BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

August von Platen

1796 - 1835

 

Polenlieder

 

1831

 

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Wiegenlied einer polnischen Mutter

 

Entstanden: 7. November 1831.

Erstdruck: Gedichte aus dem ungedruckten Nachlasse des Grafen August von Platens Hallermünde.

Als Anhang zu den bei Cotta erschienenen Gedichten Platens.S. 20

Straßburg, Druck von G. L. Schuler, kleine Gewerbslaube Nro. 5. 1839.

 

 

Schlaf' ein, du weißt ja nicht, o Herz,

Warum du weinst;

Schlaf' ein, ich will den wahren Schmerz

Dich lehren einst.

 

5

Schlaf' ein, o Herz, was kümmert dich

Der Feinde Sieg,

Dein Vater fiel für dich und mich

Im Heldenkrieg.

 

Dich wird erziehn dereinst der Zar

10

Zur Sclaverei:

Doch als ich dich, o Kind, gebar,

War Polen frei.

 

O weh' des Fluchs, der, theures Land,

Dich jetzt ergreift,

15

Es wird bereits durch Polenhand

Die Stadt geschleift.

 

Mit Schaufeln naht dem Wall sich schon

Der Männer Gang,

Sie murmeln sanft, mit halbem Ton,

20

Den Rach'gesang.

 

O großer Gott, mißhöre nicht

Den leisen Chor,

Und rufe laut vor dein Gericht

Den Würger vor.

 

25

Es zehre Krieg und Pestilenz

An seinem Reich,

Ihm scheine freudenlos der Lenz,

Die Rose bleich.

 

Das eigne Weib gewähre nie

30

Ihm sein Gesuch,

Und aus dem Bett verjage sie

Der Blutgeruch.

 

Und wenn sich je sein falscher Mund

Verzieht und lacht,

35

Thu' ihm der Geist die Waisen kund,

Die er gemacht!

 

Und träumt er sich ein leichtes Ziel

Auf glatter Bahn,

So denk' er, wie sein Vater fiel

40

Und wie sein Ahn.

 

Und stirbt er auch, empfind' er doch

Der Hölle Graus:

Meineid'gen wächst der Finger noch

Zum Grab heraus.

 

45

Was wir begehrten, war ja nur

Was uns gehört,

Was jener Mann sogar beschwur,

Der uns zerstört.

 

Gott gab, so rühmt er, ihm das Reich,

50

Das kühn er lenkt;

O, hätte Gott ihm auch zugleich

Ein Herz geschenkt!

 

Und du, o Säugling, athme leis

Im Schoos der Schmach,

55

Ahm' aber einst im Männerkreis

Dem Vater nach.

 

Du werdest einst der Stolz der Frau'n,

Des Landes Zier,

Um einst die Tatzen abzuhau'n

60

Dem Tigerthier!

 

Schlaf' ein, du weißt ja nicht, o Herz!

Warum du weinst,

Schlaf' ein, ich will den wahren Schmerz

Dich lehren einst!