit in dem Schreinerhause lange vor Sonnenaufgang aufgestanden und zu einer Arbeit geschritten wird, so verändern sich die Stunden, an denen eine Erquickung des Körpers nothwendig wird, und Eustach hat selber gebeten, daß ihm dann die Zeit und Art seines Essens zu eigener Wahl überlassen werde. Roland ist ohnehin zu jener Jahreszeit meistens von dem Hause abwesend. Ich war nie so spät im Winter in dem Rosenhause gewesen, daß ich diese Einrichtung hätte kennen lernen können. Mein Gastfreund, Eustach, Roland, Gustav und ich saßen also beim Frühmahltische. Das Gespräch drehte sich hauptsächlich um das Wetter, welches so stürmisch herein gebrochen war, und es wurde erläutert, wie es hatte kommen müssen, wie es sich erklären lasse, wie es ganz natürlich sei, wie jedes Hauswesen sich auf solche Wintertage in der Verfassung halten müsse und wie, wenn das der Fall sei, man dann derlei Ereignisse mit Geduld ertragen, ja darin eine nicht unangenehme Abwechslung finden könne. Nach dem Frühmahle begab sich jedes an seine Arbeit. Mein Gastfreund ging in sein Zimmer, um dort im Ordnen der Pergamente, das er angefangen hatte, forzufahren, Eustach ging in die Schreinerei, Roland, für den die Zeit troz des trüben Tages doch endlich auch hell genug zum Malen geworden war, begab sich zu seinem Bilde, Gustav sezte sein Lernen fort und ich ging wieder in meine Zimmer. Da ich dort eine Zeit mit Lesen und Schreiben zugebracht hatte und da der Sturm, statt sich zu mildern, in den Vormittagstunden nur noch heftiger geworden war, beschloß ich doch, wie es meine Gewohnheit war, auf eine Zeit in das Freie zu gehen. Ich wählte eine zweckmäßige Fußbekleidung, nahm meinen Wachsmantel, der eine Wachshaube hatte, die man über den Kopf ziehen konnte, und ging über die gemeinschaftliche Treppe hinab. Ich schlug den Weg durch das Gitterthor auf den Sandplaz vor dem Hause ein. Dort konnte der Südwestwind recht an meine Person fallen, und er trieb mir die Tropfen, welche für einen Winterregen bedeutend groß waren, mit Prasseln auf meinen Überwurf, in das Angesicht, in die Augen und auf die Hände. Ich blieb auf dem Plaze ein wenig stehen und betrachtete die Rosen, welche an der Wand des Hauses gezogen wurden. Manche Stämmchen waren durch Stroh geschüzt, bei manchen war stellenweise die Erde über den Wurzeln mit einer schüzenden Decke bekleidet, andere waren blos fest gebunden, bei allen aber sah ich, daß man außerordentliche Schuzmittel nicht angewendet habe und daß alle nur gegen Verlezungen von äußerlicher Gewalt gesichert waren.

Der Schnee konnte sie überhüllen, wie ich noch die Spuren sah, der Regen konnte sie begießen, wie ich heute erfuhr, aber nirgends konnte der Wind ein Stämmchen oder einen Zweig lostrennen und mit ihm spielen oder ihn zerren. Die ganze Wand des Hauses war auch im Übrigen unversehrt, und der Regen, der gegen dieselbe anschlug, konnte ihr nichts anhaben. Ich ging von dem Sandplaze über den Hügel hinunter. Der Schnee hatte schon die Gewalt des Regens verspürt, welcher ziemlich warm war. Die weiche, sanfte und flaumige Gestalt war verloren gegangen, etwas Glattes und Eisiges hatte sich eingestellt, und hie und da standen gezackte Eistrümmer gleichsam wie zerfressen da. Das Wasser rann in Schneefurchen, die es gewählt hatte, nieder, und an offenen Stellen, wo es durch die löcherichte Beschaffenheit des Schnees nicht verschluckt wurde, rieselte es über die Gräser hinab. Ich ging, ohne auf einen Weg zu achten, durch den wässerigen Schnee fort. In der Tiefe des Thales lenkte ich gegen Osten. Ich ging eine Strecke fort, ging dort über die Wiesen und ließ das Schauspiel auf mich wirken. Es war fast herrlich, wie der Wind, welcher den Schnee nicht mehr heben konnte, den Regen auf ihn nieder jagte, wie schon Stellen blos lagen, wie die grauen Schleier gleichsam bänderweise nieder rollten und wie die trüben Wolken über dem bleichen Gefilde unbekümmert um Menschentun und Menschenwerke dahin zogen.

Ich richtete endlich in der Tiefe der Wiesen meinen Weg nordwärts gegen den Meierhof hinauf. Als ich dort anbelangt war, erfuhr ich, daß der Herr, wie man hier meinen Gastfreund kurzweg nannte, heute auch schon da gewesen, aber bereits wieder fortgegangen sei. Er hatte Mehreres besichtigt und Mehreres angeordnet. Ich fragte, ob er heute auch barhäuptig gewesen sei, und es wurde bejaht. Da ich den Meierhof besehen hatte und in verschiedenen Räumen desselben herum gegangen war, sah ich erst recht, was ein wohleingerichtetes Haus sei. Der Regen fiel auf dasselbe nieder wie auf einen Stein, in den er nicht eindringen und von dem er äußerlich nur in Jahrhunderten etwas herab waschen könne. Keine Rize zeigte sich für das Einlassen des Wassers bereit, und kein Theilchen der Bekleidung schickte sich zur Loslösung an. Im Innern wurden die Arbeiten gethan wie an jedem Tage. Die Knechte reinigten Getreide mit der sogenannten Getreidepuzmühle, schaufelten es seitwärts und maßen es in Säcke, damit es auf den Schüttboden gebracht werde. Der Meier war dabei beschäftigt, ordnete an und prüfte die Reinheit. Ein Theil der Mägde war in den Ställen beschäftigt, ein Theil richtete auf der Futtertenne das Futter zurecht, ein Theil spann, und die Frau des Meiers ordnete in der Milchkammer. Ich sprach mit allen, und sie zeigten Freude, daß ich sogar in dieser Jahreszeit einmal gekommen sei.

Von dem Meierhofe ging ich über den mit Obstbäumen bepflanzten Raum gegen den Garten hinüber. Das Pförtchen an dieser Seite war unter Tags selbst im Winter nicht gesperrt. Ich ging durch dasselbe ein und begab mich in die Wohnung des Gärtners. Dort legte ich meinen Wachsmantel, durch dessen Falten das Wasser rann, ab und sezte mich auf die reine, weiße Bank vor dem Ofen. Der alte Mann und seine Frau empfingen mich recht freundlich. In ihrem ganzen Wesen war etwas sehr Aufrichtiges. Seit geraumer Zeit war bei diesen alten Leuten beinahe etwas Elternhaftes gegen mich gewesen. Die Gärtnersfrau Clara sah mich immer wieder gleichsam verstohlen von der Seite an. Wahrscheinlich dachte sie an Natalien. Der alte Simon fragte mich, ob ich denn nicht in die Gewächshäuser gehen und die Pflanzen auch im Winter besehen wolle.

Das sei außer dem Besuche, den ich ihm und seiner Gattin machen wollte, meine Nebenabsicht gewesen, erwiederte ich.

Er nahm einen anderen Rock um und geleitete mich in die Gewächshäuser, welche an seine Wohnung stießen. Ich nahm wirklich großen Antheil an den Pflanzen selber, da ich mich ja in früherer Zeit viel mit Pflanzen beschäftigt hatte, und nahm Antheil an dem Zustande derselben. Wir gingen in alle Räume des nicht unbeträchtlich großen Kalthauses und begaben uns dann in das Warmhaus. Nicht blos, daß ich die Pflanzen nach meiner Absicht betrachtete, nahm ich mir auch die Zeit, freundlich anzuhören, was mein Begleiter über die einzelnen sagte, und hörte zu, wie er sich über Lieblinge ziemlich weit verbreitete. Diese Hingabe an seine Rede und die Theilnahme an seinen Pfleglingen, die ich ihm stets bewiesen hatte, mochten nebst dem Antheile, den er mir an der Erwerbung des Cereus peruvianus zuschrieb, Ursache sein, daß er eine gewisse Anhänglichkeit gegen mich hegte. Als wir an dem Ausgange der Gewächshäuser waren, welcher seiner Wohnung entgegengesezt lag, fragte er mich, ob ich auch in das Cactushaus gehen wolle, er werde zu diesem Behufe, da wir einen freien Raum zu überschreiten hätten, meinen Wachsmantel holen. Ich sagte ihm aber, daß dies nicht nöthig sei, da er ja auch ohne Schuz herüber gehe, daß mein Gastfreund heute schon barhäuptig in dem Meierhofe gewesen sei, und daß es mir nicht schaden werde, wenn ich auch einmal eine kurze Strecke im Regen ohne Kopfbedeckung gehe.

«Ja der Herr, der ist Alles gewohnt», antwortete er.

«Ich bin zwar nicht Alles, aber Vieles gewohnt», erwiederte ich, «und wir gehen schon so hinüber.»

Er ließ sich von seinem Vorhaben endlich abbringen, und wir gingen in das Cactushaus. Er zeigte mir alle Gewächse dieser Art, besonders den Peruvianus, welcher wirklich eine prachtvolle Pflanze geworden war, er verbreitete sich über die Behandlung dieser Gewächse während des Winters, sagte, daß mancher schon im Hornung blüht, daß nicht alle eine gewisse Kälte vertragen, sondern in der wärmeren Abtheilung des Hauses stehen müssen, besonders verlangen dieses viele Cereusarten, und er ging dann auf die Einrichtung des Hauses selbst über und hob es als eine Vorzüglichkeit heraus, daß der Herr für jene Stellen, an denen die Gläser über einander liegen, ein so treffliches Bindemittel gefunden habe, durch welches das Hereinziehen des Wassers an den übereinandergelegten Stellen des Glases unmöglich sei und das diesen Pflanzen so nachtheilige Herabfallen von Wassertropfen vermieden werde. Dadurch kann es auch allein geschehen, daß an Regentagen und an Tagen, an welchen Schnee schmilzt, das Haus nicht mit Brettern gedeckt werden müsse, was finster macht und den Pflanzen schädlich ist. Ich könne das ja heute sehen, wie bei einem Regen so heftiger Art nicht ein Tröpflein herein dringen kann oder vom Winde hereingeschlagen wird. Bretter würden überhaupt über dieses Haus nicht gelegt. Gegen den Hagel sei es durch dickes Glas und den Panzer geschüzt, und wenn kalte Nächte zu erwarten sind, werde eine Strohdecke angewendet, und der Schnee werde durch Besen entfernt. Mir war wirklich der Umstand merkwürdig und wichtig, daß hier kein Herabtropfen von dem Glasdache statt finde, was meinem Vater so unangenehm ist. Ich nahm mir vor, meinen Gastfreund um Eröffnung des Verfahrens zu ersuchen, um dasselbe dem Vater mizutheilen. Als wir auf dem Rückwege durch die anderen Gewächshäuser gingen, sah ich, daß auch hier kein Herabtropfen vorhanden sei, und mein Begleiter bestätigte es.

Da ich noch ein Weilchen in der Wohnung der Gärtnerleute geblieben war und mit der Gärtnerfrau gesprochen hatte, machte ich Anstalt zum Heimwege. Die Gärtnerfrau hatte meinen Wachsmantel in der Zeit, in der ich mit ihrem Manne in den Gewächshäusern gewesen war, an seiner Außenfläche von allem Wasser befreit und ihn überhaupt handlich und angenehm hergerichtet. Ich dankte ihr, sagte, daß er wohl bald wieder verknittert sein würde, empfahl mich freundlich, nahm die anderseitigen freundlichen Empfehlungen in Empfang und ging dann in meine Zimmer.

Dort kleidete ich mich sorgfältig um und ging dann zu meinem Gastfreunde. Er war eben mit Gustav beschäftigt, der ihm Rechenschaft von seinen Morgenarbeiten ablegte. Ich fragte, ob es mir erlaubt wäre, in das Bildergemach oder in ähnliche zu gehen.

«Das Lesezimmer und das Bilderzimmer so wie das mit den Kupferstichen sind ordnungsgemäß geheizt», antwortete mein Gastfreund, «der Büchersaal, der Marmorsaal und die Marmortreppe werden leidlich warm sein. Verschlossen ist keiner der Räume. Bedient euch derselben, wie ihr es zu Hause thun würdet.»

Ich dankte und entfernte mich. Nach meiner Kenntniß der Tageintheilung wußte ich, daß er seine Beschäftigung mit Gustav fortsezte.

Ich ging zuerst auf die Marmortreppe. Ich suchte sie von oben zu gewinnen. Als ich von dem gemeinschaftlichen Gange in den oberen Theil des Marmorganges eingetreten war, zog ich, wie es hier vorgeschrieben war, Filzschuhe, welche immer in Bereitschaft standen, an und ging die glatte, schöne Treppe hinunter.

Als ich in die Mitte derselben gekommen war, wo sich der breite Absaz befindet, hielt ich an; denn das war das Ziel meiner Wanderung gewesen. Ich wollte die alterthümliche Marmorgestalt betrachten. Selbst heute in dem bleiernen Lichte, das durch die Glaswölbung, welche noch dazu durch das auf ihr rinnende Wasser getrübt war, gleichsam träge nieder fiel, war die Erscheinung eine gewaltige und erhebende. Die hehre Jungfrau, sonst immer sanft und hoch, stand heute in den flüssigen Schleiern des dumpferen Lichtes zwar trüb, aber mild da, und der Ernst des Tages legte sich auch als Ernst auf ihre unaussprechlich anmuthigen Glieder. Ich sah die Gestalt lange an, sie war mir, wie bei jedem erneuerten Anblicke, wieder neu. Wie sehr mir auch die blendend weiße Gestalt der Brunnennymphe im Sternenhofe nach der jüngsten Vergangenheit als liebes Bild in die Seele geprägt worden war, so war sie doch ein Bild aus unserer Zeit und war mit unseren Kräften zu fassen: hier stand das Alterthum in seiner Größe und Herrlichkeit. Was ist der Mensch, und wie hoch wird er, wenn er in solcher Umgebung, und zwar in solcher Umgebung von größerer Fülle weilen darf!

Ich ging langsam die Treppe wieder hinan und ging in den Marmorsaal. Seine Größe, seine Leerheit, der, wenn ein solches Wort erlaubt ist, dunkle Glanz, der von dem dunkeln und mit ungewissen und zweideutigen Lichtern wechselnden Tage auf seinen Wänden lag und wechselte, ließ sich nach dem Anblicke der Gestalt des Alterthums tragen und ertragen. Ja, der Saal erschien mir in dem finstern Tage noch größer und ernster als sonst, und ich weilte gerne in ihm, fast so gerne wie an jenem Abende, an welchem ich mit meinem Gastfreunde unter dem sanften Blizen eines Gewitterhimmels in ihm auf und ab gegangen war.

Ich ging auch jezt wieder in demselben hin und wider und ließ den Sturm draußen mit seinen trüben Lichtern, die Wände hier innen mit ihrem matten Glanze und die Erinnerung der eben gesehenen Gestalt in mir wirken.

Nach einer Zeit trat ich durch die Thür, welche in das Bilderzimmer führt. Die Bilder hingen in dem düsteren Glanze des Tages da und konnten selbst dort, wo der Künstler die kraftvollsten Mittel des Lichtes und Schattens angewendet hatte, nicht zur vollen Wirksamkeit gelangen, weil das, was die Bilder erst recht malen hilft, fehlte, die Macht eines sonnigen und heiteren Tages. Selbst als ich zu einigen, die ich besonders liebte, näher getreten war, selbst als ich vor einem Guido, der auf der Staffelei stand, die nahe an das Fenster und in das beste Licht gerückt worden war, niedersaß, um ihn zu betrachten, konnte die Empfindung, die sonst diese Werke in mir erregten, nicht emporkeimen. Ich erkannte bald die Ursache, welche darin bestand, daß ohnehin eine viel höhere in meinem Gemüthe wartete, welche durch die Gestalt des Alterthums in mir hervorgerufen worden war. Die Gemälde erschienen mir beinahe klein. Ich ging in das Bücherzimmer, nahm mir Odysseus aus seinem Schreine, begab mich in das Lesezimmer, in welchem die gesellige Flamme, die Freundin des Menschen, die ihm in der Finsterniß Licht und im Winter des Nordens Wärme gibt, hinter dem feinen Gitter eines Kamines freundlich loderte, und in welchem alles auf das Reinlichste geordnet war, sezte mich in einiger Entfernung von dem Fenster in einen weichen Siz und begann unter dem Prasseln des Regens an den Fenstern von der ersten Zeile an zu lesen. Die fremden Worte, die als lebendig gesprochen einer fernen Zeit angehörten, die Gestalten, welche durch diese Worte in unsere Zeit mit all ihrer ihnen einstens angehörigen Eigenthümlichkeit heraufgeführt wurden, schlossen sich an die Jungfrau an, welche ich auf der Treppe hatte stehen gesehen. Als Nausikae kam, war es mir wieder, wie es mir bei der ersten richtigen Betrachtung der Marmorgestalt gewesen war, die Gewänder des harten Stoffes löseten sich zu leichter Milde, die Glieder bewegten sich, das Angesicht erhielt wandelbares Leben, und die Gestalt trat als Nausikae zu mir. Es war auch die Erinnerung jenes Abends gewesen, die heute meine Hand, als ich von der Treppe in den Marmorsaal und in das Bilderzimmer herauf gekommen war und in diesen keine Befriedigung gefunden hatte, zu den Worten Homers im Odysseus greifen ließ. Als die Helden das Mahl in dem Saale genossen hatten, als der Sänger gerufen worden war, als die Worte jenes Liedes vernommen worden waren, dessen Ruhm damals bis zu dem Himmel reichte, als Odysseus das Haupt verhüllt hatte, damit man die Thränen nicht sähe, welche ihm aus den Augen flossen, als endlich Nausikae schlicht und mit tiefem Gefühle an den Säulen der Pforte des Saales stand: da gesellte sich auch lächelnd das schöne Bild Nataliens zu mir; sie war die Nausikae von jezt, so wahr, so einfach, nicht prunkend mit ihrem Gefühle und es nicht verhehlend. Beide Gestalten verschmolzen in einander, und ich las und dachte zugleich, und bald las ich und bald dachte ich, und als ich endlich sehr lange blos allein gedacht hatte, nahm ich das Buch, das vor mir auf dem Tische lag, wieder auf, trug es in das Bücherzimmer auf seinen Plaz und ging durch den Marmorsaal und den Gang der Gaszimmer in meine Wohnung zurück.

Das Werk des Vormittages war abgethan.

Am Mittagtische fanden sich wieder dieselben Personen ein, welche bei dem Frühmahle versammelt gewesen waren. Nach dem Genusse eines einfachen, aber für Gedeihen und Gesundheit sehr wohl zubereiteten Mahles, wie es immer in dem Rosenhause sein mußte, nach manchem freundlichen und erheiternden Gespräche stand man auf, um wieder zu seinen Geschäften zu gehen, die jedem ernst und wichtig genug waren, mochten sie nun im Erwerben von Kenntnissen bestehen, wie fast ausschließlich bei Gustav, oder mochten sie im Vorwärtsdringen in der Kunst oder auf wissenschaftlichem Felde oder in einer richtigeren Gestaltung der eigenen Lebenslage enthalten sein.

Für den heutigen Nachmittag war ein besonderes Geschäft vorbehalten worden, zu welchem auch Roland kommen und deßhalb seine heutige Arbeit an seinem Bilde abbrechen mußte. Es war eine Sammlung von Kupferstichen eingelangt, welche zum Kaufe angebothen waren, und deren Besichtigung man auf den heutigen Nachmittag anberaumt hatte. Mein Gastfreund lud mich zu der Sache ein. Die Kupferstiche lagen in zwei Mappen in dem Zimmer meines Gastfreundes. Wir gingen über die Treppe, die für die Dienerschaft bestimmt war, in sein Zimmer empor und rückten den Tisch, auf welchem die Mappen lagen, näher an ein Fenster, damit wir die Blätter besser betrachten konnten. Die Mappen wurden geöffnet, und bald sah man, daß der Sammler der in denselben enthaltenen Stücke kein Mann gewesen sei, der von der Tiefe der Kunst, von ihrem Ernste und von ihrer Bedeutung für das menschliche Leben eine Vorstellung gehabt habe. Er war eben ein Sammler gewöhnlicher Art gewesen, der die Menge und die Mannigfaltigkeit der Stücke vor Augen gehabt hatte. Jezt lag er im Grabe, und seine Erben mußten weder für die Verhältnisse der Kunst zum menschlichen Leben noch für Sammeln von was immer für einer Art einen Sinn gehabt haben, daher sie alle Hefte meinem Gastfreunde, von dem sie gehört hatten, daß er solche Merkwürdigkeiten suche, zum Verkaufe anboten. Neben ganz werthlosen Erzeugnissen des Grabstichels nach heutiger unbedeutender Weise, wie sie in Büchern und Bilderwerken zum Behufe des Gelderwerbes vorkommen, neben Steinzeichnungen mit der Feder und der Kreide befanden sich auch bessere Werke von jezt und besonders einige Stücke aus älterer Zeit von großem Werthe. Mein Gastfreund und seine zwei Gehilfen sprachen bei dieser Gelegenheit Manches über Kupferstiche, was mir neu war und woran ich die Bedeutung dieses Kunszweiges mehr kennen lernte, als ich sie früher kannte. Da er die Übersezung der Werke der großen Meister aller Zeiten vermitteln kann, da er ein Bild, das nur einmal da ist, das für viele Menschen an fernen und ihnen nie erreichbaren Orten sich befindet, oder das als Eigenthum eines einzelnen Mannes nicht einmal allen denen, die denselben Ort mit ihm bewohnen, zugänglich ist, vervielfältiget und zur Anschauung in viele Orte und in ferne Zeiten bringen kann, so sollte man ihm wohl die größte Aufmerksamkeit schenken. Wenn er nicht einer gewissen, zu bestimmten Zeiten in Schwung kommenden Art huldigt, sondern strebt, die Seele des Meisters, wie sie sich in dem Bilde darstellt, wieder zu geben, wenn er nicht blos die Stoffe, wie sie sich in dem Bilde befinden, von der Zartheit des menschlichen Angesichtes und der menschlichen Hände angefangen durch den Glanz der Seide und die Glätte des Metalles bis zu der Rauhigkeit der Felsen und Teppiche herab, sondern auch sogar die Farben, die der Maler angewendet hat, durch verschiedene, aber immer klare, leicht geführte und schöngeschwungene Linien, die niemals unbedeutend, niemals durch Absonderlichkeit auffallend sein, niemals einen bloßen Fleck bilden dürfen und die er zur Bemeisterung jedes neuen Gegenstandes neu erfinden kann, darstellt: dann kann er zwar nicht der Malerei in ihren Wirkungen an die Seite gesezt werden, die sie auf ihre Beschauer geradehin ausübt, aber er kann ihr an Kunstwirkung überhaupt als ebenbürtig erkannt werden, weil er auf eine größere Zahl von Menschen wirkt und bei denen, welche die nachgeahmten Gemälde nicht sehen können, eine desto tiefere und vollere Kunstwirkung hervorbringt, je tiefer und edler er selber ist. Dies habe ich bei meinem Gastfreunde in der Zeit, als ich mit ihm in Verbindung war, immer mehr kennen gelernt, und dies ist mir wieder besonders klar geworden, als die Kupferstiche durchgesehen wurden und als man über ihren Werth und über Mittel, Wege und Wirkung der Kupferstecherkunst überhaupt sprach. Es wurde, da man die Einzelheiten der guten Blätter genau untersucht und ihre Vorzüge und ihre Mängel sorglich besprochen hatte, festgesezt, daß man der guten Stücke willen die ganze Sammlung kaufen wolle, wenn ihr Preis einen gewissen Betrag, den man anbot und den man gerechter und billiger Weise geben konnte, nicht überstiege. Die schlechten Blätter wollte man dann vernichten, weil sie durch ihr Dasein eine gute Wirkung nicht nur nicht hervorbringen, sondern das Gefühl dessen, der nichts Besseres sieht, statt es zu heben, in eine rohere und verbildetere Richtung lenken, als es nähme, wenn ihm nichts als die Gegenstände der Natur gebothen würden. Den Geist des Menschen, sagten die Männer, verunreinigte falsche Kunst mehr als die Unberührtheit von jeder Kunst. Da es dämmerte, wurden die Kupferstiche in ihre Behältnisse gethan, der Tisch wurde wieder an seine Stelle gerückt, und wir trennten uns.

Der Sturm hatte eher zu als ab genommen, und der Regen schlug in Strömen an die Fenster.

Abends waren wir wieder in dem Arbeitszimmer meines Gastfreundes vereinigt, nur Gustav fehlte, weil er sich in seinem Zimmer noch mit seiner Tagesaufgabe beschäftigte. Ehe wir zu dem Abendessen gingen, zeichnete mein Gastfreund noch den Stand der naturwissenschaftlichen Geräthe, welche sich auf Luftdruck, Feuchtigkeit, Wärme, Electricität und dergleichen bezogen, in seine Bücher, und dann ging er durch das ganze Haus und besah den Verhalt der Dinge in demselben, die geförderten Arbeiten der Hausleute, ihr jeziges Thun und den allfälligen Einfluß des heutigen stürmischen Wetters.

Bei dem Abendessen wurde, nachdem man die Nahrungsbedürfnisse in kurzer Zeit gestillt und heitere Gespräche geführt hatte, noch aus einem Buche vorgelesen, das damal neu war. Es betraf größtentheils die Geschichte des Seidenbaues und der Seidenweberei, und besonders wurde der Abschnitt behandelt, wie dieses Gewerbe aus dem fernsten Morgenlande nach Syrien, nach Arabien, Egypten, Byzanz, dem Peloponnes, nach Sicilien, Spanien, Italien und Frankreich gekommen sei. Mein Gastfreund behauptete, daß in der Anfertigung von jenen Prachtstoffen, die aus Seide und Gold oder Silber bestanden, was die Feinheit und Zartheit des Gewebes, was dessen Weichheit, verbunden mit mildem Glanze, gegen den die heutigen Stoffe dieser Art, in ihrer Steifheit und in ihrem harten Schimmer stark abstehen, und was endlich den Schwung, die feine Zierlichkeit und die reiche Einbildungskraft in den Zeichnungen betrifft, die Zeit des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts den späteren Zeiten und besonders der unsrigen weit vorzuziehen sei. Er habe zu spät angefangen, diesem Zweige des Alterthumes, der beinahe ein Zweig der Kunst sei, seine Aufmerksamkeit zu widmen. Eine Sammlung solcher Stoffe müßte merkwürdig sein, er könne aber keine mehr anlegen, da sie Reisen durch ganz Europa, ja durch nicht unbedeutende Theile von Asien und Afrika vorausseze und wahrscheinlich die Kräfte eines einzelnen Mannes überschreite. Gesellschaften oder der Staat könnten solche Sammlungen zur Vergleichung, zur Belehrung, ja zur Bereicherung der Geschichte selber zu Stande bringen. In reichen Abteien, in den Kleiderschreinen alter berühmter Kirchen, in Schazkammern und andern Behältnissen königlicher Burgen und größerer Schlösser dürfte sich Vieles finden, was dort zu entbehren wäre und in einer Sammlung Sprache und Bedeutung gewänne. Wie viel müßte nach den Kreuzzügen aus dem Morgenlande nach Europa gekommen sein, da selbst einfache Ritter mit dort gewonnener Beute an Gold und kostbaren Stoffen in die Heimath zurückgekehrt seien und sich Prunk außer bei kirchlichen Feierlichkeiten, Krönungen, Aufzügen, Kampfspielen auch im gewöhnlichen Verkehre mehr eingefunden hatte, als er früher gewesen war. Wie müßte dieser Zweig auch ein Licht auf die mit seinem Blühen ganz gleich laufende Zeit werfen, in welcher jene merkwürdigen Kirchen gebaut wurden, deren erhabene Überbleibsel noch heute unsere Bewunderung erregen, wie müßte er auch eine Beziehung eröffnen zur Verzierungskunst jener Zeit in Steinmezarbeit, in Elfenbein- und Holzschnizerei, ja zum Beginne der später blühenden großen Malerschulen in dem Norden und Süden Europas, und wie müßte er sogar auf Gedanken über Anschauungsweise der Völker, ihre Verbindungen und ihre Handelswege leiten. Thun das ja auch Münzen, thun es Siegel und andere, diesen untergeordnete Dinge. Roland sagte, er wolle nun solche Stoffe zu sammeln suchen.

Wir gingen an jenem Abende später auseinander als gewöhnlich.

Am anderen Morgen, als ich aufgestanden war und das beginnende Licht einen Ausblick durch die Fenster gestattete, sah ich frischen Schnee über alle Gefilde ausgebreitet, und in dichten Flocken, die um das Glas der Fenster spielten, fiel er noch immer von dem Himmel herunter. Der Wind hatte etwas nachgelassen, die Kälte mußte gestiegen sein.

Wir machten an diesem Tage alle zusammen einen ziemlich großen Spaziergang. Im Garten wurde herumgegangen, ob etwas zu richten sei, die Gewächshäuser wurden besucht, in dem Meierhofe wurde nachgesehen und Abends wurde in dem Buche, welches von der Seidenweberei handelte, weiter gelesen. Der Schneefall hatte bis in die Dämmerung gedauert, dann kamen heitere Stellen an dem Himmel zum Vorscheine.

Wie diese zwei Tage vergangen waren, so vergingen nun mehrere, und mein Gastfreund begann nicht, seine Mittheilungen, welche er versprochen hatte, zu machen. Wir hatten außer der Zeit, die jeder in seiner Wohnung bei seinen Arbeiten zubrachte, manche Gänge durch die Gegend gemacht, was um so angenehmer war, als nach den stürmischen Tagen bei meiner Ankunft sich heiteres, stilles und kaltes Wetter eingestellt hatte. Ich war zu mancher Zeit in der Gesellschaft meines Gastfreundes, ich sah ihm zu, wenn er seine Vögel vor dem Fenster fütterte oder wenn er für Ernährung der Hasen außerhalb der Grenze seines Gartens sorgte, was des tiefen Schnees willen, der gefallen war, doppelt nothwendig wurde, wir hatten weitere Fahrten in dem Schlitten gemacht, um Nachbarn zu besuchen, Manches zu besprechen oder die freie Luft und die Bewegung zu genießen, einmal war ich mit meinem Gastfreunde zu einer Brücke gefahren, die er mit mehreren Männern beschauen sollte, weil man vorhatte, sie im Frühlinge neu zu bauen - man hatte meinen Gastfreund nicht verschont und ihn mit Gemeindeämtern betraut -, mehrere Male waren wir in verschiedenen Theilen der Wälder gewesen, um bei dem Fällen der Hölzer nachzusehen, welche zum Bauen und zur Verarbeitung in dem Schreinerhause verwendet werden sollten, welche Fällung in dieser Jahreszeit vor sich gehen mußte; wir waren auch einmal im Inghofe gewesen und hatten die dortigen Gewächshäuser besehen. Der Hausverwalter und der Gärtner hatten uns bereitwillig und freundlich herum geführt. Der Herr des Besizthums war mit seiner Familie in der Stadt.

Eines Tages kam mein Gastfreund in meine Wohnung, was er öfter that, theils um mich zu besuchen, theils um nach zu sehen, ob es mir nicht an etwas Nothwendigem gebreche. Nachdem das Gespräch über verschiedene Dinge eine Weile gedauert hatte, sagte er: «Ihr werdet wohl wissen, daß ich der Freiherr von Risach bin.»

«Lange wußte ich es nicht», antwortete ich, «jezt weiß ich es schon eine geraume Zeit.»

«Habt ihr nie gefragt?»

«Ich habe nach der ersten Nacht, die ich in eurem Hause zugebracht habe, einen Bauersmann gefragt, welcher mir die Antwort gab, ihr seiet der Aspermeier. An demselben Tage forschte ich auch in weiterer Entfernung, ohne etwas Genaues zu erfahren. Später habe ich nie mehr gefragt.»

«Und warum habt ihr denn nie gefragt?»

«Ihr habt euch mir nicht genannt; daraus schloß ich, daß ihr nicht für nöthig hieltet, mir euren Namen zu sagen, und daraus zog ich für mich die Maßregel, daß ich euch nicht fragen dürfe, und wenn ich euch nicht fragen durfte, durfte ich es auch einen andern nicht.»

«Man nennt mich hier in der ganzen Gegend den Asperherrn», antwortete er, «weil es bei uns gebräuchlich ist, den Besizer eines Gutes nach dem Gute, nicht nach seiner Familie zu benennen. Jener Name erbt in Hinsicht aller Besizer bei dem Volke fort, dieser ändert sich bei einer Änderung des Besizstandes, und da mußte das Volk stets wieder einen neuen Namen erlernen, wozu es viel zu beharrend ist. Einige Landleute nennen mich auch den Aspermeier, wie mein Vorgänger geheißen hat.»

«Ich habe einmal zufällig euren richtigen Namen nennen gehört», sagte ich.

«Ihr werdet dann auch wissen, daß ich in Staatsdiensten gestanden bin», erwiederte er.

«Ich weiß es», sagte ich.

«Ich war für dieselben nicht geeignet», antwortete er.

«Dann sagt ihr etwas, dem alle Leute, die ich bisher über euch gehört habe, widersprechen. Sie loben eure Staatslaufbahn insgesammt», erwiederte ich.

«Sie sehen vielleicht auf einige einzelne Ergebnisse», antwortete er, «aber sie wissen nicht, mit welchem Ungemache des Entstehens diese aus meinem Herzen gekommen sind. Sie können auch nicht wissen, wie die Ergebnisse geworden wären, wenn ein Anderer von gleicher Begabung, aber von größerer Gemüthseignung für den Staatsdienst, oder wenn gar einer von auch noch größerer Begabung sie gefördert hätte.»

«Das kann man von jedem Dinge sagen», erwiederte ich.

«Man kann es», antwortete er, «dann soll man aber das, was nicht gerade mißlungen ist, auch nicht sogleich loben. Hört mich an. Der Staatsdienst oder der Dienst des allgemeinen Wesens überhaupt, wie er sich bis heute entwickelt hat, umfaßt eine große Zahl von Personen. Zu diesem Dienste wird auch von den Gesezen eine gewisse Ausbildung und ein gewisser Stufengang in Erlangung dieser Ausbildung gefordert und muß gefordert werden. Je nachdem nun die Hoffnung vorhanden ist, daß einer nach Vollendung der geforderten Ausbildung und ihres Stufenganges sogleich im Staatsdienste Beschäftigung finden und daß er in einer entsprechenden Zeit in jene höheren Stellen empor rücken werde, welche einer Familie einen anständigen Unterhalt gewähren, widmen sich mehr oder wenigere Jünglinge der Staatslaufbahn. Aus der Zahl derer, welche mit gutem Erfolge den vorgeschriebenen Bildungsweg zurückgelegt haben, wählt der Staat seine Diener und muß sie im Ganzen daraus wählen. Es ist wohl kein Zweifel, daß auch außerhalb dieses Kreises Männer von Begabung für den Staatsdienst sind, von großer Begabung, ja von außerordentlicher Begabung; aber der Staat kann sie, jene ungewöhnlichen Fälle abgerechnet, wo ihre Begabung durch besondere Zufälle zur Erscheinung gelangt und mit dem Staate in Wechselwirkung geräth, nicht wählen, weil er sie nicht kennt und weil das Wählen ohne nähere Kenntniß und ohne die vorliegende Gewähr der erlangten vorgeschriebenen Ausbildung Gefahr drohte und Verwirrung und Mißleitung in die Geschäfte bringen könnte.

Wie nun diejenigen, welche die Vorbereitungsjahre zurückgelegt haben, beschaffen sind, so muß sie der Staat nehmen. Oft sind selbst große Begabungen in größerer Zahl darunter, oft sind sie in geringerer, oft ist im Durchschnitte nur Gewöhnlichkeit vorhanden. Auf diese Beschaffenheit seines Personenstoffes mußte nun der Staat die Einrichtung seines Dienstes gründen. Der Sachstoff dieses Dienstes mußte eine Fassung bekommen, die es möglich macht, daß die zur Erreichung des Staatszweckes nöthigen Geschäfte fortgehen und keinen Abbruch und keine wesentliche Schwächung erleiden, wenn bessere oder geringere einzelne Kräfte abwechselnd auf die einzelnen Stellen gelangen, in denen sie thätig sind. Ich könnte ein Beispiel gebrauchen und sagen, jene Uhr wäre die vortrefflichste, welche so gebaut wäre, daß sie richtig ginge, wenn auch ihre Theile verändert würden, schlechtere an die Stelle besserer, bessere an die Stelle schlechterer kämen. Aber eine solche Uhr dürfte kaum möglich sein. Der Staatsdienst mußte sich aber so möglich machen oder sich nach der Entwicklung, die er heute erlangt hat, aufgeben. Es ist nun einleuchtend, daß die Fassung des Dienstes eine strenge sein muß, daß es nicht erlaubt sein könne, daß ein Einzelner den Dienstesinhalt in einer andern Fassung als in der vorgeschriebenen anstrebe, ja daß sogar mit Rücksicht auf die Zusammenhaltung des Ganzen ein Einzelnes minder gut verrichtet werden muß, als man es, von seinem Standpunkte allein betrachtet, thun könnte. Die Eignung zum Staatsdienste von Seite des Gemüthes, abgesehen von den andern Fähigkeiten, besteht nun auch in wesentlichen Theilen darin, daß man entweder das Einzelne mit Eifer zu thun im Stande ist, ohne dessen Zusammenhang mit dem großen Ganzen zu kennen, oder daß man Scharfsinn genug hat, den Zusammenhang des Einzelnen mit dem Ganzen zum Wohle und Zwecke des Allgemeinen einzusehen und daß man dann dieses Einzelne mit Lust und Begeisterung vollführt. Das leztere thut der eigentliche Staatsmann, das erste der sogenannte gute Staatsdiener. Ich war keins von beiden. Ich hatte von Kindheit an, freilich ohne es damals oder in den Jugendjahren zu wissen, zwei Eigenschaften, die dem Gesagten geradezu entgegen standen. Ich war erstens gerne der Herr meiner Handlungen. Ich entwarf gerne das Bild dessen, was ich thun sollte, selbst und vollführte es auch gerne mit meiner alleinigen Kraft. Daraus folgte, daß ich schon als Kind, wie meine Mutter erzählte, eine Speise, ein Spielzeug und dergleichen lieber nahm als mir geben ließ, daß ich gegen Hilfe widerspenstig war, daß man mich als Knaben und Jüngling ungehorsam und eigensinnig nannte, und daß man in meinen Männerjahren mir Starrsinn vorwarf. Das hinderte aber nicht, daß ich dort, wo mir ein Fremdes durch Gründe und hohe Triebfedern unterstüzt gegeben wurde, dasselbe als mein Eigenes aufnahm und mit der tiefsten Begeisterung durchführte. Das habe ich einmal in meinem Leben gegen meine stärkste Neigung, die ich hatte, gethan, um der Ehre und der Pflicht zu genügen. Ich werde es euch später erzählen. Daraus folgt, daß ich eigensinnig in der Bedeutung des Wortes, wie man es gewöhnlich nimmt, nicht gewesen bin und es auch im Alter, in dem man überhaupt immer milder wird, gewiß nicht bin. Eine zweite Eigenschaft von mir war, daß ich sehr gerne die Erfolge meiner Handlungen abgesondert von jedem Fremdartigen vor mir haben wollte, um klar den Zusammenhang des Gewollten und Gewirkten überschauen und mein Thun für die Zukunft regeln zu können. Eine Handlung, die nur gesezt wird, um einer Vorschrift zu genügen oder eine Fassung zu vollenden, konnte mir Pein erregen. Daraus folgte, daß ich Thaten, deren lezter Zweck ferne lag oder mir nicht deutlich war, nur lässig zu vollführen geneigt war, während ich Handlungen, wenn ihr Ziel auch sehr schwer und nur durch viele Mittelglieder zu erreichen war, mit Eifer und Lust zu Ende führte, sobald ich mir nur den Haupzweck und die Mittelzwecke deutlich machen und mir aneignen konnte. Im ersten Falle vermochte ich es mir nur durch die Vorstellung, daß der Zweck wenn auch dunkel, doch ein hoher sei, abzuringen, daß ich mit aller Kraft an das Werk ging, wobei ich aber immer zum Eilen geneigt war, weßhalb man mich auch ungeduldig schalt: im zweiten Falle gingen die Kräfte von selber an das Werk, und es wurde mit der größten Ausdauer und mit Verwendung aller gegebenen Zeit zu Stande gebracht, weßhalb man mich auch wieder hartnäckig nannte. Ihr werdet in diesem Hause Dinge gesehen haben, aus denen euch klar geworden ist, daß ich Zwecke auch mit großer Geduld verfolgen kann. Sonderbar ist es überhaupt und dürfte von größerer Bedeutung sein, als man ahnt, daß mit dem zunehmenden Alter die Weitaussichtigkeit der Pläne wächst, man denkt an Dinge, die unabsehliche Strecken jenseits alles Lebenszieles liegen, was man in der Jugend nicht thut, und das Alter sezt mehr Bäume und baut mehr Häuser als die Jugend. Ihr seht, daß mir zwei Hauptdinge zum Staatsdiener fehlen, das Geschick zum Gehorchen, was eine Grundbedingung jeder Gliederung von Personen und Sachen ist, und das Geschick zu einer thätigen Einreihung in ein Ganzes und kräftiger Arbeit für Zwecke, die außer dem Gesichtskreise liegen, was nicht minder eine Grundbedingung für jede Gliederung ist. Ich wollte immer am Grundsäzlichen ändern und die Pfeiler verbessern, statt in einem Gegebenen nach Kräften vorzugehen, ich wollte die Zwecke allein entwerfen und wollte jede Sache so thun, wie sie für sich am besten ist, ohne auf das Ganze zu sehen und ohne zu beachten, ob nicht durch mein Vorgehen anderswo eine Lücke gerissen werde, die mehr schadet als mein Erfolg nüzt. Ich wurde, da ich noch kaum mehr als ein Knabe war, in meine Laufbahn geführt, ohne daß ich sie und mich kannte, und ich ging in derselben fort, so weit ich konnte, weil ich einmal in ihr war und mich schämte, meine Pflicht nicht zu thun. Wenn einiges Gute durch mich zu Stande kam, so rührt es daher, daß ich einerseits in Betrachtung meines Amtes und seiner Gebote meinen Kräften eine mögliche Thätigkeit abrang und daß andererseits die Zeitereignisse solche Aufgaben herbei führten, bei denen ich die Pläne des Handelns entwerfen und selber durchführen konnte. Wie tief aber mein Wesen litt, wenn ich in Arten des Handelns, die seiner Natur entgegengesezt sind, begriffen war, das kann ich euch jezt kaum ausdrücken, noch wäre ich damals im Stande gewesen, es auszudrücken. Mir fiel in jener Zeit immer und unabweislich die Vergleichung ein, wenn etwas, das Flossen hat, fliegen, und etwas, das Flügel hat, schwimmen muß. Ich legte deßhalb in einem gewissen Lebensalter meine Ämter nieder. Wenn ihr fragt, ob es denn nothwendig sei, daß sich in der Gliederung des Staatsdienstes eine so große Anzahl von Personen befinde, und ob man nicht einen Theil der allgemeinen Geschäfte, wie sie jezt sind, zu besonderen Geschäften machen und sie besonderen Körperschaften oder Personen, die sie hauptsächlich angehen, überlassen könnte, wodurch eine größere Übersicht in den Staatsdienst käme und wodurch es möglich würde, daß sich hervorragende Begabungen mehr im Entwerfen und Vollführen von Plänen zu allgemeinem Besten geltend machen könnten: so antworte ich: diese Frage ist allerdings eine wichtige und ihre richtige Beantwortung von der größten Bedeutung; aber eben die richtige Beantwortung in allen ihren Einzelnheiten dürfte eine der schwersten Aufgaben sein, und ich getraue mir nicht, von mir zu behaupten, daß ich diese richtige Beantwortung zu geben im Stande wäre. Auch liegt dieser Gegenstand unserem heutigen Gespräche zu ferne, und wir können ein anderes Mal von ihm reden, so weit wir im Urtheile über ihn zu kommen vermögen. Das ist gewiß: wenn auch im gegenwärtigen Staatsdienste Veränderungen nothwendig sein sollten, und wenn die Veränderungen in dem früher angeführten Sinne vor sich gehen werden, so hat der gegenwärtige Zustand doch in den allgemeinen Umwandlungen, denen der Staat so wie jedes menschliche Ding und die Erde selbst unterworfen ist, sein Recht, er ist ein Glied der Kette und wird seinem Nachfolger so weichen, wie er selber aus seinem Vorläufer hervor gegangen ist. Wir haben schon vielmal über Lebensberuf gesprochen, und daß es so schwer ist, seine Kräfte zu einer Zeit zu kennen, in welcher man ihnen ihre Richtung vorzeichnen, das heißt, einen Lebensweg wählen muß. Wir hatten bei unsern Gesprächen hauptsächlich die Kunst im Auge, aber auch von jeder andern Lebensbeschäftigung gilt dasselbe. Selten sind die Kräfte so groß, daß sie sich der Betrachtung aufdrängen und die Angehörigen eines jungen Menschen zur Ergreifung des rechten Gegenstandes für ihn führen, oder daß sie selber mit großer Gewalt ihren Gegenstand ergreifen. Ich hatte außer den Eigenschaften meines Geistes, die ich euch eben darlegte, noch eine besondere, deren Wesenheit ich erst sehr spät erkannte. Von Kindheit an hatte ich einen Trieb zur Hervorbringung von Dingen, die sinnlich wahrnehmbar sind. Bloße Beziehungen und Verhältnisse sowie die Abziehung von Begriffen hatten für mich wenig Werth, ich konnte sie in die Versammlung der Wesen meines Hauptes nicht einreihen. Da ich noch klein war, legte ich allerlei Dinge aneinander und gab dem so Entstandenen den Namen einer Ortschaft, den ich etwa zufällig öfter gehört hatte, oder ich bog eine Gerte, einen Blumenstengel und dergleichen zu einer Gestalt und gab ihr einen Namen, oder ich machte aus einem Fleckchen Tuch den Vetter, die Muhme; ja sogar jenen abgezogenen Begriffen und Verhältnissen, von denen ich sprach, gab ich Gestalten und konnte sie mir merken. So erinnere ich mich noch jezt, daß ich als Kind öfter das Wort Kriegswerbung hörte. Wir bekamen damals einen neuen Ahorntisch, dessen Plattentheile durch dunkelfarbige Holzkeile an einander gehalten wurden. Der Querschnitt dieser Keile kam als eine dunkle Gestalt an der Dicke der Platte quer über die Fuge zum Vorscheine, und diese Gestalt hieß ich die Kriegswerbung. Diese sinnliche Regung, die wohl alle Kinder haben, wurde bei mir, da ich heran wuchs, immer deutlicher und stärker. Ich hatte Freude an allem, was als Wahrnehmbares hervorgebracht wurde, an dem Keimen des ersten Gräsleins, an dem Knospen der Gesträuche, an dem Blühen der Gewächse, an dem ersten Reife, der ersten Schneeflocke, an dem Sausen des Windes, dem Rauschen des Regens, ja an dem Blize und Donner, obwohl ich beide fürchtete. Ich ging zusehen, wenn die Zimmerleute Holz aushauten, wenn eine Hütte gezimmert, ein Brett angenagelt wurde. Ja, die Worte, die einen Gegenstand sinnlich vorstellbar bezeichneten, waren mir weit lieber als die, welche ihn nur allgemein angaben. So zum Beispiele traf es mich viel mächtiger, wenn jemand sagte: der Graf reitet auf dem Schecken, als: er reitet auf einem Pferde. Ich zeichnete mit einem Rothstifte Hirsche, Reiter, Hunde, Blumen, mit Vorliebe aber Städte, von denen ich ganz wunderbare Gestalten zusammensezte. Ich machte aus feuchtem Lehm Palläste, aus Holzrinde Altäre und Kirchen. Ich nenne diesen Trieb Schaffungslust. Er ist bei vielen Menschen mehr oder minder vorhanden. Eine noch größere Zahl aber hat die Bewahrungslust, von der der Geiz eine häßliche Abart ist. Selbst in späteren Jahren trat diese Lust nicht zurück. Da ich einmal an unserem schönen Strome zu wohnen kam und im ersten Winter zum ersten Male das Treibeis sah, konnte ich mich nicht satt sehen an dem Entstehen desselben und an dem gegenseitigen Anstoßen und Abreiben der mehr oder minder runden Kuchen. Selbst in den nächstfolgenden Wintern stand ich oft stundenlange an dem Ufer und sah den Eisbildungen zu, besonders der Entstehung des Standeises. Das, was Vielen so unangenehm ist, das Verlassen einer Wohnung und das Beziehen einer andern, machte mir Lust. Mich freute das Einpacken, das Auspacken und die Instandsezung der neuen Räume. In den Jünglingsjahren trat eine weitere Seite dieses Triebes hervor. Ich liebte nicht blos Gestalten, sondern ich liebte schöne Gestalten. Dies war wohl auch schon in dem Kindertriebe vorhanden. Rothe Farben, sternartige oder vielverschlungene Dinge sprachen mich mehr an als andere. Es kam aber diese Eigenschaft damals weniger zum Bewußtsein. Als Jüngling begehrte ich die Gestalten wie sie als Körper aus der Bildhauerei und Baukunst hervor gehen, als Flächen, Linien und Farben aus der Malerei, als Folge der Gefühle in der Musik, der menschlich sittlichen und der irdisch merkwürdigen Zustände in der Dichtkunst. Ich gab mich diesen Gestalten mit Wärme hin und verlangte Gebilde, die ihnen ähnlich sind im Leben. Felsen, Berge, Wolken, Bäume, die ihnen glichen, liebte ich, die entgegengesezten verachtete ich. Menschen, menschliche Handlungen und Verhältnisse, die ihnen entsprachen, zogen mich an, die andern stießen mich ab. Es war, ich erkannte es spät, im Grunde die Wesenheit eines Künstlers, die sich in mir offenbarte und ihre Erfüllung heischte. Ob ich ein guter oder ein mittelmäßiger Künstler geworden wäre, weiß ich nicht. Ein großer aber wahrscheinlich nicht, weil dann nach allem Vermuthen doch die Begabung durchgebrochen wäre und ihren Gegenstand ergriffen hätte. Vielleicht irre ich mich auch darin, und es war mehr blos die Anlage des Kunstverständnisses, was sich offenbarte, als die der Kunstgestaltung. Wie das aber auch ist: in jedem Falle waren die Kräfte, die sich in mir regten, dem Wirken eines Staatsdieners eher hinderlich als förderlich. Sie verlangten Gestalten und bewegten sich um Gestalten. So wie aber der Staat selber die Ordnung der gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen ist, also nicht eine Gestalt, sondern eine Fassung: so beziehen sich die Ergebnisse der Arbeiten der Staatsmänner meist auf Beziehungen und Verhältnisse der Staatsglieder oder der Staaten, sie liefern daher Fassungen, nicht Gestalten. So wie ich in der Kindheit oft den abgezogenen Begriffen eine Gestalt leihen mußte, um sie halten zu können, so habe ich oft in gereiften Jahren im Staatsdienste, wenn es sich um Staatsbeziehungen, um Forderungen anderer Staaten an uns oder unseres Staates an andere handelte, mir die Staaten als einen Körper und eine Gestalt gedacht und ihre Beziehungen dann an ihre Gestalten angeknüpft. Auch habe ich nie vermocht, die bloßen eigenen Beziehungen oder den Nuzen unseres Staates allein als das höchste Gesez und die Richtschnur meiner Handlungen zu betrachten. Die Ehrfurcht vor den Dingen, wie sie an sich sind, war bei mir so groß, daß ich bei Verwicklungen, streitigen Ansprüchen und bei der Nothwendigkeit, manche Sachen zu ordnen, nicht auf unsern Nuzen sah, sondern auf das, was die Dinge nur für sich forderten und was ihrer Wesenheit gemäß war, damit sie das wieder werden, was sie waren, und das, was ihnen genommen wurde, erhalten, ohne welchem sie nicht sein können, was sie sind. Diese meine Eigenschaft hat mir manchen Kummer bereitet, sie hat mir hohen Tadel zugezogen; aber sie hat mir auch Achtung und Anerkennung eingebracht. Wenn meine Meinung angenommen und ins Werk gesezt worden war, so hatte die neue Ordnung der Dinge, weil sie auf das Wesentliche ihrer Natur gegründet war, Bestand, sie brachte in so ferne, weil wir vor erneuerten Unordnungen, also vor wiederholter Kraftanstrengung geschüzt waren, unserem Staate einen größeren Nuzen, als wenn wir früher den einseitigen angestrebt hätten, und ich erhielt Ehrenzeichen, Lob und Beförderung. Wenn ich in jenen Tagen der schweren Arbeit eine Ruhezeit hatte und auf einer kleinen Reise die erhabene Gestalt eines Berges sah oder eine Hügelreihe sich türmender Wolken oder die blauen Augen eines freundlichen Landmädchens oder den schlanken Körper eines Jünglings auf einem schönen Pferde - oder wenn ich auch nur in meinem Zimmer vor meinen Gemälden stand, deren ich damals schon manche sammelte, oder vor einer kleinen Bildsäule, so verbreitete sich eine Ruhe und ein Wohlbehagen über mein Inneres, als wäre es in seine Ordnung gerückt worden. Wenn ein künstlerisches Gestaltungsvermögen in mir war, so war es das eines Baumeisters oder eines Bildhauers oder auch noch das eines Malers, gewiß aber nicht das eines Dichters oder gar eines Tonsezers. Die ersteren Gegenstände zogen mich immer mehr an, die lezteren standen mir ferner. Wenn es aber mehr eine Kunstliebe war, was sich in mir äußerte, nicht eine Schöpfungskraft, so war es immerhin auch ein Vermögen der Gestalten, aber nur eines, die Gestalten aufzunehmen. Wenn diese Art von Eigenthümlichkeit den Besizer zunächst beglückt, wie ja jede Kraft, selbst die Schaffungskraft, zuerst ihres Besizers willen da ist, so bezieht sie sich doch auch auf andere Menschen, wie in zweiter Hinsicht jede Kraft, selbst die eigenste eines Menschen, nicht in ihm verschlossen bleiben kann, sondern auf andere übergeht. Es ist eine sehr falsche Behauptung, die man aber oft hört, daß jedes große Kunstwerk auf seine Zeit eine große Wirkung hervorbringen müsse, daß ferner das Werk, welches eine große Wirkung hervor bringt, auch ein großes Kunstwerk sei, und daß dort, wo bei einem Werke die Wirkung ausbleibt, von einer Kunst nicht geredet werden kann. Wenn irgend ein Theil der Menschheit, ein Volk, rein und gesund am Leibe und an der Seele ist, wenn seine Kräfte gleichmäßig entwickelt, nicht aber nach einer Seite unverhältnißmäßig angespannt und thätig sind, so nimmt dieses Volk ein reines und wahres Kunstwerk treu und warm in sein Herz auf, wozu es keiner Gelehrsamkeit, sondern nur seiner schlichten Kräfte bedarf, die das Werk als ein ihnen Gleichartiges aufnehmen und hegen. Wenn aber die Begabungen eines Volkes, und seien sie noch so hoch, nach einer Richtung hin in weiten Räumen voraus eilen, wenn sie gar auf bloße Sinneslust oder auf Laster gerichtet sind, so müssen die Werke, welche eine große Wirkung hervor bringen sollen, auf jene Richtung, in der die Kräfte vorzugsweise thätig sind, hinzielen, oder sie müssen Sinneslust und Laster darstellen. Reine Werke sind einem solchen Volke ein Fremdes, es wendet sich von ihnen. Daher rührt die Erscheinung, daß edle Werke der Kunst ein Zeitalter rühren und begeistern können, und daß dann ein Volk kömmt, dem sie nicht mehr sprechen. Sie verhüllen ihr Haupt und harren bis andere Geschlechter an ihnen vorüber wandeln, die wieder reines Sinnes sind und zu ihnen empor blicken. Diesen lächeln sie und von diesen werden sie wieder wie herübergerettete Heiligthümer in Tempel gebracht. In entarteten Völkern blüht zuweilen, aber sehr selten, ein reines Werk wie ein vereinsamter Strahl hervor, es wird nicht beachtet und wird später von einem Menschenforscher entdeckt, wie jener Gerechte in Sodoma. Damit aber der Dienst der Kunst leichter werde, sind in jedem Zeitalter solche, denen ein tieferer Sinn für Kunstwerke gegeben ward, sie sehen mit klarerem Auge in ihre Theile, nehmen sie mit Wärme und Freude in ihr Herz und übergeben sie so ihren Mitmenschen. Wenn man die Erschaffenden Götter nennt, so sind jene die Priester dieser Götter. Sie verzögern den Schritt des Unheiles, wenn der Kunstdienst zu verfallen beginnt, und sie tragen, wenn es nach der Finsterniß wieder hell werden soll, die Leuchte voran. Wenn ich nun ein solcher war, wenn ich bestimmt war, durch Anschauung hoher Gestalten der Kunst und der Schöpfung, die mir ja immer mit freundlichen Augen zugewinkt haben, Freude in mein Herz zu sammeln, und Freude, Erkenntniß und Verehrung der Gestalten auf meine Mitmenschen zu übertragen, so war mir meine Staatslaufbahn in diesem Berufe wieder sehr hinderlich, und dürftige Spätblüthen können den Sommer, dessen kräftige Lüfte und warme Sonne unbenuzt vorüber gingen, nicht ersezen. Es ist traurig, daß man sich nicht so leicht den Weg, der der vorzüglichste in jedem Leben sein soll, wählen kann. Ich wiederhole, was wir oft gesagt haben und womit euer ehrwürdiger Vater auch übereinstimmt, daß der Mensch seinen Lebensweg seiner selbst willen zur vollständigen Erfüllung seiner Kräfte wählen soll. Dadurch dient er auch dem Ganzen am Besten, wie er nur immer dienen kann. Es wäre die schwerste Sünde, seinen Weg nur ausschließlich dazu zu wählen, wie man sich so oft ausdrückt, der Menschheit nüzlich zu werden. Man gäbe sich selber auf und müßte in den meisten Fällen im eigentlichen Sinne sein Pfund vergraben. Aber was ist es mit der Wahl? Unsere gesellschaftlichen Verhältnisse sind so geworden, daß zur Befriedigung unserer stofflichen Bedürfniese ein sehr großer Aufwand gehört. Daher werden junge Leute, ehe sie sich selber bewußt werden, in Laufbahnen gebracht, die ihnen den Erwerb dessen, was sie zur Befriedigung der angeführten Bedürfnisse brauchen, sichern. Von einem Berufe ist da nicht die Rede. Das ist schlimm, sehr schlimm, und die Menschheit wird dadurch immer mehr eine Herde. Wo noch eine Wahl möglich ist, weil man nicht nach sogenanntem Broderwerbe auszugehen braucht, dort sollte man sich seiner Kräfte sehr klar bewußt werden, ehe man ihnen den Wirkungskreis zutheilt. Aber muß man nicht in der Jugend wählen, weil es sonst zu spät ist? Und kann man sich in der Jugend immer seiner Kraft bewußt werden? Es ist schwierig, und mögen, die betheiligt sind, darüber wachen, daß weniger leichtsinnig verfahren werde. Lasset uns über diesen Gegenstand abbrechen. Ich wollte euch das, was ich gesagt habe, sagen, ehe ich euch erzähle, wie ich mit den Angehörigen eurer künftigen Braut zusammenhänge. Ich sagte es euch, damit ihr ungefähr den Stand beurtheilen könnt, auf dem ich nun stehe. Wir wollen zur Fortsezung eine andere Zeit bestimmen.»

Nach diesen Worten ging das Gespräch auf andere Gegenstände über, wir machten dann auch einen Spaziergang, dem sich auch Gustav zugesellte.