BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adalbert Stifter

1805 - 1868

 

Der Nachsommer

 

Erster Band

 

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4. Die Beherbergung

 

Nach einer Weile sagte mein Gastfreund: «Da ihr nun meine Nachtherberge angenommen habt, so könnten wir von diesem Baume auch ein wenig in das Freie gehen, daß ihr die Gegend besser kennen lernet. Wenn das Gewitter zum Ausbruche kommen sollte, so kennen wir wohl beide die Anzeichen genug, daß wir rechzeitig umkehren, um ungefährdet das Haus zu erreichen.»

«So kann es geschehen», sagte ich, und wir standen von dem Bänkchen auf.

Einige Schritte hinter dem Kirschbaume war der Garten durch eine starke Planke von der Umgebung getrennt. Als wir zu dieser Planke gekommen waren, zog mein Begleiter einen Schlüssel aus der Tasche, öffnete ein Pförtchen, wir traten hinaus und er schloß hinter uns das Pförtchen wieder zu.

Hinter dem Garten fingen Felder an, auf denen die verschiedensten Getreide standen. Die Getreide, welche sonst wohl bei dem geringsten Lufzuge zu wanken beginnen mochten, standen ganz stille und pfeilrecht empor, das feine Haar der Ähren, über welches unsere Augen streiften, war gleichsam in einem unbeweglichen goldgrünen Schimmer.

Zwischen dem Getreide lief ein Fußpfad durch. Derselbe war breit und ziemlich ausgetreten. Er ging den Hügel entlang, nicht steigend und nicht sinkend, so daß er immer auf dem höchsten Theile der Anhöhe blieb. Auf diesem Pfade gingen wir dahin.

Zu beiden Seiten des Weges stand glührother Mohn in dem Getreide, und auch er regte die leichten Blätter nicht.

Es war überall ein Zirpen der Grillen; aber dieses war gleichsam eine andere Stille und erhöhte die Erwartung, die aller Orten war. Durch die über den ganzen Himmel liegende Wolkendecke ging zuweilen ein tiefes Donnern, und ein blasser Bliz lüftete zeitweilig ihr Dunkel.

Mein Begleiter ging ruhig neben mir und strich manchmal sachte mit der Hand an den grünen Ähren des Getreides hin. Er hatte sein Nez von den weißen Haaren abgenommen, hatte es in die Tasche gesteckt und trug sein Haupt unbedeckt in der milden Luft.

Unser Weg führte uns zu einer Stelle, auf welcher kein Getreide stand. Es war ein ziemlich großer Plaz, der nur mit sehr kurzem Grase bedeckt war. Auf diesem Plaze befand sich wieder eine hölzerne Bank und eine mittelgroße Esche.

«Ich habe diesen Fleck freigelassen, wie ich ihn von meinen Vorfahren überkommen hatte», sagte mein Begleiter, «obwohl er, wenn man ihn urbar machte und den Baum ausgrübe, in einer Reihe von Jahren eine nicht unbedeutende Menge von Getreide gäbe. Die Arbeiter halten hier ihre Mittagsruhe und verzehren hier ihr Mittagsmahl, wenn es ihnen auf das Feld nachgebracht wird. Ich habe die Bank machen lassen, weil ich auch gerne da size, wäre es auch nur, um den Schnittern zuzuschauen und die Feierlichkeit der Feldarbeiten zu betrachten. Alte Gewohnheiten haben etwas Beruhigendes, sei es auch nur das des Bestehenden und immer Gesehenen. Hier dürfte es aber mehr sein, weßhalb die Stelle unbebaut blieb und der Baum auf derselben steht. Der Schatten dieser Esche ist wohl ein sparsamer, aber da er der einzige dieser Gegend ist, wird er gesucht, und die Leute, obwohl sie roh sind, achten gewiß auch auf die Aussicht, die man hier genießt. Sezt euch nur zu mir nieder und betrachtet das Wenige, was uns heute der verschleierte Himmel gönnt.»

Wir sezten uns auf die Bank unter der Esche, so daß wir gegen Mittag schauten. Ich sah den Garten wie einen grünen Schoß schräg unter mir liegen.

An seinem Ende sah ich die weiße mitternächtliche Mauer des Hauses und über der weißen Mauer das freundliche rothe Dach. Von dem Gewächshause war nur das Dach und der Schornstein ersichtlich.

Weiter hin gegen Mittag war das Land und das Gebirge kaum zu erkennen wegen des blauen Wolkenschattens und des blauen Wolkenduftes. Gegen Morgen stand der weiße Thurm von Rohrberg und gegen Abend war Getreide an Getreide, zuerst auf unserm Hügel, dann jenseits desselben auf dem nächsten Hügel und so fort, so weit die Hügel sichtbar waren. Dazwischen zeigten sich weiße Meierhöfe und andere einzelne Häuser oder Gruppen von Häusern. Nach der Sitte des Landes gingen Zeilen von Obstbäumen zwischen den Getreidefeldern dahin, und in der Nähe von Häusern oder Dörfern standen diese Bäume dichter, gleichsam wie in Wäldchen, beisammen. Ich fragte meinen Nachbar theils nach den Häusern, theils nach dein Besizern der Felder.

«Die Felder von dem Kirschbaume gegen Sonnenuntergang hin bis zu der ersten Zeile von Obstbäumen sind unser», sagte mein Begleiter. «Die wir von dem Kirschbaum bis hieher durchwandert haben, gehören auch uns. Sie gehen noch bis zu jenen langen Gebäuden, die ihr da unten seht, welche unsere Wirthschaftsgebäude sind. Gegen Mitternacht erstrecken sie sich, wenn ihr umsehen wollt, bis zu jenen Wiesen mit den Erlenbüschen. Die Wiesen gehören auch uns und machen dort die Grenze unserer Besizungen. Im Mittag gehören die Felder uns bis zur Einfriedigung von Weißdorn, wo ihr die Straße verlassen habt. Ihr könnt also sehen, daß ein nicht ganz geringer Theil dieses Hügels von unserm Eigenthume bedeckt ist. Wir sind von diesem Eigenthume umringt wie von einem Freunde, der nie wankt und nicht die Treue bricht.»

Mir fiel bei diesen Worten auf, daß er vom Eigenthume immer die Ausdrücke uns und unser gebrauchte. Ich dachte, er werde etwa eine Gattin oder auch Kinder einbeziehen. Mir fiel der Knabe ein, den ich im Heraufgehen gesehen hatte, vielleicht ist dieser ein Sohn von ihm.

«Der Rest des Hügels ist an drei Meierhöfe vertheilt», schloß er seine Rede, «welche unsere nächsten Nachbarn sind. Von den Niederungen an, die um den Hügel liegen, und jenseits welcher das Land wieder aufsteigt, beginnen unsere entfernteren Nachbarn.»

«Es ist ein gesegnetes, ein von Gott beglücktes Land», sagte ich.

«Ihr habt recht gesprochen», erwiederte er, «Land und Halm ist eine Wohlthat Gottes. Es ist unglaublich, und der Mensch bedenkt es kaum, welch ein unermeßlicher Werth in diesen Gräsern ist. Laßt sie einmal von unserem Erdtheile verschwinden, und wir verschmachten bei allem unserem sonstigen Reichthume vor Hunger. Wer weiß, ob die heißen Länder nicht so dünn bevölkert sind und das Wissen und die Kunst nicht so tragen wie die kälteren, weil sie kein Getreide haben. Wie viel selbst dieser kleine Hügel gibt, würdet ihr kaum glauben. Ich habe mir einmal die Mühe genommen, die Fläche dieses Hügels, soweit sie Getreideland ist, zu messen, um auf der Grundlage der Erträgnisse unserer Felder und der Erträgnißfähigkeit der Felder der Nachbarn, die ich untersuchte, eine Wahrscheinlichkeitsrechnung zu machen, welche Getreidemenge im Durchschnitte jedes Jahr auf diesem Hügel wächst.

Ihr würdet die Zahlen nicht glauben, und auch ich habe sie mir vorher nicht so groß vorgestellt. Wenn es euch genehm ist, werde ich euch die Arbeit in unserem Hause zeigen. Ich dachte mir damals, das Getreide gehöre auch zu jenen unscheinbaren, nachhaltigen Dingen dieses Lebens wie die Luft. Wir reden von dem Getreide und von der Luft nicht weiter, weil von beiden so viel vorhanden ist und uns beide überall umgeben. Die ruhige Verbrauchung und Erzeugung zieht eine unermeßliche Kette durch die Menschheit in den Jahrhunderten und Jahrtausenden. Überall, wo Völker mit bestimmten geschichtlichen Zeichnungen auftreten und vernünftige Staatseinrichtungen haben, finden wir sie schon zugleich mit dem Getreide, und wo der Hirte in lockeren Gesellschaftsbanden, aber vereint mit seiner Herde lebt, da sind es zwar nicht die Getreide, die ihn nähren, aber doch ihre geringeren Verwandten, die Gräser, die sein ebenfalls geringeres Dasein erhalten. - Aber verzeiht, daß ich da so von Gräsern und Getreiden rede, es ist natürlich, da ich da mitten unter ihnen wohne und auf ihren Segen erst in meinem Alter mehr achten lernte.»

«Ich habe nichts zu verzeihen», erwiederte ich; «denn ich theile eure Ansicht über das Getreide vollkommen, wenn ich auch ein Kind der großen Stadt bin. Ich habe diese Gewächse viel beachtet, habe darüber gelesen, freilich mehr von dem Standpunkte der Pflanzenkunde, und habe, seit ich einen großen Theil des Jahres in der freien Natur zubringe, ihre Wichtigkeit immer mehr und mehr einsehen gelernt.»

«Ihr würdet es erst recht», sagte er, «wenn ihr Besizthümer hättet oder auf euren Besizthümern euch mit der Pflege dieser Pflanzen besonders abgäbet.»

«Meine Eltern sind in der Stadt», antwortete ich, «mein Vater treibt die Kaufmannschaft, und außer einem Garten besizt weder er noch ich einen liegenden Grund.»

«Das ist von großer Bedeutung», erwiederte er, «den Werth dieser Pflanzen kann keiner vollständig ermessen, als der sie pflegt.»

Wir schwiegen nun eine Weile.

Ich sah an seinen Wirthschaftsgebäuden Leute beschäftigt. Einige gingen an den Thoren ab und zu, in häuslichen Arbeiten begriffen, andere mähten in einer nahen Wiese Gras und ein Theil war bedacht, das im Laufe des Tages getrocknete Heu in hochbeladenen Wägen durch die Thore einzufahren. Ich konnte wegen der großen Entfernung das Einzelne der Arbeiten nicht unterscheiden, so wie ich die eigentliche Bauart und die nähere Einrichtung der Gebäude nicht wahrnehmen konnte.

«Was ihr von den Häusern und den Besizern der Felder gesagt habt, daß ich sie euch nennen soll», fuhr er nach einer Weile fort, «so hat dies seine Schwierigkeit, besonders heute. Man kann zwar von diesem Plaze aus die größte Zahl der Nachbarn erblicken; aber heute, wo der Himmel umschleiert ist, sehen wir nicht nur das Gebirge nicht, sondern es entgeht uns auch mancher weiße Punkt des untern Landes, der Wohnungen bezeichnet, von denen ich sprechen möchte. Anderen Theils sind euch die Leute unbekannt. Ihr solltet eigentlich in der Gegend herumgewandert sein, in ihr gelebt haben, daß sie zu eurem Geiste spräche und ihr die Bewohner verstündet. Vielleicht kommt ihr wieder und bleibt länger bei uns, vielleicht verlängert ihr euren jezigen Aufenthalt. Indessen will ich euch im Allgemeinen etwas sagen und von Besonderem hinzufügen, was euch ansprechen dürfte. Ich besuche auch meiner Nachbarn willen gerne diesen Plaz; denn außerdem, daß hier auf der Höhe selbst an den schönsten Tagen immer ein kühler Lufzug geht, außerdem daß ich hier unter meinen Arbeitern bin, sehe ich von hier aus alle, die mich umgeben, es fällt mir Manches von ihnen ein, und ich ermesse, wie ich ihnen nüzen kann oder wie überhaupt das Allgemeine gefördert werden möge. Sie sind im Ganzen ungebildete, aber nicht ungelehrige Leute, wenn man sie nach ihrer Art nimmt und nicht vorschnell in eine andere zwingen will. Sie sind dann meist auch gutartig. Ich habe von ihnen Manches für mein Inneres gewonnen und ihnen manchen äußeren Vortheil verschafft. Sie ahmen nach, wenn sie etwas durch längere Erfahrung billigen. Man muß nur nicht ermüden. Oft haben sie mich zuerst verlacht und endlich dann doch nachgeahmt. In Vielem verlachen sie mich noch, und ich ertrage es. Der Weg da durch meine Felder ist ein kürzerer, und da geht Mancher vorbei, wenn ich auf der Bank size, er bleibt stehen, er redet mit mir, ich ertheile ihm Rath, und ich lerne aus seinen Worten. Meine Felder sind bereits ertragfähiger gemacht worden als die ihrigen, das sehen sie, und das ist bei ihnen der haltbarste Grund zu mancher Betrachtung. Nur die Wiese, welche sich hinter unserem Rücken befindet, tiefer als die Felder liegt und von einem kleinen Bache bewässert wird, habe ich nicht so verbessern können, wie ich wollte; sie ist noch durch die Erlengesträuche und durch die Erlenstöcke verunstaltet, die sich am Saume des Bächleins befinden und selbst hie und da Sumpfstellen veranlassen; aber ich kann die Sache im Wesentlichen nicht abändern, weil ich die Erlengesträuche und Erlenstöcke zu anderen Dingen nothwendig brauche.»

Um meine Frage nach dem Einzelnen seiner Nachbarn zu unterbrechen, die er, wie ich jezt einsah, nicht beantworten konnte, wenigstens nicht, wie sie gestellt war, fragte ich ihn, ob denn zu seinem Anwesen nicht auch Waldgrund gehöre.

«Allerdings», antwortete er, «aber derselbe liegt nicht so nahe, als es der Bequemlichkeit wegen wünschenswerth wäre; aber er liegt auch entfernt genug, daß die Schönheit und Anmuth dieses Getreidehügels nicht gestört wird. Wenn ihr auf dem Wege nach Rohrberg fortgegangen wäret, statt zu unserem Hause heraufzusteigen, so würdet ihr nach einer halben Stunde Wanderns zu eurer Rechten dicht an der Straße die Ecke eines Buchenwaldes gefunden haben, um welche die Straße herum geht. Diese Ecke erhebt sich rasch, erweitert sich nach rückwärts, wohin man von der Straße nicht sehen kann, und gehört einem Walde an, der weit in das Land hinein geht. Man kann von hier aus ein großes Stück sehen. Dort links von dem Felde, auf welchem die junge Gerste steht.»

«Ich kenne den Wald recht gut», sagte ich, «er schlingt sich um eine Höhe und berührt die Straße nur mit einem Stücke; aber wenn man ihn betritt, lernt man seine Größe kennen. Es ist der Alizwald. Er hat mächtige Buchen und Ahorne, die sich unter die Tannen mischen. Die Aliz geht von ihm in die Agger. An der Aliz stehen beiderseits hohe Felsen mit seltenen Kräutern, und von ihnen geht gegen Mittag ein Streifen Landes mit den allerstärksten Buchen thalwärts.»

«Ihr kennt den Wald», sagte er.

«Ja», erwiederte ich, «ich bin schon in ihm gewesen. Ich habe dort die größte Doppelbuche gezeichnet, die ich je gesehen, ich habe Pflanzen und Steine gesammelt und die Felsenlagen betrachtet.»

«Jener Waldstreifen, der mit den starken Buchen bestanden ist, und noch mehreres Land jenes Waldes gehört zu diesem Anwesen», sagte mein Beherberger. «Es ist weiter von da gegen Mittag auch ein Bergbühel unser, auf dem stellenweise die Birke sehr verkrüppelt vorkommt, welche zum Brennen wenig taugt, aber Holz zu feinen Arbeiten gibt.»

«Ich kenne den Bühel auch», sagte ich, «dort geht der Granit zu Ende, aus dem der ganze mitternächtliche Theil unseres Landes besteht, und es beginnt gegen Mittag zu nach und nach der Kalk, der endlich in den höchsten Gebirgen die Landesgrenze an der Mittagseite macht.»

«Ja, der Bühel ist der südlichste Granitblock», sagte mein Begleiter, «er übersezt sogar die Wässer. Wir können hier troz des Duftes der Wolken hie und da die Grenze sehen, in der sich der Granit abschneidet.»

«Dort ist die Klamspize», sagte er, «die noch Granit hat, rechts der Gaisbühl, dann die Asser, der Losen und zulezt die Grumhaut, die noch zu sehen ist.»

Ich stimmte in allem bei.

Der Abend kam indessen immer näher und näher, und der Nachmittag war bedeutend vorgerückt.

Das Gewitter an dem Himmel war mir aber endlich besonders merkwürdig geworden.

Ich hatte den Ausbruch desselben, als ich den Hügel zu dem weißen Hause empor stieg, um eine Unterkunft zu suchen, in kurzer Zeit erwartet; und nun waren Stunden vergangen und es war noch immer nicht ausgebrochen. Über den ganzen Himmel stand es unbeweglich. Die Wolkendecke war an manchen Stellen fast finster geworden und Blize zuckten aus diesen Stellen bald höher, bald tiefer hervor. Der Donner folgte in ruhigem, schwerem Rollen auf diese Blize; aber in der Wolkendecke zeigte sich kein Zusammensammeln zu einem einzigen Gewitterballen, und es war kein Anschicken zu einem Regen.

Ich sagte endlich zu meinem Nachbar, indem ich auf die Männer zeigte, welche weiter unten in der Niederung, in welcher die Wirthschaftsgebäude lagen, Gras machten: «Diese scheinen auch auf kein Gewitter und auf kein gewöhnliches Nachregnen für den morgigen Tag zu rechnen, weil sie jezt Gras mähen, das ihnen in der Nacht ein tüchtiger Regen durchnässen oder morgen eine kräftige Sonne zu Heu trocknen kann.»

«Diese wissen gar nichts von dem Wetter», sagte mein Begleiter, «und sie mähen das Gras nur, weil ich es so angeordnet habe.»

Das waren die einzigen Worte, die er über das Wetter gesprochen hatte. Ich veranlaßte ihn auch nicht zu mehreren.

Wir gingen von diesem Feldersize, auf dem wir nun schon eine Weile gesessen waren, nicht mehr weiter von dem Hause weg, sondern, nachdem wir uns erhoben hatten, schlug mein Begleiter wieder den Rückweg ein.

Wir gingen auf demselben Wege zurück, auf dem wir gekommen waren.

Die Donner erschallten nun sogar lauter und verkündeten sich bald an dieser Stelle des Himmels, bald an jener.

Als wir wieder in den Garten eingetreten waren, als mein Begleiter das Pförtchen hinter sich geschlossen hatte, und als wir von dem großen Kirschbaume bereits abwärts gingen, sagte er zu mir: «Erlaubt, daß ich nach dem Knaben rufe und ihm etwas befehle.»

Ich stimmte sogleich zu, und er rief gegen eine Stelle des Gebüsches: «Gustav!»

Der Knabe, den ich im Heraufgehen gesehen hatte, kam fast an der nehmlichen Stelle des Gartens zum Vorscheine, an welcher er früher herausgetreten war. Da er jezt länger vor uns stehen blieb, konnte ich ihn genauer betrachten. Sein Angesicht erschien mir sehr rosig und schön, und besonders einnehmend zeigten sich die großen schwarzen Augen unter den braunen Locken, die ich schon früher beobachtet hatte.

«Gustav», sagte mein Begleiter, «wenn du noch an deinem Tische oder sonst irgendwo in dem Garten bleiben willst, so erinnere dich an das, was ich dir über Gewitter gesagt habe. Da die Wolken über den ganzen Himmel stehen, so weiß man nicht, wann überhaupt ein Bliz auf die Erde niederfährt und an welcher Stelle er sie treffen wird. Darum verweile unter keinem höheren Baume. Sonst kannst du hier bleiben, wie du willst. Dieser Herr bleibt heute bei uns, und du wirst zur Abendspeisestunde in dem Speisezimmer eintreffen.»

«Ja», sagte der Knabe, verneigte sich und ging wieder auf einem Sandwege in die Gesträuche des Gartens zurück.

«Dieser Knabe ist mein Pflegesohn», sagte mein Begleiter, «er ist gewohnt, zu dieser Tageszeit einen Spaziergang mit mir zu machen, darum kam er, da wir bei dem Kirschbaume saßen, von seinem Arbeitstische, den er im Garten hat, zu uns empor, um mich zu suchen; allein da er sah, daß ein Fremder da sei, ging er wieder an seine Stelle zurück.»

Mir, der ich mich an den einfachen, folgerichtigen Ausdruck gewöhnt hatte, fiel es jezt abermals auf, daß mein Begleiter, der, wenn er von seinen Feldern redete, fast immer den Ausdruck unser gebraucht hatte, nun, da er von seinem Pflegesohne sprach, den Ausdruck mein wählte, da er doch, wenn er etwa seine Gattin einbezog, jezt auch das Wort unser gebrauchen sollte.

Als wir von dem Rasengrunde hinab gekommen waren und den bepflanzten Garten betreten hatten, gingen wir in ihm auf einem anderen Wege zurück als auf dem wir herauf gegangen waren.

Auf diesem Wege sah ich nun, daß der Besizer des Gartens auch Weinreben in demselben zog, obwohl das Land der Pflege dieses Gewächses nicht ganz günstig ist. Es waren eigene dunkle Mauern aufgeführt, an denen die Reben mittelst Holzgittern empor geleitet wurden. Durch andere Mauern wurden die Winde abgehalten. Gegen Mittag allein waren die Stellen offen. So sammelte er die Hize und gewährte Schuz. Auch Pfirsiche zog er auf dieselbe Weise, und aus den Blättern derselben schloß ich auf sehr edle Gattungen.

Wir gingen hier an großen Linden vorüber, und in ihrer Nähe erblickte ich ein Bienenhaus.

Von dem Gewächshause sah ich auf dem Rückwege wohl die Längenseite, konnte aber nichts Näheres erkennen, weil mein Begleiter den Weg zu ihm nicht einschlug. Ich wollte ihn auch nicht eigens darum ersuchen: ich vermuthete, daß er mich zu seiner Familie führen würde.

Da wir an dem Hause angekommen waren, geleitete er mich bei dem gemeinschaftlichen Eingange desselben hinein, führte mich über eine gewöhnliche Sandsteintreppe in das erste Stockwerk und ging dort mit mir einen Gang entlang, in dem viele Thüren waren. Eine derselben öffnete er mit einem Schlüssel, den er schon in seiner Tasche in Bereitschaft hatte, und sagte: «Das ist euer Zimmer, solange ihr in diesem Hause bleibt. Ihr könnt jezt in dasselbe eintreten oder es verlassen, wie es euch gefällt. Nur müsset ihr um acht Uhr wieder da sein, zu welcher Stunde ihr zum Abendessen werdet geholt werden. Ich muß euch nun allein lassen. In dem Wartezimmer habt ihr heute in Humboldts Reisen gelesen, ich habe das Buch in dieses Zimmer legen lassen. Wünschet ihr für jezt oder für den Abend noch irgend ein Buch, so nennt es, daß ich sehe, ob es in meiner Büchersammlung enthalten ist.»

Ich lehnte das Anerbieten ab und sagte, daß ich mit dem Vorhandenen schon zufrieden sei, und wenn ich mich außer Humboldt mit noch andern Buchstaben beschäftigen wolle, so habe ich in meinem Ränzchen schon Vorrath, um theils etwas mit Bleifeder zu schreiben, theils früher Geschriebenes durchzulesen und zu verbessern, welche Beschäftigung ich auf meinen Wanderungen häufig Abends vornehme.

Er verabschiedete sich nach diesen Worten, und ich ging zur Thür hinein.

Ich übersah mit einem Blicke das Zimmer. Es war ein gewöhnliches Fremdenzimmer, wie man es in jedem größeren Hause auf dem Lande hat, wo man zuweilen in die Lage kömmt, Herberge ertheilen zu müssen. Die Geräthe waren weder neu, noch nach der damals herrschenden Art gemacht, sondern aus verschiedenen Zeiten, aber nicht unangenehm ins Auge fallend. Die Überzüge der Sessel und des Ruhebettes waren gepreßtes Leder, was man damals schon selten mehr fand. Eine gesellige Zugabe, die man nicht häufig in solchen Zimmern findet, war eine alterthümliche Pendeluhr in vollem Gange. Mein Ränzlein und mein Stock lagen, wie der Mann gesagt hatte, schon in diesem Zimmer.

Ich sezte mich nieder, nahm nach einer Weile mein Ränzlein, öffnete es und blätterte in den Papieren, die ich daraus hervor genommen hatte, und schrieb gelegentlich in denselben.

Da endlich die Dämmerung gekommen war, stand ich auf, ging gegen eines der beiden offenstehenden Fenster, lehnte mich hinaus und sah herum. Es war wieder Getreide, das ich vor mir auf dem sachte hinabgehenden Hügel erblickte. Am Morgen dieses Tages, da ich von meiner Nachtherberge aufgebrochen war, hatte ich auch Getreide rings um mich gesehen; aber dasselbe war in einem lustigen Wogen begriffen gewesen, während dieses reglos und unbewegt war wie ein Heer von lockeren Lanzen. Vor dem Hause war der Sandplaz, den ich bei meiner Ankunft schon gesehen und betreten hatte. Meine Fenster gingen also auf der Seite der Rosenwand heraus. Von dem Garten tönte noch schwaches Vogelgezwitscher herüber, und der Duft von den Tausenden der Rosen stieg wie eine Opfergabe zu mir empor.

An dem Himmel, dessen Dämmerung heute viel früher gekommen war, hatte sich eine Veränderung eingefunden. Die Wolkendecke war getheilt, die Wolken standen in einzelnen Stücken gleichsam wie Berge an dem Gewölbe herum, und einzelne reine Theile blickten zwischen ihnen heraus. Die Blize aber waren stärker und häufiger, die Donner klangen heller und kürzer.

Als ich eine Weile bei dem Fenster hinaus gesehen hatte, hörte ich ein Pochen an meiner Thür, eine Magd trat herein und meldete, daß man mich zum Abendessen erwarte. Ich legte meine Papiere auf das Tischchen, das neben meinem Bette stand, legte den Humboldt darauf und folgte der Magd, nachdem ich die Thür hinter mir gesperrt hatte. Sie führte mich in das Speisezimmer.

Bei dem Eintritte sah ich drei Personen: den alten Mann, der mit mir den Spaziergang gemacht hatte, einen andern, ebenfalls ältlichen Mann, der durch nichts besonders auffiel als durch seine Kleidung, welche einen Priester verrieth, und den Pflegesohn des Hausbesizers in seinem blaugestreiften Linnengewande.

Der Herr des Hauses stellte mich dem Priester vor, indem er sagte: «Das ist der hochwürdige Pfarrer von Rohrberg, der ein Gewitter fürchtet und deßhalb diese Nacht in unserm Hause zubringen wird», und dann auf mich weisend fügte er bei: «Das ist ein fremder Reisender, der auch heute unser Dach mit uns theilen wird.»

Nach diesen Worten und nach einem kurzen stummen Gebete sezten wir uns zu dem Tische an unsere angewiesenen Pläze. Das Abendessen war sehr einfach. Es bestand aus Suppe, Braten und Wein, zu welchem, wie zu dem an meinem Mittagsmahle, verkleinertes Eis gestellt wurde. Dieselbe Magd, welche mir mein Mittagessen gebracht hatte, bediente uns. Ein männlicher Diener kam nicht in das Zimmer. Der Pfarrer und mein Gastfreund sprachen öfter Dinge, die die Gegend betrafen, und ich ward gelegentlich einbezogen, wenn es sich um Allgemeineres handelte. Der Knabe sprach gar nicht.

Die Dunkelheit des Abends wurde endlich so stark, daß die Kerzen, welche früher mit der Dämmerung gekämpft hatten, nun vollkommen die Herrschaft behaupteten, und die schwarzen Fenster nur zeitweise durch die hereinleuchtenden Blize erhellt wurden.

Da das Essen beendet war und wir uns zur Trennung anschickten, sagte der Hauswirth, daß er den Pfarrer und mich über die nähere Treppe in unser Zimmer führen würde. Wir nahmen jeder eine Wachskerze, die uns angezündet von der Magd gereicht wurde, während dessen sich der Knabe Gustav empfahl und durch die gewöhnliche Thür entfernte. Der Hauseigenthümer führte uns bei der Thür hinaus, bei der ich zuerst herein gekommen war. Wir befanden uns draußen in dem schönen Marmorgange, von dem eine gleiche Marmortreppe emporführte. Wir durften die Filzschuhe nicht anziehen, weil jezt über den Gang und die Treppe ein Tuchstreifen lag, auf dem wir gingen. In der Mitte der Treppe, wo sie einen Absaz machte, gleichsam einen erweiterten Plaz oder eine Stiegenhalle, stand eine Gestalt aus weißem Marmor auf einem Gestelle. Durch ein paar Blize, die eben jezt fielen und das Haupt und die Schultern der Marmorgestalt noch röther beschienen, als es unsere Kerzen konnten, ersah ich, daß der Plaz und die Treppe von oben herab durch eine Glasbedeckung ihre Beleuchtung empfangen mußten.

Als wir an das Ende der Treppe gelangt waren, wendete sich der Hauswirth mit uns durch eine Thür links, und wir befanden uns in jenem Gange, in welchem mein Zimmer lag. Es war der Gang der Gaszimmer, wie ich nun zu erkennen vermeinte. Unser Gastfreund bezeichnete eines als das des Pfarrers und führte mich zu dem meinigen.

Als wir in dasselbe getreten waren, fragte er mich, ob ich zu meiner Bequemlichkeit noch etwas wünsche, besonders, ob mir Bücher aus seinem Bücherzimmer genehm wären.

Als ich sagte, daß ich keinen Wunsch habe und bis zum Schlafen schon Beschäftigung finden würde, antwortete er: «Ihr seid in eurem Gemache und in eurem Rechte. Schlummert denn recht wohl.»

«Ich wünsche euch auch eine gute Nacht», erwiederte ich, «und sage euch Dank für die Mühe, die ihr heute mit mir gehabt habet.»

«Es war keine Mühe», antwortete er, «denn sonst hätte ich sie mir ja ersparen können, wenn ich euch gar nicht zu Nacht geladen hätte.»

«So ist es», antwortete ich.

«Erlaubt», sagte er, indem er ein kleines Wachskerzchen hervorzog und an meinem Lichte anzündete.

Nachdem er dieses Geschäft vollbracht hatte, verbeugte er sich, was ich erwiederte, und ging auf den Gang hinaus.

Ich schloß hinter ihm die Thür, legte meinen Rock ab und lüftete mein Halstuch, weil, obgleich es schon spät war, die ruhige Nacht noch immer eine große Hize und Schwüle in sich hegte. Ich ging einige Male in dem Zimmer hin und her, trat dann an ein Fenster, lehnte mich hinaus und betrachtete den Himmel. So viel die Dunkelheit und die noch immer hell leuchtenden Blize erkennen ließen, war die Gestalt der Dinge dieselbe, wie sie am Abend vor dem Speisen gewesen war. Wolkentrümmer standen an dem Himmel und, wie die Sterne zeigten, waren zwischen ihnen reine Stellen. Zu Zeiten fuhr ein Bliz aus ihnen über den Getreidehügel und die Wipfel der unbewegten Bäume, und der Donner rollte ihm nach.

Als ich eine Weile die freie Luft genossen hatte, schloß ich mein Fenster, schloß auch das andere und begab mich zur Ruhe.

Nachdem ich noch eine Zeit lang, wie es meine Gewohnheit war, in dem Bette gelesen und mitunter sogar mit Bleifeder etwas in meine Schriften geschrieben hatte, löschte ich das Licht aus und richtete mich zum Schlafen.

Ehe der Schlummer völlig meine Sinne umfing, hörte ich noch, wie sich draußen ein Wind erhob und die Wipfel der Bäume zu starkem Rauschen bewegte. Ich hatte aber nicht mehr genug Kraft, mich zu ermannen, sondern entschlief gleich darauf völlig.

Ich schlief recht ruhig und fest.

Als ich erwachte, war mein Erstes, zu sehen, ob es geregnet habe. Ich sprang aus dem Bette und riß die Fenster auf. Die Sonne war bereits aufgegangen, der ganze Himmel war heiter, kein Lüftchen rührte sich, aus dem Garten tönte das Schmettern der Vögel, die Rosen dufteten und die Erde zu meinen Füßen war vollkommen trocken. Nur der Sand war ein wenig gegen das Grün des begrenzenden Rasens gefegt worden, und ein Mann war beschäftigt, ihn wieder zu ebnen und in ein gehöriges Gleichgewicht zu bringen.

Also hatte mein Gegner Recht gehabt, und ich war begierig, zu erfahren, aus welchen Gründen er seine Gewißheit, die er so sicher gegen mich behauptet hatte, geschöpft und wie er diese Gründe entdeckt und erforscht habe.

Um das recht bald zu erfahren und meine Abreise nicht so lange zu verzögern, beschloß ich, mich anzukleiden und meinen Gastherrn ungesäumt aufzusuchen.

Als ich mit meinem Anzuge fertig, war und mich in das Speisezimmer hinab begeben hatte, fand ich dort eine Magd mit den Vorbereitungen zu dem Frühmahle beschäftigt und fragte nach dem Herrn.

«Er ist in dem Garten auf der Fütterungstenne», sagte sie.

«Und wo ist die Fütterungstenne, wie du es nennst?» sprach ich.

«Gleich hinter dem Hause und nicht weit von den Glashäusern», erwiederte sie.

Ich ging hinaus und schlug die Richtung gegen das Gewächshaus ein.

Vor demselben fand ich meinen Gastfreund auf einem Sandplaze. Es war derselbe Plaz, von dem aus ich schon gestern das Gewächshaus mit seiner schmalen Seite und dem kleinen Schornsteine gesehen hatte. Diese Seite war mit Rosen bekleidet, daß das Haus wie ein zweites, kleines Rosenhäuschen hervor sah. Mein Gastfreund war in einer seltsamen Beschäftigung begriffen. Eine Unzahl Vögel befand sich vor ihm auf dem Sande. Er hatte eine Art von länglichem geflochtenem Korbdeckel in der Hand und streuete aus demselben Futter unter die Vögel. Er schien sich daran zu ergözen, wie sie pickten, sich überkletterten, überstürzten und kollerten, wie die gesättigten davon flogen und wieder neue herbei schwirrten. Ich erkannte es nun endlich, daß außer den gewöhnlichen Gartenvögeln auch solche da waren, die mir sonst nur von tiefen und weit abgelegenen Wäldern bekannt waren. Sie erschienen gar nicht so scheu, als ich mit allem Rechte vermuthen mußte. Sie trauten ihm vollkommen. Er stand wieder barhäuptig da, so daß es mir schien, daß er diese Sitte liebe, da er auch gestern auf dem Spaziergange seine so leichte Kopfbedeckung eingesteckt hatte. Seine Gestalt war vorgebeugt und die schlichten, aber vollen weißen Haare hingen an seinen Schläfen herab. Sein Anzug war auch heute wieder sonderbar. Er hatte wie gestern eine Art Jacke an, die fast bis auf die Knie hinab reichte. Sie war weißlich, hatte jedoch über die Brust und den Rücken hinab einen röthlichbraunen Streifen, der fast einen halben Fuß breit war, als wäre die Jacke aus zwei Stoffen verfertigt worden, einem weißen und einem rothen. Beide Stoffe aber zeigten ein hohes Alter; denn das Weiß war gelblichbraun und das Roth zu Purpurbraun geworden. Unter der Jacke sah eine unscheinbare Fußbekleidung hervor, die mit Schnallenschuhen endete.

Ich blieb hinter seinem Rücken in ziemlicher Entfernung stehen, um ihn nicht zu stören und die Vögel nicht zu verscheuchen.

Als er aber seinen Korb geleert hatte und seine Gäste fortgeflogen waren, trat ich näher. Er hatte sich eben umgewendet, um zurückzugehen, und da er mich erblickte, sagte er: «Seid ihr schon ausgegangen? Ich hoffe, daß ihr gut geschlafen habt.»

«Ja, ich habe sehr gut geschlafen», erwiederte ich, «ich habe noch den Wind gehört, der sich gestern Abends erhoben hat, was weiter geschehen ist, weiß ich nicht; aber das weiß ich, daß heute die Erde trocken ist und daß ihr Recht gehabt habet.»

«Ich glaube, daß nicht ein Tropfen auf diese Gegend vom Himmel gefallen ist», antwortete er.

«Wie das Aussehen der Erde zeigt, glaube ich es auch», erwiederte ich; «aber nun müßt ihr mir auch wenigstens zum Theile sagen: woher ihr dies so gewiß wissen konntet und wie ihr euch diese Kenntniß erworben habt; denn das müßt ihr zugestehen, daß sehr viele Zeichen gegen euch waren.»

«Ich will euch etwas sagen», antwortete er, «die Darlegung der Sache, die ihr da verlangt, dürfte etwas lang werden, da ich sie euch, der sich mit Wissenschaften beschäftigt, doch nicht oberflächlich geben kann: verspreche mir, den heutigen Tag und die Nacht noch bei uns zuzubringen, da kann ich euch nicht nur dieses sagen, sondern noch vieles Andere, ihr könnt Verschiedenes anschauen, und ihr könnt mir von eurer Wissenschaft erzählen.»

Dieses offen und freundlich gemachte Anerbieten konnte ich nicht ausschlagen, auch erlaubte mir meine Zeit recht gut, nicht nur einen, sondern mehrere Tage zu einer Nebenbeschäftigung zu verwenden. Ich gebrauchte daher die gewöhnliche Redeweise von Nichtlästigfallenwollen und sagte unter dieser Bedingung zu.

«Nun so geht mit mir zuerst zu einem Frühmahle, das ich mit euch theilen will», sagte er, «der Herr Pfarrer von Rohrberg hat uns schon vor Tagesanbruch verlassen, um zu rechter Zeit in seiner Kirche zu sein, und Gustav ist bereits zu seiner Arbeit gegangen.»

Mit diesen Worten wendeten wir uns auf den Rückweg zu dem Hause. Als wir dort angekommen waren, gab er das, was ich Anfangs für einen Korbdeckel gehalten hatte, was aber ein eigens geflochtenes, sehr flaches und längliches Fütterungskörbchen war, einer Magd, daß sie es auf seinen Plaz lege, und wir gingen in das Speisezimmer.

Während des Frühmahles sagte ich: «Ihr habt selbst davon gesprochen, daß ich hier Verschiedenes anschauen könne, wäre es denn zu unbescheiden, wenn ich bäte, von dem Hause und dessen Umgebung Manches näher besehen zu dürfen. Es ist eine der lieblichsten Lagen, in der dieses Anwesen liegt, und ich habe bereits so Vieles davon gesehen, was meine Aufmerksamkeit aufregte, daß der Wunsch natürlich ist, noch Mehreres besehen zu dürfen.»

«Wenn es euch Vergnügen macht, unser Haus und einiges Zubehör zu besehen», antwortete er, «so kann das gleich nach dem Frühmahle geschehen, es wird nicht viele Zeit in Anspruch nehmen, da das Gebäude nicht so groß ist. Es wird sich dann auch das, was wir noch zu reden haben, natürlicher und verständlicher ergeben.»

«Ja freilich», sagte ich, «macht es mir Vergnügen.»

Wir schritten also nach dem Frühmahle zu diesem Geschäfte.

Er führte mich über die Treppe, auf welcher die weiße Marmorgestalt stand, hinauf. Heute fiel statt des rothen zerstreuten Lichtes der Kerzen und der Blize von der vergangenen Nacht das stille weiße Tageslicht auf sie herab und machte die Schultern und das Haupt in sanftem Glanze sich erhellen. Nicht nur die Treppe war in diesem Stiegenhause von Marmor, sondern auch die Bekleidung der Seitenwände. Oben schloß gewölbtes Glas, das mit feinem Drahte überspannt war, die Räume. Als wir die Treppe erstiegen hatten, öffnete mein Gastfreund eine Thür, die der gegenüber war, die zu dem Gange der Gaszimmer führte. Die Thür ging in einen großen Saal. Auf der Schwelle, an der der Tuchstreifen, welcher über die Treppe empor lag, endete, standen wieder Filzschuhe. Da wir jeder ein Paar derselben angezogen hatten, gingen wir in den Saal. Er war eine Sammlung von Marmor. Der Fußboden war aus dem farbigsten Marmor zusammengestellt, der in unseren Gebirgen zu finden ist. Die Tafeln griffen so ineinander, daß eine Fuge kaum zu erblicken war, der Marmor war sehr fein geschliffen und geglättet, und die Farben waren so zusammengestellt, daß der Fußboden wie ein liebliches Bild zu betrachten war. Überdies glänzte und schimmerte er noch in dem Lichte, das bei den Fenstern hereinströmte. Die Seitenwände waren von einfachen, sanften Farben. Ihr Sockel war mattgrün, die Haupttafeln hatten den lichtesten, fast weißen Marmor, den unsere Gebirge liefern, die Flachsäulen waren schwach roth und die Simse, womit die Wände an die Decke stießen, waren wieder aus schwach Grünlich und Weiß zusammengestellt, durch welche ein Gelb wie schöne Goldleisten lief. Die Decke war blaßgrau und nicht von Marmor, nur in der Mitte derselben zeigte sich eine Zusammenstellung von rothen Amoniten, und aus derselben ging die Metallstange nieder, welche in vier Armen die vier dunkeln, fast schwarzen Marmorlampen trug, die bestimmt waren, in der Nacht diesen Raum beleuchten zu können. In dem Saale war kein Bild, kein Stuhl, kein Geräthe, nur in den drei Wänden war jedesmal eine Thür aus schönem, dunklem Holze eingelegt, und in der vierten Wand befanden sich die drei Fenster, durch welche der Saal bei Tag beleuchtet wurde. Zwei davon standen offen, und zu dem Glanze des Marmors war der Saal auch mit Rosenduft erfüllt.

Ich drückte mein Wohlgefallen über die Einrichtung eines solchen Zimmers aus; den alten Mann, der mich begleitete, schien dieses Vergnügen zu erfreuen, er sprach aber nicht weiter darüber.

Aus diesem Saale führte er mich durch eine der Thüren in eine Stube, deren Fenster in den Garten gingen.

«Das ist gewissermaßen mein Arbeitszimmer», sagte er, «es hat außer am frühen Morgen nicht viel Sonne, ist daher im Sommer angenehm, ich lese gerne hier oder schreibe oder beschäftige mich sonst mit Dingen, die Antheil einflößen.»

Ich dachte mit Lebhaftigkeit, ich könnte sagen mit einer Art Sehnsucht auf meinen Vater, da ich diese Stube betreten hatte. In ihr war nichts mehr von Marmor, sie war wie unsere gewöhnlichen Stuben; aber sie war mit alterthümlichen Geräthen eingerichtet, wie sie mein Vater hatte und liebte. Allein die Geräthe erschienen mir so schön, daß ich glaubte, nie etwas ihnen Ähnliches gesehen zu haben. Ich unterrichtete meinen Gastfreund von der Eigenschaft meines Vaters und erzählte ihm in Kurzem von den Dingen, welche derselbe besaß. Auch bath ich, die Sachen näher betrachten zu dürfen, um meinem Vater nach meiner Zurückkunft von ihnen erzählen und sie ihm, wenn auch nur nothdürftig, beschreiben zu können. Mein Begleiter willigte sehr gerne in mein Begehren. Es war vor allem ein Schreibschrein, welcher meine Aufmerksamkeit erregte, weil er nicht nur das größte, sondern wahrscheinlich auch das schönste Stück des Zimmers war. Vier Delphine, welche sich mit dem Untertheil ihrer Häupter auf die Erde stüzten und die Leiber in gewundener Stellung emporstreckten, trugen den Körper des Schreines auf diesen gewundenen Leibern. Ich glaubte Anfangs, die Delphine seien aus Metall gearbeitet, mein Begleiter sagte mir aber, daß sie aus Lindenholz geschnitten und nach mittelalterlicher Art zu dem gelblich grünlichen Metalle hergerichtet waren, dessen Verfertigung man jezt nicht mehr zuwege bringt. Der Körper des Schreines hatte eine allseitig gerundete Arbeit mit sechs Fächern. Über ihm befand sich das Mittelstück, das in einer guten Schwingung flach zurückging und die Klappe enthielt, die geöffnet zum Schreiben diente. Von dem Mittelstücke erhob sich der Aufsaz mit zwölf geschwungenen Fächern und einer Mitteltür. An den Kanten des Aufsazes und zu beiden Seiten der Mitteltür befanden sich als Säulen vergoldete Gestalten. Die beiden größten zu den Seiten der Thür waren starke Männer, die die Hauptsimse trugen. Ein Schildchen, das sich auf ihrer Brust öffnete, legte die Schlüsselöffnungen dar. Die zwei Gestalten an den vorderen Seitenkanten waren Meerfräulein, die in Übereinstimmung mit den Tragfischen jedes in zwei Fischenden ausliefen. Die zwei lezten Gestalten an den hintern Seitenkanten waren Mädchen in faltigen Gewändern. Alle Leiber der Fische sowohl als der Säulen erschienen mir sehr natürlich gemacht. Die Fächer hatten vergoldete Knöpfe, an denen sie herausgezogen werden konnten. Auf der achteckigen Fläche dieser Knöpfe waren Brustbilder geharnischter Männer oder gepuzter Frauenzimmer eingegraben. Die Holzbelegung auf dem ganzen Schrein war durchaus eingelegte Arbeit. Ahornlaubwerk in dunkeln Nußholzfeldern, umgeben von geschlungenen Bändern und geflammtem Erlenholze.

Die Bänder waren wie geknitterte Seide, was daher kam, daß sie aus kleinem, feingestreiftem, vielfarbigem Rosenholz senkrecht auf die Achse eingelegt waren. Die eingelegte Arbeit befand sich nicht blos, wie es häufig bei derlei Geräthen der Fall ist, auf der Daransicht, sondern auch auf den Seitentheilen und den Friesen der Säulen.

Mein Begleiter stand neben mir, als ich diesem Geräthe meine Aufmerksamkeit widmete, und zeigte mir Manches und erklärte mir auf meine Bitte Dinge, die ich nicht verstand.

Auch eine andere Beobachtung machte ich, da ich mich in diesem Zimmer befand, die meine Geistestätigkeit in Anspruch nahm. Es kam mir nehmlich vor, daß der Anzug meines Begleiters nicht mehr so seltsam sei, als er mir gestern und als er mir heute erschienen war, da ich ihn auf dem Fütterungsplaze gesehen hatte. Bei diesen Geräthen erschien er mir eher als zustimmend und hieher gehörig, und ich begann die Vermuthung zu hegen, daß ich vielleicht noch diesen Anzug billigen werde und daß der alte Mann in dieser Hinsicht verständiger sein dürfte als ich.

Außer dem Schreibschreine erregten noch zwei Tische meine Aufmerksamkeit, die an Größe gleich waren und auch sonst gleiche Gestalt hatten, sich aber nur darin unterschieden, daß jeder auf seiner Platte eine andere Gestaltung trug. Sie hatten nehmlich jeder ein Schild auf der Platte, wie es Ritter und adeliche Geschlechter führten, nur waren die Schilde nicht gleich. Aber auf beiden Tischen waren sie umgeben und verschlungen mit Laubwerk, Blumen- und Pflanzenwerk, und nie habe ich die leinen Fäden der Halme, der Pflanzenbärte und der Getreideähren zarter gesehen als hier, und doch waren sie von Holz in Holz eingelegt. Die übrige Geräthschaft waren hochlehnige Sessel mit Schnizwerk, Flechtwerk und eingelegter Arbeit, zwei geschnizte Sizbänke, die man im Mittelalter Gesiedel geheißen hatte, geschnizte Fahnen mit Bildern und endlich zwei Schirme von gespanntem und gepreßtem Leder, auf welchem Blumen, Früchte, Thiere, Knaben und Engel aus gemaltem Silber angebracht waren, das wie farbiges Gold aussah. Der Fußboden des Zimmers war gleich den Geräthen aus Flächen alter eingelegter Arbeit zusammengestellt. Wir hatten wahrscheinlich wegen der Schönheit dieses Bodens bei dem Eintritte in diese Stube die Filzschuhe an unsern Füßen behalten.

Obwohl der alte Mann gesagt hatte, daß dieses Zimmer sein Arbeitszimmer sei, so waren doch keine unmittelbaren Spuren von Arbeit sichtbar. Alles schien in den Laden verschlossen oder auf seinen Plaz gestellt zu sein.

Auch hier war mein Begleiter, als ich meine Freude über dieses Zimmer aussprach, nicht sehr wortreich, genau so wie in dem Marmorsaale; aber gleichwohl glaubte ich das Vergnügen ihm von seinem Angesicht herablesen zu können.

Das nächste Zimmer war wieder ein alterthümliches. Es ging gleichfalls auf den Garten. Sein Fußboden war wie in dem vorigen eingelegte Arbeit, aber auf ihm standen drei Kleiderschreine und das Zimmer war ein Kleiderzimmer. Die Schreine waren groß, alterthümlich eingelegt und jeder hatte zwei Flügeltüren. Sie erschienen mir zwar minder schön als das Schreibgerüste im vorigen Zimmer, aber doch auch von großer Schönheit, besonders der mittlere, größte, der eine vergoldete Bekrönung trug und auf seinen Hohltüren ein sehr schönes Schild-, Laub- und Bänderwerk zeigte. Außer den Schreinen waren nur noch Stühle da und ein Gestelle, welches dazu bestimmt schien, gelegentlich Kleider darauf zu hängen. Die inneren Seiten der Zimmertüren waren ebenfalls zu den Geräthen stimmend und bestanden aus Simswerk und eingelegter Arbeit.

Als wir dieses Zimmer verließen, legten wir die Filzschuhe ab.

Das nächste Zimmer, gleichfalls auf den Garten gehend, war das Schlafgemach. Es enthielt Geräthe neuer Art, aber doch nicht ganz in der Gestaltung, wie ich sie in der Stadt zu sehen gewohnt war. Man schien hier vor Allem auf Zweckmäßigkeit gesehen zu haben. Das Bett stand mitten im Zimmer und war mit dichten Vorhängen umgeben. Es war sehr nieder und hatte nur ein Tischchen neben sich, auf dem Bücher lagen, ein Leuchter und eine Glocke standen und sich Geräthe befanden, Licht zu machen. Sonst waren die Geräthe eines Schlafzimmers da, besonders solche, die zum Aus- und Ankleiden und zum Waschen behilflich waren. Die Innenseiten der Thüren waren hier wieder zu den Geräthen stimmend.

An das Schlafgemach stieß ein Zimmer mit wissenschaftlichen Vorrichtungen, namentlich zu Naturwissenschaften. Ich sah Werkzeuge der Naturlehre aus der neuesten Zeit, deren Verfertiger ich entweder persönlich aus der Stadt kannte oder deren Namen, wenn die Geräthe aus andern Ländern stammten, mir dennoch bekannt waren. Es befanden sich Werkzeuge zu den vorzüglichsten Theilen der Naturlehre hier.

Auch waren Sammlungen von Naturkörpern vorhanden, vorzüglich aus dem Mineralreiche. Zwischen den Geräthen und an den Wänden war Raum, mit den vorhandenen Vorrichtungen Versuche anstellen zu können. Das Zimmer war gleichfalls noch immer ein Gartenzimmer.

Endlich gelangten wir in das Eckzimmer des Hauses, dessen Fenster theils auf den Hauptkörper des Gartens gingen, theils nach Nordwesten sahen. Ich konnte aber die Bestimmung dieses Zimmers nicht errathen, so seltsam kam es mir vor. An den Wänden standen Schreine aus geglättetem Eichenholze mit sehr vielen kleinen Fächern. An diesen Fächern waren Aufschriften, wie man sie in Spezereiverkaufsbuden oder Apotheken findet. Einige dieser Aufschriften verstand ich, sie waren Namen von Sämereien oder Pflanzennamen. Die meisten aber verstand ich nicht. Sonst war weder ein Stuhl noch ein anderes Geräthe in dem Zimmer. Vor den Fenstern waren wagrechte Brettchen befestigt, wie man sie hat, um Blumentöpfe darauf zu stellen; aber ich sah keine Blumentöpfe auf ihnen, und bei näherer Betrachtung zeigte sich auch, daß sie zu schwach seien, um Blumentöpfe tragen zu können. Auch wären gewiß solche auf ihnen gestanden, wenn sie dazu bestimmt gewesen wären, da ich in allen Zimmern, mit Ausnahme des Marmorsaales, an jedem nur einiger Maßen geeigneten Plaze Blumen aufgestellt gesehen hatte.

Ich fragte meinen Begleiter nicht um den Zweck des Zimmers, und er äußerte sich auch nicht darüber.

Wir gelangten nun wieder in die Gemächer, die an der Mittagseite des Hauses lagen und über den Sandplaz auf die Felder hinaus sahen.

Das erste nach dem Eckzimmer war ein Bücherzimmer. Es war groß und geräumig und stand voll von Büchern. Die Schreine derselben waren nicht so hoch, wie man sie gewöhnlich in Bücherzimmern sieht, sondern nur so, daß man noch mit Leichtigkeit um die höchsten Bücher langen konnte. Sie waren auch so flach, daß nur eine Reihe Bücher stehen konnte, keine die andere deckte und alle vorhandenen Bücher ihre Rücken zeigten. Von Geräthen befand sich in dem Zimmer gar nichts als in der Mitte desselben ein langer Tisch, um Bücher darauf legen zu können. In seiner Lade waren die Verzeichnisse der Sammlung. Wir gingen bei dieser allgemeinen Beschauung des Hauses nicht näher auf den Inhalt der vorhandenen Bücher ein.

Neben dem Bücherzimmer war ein Lesegemach. Es war klein und hatte nur ein Fenster, das zum Unterschiede aller anderen Fenster des Hauses mit grünseidenen Vorhängen versehen war, während die anderen grauseidne Rollzüge besaßen. An den Wänden standen mehrere Arten von Sizen, Tischen und Pulten, so daß für die größte Bequemlichkeit der Leser gesorgt war. In der Mitte stand, wie im Bücherzimmer, ein großer Tisch oder Schrein - denn er hatte mehrere Laden -, der dazu diente, daß man Tafeln, Mappen, Landkarten und dergleichen auf ihm ausbreiten konnte. In den Laden lagen Kupferstiche. Was mir in diesem Zimmer auffiel, war, daß man nirgends Bücher oder etwas, das an den Zweck des Lesens erinnerte, herumliegen sah.

Nach dem Lesegemache kam wieder ein größeres Zimmer, dessen Wände mit Bildern bedeckt waren. Die Bilder hatten lauter Goldrahmen, waren ausschließlich Ölgemälde und reichten nicht höher, als daß man sie noch mit Bequemlichkeit betrachten konnte. Sonst hingen sie aber so dicht, daß man zwischen ihnen kein Stückchen Wand zu erblicken vermochte. Von Geräthen waren nur mehrere Stühle und eine Staffelei da, um Bilder nach Gelegenheit aufstellen und besser betrachten zu können. Diese Einrichtung erinnerte mich an das Bilderzimmer meines Vaters.

Das Bilderzimmer führte durch die dritte Thür des Marmorsaales wieder in denselben zurück, und so hatten wir die Runde in diesen Gemächern vollendet.

«Das ist nun meine Wohnung», sagte mein Begleiter, «sie ist nicht groß und von außerordentlicher Bedeutung, aber sie ist sehr angenehm. In dem anderen Flügel des Hauses sind die Gaszimmer, welche beinahe alle dem gleichen, in welchem ihr heute Nacht geschlafen habt. Auch ist Gustavs Wohnung dort, die wir aber nicht besuchen können, weil wir ihn sonst in seinem Lernen stören würden. Durch den Saal und über die Treppe können wir nun wieder in das Freie gelangen.»

Als wir den Saal durchschritten hatten, als wir über die Treppe hinabgegangen und zu dem Ausgange des Hauses gekommen waren, legten wir die Filzschuhe ab, und mein Begleiter sagte: «Ihr werdet euch wundern, daß in meinem Hause Theile sind, in welchen man sich die Unbequemlichkeit auflegen muß, solche Schuhe anzuziehen; aber es kann mit Fug nicht anders sein, denn die Fußböden sind zu empfindlich, als daß man mit gewöhnlichen Schuhen auf ihnen gehen könnte, und die Abtheilungen, welche solche Fußböden haben, sind ja auch eigentlich nicht zum Bewohnen, sondern nur zum Besehen bestimmt, und endlich gewinnt sogar das Besehen an Werth, wenn man es mit Beschwerlichkeit erkaufen muß. Ich habe in diesen Zimmern gewöhnlich weiche Schuhe mit Wollsohlen an. In mein Arbeitszimmer kann ich auch ohne allen Umweg gelangen, da ich in dasselbe nicht durch den Saal gehen muß, wie wir jezt gethan haben, sondern da von dem Erdgeschosse ein Gang in das Zimmer hinaufführt, den ihr nicht gesehen haben werdet, weil seine beiden Enden mit guten Tapetentüren geschlossen sind. Der Pfarrer von Rohrberg leidet an der Gicht und verträgt heiße Füße nicht, daher belege ich für ihn, wenn er anwesend ist, die Treppe oder die Zimmer mit einem Streifen von Wollstoff, wie ihr es gestern gesehen habt.»

Ich antwortete, daß die Vorrichtung sehr zweckmäßig sei und daß sie überall angewendet werden muß, wo kunstreiche oder sonst werthvolle Fußböden zu schonen sind.

Da wir nun im Garten waren, sagte ich, indem ich mich umwendete und das Haus betrachtete: «Eure Wohnung ist nicht, wie ihr sagt, von geringer Bedeutung. Sie wird, so viel ich aus der kurzen Besichtigung entnehmen konnte, wenige ihres Gleichen haben. Auch hatte ich nicht gedacht, daß das Haus, wenn ich es so von der Straße aus sah, eine so große Räumlichkeit in sich hätte.»

«So muß ich euch nun auch noch etwas anderes zeigen», erwiederte er, «folgt mir ein wenig durch jenes Gebüsch.»

Er ging nach diesen Worten voran, ich folgte ihm. Er schlug einen Weg gegen dichtes Gebüsch ein. Als wir dort angekommen waren, ging er auf einem schmalen Pfade durch dessen Verschlingung fort. Endlich kamen sogar hohe Bäume, unter denen der Weg dahin lief. Nach einer Weile that sich ein anmuthiger Rasenplaz vor uns auf, der wieder ein langes, aus einem Erdgeschosse bestehendes Gebäude trug. Es hatte viele Fenster, die gegen uns hersahen. Ich hatte es früher weder von der Straße aus erblickt noch von den Stellen des Gartens, auf denen ich gewesen war. Vermuthlich waren die Bäume daran Schuld, die es umstanden.

Da wir uns näherten, ging ein feiner Rauch aus seinem Schornsteine empor, obwohl, da es Sommer war, keine Einheizzeit, und da es noch so früh am Vormittage war, keine Kochzeit die Ursache davon sein konnte. Als wir näher kamen, hörte ich in dem Hause ein Schnarren und Schleifen, als ob in ihm gesägt und gehobelt würde. Da wir eingetreten waren, sah ich in der That eine Schreinerwerkstätte vor mir, in welcher thätig gearbeitet wurde. An den Fenstern, durch welche reichliches Licht hereinfiel, standen die Schreinertische und an den übrigen Wänden, welche fensterlos waren, lehnten Theile der in Arbeit begriffenen Gegenstände. Hier fand ich wieder eine Ähnlichkeit mit meinem Vater. So wie er sich einen jungen Mann abgerichtet hatte, der ihm seine alterthümlichen Geräthe nach seiner Angabe wieder herstellte, so sah ich hier gleich eine ganze Werkstätte dieser Art; denn ich erkannte aus den Theilen, die herumstanden, daß hier vorzüglich an der Wiederherstellung alterthümlicher Geräthschaften gearbeitet werde. Ob auch Neues in dem Hause verfertigt werde, konnte ich bei dem ersten Anblicke nicht erkennen.

Von den Arbeitern hatte jeder einen Raum an den Fenstern für sich, der von dem Raume seines Nachbars durch gezogene Schranken abgesondert war. Er hatte seine Geräthe und seine eben nothwendigen Arbeitsstücke in diesem Raume bei sich, das Andere, was er gerade nicht brauchte, hatte er an der Hinterwand des Hauses hinter sich, so daß eine übersichtliche Ordnung und Einheit bestand. Es waren vier Arbeiter. In einem großen Schreine, der einen Theil der einen Seitenwand einnahm, befanden sich vorräthige Werkzeuge, welche für den Fall dienten, daß irgend eines unversehens untauglich würde und zu seiner Herstellung zu viele Zeit in Anspruch nähme. In einem andern Schreine an der entgegengesezten Seitenwand waren Fläschchen und Büchschen, in denen sich die Flüssigkeiten und andere Gegenstände befanden, die zur Erzeugung von Firnissen, Polituren oder dazu dienten, dem Holze eine bestimmte Farbe oder das Ansehen von Alter zu geben. Abgesondert von der Werkstube war ein Herd, auf welchem das zu Schreinerarbeiten unentbehrliche Feuer brannte. Seine Stätte war feuerfest, um die Werkstube und ihren Inhalt nicht zu gefährden.

«Hier werden Dinge», sagte mein Begleiter, «welche lange vor uns, ja oft mehrere Jahrhunderte vor unserer Zeit verfertigt worden und in Verfall gerathen sind, wieder hergestellt, wenigstens soweit es die Zeit und die Umstände nur immer erlauben. Es wohnt in den alten Geräthen beinahe wie in den alten Bildern ein Reiz des Vergangenen und Abgeblühten, der bei dem Menschen, wenn er in die höheren Jahre kömmt, immer stärker wird. Darum sucht er das zu erhalten, was der Vergangenheit angehört, wie er ja auch eine Vergangenheit hat, die nicht mehr recht zu der frischen Gegenwart der rings um ihn Aufwachsenden paßt. Darum haben wir hier eine Anstalt für Geräthe des Alterthums gegründet, die wir dem Untergange entreißen, zusammenstellen, reinigen, glätten und wieder in die Wohnlichkeit einzuführen suchen.»

Es wurde, da ich mich in dem Schreinerhause befand, eben an der Platte eines Tisches gearbeitet, die, wie mein Begleiter sagte, aus dem sechzehnten Jahrhunderte stammte. Sie war in Hölzern von verschiedener, aber natürlicher Farbe eingelegt. Bloß wo grünes Laub vorkam, war es von grüngebeiztem Holze. Von außen war eine Verbrämung von in einander geschlungenen und schneckenartig gewundenen Rollen, Laubzweigen und Obst. Die innere Fläche, welche von der Verbrämung durch ein Bänderwerk von rothem Rosenholze abgeschnitten war, trug auf einem Grunde von braunlich weißem Ahorne eine Sammlung von Musikgeräthen. Sie waren freilich nicht in dem Verhältnisse ihrer Größen eingelegt. Die Geige war viel kleiner als die Mandoline, die Trommel und der Dudelsack waren gleich groß und unter beiden zog sich die Flöte wie ein Weberbaum dahin. Aber im Einzelnen erschienen mir die Sachen als sehr schön, und die Mandoline war so rein und lieblich, wie ich solche Dinge nicht schöner auf den alten Gemälden meines Vaters gesehen hatte. Einer der Arbeiter schnitt Stücke aus Ahorn, Buchs, Sandelholz, Ebenholz, türkisch Hasel und Rosenholz zurecht, damit sie in ihrer kleineren Gestalt gehörig austrocknen konnten. Ein anderer löste schadhafte Theile aus der Platte und ebnete die Grundstellen, um die neuen Bestandtheile zweckmäßig einsezen zu können. Der dritte schnitt und hobelte die Füße aus einem Ahornbalken und der vierte war beschäftigt, nach einer in Farben ausgeführten Abbildung der Tischplatte, die er vor sich hatte, und aus einer Menge von Hölzern, die neben ihm lagen, diejenigen zu bestimmen, die den auf der Zeichnung befindlichen Farben am meisten entsprächen. Mein Begleiter sagte mir, daß das Gerüste und die Füße des Tisches verlorengegangen seien und neu gemacht werden mußten.

Ich fragte, wie man das einrichte, daß das Neue zu dem Vorhandenen passe.

Er antwortete: «Wir haben eine Zeichnung gemacht, die ungefähr darstellte, wie die Füße und das Gerüste ausgesehen haben mögen.»

Auf meine neue Frage, wie man denn das wissen könne, antwortete er: «Diese Dinge haben so gut wie bedeutendere Gegenstände ihre Geschichte, und aus dieser Geschichte kann man das Aussehen und den Bau derselben zusammen sezen. Im Verlaufe der Jahre haben sich die Gestaltungen der Geräthe immer neu abgelöset, und wenn man auf diese Abfolge sein Augenmerk richtet, so kann man aus einem vorhandenen Ganzen auf verlorengegangene Theile schließen und aus aufgefundenen Theilen auf das Ganze gelangen. Wir haben mehrere Zeichnungen entworfen, in deren jede immer die Tischplatte einbezogen war, und haben uns auf diese Weise immer mehr der muthmaßlichen Beschaffenheit der Sache genähert. Endlich sind wir bei einer Zeichnung geblieben, die uns nicht zu widersprechend schien.»

Auf meine Frage, ob er denn immer Arbeit für seine Anstalt habe, antwortete er: «Sie ist nicht gleich so entstanden, wie ihr sie hier sehet. Anfangs zeigte sich die Lust an alten und vorelterlichen Dingen, und wie die Lust wuchs, sammelten sich nach und nach schon die Gegenstände an, die ihrer Wiederherstellung entgegen sahen. Zuerst wurde die Ausbesserung bald auf diesem, bald auf jenem Wege versucht und eingeleitet. Viele Irrwege sind betreten worden. Indessen wuchs die Zahl der gesammelten Gegenstände immer mehr und deutete schon auf die künftige Anstalt hin. Als man in Erfahrung brachte, daß ich alterthümliche Gegenstände kaufe, brachte man mir solche oder zeigte mir die Orte an, wo sie zu finden wären. Auch vereinigten sich mit uns hie und da Männer, welche auf die Dinge des Alterthums ihr Augenmerk richteten, uns darüber schrieben und wohl auch Zeichnungen einsandten. So erweiterte sich unser Kreis immer mehr.

Ungehörige Ausbesserungen aus früheren Zeiten gaben ebenfalls Stoff zu erneuerter Arbeit, und da wir anfangs auch an verschiedenen Orten arbeiten ließen und häufig genöthigt waren, die Orte zu wechseln, ehe wir uns hier niederließen, so verschleppte sich manche Zeit und die Arbeitsgegenstände mehrten sich. Endlich geriethen wir auch auf den Gedanken, neue Gegenstände zu verfertigen. Wir geriethen auf ihn durch die alten Dinge, die wir immer in den Händen hatten. Diese neuen Gegenstände wurden aber nicht in der Gestalt gemacht, wie sie jezt gebräuchlich sind, sondern wie wir sie für schön hielten. Wir lernten an dem Alten; aber wir ahmten es nicht nach, wie es noch zuweilen in der Baukunst geschieht, in der man in einem Stile, zum Beispiele in dem sogenannten gothischen, ganze Bauwerke nachbildet. Wir suchten selbstständige Gegenstände für die jezige Zeit zu verfertigen mit Spuren des Lernens an vergangnen Zeiten. Haben ja selbst unsere Vorfahrer aus ihren Vorfahrern geschöpft, diese wieder aus den ihrigen und so fort, bis man auf unbedeutende und kindische Anfänge stößt.

Überall aber sind die eigentlichen Lehrmeister die Werke der Natur gewesen.»

«Sind solche neugemachte Gegenstände in eurem Hause vorhanden?» fragte ich.

«Nichts von Bedeutung», antwortete er, «einige sind an verschiedenen Punkten der Gegend zerstreut, einige sind in einem anderen Orte als in diesem Hause gesammelt. Wenn ihr Lust zu solchen Dingen habt oder sie in Zukunft fassen solltet und euer Weg euch wieder einmal hieher führt, so wird es nicht schwer sein, euch an den Ort zu geleiten, wo ihr mehrere unserer besten Gegenstände sehen könnt.»

«Es sind der Wege sehr verschiedene», erwiederte ich, «die die Menschen gehen, und wer weiß es, ob der Weg, der mich wegen eines Gewitters zu euch heraufgeführt hat, nicht ein sehr guter Weg gewesen ist und ob ich ihn nicht noch einmal gehe.»

«Ihr habt da ein sehr wahres Wort gesprochen», antwortete er, «die Wege der Menschen sind sehr verschiedene. Ihr werdet dieses Wort erst recht einsehen, wenn ihr älter seid.»

«Und habt ihr dieses Haus eigens zu dem Zwecke der Schreinerei erbaut?» fragte ich weiter.

«Ja», antwortete er, «wir haben es eigens zu diesem Zwecke erbaut. Es ist aber viel später entstanden als das Wohnhaus. Da wir einmal so weit waren, die Sachen zu Hause machen zu lassen, so war der Schritt ein ganz leichter, uns eine eigene Werkstätte hiefür einzurichten. Der Bau dieses Hauses war aber bei weitem nicht das Schwerste, viel schwerer war es, die Menschen zu finden. Ich hatte mehrere Schreiner und mußte sie entlassen. Ich lernte nach und nach selber, und da trat mir der Starrsinn, der Eigenwille und das Herkommen entgegen. Ich nahm endlich solche Leute, die nicht Schreiner waren und sich erst hier unterrichten sollten. Aber auch diese hatten wie die Frühern eine Sünde, welche in arbeitenden Ständen und auch wohl in andern sehr häufig ist, die Sünde der Erfolggenügsamkeit oder der Fahrlässigkeit, die stets sagt: ‹es ist so auch recht›, und die jede weitere Vorsicht für unnöthig erachtet. Es ist diese Sünde in den unbedeutendsten und wichtigsten Dingen des Lebens vorhanden, und sie ist mir in meinen früheren Jahren oft vorgekommen. Ich glaube, daß sie die größten Übel gestiftet hat. Manche Leben sind durch sie verloren gegangen, sehr viele andere, wenn sie auch nicht verloren waren, sind durch sie unglücklich oder unfruchtbar geworden. Werke, die sonst entstanden wären, hat sie vereitelt und die Kunst und was mit derselben zusammenhängt wäre mit ihr gar nicht möglich. Nur ganz gute Menschen in einem Fache haben sie gar nicht, und aus denen werden die Künstler, Dichter, Gelehrten, Staatsmänner und die großen Feldherren. Aber ich komme von meiner Sache ab. In unserer Schreinerei machte sie blos, daß wir zu nichts Wesentlichem gelangten. Endlich fand ich einen Mann, der nicht gleich aus der Arbeit ging, wenn ich ihn bekämpfte; aber innerlich mochte er recht oft erzürnt gewesen sein und über Eigensinn geklagt haben. Nach Bemühungen von beiden Seiten gelang es. Die Werke gewannen Einfluß, in denen das Genaue und Zweckmäßige angestrebt war, und sie wurden zur Richtschnur genommen. Die Einsicht in die Schönheit der Gestalten wuchs und das Leichte und Feine wurde dem Schweren und Groben vorgezogen. Er las Gehilfen aus und erzog sie in seinem Sinne. Die Begabten fügten sich bald. Es wurde die Chemie und andere Naturwissenschaften hergenommen, und im Lesen schöner Bücher wurde das Innere des Gemüthes zu bilden versucht.»

Er ging nach diesen Worten gegen den Mann, der mit dem Aussuchen der Hölzer nach dem vor ihm liegen den Plane der Tischplatte beschäftigt war, und sagte: «Wollt ihr nicht die Güte haben, uns einige Zeichnungen zu zeigen, Eustach?»

Der junge Mann, an den diese Worte gerichtet waren, erhob sich von seiner Arbeit und zeigte uns ein ruhiges, gefälliges Wesen. Er legte die grüne Tuchschürze ab, welche er vorgebunden hatte, und ging aus seiner Arbeitsstelle zu uns herüber. Es befand sich neben dieser Stelle in der Wand eine Glastür, hinter welcher grüne Seide in Falten gespannt war. Diese Thür öffnete er und führte uns in ein freundliches Zimmer. Das Zimmer hatte einen künstlich eingelegten Fußboden und enthielt mehrere breite, glatte Tische. Aus der Lade eines dieser Tische nahm der Mann eine große Mappe mit Zeichnungen, öffnete sie und that sie auf der Tischplatte auseinander. Ich sah, daß diese Zeichnungen für mich zum Ansehen heraus genommen worden waren und legte daher die Blätter langsam um. Es waren lauter Zeichnungen von Bauwerken, und zwar theils im Ganzen, theils von Bestandtheilen derselben. Sie waren sowohl, wie man sich ausdrückt, im Perspective ausgeführt, als auch in Aufrissen, in Längen- und Querschnitten. Da ich mich selber geraume Zeit mit Zeichnen beschäftigt hatte, wenn auch mit Zeichnen anderer Gegenstände, so war ich bei diesen Blättern schon mehr an meiner Stelle als bei den alten Geräthen. Ich hatte immer bei dem Zeichnen von Pflanzen und Steinen nach großer Genauigkeit gestrebt und hatte mich bemüht, durch den Schwarzstift die Wesenheit derselben so auszudrücken, daß man sie nach Art und Gattung erkennen sollte. Freilich waren die vor mir liegenden Zeichnungen die von Bauwerken. Ich hatte Bauwerke nie gezeichnet, ich hatte sie eigentlich nie recht betrachtet. Aber andererseits waren die Linien, die hier vorkamen, die von großen Körpern, von geschichteten Stoffen und von ausgedehnten Flächen, wie sie bei mir auch an den Felsen und Bergen erschienen; oder sie waren die leichten Wendungen von Zieraten, wie sie bei mir die Pflanzen bothen.

Endlich waren ja alle Bauwerke aus Naturdingen entstanden, welche die Vorbilder gaben, etwa aus Felsenkuppen oder Felsenzacken oder selbst aus Tannen, Fichten oder anderen Bäumen. Ich betrachtete daher die Zeichnungen recht genau und sah sie um ihre Treue und Sachgemäßheit an. Als ich sie schon alle durchgeblättert hatte, legte ich sie wieder um und schaute noch einmal jedes einzelne Blatt an.

Die Zeichnungen waren sämmtlich mit dem Schwarzstifte ausgeführt. Es war Licht und Schatten angegeben und die Linienführung war verstärkt oder gemäßigt, um nicht blos die Körperlichkeit der Dinge, sondern auch das sogenannte Luftperspective darzustellen. In einigen Blättern waren Wasserfarben angewendet, entweder, um blos einzelne Stellen zu bezeichnen, die eine besonders starke oder eigenthümliche Farbe hatten, wie etwa, wo das Grün der Pflanzen sich auffallend von dem Gemäuer, aus dem es sproßte, abhob oder wo der Stoff durch Einfluß von Sonne oder Wasser eine ungewöhnliche Farbe erhalten hatte, wie zum Beispiele an gewissen Steinen, die durch Wasser bräunlich, ja beinahe roth werden; oder es waren Farben angewendet, um dem Ganzen einen Ton der Wirklichkeit und Zusammenstimmung zu geben; oder endlich es waren einzelne sehr kleine Stellen mit Farben, gleichsam mit Farbdruckern, wie man sich ausdrückt, bezeichnet, um Flächen oder Körper oder ganze Abtheilungen im Raume zurück zu drängen. Immer aber waren die Farben so untergeordnet gehalten, daß die Zeichnungen nicht in Gemälde übergingen, sondern Zeichnungen blieben, die durch die Farbe nur noch mehr gehoben wurden. Ich kannte diese Verfahrungsweise sehr gut und hatte sie selber oft angewendet.

Was den Werth der Zeichnungen anbelangt, so erschien mir derselbe ein ziemlich bedeutender. Die Hand, von der sie verfertigt worden waren, hielt ich für eine geübte, was ich daraus schloß, daß in den vielen Zeichnungen kein Fortschritt zu bemerken war, sondern daß dieser schon in der Zeit vor den Zeichnungen lag und hier angewendet wurde. Die Linien waren rein und sicher gezogen, das sogenannte Linearperspective war, so weit meine Augen urtheilen konnten - denn eine mathematische Prüfung konnte ich nicht anlegen -, richtig, der Stoff des Schwarzstiftes war gut beherrscht, und mit seinen geringen Mitteln war Haushaltung getroffen, darum standen die Körper klar da und lösten sich von der Umgebung. Wo die Farbe eine Art Wirklichkeit angenommen hatte, war sie mit Gegenständlichkeit und Maß hingesezt, was, wie ich aus Erfahrung wußte, so schwer zu finden ist, daß die Dinge als Dinge, nicht als Färbungen gelten. Dies ist besonders bei Gegenständen der Fall, die minder entschiedene Farben haben, wie Steine, Gemäuer und dergleichen, während Dinge von deutlichen Farben leichter zu behandeln sind, wie Blumen, Schmetterlinge, selbst manche Vögel.

Eine besondere Thatsache aber fiel mir bei Betrachtung dieser Zeichnungen auf. Bei den Bauverzierungen, welche von Gegenständen der Natur genommen waren, von Pflanzen oder selbst von Thieren, kamen bedeutende Fehler vor, ja es kamen sogar Unmöglichkeiten vor, die kaum ein Anfänger macht, sobald er nur die Pflanze gut betrachtet. Bei den ganz gleichen Verzierungen an andern Bauwerken in andern Zeichnungen waren diese Fehler nicht da, sondern die Verzierungen waren in Hinsicht ihrer Urbilder in der Natur mit Richtigkeit angegeben. Ich hatte, da ich einmal zeichnete, öfter die Bilder meines Vaters betrachtet und in ihnen, selbst in solchen, die er für sehr gut hielt, ähnliche Fehler gefunden. Da die Bilder meines Vaters aus alter Zeit waren, diese Zeichnungen aber auch alte Bauwerke darstellten, so schloß ich, daß sie vielleicht Abrisse von wirklichen Bauten seien und daß die Fehler in den Zieraten der Zeichnungen Fehler in den wirklichen Zieraten der Bauarten seien, und daß die Zieraten, deren Zeichnungen fehlerlos waren, auch an den Bauwerken keinen Fehler gehabt haben.

Es gewannen durch diesen Umstand die Zeichnungen in meinen Augen noch mehr, da er gerade ihre große Treue bewies.

Auch ein eigenthümlicher Gedanke kam mir bei der Betrachtung dieser Zeichnungen in das Haupt. Ich hatte nie so viele Zeichnungen von Bauwerken beisammen gesehen, so wie ich Bauwerke selber nicht zum Gegenstande meiner Aufmerksamkeit gemacht hatte. Da ich nun alle diese Laubwerke, diese Ranken, diese Zacken, diese Schwingungen, diese Schnecken in großer Abfolge sah, erschienen sie mir gewissermaßen wie Naturdinge, etwa wie eine Pflanzenwelt mit ihren zugehörigen Thieren. Ich dachte, man könnte sie eben so zu einem Gegenstande der Betrachtung und der Forschung machen wie die wirklichen Pflanzen und andere Hervorbringungen der Erde, wenn sie hier auch nur eine steinerne Welt sind. Ich hatte das nie recht beachtet, wenn ich auch hin und wieder an einer Kirche oder an einem anderen Gebäude einen steinernen Stengel oder eine Rose oder eine Distelspize oder einen Säulenschaft oder die Vergitterung einer Thür ansah. Ich nahm mir vor, diese Gegenstände nun genauer zu beobachten.

«Diese Zeichnungen sind lauter Abbildungen von wirklichen Bauwerken, die in unserem Lande vorhanden sind», sagte mein Begleiter. «Wir haben sie nach und nach zusammen gebracht. Kein einziges Bauwerk unseres Landes, welches entweder im Ganzen schön ist oder an dem Theile schön sind, fehlt. Es ist nehmlich auch hier im Lande wie überall vorgekommen, daß man zu den Theilen alter Kirchen oder anderer Werke, die nicht fertig geworden sind, neue Zubaue in ganz anderer Art gemacht hat, so daß Bauwerke entstanden, die in verschiedenen Stilen ausgeführt und theils schön und theils häßlich sind. Die Landkirchen, die auf verschiedenen Stellen in unserer Zeit entstanden sind, haben wir nicht angenommen.»

«Wer hat denn diese Zeichnungen verfertigt?» fragte ich.

«Der Zeichner steht vor euch», antwortete mein Begleiter, indem er auf den jungen Mann wies.

Ich sah den Mann an, und es zeigte sich ein leichtes Erröthen in seinem Angesichte.

«Der Meister hat nach und nach die Theile des Landes besucht», fuhr mein Gastfreund fort, «und hat die Baugegenstände gezeichnet, die ihm gefielen. Diese Zeichnungen hat er in seinem Buche nach Hause gebracht und sie dann auf einzelnen Blättern im Reinen ausgeführt. Außer den Zeichnungen von Bauwerken haben wir auch die von inneren Ausstattungen derselben. Seid so gefällig und zeigt auch diese Mappe, Eustach.»

Der junge Mann legte die Mappe, die wir eben betrachtet hatten, zusammen und that sie in ihre Lade. Dann nahm er aus einer anderen Lade eine andere Mappe und legte sie mir mit den Worten vor: «Hier sind die kirchlichen Gegenstände.»

Ich sah die Zeichnungen in der Mappe, die er mir geöffnet hatte, an, wie ich früher die der Bauwerke angesehen hatte. Es waren Zeichnungen von Altären, Chorstühlen, Kanzeln, Sakramentshäuschen, Taufsteinen, Chorbrüstungen, Sesseln, einzelnen Gestalten, gemalten Fenstern und anderen Gegenständen, die in Kirchen vorkommen. Sie waren wie die Zeichnungen der Baugegenstände entweder ganz in Schwarzstift ausgeführt oder theils in Schwarzstift, theils in Farben. Hatte ich mich schon früher in diese Gegenstände vertieft, so geschah es jezt noch mehr. Sie waren noch mannigfaltiger und für die Augen anlockender als die Bauwerke. Ich betrachtete jedes Blatt einzeln, und Manches nahm ich noch einmal vor, nachdem ich es schon hingelegt hatte. Als ich mit dieser Mappe fertig war, legte mir der Meister eine neue vor und sagte: «Hier sind die weltlichen Gegenstände.»

Die Mappe enthielt Zeichnungen von sehr verschiedenen Geräthen, die in Wohnungen, Burgen, Klöstern und dergleichen vorkommen, sie enthielt Abbildungen von Vertäflungen, von ganzen Zimmerdecken, Fenster- und Thüreinfassungen, ja von eingelegten Fußböden. Bei den weltlichen Geräthen war viel mehr mit Farben gearbeitet als bei den kirchlichen und bei den Bauten; denn die Wohngeräthe haben sehr oft die Farbe als einen wesentlichen Gegenstand ihrer Erscheinung, besonders wenn sie in verschiedenfarbigen Hölzern eingelegt sind. Ich fand in dieser Sammlung von Zeichnungen Abbildungen von Gegenständen, die ich in der Wohnung meines Gastfreundes gesehen hatte. So war der Schreibschrein und der große Kleiderschrein vorhanden. Auch der Tisch, an dem noch in der Schreinerstube gearbeitet wurde, stand hier schon fertig vor uns auf dem Papiere. Ich bemerkte hiebei, daß nur die Platte klar und kräftig ausgeführt war, das Gerüste und die Füße minder, gleichsam schattenhaft behandelt wurden. Ich erkannte, daß man so das Neue, was zu Geräthen hinzukommen mußte, bezeichnen wollte. Mir gefiel diese Art sehr gut.

«Die Kirchengeräthe unseres Landes dürften in dieser Sammlung ziemlich vollständig sein», sagte mein Gastfreund, «wenigstens wird nichts Wesentliches fehlen. Bei den weltlichen kann man das weniger sagen, da man nicht wissen kann, was noch hie und da in dem Lande zerstreut ist.»

Als ich diese Mappe auch angesehen hatte, sagte mein Begleiter: «Diese Zeichnungen sind Nachbildungen von lauter wirklichen aus älterer Zeit auf uns gekommenen Gegenständen, wir haben aber auch Zeichnungen selbstständig entworfen, die Geräthe oder andere kleinere Gegenstände darstellen. Zeigt uns auch diese, Meister.»

Der junge Mann legte die Mappe auf den Tisch.

Sie war viel umfassender als jede der früheren und enthielt nicht blos die vollständige Darstellung der ganzen Gegenstände, sondern auch ihre Quer- und Längenschnitte und ihre Grundrisse. Es waren Abbildungen von verschiedenen Geräthen, dann von Verkleidungen, Fußböden, Zimmerdecken, Nischen und endlich sogar von Baugegenständen, Treppenhäusern und Seitenkapellen. Man war mit großer Zweifelsucht und Gewissenhaftigkeit zu Werke gegangen; manche Zeichnung war vier-, ja fünfmal vorhanden und jedes Mal verändert und verbessert. Die lezten waren stets mit Farben angegeben und dies besonders deutlich, wenn die Gegenstände in Holz oder Marmor auszuführen waren. Ich fragte, ob einige dieser Dinge ausgeführt worden sind.

«Freilich», antwortete mein Begleiter, «wozu wären denn so viele Zeichnungen angefertigt worden? Alle Gegenstände, die ihr öfter gezeichnet sahet und deren lezte Zeichnung in Farben angegeben ist, sind in Wirklichkeit ausgearbeitet worden. Diese Zeichnungen sind die Pläne und Vorlagen zu den neuen Geräthen, auf deren Verfertigung, wie ich früher sagte, wir gerathen sind. Wenn ihr einmal in den Ort, von dem ich euch gesagt habe, daß er mehrere enthält, kommen solltet, so würdet ihr dort nicht nur viele von denen, die hier gezeichnet sind, sehen, sondern auch solche, die zusammen gehören und ein Ganzes bilden.»

«Wenn man diese Zeichnungen betrachtet», sagte ich, «und wenn man die anderen betrachtet, welche ich früher gesehen habe, so kömmt man auf den Gedanken, daß die Bauwerke einer Zeit und die Geräthe, welche in diesen Bauwerken sein sollten, eine Einheit bilden, die nicht zerrissen werden kann.»

«Allerdings bilden sie eine», erwiederte er, «die Geräthe sind ja die Verwandten der Baukunst, etwa ihre Enkel oder Urenkel, und sind aus ihr hervorgegangen. Dieses ist so wahr, daß ja auch unsere heutigen Geräthe zu unserer heutigen Baukunst gehören. Unsere Zimmer sind fast wie hohle Würfel oder wie Kisten, und in solchen stehen die geradlinigen und geradflächigen Geräthe gut. Es ist daher nicht ohne Begründung, wenn die viel schöneren alterthümlichen Geräthe in unseren Wohnungen manchen Leuten einen unheimlichen Eindruck machen, sie widersprechen der Wohnung; aber hierin haben die Leute Unrecht, wenn sie die Geräthe nicht schön finden, die Wohnung ist es, und diese sollte geändert werden. Darum stehen in Schlössern und alterthümlichen Bauten derlei Geräthe noch am schönsten, weil sie da eine ihnen ähnliche Umgebung finden. Wir haben aus diesem Verhältnisse Nuzen gezogen und aus unseren Zeichnungen der Bauwerke viel für die Zusammenstellung unserer Geräthe gelernt, die wir eben nach ihnen eingerichtet haben.»

«Wenn man so viele dieser Dinge in so vielen Abbildungen vor sich sieht, wie wir jezt gethan haben», sagte ich, «so kann man nicht umhin, einen großen Eindruck zu empfinden, den sie machen.»

«Es haben sehr tiefsinnige Menschen vor uns gelebt», erwiederte er, «man hat es nicht immer erkannt und fängt erst jezt an, es wieder ein wenig einzusehen. Ich weiß nicht, ob ich es Rührung oder Schwermuth nennen soll, was ich empfinde, wenn ich daran denke, daß unsere Voreltern ihre größten und umfassendsten Werke nicht vollendet haben. Sie mußten auf eine solche Ewigkeit des Schönheitsgefühles gerechnet haben, daß sie überzeugt waren, die Nachwelt werde an dem weiter bauen, was sie angefangen haben. Ihre unfertigen Kirchen stehen wie Fremdlinge in unserer Zeit. Wir haben sie nicht mehr empfunden oder haben sie durch häßliche Aftergebilde verunstaltet. Ich möchte jung sein, wenn eine Zeit kömmt, in welcher in unserem Vaterlande das Gefühl für diese Anfänge so groß wird, daß es die Mittel zusammenbringt, diese Anfänge weiter zu führen. Die Mittel sind vorhanden, nur werden sie auf etwas anderes angewendet, so wie man diese Bauwerke nicht aus Mangel der Mittel unvollendet ließ, sondern aus anderen Gründen.»

Ich sagte nach diesen Worten, daß ich in dem berührten Punkte weniger unterrichtet sei; aber in einem anderen Punkte könnte ich vielleicht etwas sagen, nehmlich in Hinsicht der Zeichnungen. «Ich habe durch längere Zeit her Pflanzen, Steine, Thiere und andere Dinge gezeichnet, habe mich sehr geübt und dürfte daher etwa ein Urtheil wagen können. Diese Zeichnungen erscheinen mir in Reinheit der Linien, in Richtigkeit des Perspectives, in kluger Hinstellung jedes Körpertheiles und in passender Anwendung der Farben als ganz vortrefflich, und ich fühle mich gedrungen, dieses zu sagen.»

Der Meister sagte zu diesem Lobe nichts, sondern er senkte den Blick zu Boden, meinen Gastfreund aber schien mein Urtheil zu freuen.

Er bedeutete den Meister, die Mappe zusammen zu binden und in die Lade zu legen, was auch geschah.

Wir gingen von diesem Zimmer in die weiteren Räume des Schreinerhauses. Als wir über die Schwelle schritten, dachte ich, daß ich von alterthümlichen Gegenständen troz der Sammlungen meines Vaters, von denen ich doch lebenslänglich umgeben gewesen war, eigentlich bisher nicht viel verstanden habe und erst lernen müsse.

Von dem Zimmer der Zeichnungen gingen wir in das Wohnzimmer des Meisters, welches neben den gewöhnlichen Geräthstücken ebenfalls Zeichnungstische und Staffeleien enthielt. Es war ebenso freundlich eingerichtet wie das Zimmer der Zeichnungen.

Auch die Zimmer der Gehilfen besuchten wir und betraten dann die Nebenräume. Es waren dies Räume, die zu verschiedenen Gegenständen, die eine solche Anstalt fordert, nothwendig sind. Der vorzüglichste war das Trockenhaus, welches hinter der Schreinerei angebracht war, aus der man in die untere und obere Abtheilung desselben gelangen konnte. Es hatte den Zweck, daß in ihm alle Gattungen von Holz, die man hier verarbeitete, jenen Zustand der Trockenheit erreichen konnten, der in Geräthen nothwendig ist, daß nicht später wieder Beschädigungen eintreten. In dem unteren Raume wurden die größeren Holzkörper aufbewahrt, in dem oberen die kleineren und feineren. Ich konnte sehen, wie sehr es Ernst mit der Anlegung dieses Werkhauses war; denn ich fand in dem Trockenhause nicht nur einen sehr großen Vorrath von Holz, sondern auch fast alle Gattungen der inländischen und ausländischen Hölzer. Ich hatte hierin von der Zeit meiner naturwissenschaftlichen Bestrebungen her einige Kenntniß. Außerdem war das Holz beinahe durchgängig schon in die vorläufigen Gestalten geschnitten, in die es verarbeitet werden sollte, damit es auf diese Weise zu hinreichender Beruhigung austrocknen konnte. Mein Begleiter zeigte mir die verschiedenen Behältnisse und erklärte mir im Allgemeinen ihren Inhalt.

In dem unteren Raume sah ich Lärchenholz zu sehr großen seltsamen Gestalten verbunden, gleichsam zu schlanken Gerüsten, Rahmen und dergleichen, und fragte, da ich mir die Sache nicht erklären konnte, um ihre Bedeutung.

«In unserem Lande», antwortete mein Begleiter, «sind mehrere geschnizte Altäre. Sie sind alle aus Lindenholz verfertigt und einige von bedeutender Schönheit. Sie stammen aus sehr früher Zeit, etwa zwischen dem dreizehnten und fünfzehnten Jahrhundert, und sind Flügelaltäre, welche mit geöffneten Flügeln die Gestalt einer Monstranze haben. Sie sind zum Theile schon sehr beschädigt und drohen, in kürzerer oder längerer Zeit zu Grunde zu gehen. Da haben wir nun einen auf meine Kosten wiederhergestellt und arbeiten jezt an einem zweiten. Die Holzgerüste, um die ihr fragtet, sind Grundlagen, auf denen Verzierungen befestigt werden müssen. Die Verzierungen sind noch ziemlich erhalten, ihre Grundlagen aber sind sehr morsch geworden, weßhalb wir neue anfertigen müssen, wozu ihr hier die Entwürfe sehet.»

«Hat man euch denn erlaubt, in einer Kirche einen Altar umzugestalten?» fragte ich.

«Man hat es uns erst nach vielen Schwierigkeiten erlaubt», antwortete er, «wir haben aber die Schwierigkeiten besiegt. Besonders kam uns das Mißtrauen in unsere Kenntnisse und Fähigkeiten entgegen, und hierin hatte man Recht. Wohin käme man denn, wenn man an vorhandenen Werken vorschnell Veränderungen anbringen ließe? Es könnten ja da Dinge von der größten Wichtigkeit verunstaltet oder zerstört werden. Wir mußten angeben, was wir verändern oder hinzufügen wollten und wie die Sache nach der Umarbeitung aussehen würde. Erst da wir dargelegt hatten, daß wir an den bestehenden Zusammenstellungen nichts ändern würden, daß keine Verzierung an einen andern Plaz komme, daß kein Standbild an seinem Angesichte, seinen Händen oder den Faltungen seines Gewandes umgestaltet werde, sondern daß wir nur das Vorhandene in seiner jezigen Gestalt erhalten wollen, damit es nicht weiter zerfallen könne, daß wir den Stoff, wo er gelitten hat, mit Stoff erfüllen wollen, damit die Ganzheit desselben vorhanden sei, daß wir an Zuthaten nur die kleinsten Dinge anbringen würden, deren Gestalt vollkommen durch die gleichartigen Stücke bekannt wäre und in gleichmäßiger Vollkommenheit wie die alten verfertigt werden könnte, ferner als wir eine Zeichnung in Farben angefertigt hatten, die darstellte, wie der gereinigte und wieder hergestellte Altar aussehen würde, und endlich als wir Schnizereien von geringem Umfange, einzelne Standbilder und dergleichen in unserem Sinne wieder hergestellt und zur Anschauung gebracht hatten, ließ man uns gewähren. Von Hindernissen, die nicht von der Obrigkeit ausgingen, von Verdächtigungen und ähnlichen Vorkommnissen rede ich nicht, sie sind auch wenig zu meiner Kenntniß gekommen.»

«Da habt ihr ein langwieriges und, wie ich glaube, wichtiges Werk unternommen», sagte ich.

«Die Arbeit hat mehrere Jahre gedauert», erwiederte er, «und was die Wichtigkeit anbelangt, so hat sich wohl niemand mehr den Zweifeln hingegeben, ob wir die nöthige Sachkenntniß besäßen, als wir selber. Darum haben wir auch gar keine Veränderung in der Wesenheit der Sache vorgenommen. Selbst dort, wo es deutlich erwiesen war, daß Theile des Altars in der Zeit in eine andere Gruppe gestellt worden waren, als sie ursprünglich gewesen sein konnten, ließen wir das Vorgefundene bestehen. Wir befreiten nur die Gebilde von Schmuz und Übertünchung, befestigten das Zerblätterte und Lediggewordene, ergänzten das Mangelnde, wo, wie ich gesagt habe, dessen Gestalt vollkommen bekannt war, füllten alles, was durch Holzwürmer zerstört war, mit Holz aus, beugten durch ein erprobtes Mittel den künftigen Zerstörungen dieser Thiere vor und überzogen endlich den ganzen Altar, da er fertig war, mit einem sehr matten Firnisse. Es wird einmal eine Zeit kommen, in welcher vom Staate aus vollkommen sachverständige Männer in ein Amt werden vereinigt werden, das die Wiederherstellung alter Kunstwerke einleiten, ihre Aufstellung in dem ursprünglichen Sinne bewirken und ihre Verunstaltung für kommende Zeiten verhindern wird; denn so gut man uns gewähren ließ, die ja auch eine Verunstaltung hätten hervorbringen können, so gut wird man in Zukunft auch andere gewähren lassen, die minder zweifelsüchtig sind oder im Eifer für das Schöne nach ihrer Art verfahren und das Wesen des Überkommenen zerstören.»

«Und glaubt ihr, daß ein Gesez, welches verbietet, an dem Wesen eines vorgefundenen Kunstwerkes etwas zu ändern, dem Verfalle und der Zerstörung desselben für alle Zeiten vorbeugen würde?» fragte ich.

«Das glaube ich nicht», erwiederte er; «denn es können Zeiten so geringen Kunstsinnes kommen, daß sie das Gesez selber aufheben; aber auf eine längere Dauer und auf eine bessere Weise wäre doch durch ein solches Gesez gesorgt, als wenn gar keines wäre. Den besten Schuz für Kunstwerke der Vorzeit würde freilich eine fortschreitende und nicht mehr erlahmende Kunstempfindung gewähren. Aber alle Mittel, auch in ihrer größten Vollkommenheit angewendet, würden den endlichen Untergang eines Kunstwerkes nicht aufhalten können; dies liegt in der immerwährenden Thätigkeit und in dem Umwandlungstriebe der Menschen und in der Vergänglichkeit des Stoffes. Alles, was ist, wie groß und gut es sei, besteht eine Zeit, erfüllt einen Zweck und geht vorüber. Und so wird auch einmal über alle Kunstwerke, die jezt noch sind, ein ewiger Schleier der Vergessenheit liegen, wie er jezt über denen liegt, die vor ihnen waren.»

«Ihr arbeitet an der Herstellung eines zweiten Altares», sagte ich, «da ihr einen schon vollendet habt; würdet ihr auch noch andere herstellen, da ihr sagt, daß es mehrere in dem Lande gibt?»

«Wenn ich die Mittel dazu hätte, würde ich es thun», erwiederte er, «ich würde sogar, wenn ich reich genug wäre, angefangene mittelalterliche Bauwerke vollenden lassen. Da steht in Grünau hart an der Grenze unseres Landes an der Stadtpfarrkirche ein Thurm, welcher der schönste unseres Landes ist und der höchste wäre, wenn er vollendet wäre; aber er ist nur ungefähr bis zu zwei Dritttheilen seiner Höhe fertig geworden. Dieser altdeutsche Thurm wäre das Erste, welches ich vollenden ließe. Wenn ihr wieder kommt, so führe ich euch in eine Kirche, in welcher auf Landeskosten ein geschnizter Flügelaltar wieder hergestellt worden ist, der zu den bedeutendsten Kunstwerken gehört, welche in dieser Art vorhanden sind.»

Wir traten bei diesen Worten den Rückweg aus dem Trockenhause in die Arbeitstube an. Mein Begleiter sagte auf diesem Wege: «Da Eustach jezt vorzugsweise damit beschäftigt ist, die im Laufe befindlichen Werke auszufertigen, so hat er seinen Bruder, der herangewachsen ist, unterrichtet, und dieser versieht jezt hauptsächlich das Geschäft des Zeichnens. Er ist eben daran, die Verzierungen, die in unserem Lande an Bauwerken, Holzarbeiten oder sonstwo vorkommen und die wir in unseren Blättern von größeren Werken noch nicht haben, zu zeichnen. Wir erwarten ihn in kurzer Zeit auf einige Tage zurück. An diesen Dingen könnte auch die Gegenwart lernen, falls sie lernen will. Nicht blos aus dem Großen, wenn wir das Große betrachteten, was unsere Voreltern gemacht haben und was die kunstsinnigsten vorchristlichen Völker gemacht haben, könnten wir lernen, wieder in edlen Gebäuden wohnen oder von edlen Geräthen umringt sein, wenigstens wie die Griechen in schönen Tempeln beten; sondern wir könnten uns auch im Kleinen vervollkommnen, die Überzüge unserer Zimmer könnten schöner sein, die gewöhnlichen Geräthe, Krüge, Schalen, Lampen, Leuchter, Äxte würden schöner werden, selbst die Zeichnungen auf den Stoffen zu Kleidern und endlich auch der Schmuck der Frauen in schönen Steinen; er würde die leichten Bildungen der Vergangenheit annehmen, statt daß jezt oft eine Barbarei von Steinen in einer Barbarei von Gold liegt. Ihr werdet mir Recht geben, wenn ihr an die vielen Zeichnungen von Kreuzen, Rosen, Sternen denkt, die ihr in unseren Blättern mittelalterlicher Bauwerke gesehen habt.»

Ich bewunderte den Mann, der, da er so redete, in einem sonderbaren, ja abgeschmackten Kleide neben mir ging.

«Wenigstens Achtung vor Leuten, die vor uns gelebt haben, könnte man aus solchen Bestrebungen lernen», fuhr er fort, «statt daß wir jezt gewohnt sind, immer von unseren Fortschritten gegenüber der Unwissenheit unserer Voreltern reden zu hören. Das große Preisen von Dingen erinnert zu oft an Armuth von Erfahrungen.»

Wir waren bei diesen Worten wieder in die Werkstube gekommen und verabschiedeten uns von dem Meister. Ich reichte ihm die Hand, die er annahm, und schüttelte die seinige herzlich. Da wir aus dem Hause getreten waren und ich umschaute, sah ich durch das Fenster, wie er eben seine grüne Schürze herab nahm und wieder umband. Auch hörten wir das Hobeln und Sägen wieder, das bei unserem Besuche des Werkhauses ein wenig verstummt war.

Wir betraten den Gebüschpfad und kamen wieder in die Nähe des Wohnhauses.

«Ihr habt nun meine ganze Behausung gesehen», sagte mein Gastfreund.

«Ich habe ja Küche und Keller und Gesindestuben nicht gesehen», erwiederte ich.

«Ihr sollt sie sehen, wenn ihr wollt», sagte er.

Ich nahm mein mehr im Scherze gesprochenes Wort nicht zurück, und wir gingen wieder in das Haus.

Ich sah hier eine große gewölbte Küche, eine große Speisekammer, drei Stuben für Dienstleute, eine für eine Art Hausaufseher, dann die Waschstube, den Backofen, den Keller und die Obstkammer. Wie ich vermuthet hatte, war dies alles reinlich und zweckmäßig eingerichtet. Ich sah Mägde beschäftigt, und wir trafen auch den Hausaufseher in seinem Tagewerke begriffen. Das flache feine Körbchen, aus welchem mein Beherberger die Vögel gefüttert hatte, lehnte in einer eigenen Mauernische neben der Thür, welche sein bestimmter Plaz zu sein schien.

Wir gingen von diesen Räumen in das Gewächshaus. Es enthielt sehr viele Pflanzen, meistens solche, welche zur Zeit gebräuchlich waren. Auf den Gestellen standen Camellien mit gut gepflegten grünen Blättern, Rhododendren, darunter, wie mir die Aufschrift sagte, gelbe, die ich nie gesehen hatte, Azaleen in sehr mannigfaltigen Arten und besonders viele neuholländische Gewächse. Von Rosen war die Theerose in hervorragender Anzahl da, und ihre Blumen blühten eben. An das Gewächshaus stieß ein kleines Glashaus mit Ananas. Auf dem Sandwege vor beiden Häusern standen Citronen- und Orangenbäume in Kübeln. Der alte Gärtner hatte noch weißere Haare als sein Herr. Er war ebenfalls ungewöhnlich gekleidet, nur konnte ich bei ihm das Ungewöhnliche nicht finden. Das fiel mir auf, daß er viel reines Weiß an sich hatte, welches im Vereine mit seiner weißen Schürze mich eher an einen Koch als an einen Gärtner erinnerte.

Daß die schmale Seite des Gewächshauses von Außen mit Rosen bekleidet sei, wie die Südseite des Wohnhauses, fiel mir wieder auf, aber es berührte mich nicht unangenehm.

Die alte Gattin des Gärtners, die wir in der Wohnung desselben fanden, war ebenso weiß gekleidet wie ihr Mann. An die Gärtnerswohnung stießen die Kammern der Gehilfen.

«Jezt habt jezt alles gesehen», sagte mein Gastfreund, da wir aus diesen Kammern traten, «außer den Gaszimmern, die ich euch zeigen werde, wenn ihr es verlangt, und der Wohnung meines Ziehsohnes, die wir aber jezt nicht betreten können, weil wir ihn in seinem Lernen stören würden.»

«Wir wollen das auf eine spätere Stunde lassen, in der ich euch daran erinnern werde», sagte ich, «jezt habe ich aber ein anderes Anliegen an eure Güte, das mir näher am Herzen ist.»

«Und dieses nähere Anliegen?» fragte er.

«Daß ihr mir endlich sagt», antwortete ich, «wie ihr zu einer so entschiedenen Gewißheit in Hinsicht des Wetters gekommen seid.»

«Der Wunsch ist ein sehr gerechter», entgegnete er, «und um so gerechter, als eure Meinung über das Gewitter der Grund gewesen ist, weßhalb ihr zu unserem Hause herauf gegangen seid, und als unser Streit über das Gewitter der Grund gewesen ist, daß ihr länger da geblieben seid. Gehen wir aber gegen das Bienenhaus, und sezen wir uns auf eine Bank unter eine Linde. Ich werde euch auf dem Wege und auf der Bank meine Sache erzählen.»

Wir schlugen einen breiten Sandpfad ein, der Anfangs von größeren Obstbäumen und später von hohen, schattenden Linden begrenzt war. Zwischen den Stämmen standen Ruhebänke, auf dem Sande liefen pickende Vögel und in den Zweigen wurde heute wieder das Singen vollbracht, welches ich gestern schon wahrgenommen hatte.

«Ihr habt die Sammlung von Werkzeugen der Naturlehre in meiner Wohnung gesehen», fing mein Begleiter an, als wir auf dem Sandwege dahin gingen, «sie erklären schon einen Theil unserer Sache.»

«Ich habe sie gesehen», antwortete ich, «besonders habe ich das Barometer, Thermometer sowie einen Luftblau- und Feuchtigkeitsmesser bemerkt; aber diese Dinge habe ich auch, und sie haben eher, da ich sie vor meiner Wanderung beobachtete, auf einen Niederschlag als auf sein Gegentheil gedeutet.»

«Das Barometer ist gefallen», erwiederte er, «und wies auf geringeren Luftdruck hin, mit welchem sehr oft der Eintritt von Regen verbunden ist.»

«Wohl», sagte ich.

«Der Zeiger des Feuchtigkeitsmessers», fuhr er fort, «rückte mehr gegen den Punkt der größten Feuchtigkeit.»

«Ja, so ist es gewesen», antwortete ich.

«Aber der Electricitätsmesser», sagte er, «verkündigte wenig Luftelectricität, daß also eine Entladung derselben, womit in unseren Gegenden gerne Regen verbunden ist, nicht erwartet werden konnte.»

«Ich habe wohl auch die nehmliche Beobachtung gemacht», entgegnete ich, «aber die electrische Spannung steht nicht so sehr im Zusammenhange mit Wetterveränderungen und ist meistens nur ihre Folge. Zudem hat sich gestern gegen Abend Electricität genug entwickelt, und alle Anzeichen, von denen ihr redet, verkündeten einen Niederschlag.»

«Ja, sie verkündeten ihn und er ist erfolgt», sagte mein Begleiter; «denn es bildeten sich aus den unsichtbaren Wasserdünsten sichtbare Wolken, die ja wohl sehr fein zertheiltes Wasser sind. Da ist der Niederschlag. Auf die geringe electrische Spannung legte ich kein Gewicht; ich wußte, daß, wenn einmal Wolken entständen, sich auch hinlängliche Electricität einstellen würde. Die Anzeichen, von denen wir geredet haben, beziehen sich aber nur auf den kleinen Raum, in dem man sich eben befindet, man muß auch einen weiteren betrachten, die Bläue der Luft und die Gestaltung der Wolken.»

«Die Luft hatte schon gestern Vormittags die tiefe und finstere Bläue», erwiederte ich, «welche dem Regen vorangeht, und die Wolkenbildung begann bereits am Mittage und schritt sehr rasch vorwärts.»

«Bis hieher habt ihr Recht», sagte mein Begleiter, «und die Natur hat euch auch Recht gegeben, indem sie eine ungewöhnliche Menge von Wolken erzeugte. Aber es gibt auch noch andere Merkmale als die wir bisher besprochen haben, welche euch entgangen sind.

Ihr werdet wissen, daß Anzeichen bestehen, welche nur einer gewissen Gegend eigen sind und von den Eingeborenen verstanden werden, denen sie von Geschlecht zu Geschlecht überliefert worden sind. Oft vermag die Wissenschaft recht wohl den Grund der langen Erfahrung anzugeben. Ihr wißt, daß in Gegenden ein kleines Wölklein, an einer bestimmten Stelle des Himmels, der sonst rein ist, erscheinend und dort schweben bleibend, ein sicherer Gewitteranzeiger für diese Gegend ist, daß ein trüberer Ton an einer gewissen Stelle des Himmels, ein Windstoß aus einer gewissen Gegend her Vorboten eines Landregens sind und daß der Regen immer kömmt. Solche Anzeichen hat auch diese Gegend, und es sind gestern keine eingetreten, die auf Regen wiesen.»

«Merkmale, die nur dieser Gegend angehören», erwiederte ich, «konnte ich nicht beobachten; aber ich glaube, daß diese Merkmale allein euch doch nicht bestimmen konnten, einen so entscheidenden Ausspruch zu thun, wie ihr gethan habt.»

«Sie bestimmten mich auch nicht», antwortete er, «ich hatte auch noch andere Gründe.»

«Nun?»

«Alle die Vorzeichen, von denen wir bisher geredet haben, sind sehr grobe», sagte er, «und werden meistens von uns nur mittelst räumlicher Veränderungen erkannt, die, wenn sie nicht eine gewisse Größe erreichen, von uns gar nicht mehr beobachtet werden können. Der Schauplaz, auf welchem sich die Witterungsverhältnisse gestalten, ist sehr groß; dort, wohin wir nicht sehen und woher die Wirkungen auf unsere wissenschaftlichen Werkzeuge nicht reichen können, mögen vielleicht Ursachen und Gegenanzeigen sein, die, wenn sie uns bekannt wären, unsere Vorhersage in ihr Gegentheil umstimmen würden. Die Anzeichen können daher auch täuschen. Es sind aber noch viel feinere Vorrichtungen vorhanden, deren Beschaffenheit uns ein Geheimniß ist, die von Ursachen, die wir sonst gar nicht mehr messen können, noch betroffen werden und deren Wirkung eine ganz gewisse ist.»

«Und diese Werkzeuge?»

«Sind die Nerven.»

«Also empfindet ihr durch eure Nerven, wenn Regen kommen wird?»

«Durch meine Nerven empfinde ich das nicht», antwortete er. «Der Mensch stört leider durch zu starke Einwirkungen, die er auf die Nerven macht, das feine Leben derselben, und sie sprechen zu ihm nicht mehr so deutlich, als sie sonst wohl könnten. Auch hat ihm die Natur etwas viel Höheres zum Ersaze gegeben, den Verstand und die Vernunft, wodurch er sich zu helfen und sich seine Stellung zu geben vermag. Ich meine die Nerven der Thiere.»

«Es wird wohl wahr sein, was ihr sagt», antwortete ich. «Die Thiere hängen mit der tiefer stehenden Natur noch viel unmittelbarer zusammen als wir. Es wird nur darauf ankommen, daß diese Beziehungen ergründet werden und dafür ein Ausdruck gefunden wird, besonders, was das kommende Wetter betrifft.»

«Ich habe diesen Zusammenhang nicht ergründet», entgegnete er, «noch weniger den Ausdruck dafür gefunden; beides dürfte in dieser Allgemeinheit wohl sehr schwer sein; aber ich habe zufällig einige Beobachtungen gemacht, habe sie dann absichtlich wiederholt und daraus Erfahrungen gesammelt und Ergebnisse zusammen gestellt, die eine Voraussage mit fast völliger Gewißheit möglich machen. Viele Thiere sind von Regen und Sonnenschein so abhängig, ja bei einigen handelt es sich geradezu um das Leben selber, je nachdem Sonne oder Regen ist, daß ihnen Gott nothwendig hat Werkzeuge geben müssen, diese Dinge vorhinein empfinden zu können. Diese Empfindung als Empfindung kann aber der Mensch nicht erkennen, er kann sie nicht betrachten, weil sie sich den Sinnen enzieht; allein die Thiere machen in Folge dieser Vorempfindung Anstalten für ihre Zukunft, und diese Anstalten kann der Mensch betrachten und daraus Schlüsse ziehen. Es gibt einige, die ihre Nahrung finden, wenn es feucht ist, andere verlieren sie in diesem Falle. Manche müssen ihren Leib vor Regen bergen, manche ihre Brut in Sicherheit bringen. Viele müssen ihre für den Augenblick aufgeschlagene Wohnung verlassen oder eine andere Arbeit suchen. Da nun die Vorempfindung gewiß sein muß, wenn die daraus folgende Handlung zur Sicherung führen soll, da die Nerven schon berührt werden, wenn noch alle menschlichen wissenschaftlichen Werkzeuge schweigen, so kann eine Voraussage über das Wetter, die auf eine genaue Betrachtung der Handlungen der Thiere gegründet ist, mehr Anhalt gewähren als die aus allen wissenschaftlichen Werkzeugen zusammen genommen.»

«Ihr eröffnet da eine neue Richtung.»

«Die Menschen haben darin schon Vieles erfahren. Die besten Wetterkenner sind die Insekten und überhaupt die kleinen Thiere. Sie sind aber viel schwerer zu beobachten, da sie, wenn man dies thun will, nicht leicht zu finden sind und da man ihre Handlungen auch nicht immer leicht versteht. Aber von kleineren Thieren hängen oft größere ab, deren Speise jene sind, und die Handlungen kleinerer Thiere haben Handlungen größerer zur Folge, welche der Mensch leichter überblickt. Freilich steht da ein Schluß in der Mitte, der die Gefahr zu irren größer macht, als sie bei der unmittelbaren Betrachtung und der gleichsam redenden Thatsache ist. Warum, damit ich ein Beispiel anführe, steigt der Laubfrosch tiefer, wenn Regen folgen soll, warum fliegt die Schwalbe niedriger und springt der Fisch aus dem Wasser? Die Gefahr, zu irren, wird wohl bei oftmaliger Wiederholung der Beobachtung und bei sorglicher Vergleichung geringer; aber das Sicherste bleiben immer die Herden der kleinen Thiere. Das habt ihr gewiß schon gehört, daß die Spinnen Wetterverkündiger sind und daß die Ameisen den Regen vorhersagen. Man muß das Leben dieser kleinen Dinge betrachten, ihre häuslichen Einrichtungen anschauen, oft zu ihnen kommen, sehen, wie sie ihre Zeit hinbringen, erforschen, welche Grenzen ihre Gebiete haben, welche die Bedingungen ihres Glückes sind und wie sie denselben nachkommen. Darum wissen Jäger, Holzhauer und Menschen, welche einsam sind und zur Betrachtung dieses abgesonderten Lebens aufgefordert werden, das Meiste von diesen Dingen und wie aus dem Benehmen von Thieren das Wetter vorherzusagen ist. Es gehört aber wie zu allem auch Liebe dazu.»

«Hier ist der Siz», unterbrach er sich, «von welchem ich früher gesprochen habe. Hier ist die schönste Linde meines Gartens, ich habe einen bessern Ruheplaz unter ihr anbringen lassen und gehe selten vorüber, ohne mich eine Weile nieder zu sezen, um mich an dem Summen in ihren Ästen zu ergözen. Wollen wir uns sezen?»

Ich willigte ein, wir sezten uns, das Summen war wirklich über unsern Häuptern zu hören, und ich fragte, «Habt ihr nun diese Beobachtungen an den Thieren, wie ihr sagtet, gemacht?»

«Auf Beobachtungen bin ich eigentlich nicht ausgegangen», antwortete er; «aber da ich lange in diesem Hause und in diesem Garten gelebt habe, hat sich Manches zusammengefunden; aus dem Zusammengefundenen haben sich Schlüsse gebaut, und ich bin durch diese Schlüsse umgekehrt wieder zu Betrachtungen veranlaßt worden. Viele Menschen, welche gewohnt sind, sich und ihre Bestrebungen als den Mittelpunkt der Welt zu betrachten, halten diese Dinge für klein; aber bei Gott ist es nicht so; das ist nicht groß, an dem wir vielmal unsern Maßstab umlegen können, und das ist nicht klein, wofür wir keinen Maßstab mehr haben. Das sehen wir daraus, weil er alles mit gleicher Sorgfalt behandelt. Oft habe ich gedacht, daß die Erforschung des Menschen und seines Treibens, ja sogar seiner Geschichte, nur ein anderer Zweig der Naturwissenschaft sei, wenn er auch für uns Menschen wichtiger ist, als er für Thiere wäre. Ich habe zu einer Zeit Gelegenheit gehabt, in diesem Zweige Manches zu erfahren und mir Einiges zu merken. Doch ich will zu meinem Gegenstande zurückkehren. Von dem, was die kleinen Thiere thun, wenn Regen oder Sonnenschein kommen soll, oder wie ich überhaupt aus ihren Handlungen Schlüsse ziehe, kann ich jezt nicht reden, weil es zu umständlich sein würde, obwohl es merkwürdig ist; aber das kann ich sagen, daß nach meinen bisherigen Erfahrungen gestern keines der Thierchen in meinem Garten ein Zeichen von Regen gegeben hat.

Wir mögen von den Bienen anfangen, welche in diesen Zweigen summen, und bis zu den Ameisen gelangen, die ihre Puppen an der Planke meines Gartens in die Sonne legen, oder zu dem Springkäfer, der sich seine Speise trocknet. Weil mich nun diese Thiere, wenn ich zu ihnen kam, nie getäuscht haben, so folgerte ich, daß die Wasserbildung, welche unsere gröberen wissenschaftlichen Werkzeuge voraussagten, nicht über die Entstehung von Wolken hinausgehen würde, da es sonst die Thiere gewußt hätten. Was aber mit den Wolken geschehen würde, erkannte ich nicht genau, ich schloß nur, daß durch die Abkühlung, die ihr Schatten erzeugen müßte, und durch die Luftströmungen, denen sie selber ihr Dasein verdankten, ein Wind entstehen könnte, der in der Nacht den Himmel wieder rein fegen würde.»

«Und so geschah es auch», sagte ich.

«Ich konnte es um so sicherer voraussehen», erwiederte er, «weil es an unserem Himmel und in unserem Garten oft schon so gewesen ist wie gestern und stets so geworden ist wie heute in der Nacht.»

«Das ist ein weites Feld, von dem ihr da redet», sagte ich, «und da steht der menschlichen Erkenntniß ein nicht unwichtiger Gegenstand gegenüber. Er beweist wieder, daß jedes Wissen Ausläufe hat, die man oft nicht ahnt, und wie man die kleinsten Dinge nicht vernachlässigen soll, wenn man auch noch nicht weiß, wie sie mit den größeren zusammenhängen. So kamen wohl auch die größten Männer zu den Werken, die wir bewundern, und so kann mit Hereinbeziehung dessen, von dem ihr redet, die Witterungskunde einer großen Erweiterung fähig sein.»

«Diesen Glauben hege ich auch», erwiederte er. «Euch Jüngeren wird es in den Naturwissenschaften überhaupt leichter, als es den Älteren geworden ist. Man schlägt jezt mehr die Wege des Beobachtens und der Versuche ein, statt daß man früher mehr den Vermuthungen, Lehrmeinungen, ja Einbildungen hingegeben war. Diese Wege wurden lange nicht klar, obgleich sie Einzelne wohl zu allen Zeiten gegangen sind. Je mehr Boden man auf die neue Weise gewinnt, desto mehr Stoff hat man als Hilfe zu fernern Erringungen.

Man wendet sich jezt auch mit Ernst der Pflege der einzelnen Zweige zu, statt wie früher immer auf das Allgemeine zu gehen; und es wird daher auch eine Zeit kommen, in der man dem Gegenstande eine Aufmerksamkeit schenken wird, von dem wir jezt gesprochen haben. Wenn die Fruchtbarkeit, wie sie durch Jahrzehnte in der Naturwissenschaft gewesen ist, durch Jahrhunderte anhält, so können wir gar nicht ahnen, wie weit es kommen wird. Nur das eine wissen wir jezt, daß das noch unbebaute Feld unendlich größer ist als das bebaute.»

«Ich habe gestern einige Arbeiter bemerkt», sagte ich, «welche, obwohl der Himmel voll Wolken war, doch Wasser pumpten, ihre Gießkannen füllten und die Gewächse begossen. Haben diese vielleicht auch gewußt, daß kein Regen kommen werde, oder haben sie blos eure Befehle vollzogen, wie die Mäher, die an dem Meierhofe Gras abmähten?»

«Das Leztere ist der Fall», erwiederte er. «Diese Arbeiter glauben jedes Mal, daß ich mich irre, wenn der äußere Anschein gegen mich ist, wie oft sie auch durch den Erfolg belehrt worden sein mögen. Und so werden sie gewiß auch gestern geglaubt haben, daß Regen komme. Sie begossen die Gewächse, weil ich es angeordnet habe und weil es bei uns eingeführt ist, daß der, welcher wiederholt den Anordnungen nicht nachkömmt, des Dienstes entlassen wird. Es sind aber endlich auch noch andere Dinge außer den Thieren, welche das Wetter vorhersagen, nehmlich die Pflanzen.»

«Von den Pflanzen wußte ich es schon, und zwar besser, als von den Thieren», erwiederte ich.

«In meinem Garten und in meinem Gewächshause sind Pflanzen», sagte er, «welche einen auffallenden Zusammenhang mit dem Luftkreise zeigen, besonders gegen das Nahen der Sonne, wenn sie lange in Wolken gewesen war. Aus dem Geruche der Blumen kann man dem kommenden Regen entgegen sehen, ja sogar aus dem Grase riecht man ihn beinahe. Mir kommen diese Dinge so zufällig in den Garten und in das Haus; ihr aber werdet sie weit besser und weit gründlicher kennen lernen, wenn ihr die Wege der neuen Wissenschaftlichkeit wandelt und die Hilfsmittel benüzt, die es jezt gibt, besonders die Rechnung. Wenn ihr namentlich eine einzelne Richtung einschlage, so werdet ihr in derselben ungewöhnlich große Fortschritte machen.»

«Woher schließt ihr denn das?» fragte ich.

«Aus eurem Aussehen», erwiederte er, «und schon aus der sehr bestimmten Aussage, die ihr gestern in Hinsicht des Wetters gemacht habt.»

«Diese Aussage war aber falsch», antwortete ich, «und aus ihr hättet ihr gerade das Gegentheil schließen können.»

«Nein, das nicht», sagte er, «eure Äußerung zeigte, weil sie so bestimmt war, daß ihr den Gegenstand genau beobachtet habt, und weil sie so warm war, daß ihr ihn mit Liebe und mit Eifer umfaßt; daß eure Meinung deßohngeachtet irrig war, kam nur daher, weil ihr einen Umstand, der auf sie Einfluß hatte, nicht kanntet und ihn auch nicht leicht kennen konntet; sonst würdet ihr anders geurtheilt haben.»

«Ja, ihr redet wahr, ich würde anders geurtheilt haben», antwortete ich, «und ich werde nicht wieder so voreilig urtheilen.»

«Ihr habt gestern gesagt, daß ihr euch mit Naturdingen beschäftiget», fuhr er fort, «darf ich wohl fragen, ob ihr eine bestimmte Richtung gewählt habt und welche.»

Ich war durch die Frage ein wenig in Verwirrung gebracht und antwortete: «Ich bin doch im Grunde nur ein gewöhnlicher Fußreisender. Ich besize gerade so viel Vermögen, um unabhängig leben zu können, und gehe in der Welt herum, um sie anzusehen. Ich habe wohl vor Kurzem alle Wissenschaften angefangen; aber davon bin ich zurückgekommen und habe mir nur hauptsächlich die einzelne Wissenschaft der Erdbildung zur Aufgabe gemacht. Um die Werke, welche ich hierin lese, zu ergänzen, suche ich auf den Reisen, die ich in verschiedene Landestheile mache, zu beobachten, schreibe meine Erfahrungen auf und verfertige Zeichnungen. Da die Werke vorzüglich von Gebirgen handeln, so suche ich auch vorzüglich die Gebirge auf. Sie enthalten sonst auch Vieles, das mir lieb ist.»

«Diese Wissenschaft ist eine sehr weite», entgegnete mein Gastfreund, «wenn sie in der Bedeutung der Erdgeschichte genommen wird. Sie schließt manche Wissenschaften ein und sezt manche voraus. Die Berge sind wohl jezt, wo diese Wissenschaft noch jung ist und wo man ihre ersten und greifbarsten Züge sammelt, von der größten Bedeutung; aber es wird auch die Ebene an die Reihe kommen, und ihre einfache und schwerer zu enziffernde Frage wird gewiß nicht von geringerer Wichtigkeit sein.»

«Sie wird gewiß wichtig sein», antwortete ich. «Ich habe die Ebene und ihre Sprache, die sie damals zu mir sprach, schon geliebt, ehe ich meine jezige Aufgabe betrieb und ehe ich die Gebirge kannte.»

«Ich glaube», entgegnete mein Begleiter, «daß in der gegenwärtigen Zeit der Standpunkt der Wissenschaft, von welcher wir sprechen, der des Sammelns ist. Entfernte Zeiten werden aus dem Stoffe etwas bauen, das wir noch nicht kennen. Das Sammeln geht der Wissenschaft immer voraus; das ist nicht merkwürdig; denn das Sammeln muß ja vor der Wissenschaft sein; aber das ist merkwürdig, daß der Drang des Sammelns in die Geister kömmt, wenn eine Wissenschaft erscheinen soll, wenn sie auch noch nicht wissen, was diese Wissenschaft enthalten wird. Es geht gleichsam der Reiz der Ahnung in die Herzen, wozu etwas da sein könne und wozu es Gott bestellt haben möge. Aber selbst ohne diesen Reiz hat das Sammeln etwas sehr Einnehmendes. Ich habe meine Marmore alle selber in den Gebirgen gesammelt und habe ihren Bruch aus den Felsen, ihr Absägen, ihr Schleifen und ihre Einfügungen geleitet. Die Arbeit hat mir manche Freude gebracht, und ich glaube, daß mir nur darum diese Steine so lieb sind, weil ich sie selber gesucht habe.»

«Habt ihr alle Arten unsers Gebirges?» fragte ich.

«Ich habe nicht alle», antwortete er, «ich hätte sie vielleicht nach und nach erhalten können, wenn ich meine Besuche stettig hätte fortsezen können. Aber seit ich alt werde, wird es mir immer schwieriger. Wenn ich jezt zu seltnen Zeiten einmal an den Rand des Simmeises hinaufkomme, empfinde ich, daß es nicht mehr ist wie in der Jugend, wo man keine Grenze kennt als das Ende des Tages oder die bare Unmöglichkeit. Weil ich nun nicht mehr so große Strecken durchreisen kann, um etwa Marmor, der mir noch fehlt, in Blöcken aufzusuchen, so wird die Ausbeute immer geringer; sie wird auch aus dem Grunde geringer, weil ich bereits so viel habe und die Stellen also seltener sind, wo ich ein noch Fehlendes finde. Da ich allen Marmor selber gesammelt habe, so kann ich wohl auch kein Stück an meinem Hause anbringen, das mir von fremder Hand käme.»

«Ihr habt also wahrscheinlich das Haus selber gebaut oder es sehr umgestaltet?» fragte ich.

«Ich habe es selber gebaut», antwortete er. «Das Wohnhaus, welches zu den umliegenden Gründen gehört, war früher der Meierhof, an dem ihr gestern, da wir auf dem Bänkchen der Felderrast saßen, Leute Gras mähen gesehen habt. Ich habe ihn von dem früheren Besizer sammt allen Ländereien, die dazu gehören, gekauft, habe das Haus auf dem Hügel gebaut und habe den Meierhof zum Wirthschaftsgebäude bestimmt.»

«Aber den Garten könnt ihr doch unmöglich neu angelegt haben?»

«Das ist eine eigene Entstehungsgeschichte», erwiederte er. «Ich muß sagen: ich habe ihn neu angelegt, und ich muß sagen: ich habe ihn nicht neu angelegt.

Ich habe mir mein Wohnhaus für den Rest meiner Tage auf einen Plaz gebaut, der mir entsprechend schien. Der Meierhof stand in dem Thale, wie meistens die Gebäude dieser Art, damit sie das fette Gras, das man häufig in den Wirthschaften braucht, um das Gehöfte herum haben; ich wollte aber mit meiner Wohnung auf die Anhöhe. Da sie nun fertig war, sollte der Garten, der an dem Meierhofe stand und nur mit vereinzelten Bäumen oder mit Gruppen von ihnen zu mir langte, heraufgezogen werden. Die Linde, unter welcher wir jezt sizen, sowie ihre Kameraden, die um sie herum stehen oder einen Gartenweg bilden, stehen da, wo sie gestanden sind. Der große alte Kirschbaum auf der Anhöhe stand mitten im Getreide. Ich zog die Anhöhe zu meinem Garten, legte einen Weg zu dem Kirschbaume hinauf an und baute um ihn ein Bänklein herum. Und so ging es mit vielen andern Bäumen. Manche, und darunter sehr bedeutende, daß man es nicht glauben sollte, haben wir übersezt. Wir haben sie im Winter mit einem großen Erdballen ausgegraben, sie mit Anwendung von Seilen umgelegt, hierher geführt und mit Hilfe von Hebeln und Balken in die vorgerichteten, gut zubereiteten Gruben gesenkt. Waaren die Zweige und Äste gehörig gekürzt, so schlugen sie im Frühlinge desto kräftiger an, gleichsam als wären die Bäume zu neuem Leben erwacht. Die Gesträuche und das Zwergobst ist alles neu gesezt worden. In kürzerer Zeit, als man glauben sollte, hatten wir die Freude, zu sehen, daß der Garten so zusammengewachsen erschien, als wäre er nie an einem andern Plaze gewesen. In der Nähe des Meierhofes habe ich manchen Rest von Bäumen fällen lassen, wenn er dem Getreidebau hinderlich war; denn ich legte dort Felder an, wo ich die Bäume genommen hatte, um an Boden auf jener Seite zu gewinnen, was ich auf dieser durch Anlegung des Gartens verloren hatte.»

«Ihr habt da einen reizenden Siz», bemerkte ich.

«Nicht der Siz allein, das ganze Land ist reizend», erwiederte er, «und es ist gut da wohnen, wenn man von den Menschen kömmt, wo sie ein wenig zu dicht an einander sind, und wenn man für die Kräfte seines Wesens Thätigkeit mitbringt. Zuweilen muß man auch einen Blick in sich selbst thun. Doch soll man nicht stettig mit sich allein auch in dem schönsten Lande sein; man muß zu Zeiten wieder zu seiner Gesellschaft zurückkehren, wäre es auch nur, um sich an manche glänzende Menschentrümmer, die aus unsrer Jugend noch übrig sind, zu erquicken, oder an manchem festen Thurm von einem Menschen empor zu schauen, der sich gerettet hat. Nach solchen Zeiten geht das Landleben wieder wie lindes Öl in das geöffnete Gemüth. Man muß aber weit von der Stadt weg und von ihr unberührt sein. In der Stadt kommen die Veränderungen, welche die Künste und die Gewerbe bewirkt haben, zur Erscheinung: auf dem Lande die, welche naheliegendes Bedürfniß oder Einwirken der Naturgegenstände auf einander hervorgebracht haben. Beide vertragen sich nicht, und hat man das Erste hinter sich, so erscheint das Zweite fast wie ein Bleibendes, und dann ruht vor dem Sinne ein schönes Bestehendes und zeigt sich dem Nachdenken ein schönes Vergangenes, das sich in menschlichen Wandlungen und in Wandlungen von Naturdingen in eine Unendlichkeit zurückzieht.»

Ich antwortete nichts auf diese Rede, und wir schwiegen eine Weile.

Endlich sagte er wieder: «Ihr bleibt noch heute nachmittag und in der Nacht bei uns?»

«Nach dem, wie ich hier aufgenommen worden bin», antwortete ich, «ist es ein angenehmes Gefühl, noch den Tag und die Nacht hier zubringen zu dürfen.»

«So ist es gut», erwiederte er, «ihr müßt aber auch erlauben, daß ich euch einen Theil des Vormittags allein lasse, weil die Stunde naht, in der ich zu Gustav gehen und ihm in seinem Lernen beistehen muß.»

«Thut euch nur keinen Zwang an», entgegnete ich.

«So werde ich euch verlassen», antwortete er, «geht indessen ein wenig in dem Garten herum, oder seht das Feld an, oder besucht das Haus.»

«Ich wünsche für den Augenblick noch eine Weile unter diesem Baume sizen bleiben zu dürfen», erwiederte ich.

«Thut, wie es euch gefällt», antwortete er, «nur erinnert euch, daß ich gestern gesagt habe, daß in diesem Hause um zwölf Uhr zu Mittag gegessen wird.»

«Ich erinnere mich», sagte ich, «und werde keine Unordnung machen.»

Eine kleine Weile nach diesen Worten stand er auf, strich sich mit seiner Hand die Thierchen und sonstigen Körperchen, die von dem Baume auf ihn herabgefallen waren, aus den Haaren, empfahl sich und ging in der Richtung gegen das Haus zu.