BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

August von Platen

1796 - 1835

 

Die Abbassiden

Ein Gedicht in neun Gesängen

 

1930

 

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Sechster Gesang.

 

Auf der Magierstadt indessen schwebte

Manch Verhängniß, einem Sturm vergleichbar.

Schehriar ergrimmte gegen Assads

Holde Gattin. Lebenslanger Kerker

5

Sei der Lohn des Hochverrats, beschließt er.

 

Außerhalb der Stadt besaß ein altes,

Festes Schloß er zwischen rauhen Bergen:

Himmelhohe Mauerthürme schützten

Im Geviert es, und es wand ein Strom sich

10

Um den inselhaften Bau der Veste.

Kahle Hügel ragten menschenfeindlich,

Nie bebaut umher, und lehmige Schluchten,

Ausgehöhlt von wilden Regengüssen,

Fielen jählings ab und wellenförmig

15

Ausgezackt. Der immergrünen Eiche

Dunkle Schattendächer blos verhüllten

Dort und hier die totenstille Wildniß.

 

Dieses Schloß zum Aufenthalt bestimmte

Schehriar der schönen Diwisade:

20

Eine Schaar Eunuchen, ihr zu Wächtern

Beigesellt, und wenige Frau'n umgaben

Dort der Fürstin frühbegrabene Jugend.

Auf den Zinnen stand sie oft und blickte

Ueber's öde Gefild und bis zur Salzflut:

25

Holder Assad, fing sie an zu klagen,

Sohn des Harun Alraschid in Bagdad,

Sprich, wo weilst du? Zeigt ein liebender Traum dir

Meinen Kerker nicht, und ziehst du niemals

Mit dem Jagdspieß dieses Thal hinunter?

30

Daß ich riefe dich und sähe. Deine

Schlanke Form war wie des Walds Cypresse;

Stolz und Liebe mischten sich in deines

Auges Blick, und diese schöne Mischung

Ueberwand das Herz und hob die Seele

35

Wie das Anschau'n eines höhern Wesens.

Schließt die Magierstadt in ihre Mauern

Meinen Gatten? Oder wiegt das Meer dich

Unbekannt in unbekannte Buchten?

 

Also klagt die Tochter Abdorrachman's.

40

Schehriar indeß bereitet Alles

Für des Neumonds nächstes Jubelfest vor:

Ausgerüstet wird ein großes Fahrzeug,

Welches Behram selbst befehligen sollte,

Um das Opfer nach dem Feuereiland

45

Abzuführen. Aus dem Burggefängniß

Ward befreit der jüngste Sohn des Harun.

Schwebenden Schritts, die Hände vor den Augen,

Durch das Licht geblendet, wandelt Assur:

Seine kerkermüde Seele strebte

50

Baldigem Untergang voraus, und jeder

Lebensmut verließ den holden Jüngling.

Schweigend stieg er auf's Verdeck des Fahrzeugs,

Kaum die Stadt und kaum das Meer betrachtend;

Aber Behram ließ die Anker lichten.

 

55

Glücklich war die Fahrt; am zweiten Morgen

Blies der Wind jedoch gewaltsam westwärts,

Und zu Behram sprach der kluge Meister,

Der das Steuer lenkte: Sohn des Königs!

Allzuwidrig ist der Gegenwind uns;

60

Nicht zu fördern ist für jetzt die Reise,

Besser scheint's in einem sichern Haven

Uns zu bergen. Nahe liegt die schöne

Palmenstadt der Königin Selmira:

Dort erwarten laß die günstige Luft uns.

 

65

Ihm versetzte drauf der finstre Behram:

Jeden sonstigen Ort beträt' ich lieber,

Als die Palmenstadt; denn allzufeind ist

Jene Königin dem Magierglauben.

Wenn den Haven auch sie nicht verschließt uns,

70

Wird sie doch durch Hinterlist und Argwohn

Quälen uns und, wie sie kann, bedrücken!

Doch das Leben lieb' ich mehr, als eines

Weibes Grimm ich fürchte; laß dem Wind uns

Folgen, Freund, und steure klug das Fahrzeug!

 

75

Dem gehorcht der Steuermann; es stiegen

Bald empor des Strandes Vorgebirge.

Wie ein zugespitzter Keil, in's Meer sich

Streckend, lag die Stadt, und tausend Palmen

Ragten mächtig über stolze Bauten

80

Und Moscheen empor. Die Häuser waren

Abgeplattet, und von einem schritt man

Leicht zum andern; denn zu Straßen dienten

Diesem Volk die Dächer. Alle waren

Durch Orangenlauben vor der Sonne,

85

Wenn sie wandelt im Gestirn des Löwen,

Wohl geschützt. Das Schiff indessen wand sich

Zwischen kleinem, ringsverstreuten Inseln,

Die zum Sommeraufenthalt dem reichen

Bürger dienten, durch und fuhr der Stadt zu.

90

Eingezogen wurden schnell die Segel,

Dann, mit Ruderhülfe, ward das Steuer

Nach dem Strand, der Kiel in's Meer gewendet,

Emsiglich. Die Königin Selmira,

Kaum vernehmend, daß ein Magierfahrzeug

95

Angekommen, sendet augenblicklich

Eine Schaar Trabanten aus, die Mannschaft

Alsogleich vor ihren Thron zu führen.

 

Unter einem Säulendach von schlanken

Marmorschäften, die dem Stamm des Palmbaums

100

Nachgebildet schienen, stand der goldne

Baldachin der Königin Selmira.

Blendendschön, im vollsten Glanz der Jugend,

Saß die Fürstin. Reigerbüsche wehten

Hoch vom Turban ihr, Rubine blitzten

105

Um den Gürtel, wie gesäte Sterne.

 

Als sie Behram mit den Seinigen wahrnahm,

Ward verdüstert ihre Stirn; da fiel ihr

Blick zuvörderst auf den Abbassiden,

Und ein ungewohnter Schauer schlich sich

110

Ihr in's Herz. Die Wohlgestalt des Jünglings,

Seines Auges melancholische Tiefe,

Seine Jugend, sein getrübtes Aussehn

Schmolz der Königin bewegten Busen.

Ueberrascht vergaß sie eine Zeitlang

115

Wort und Rede; doch zuletzt begann sie

Gegen Behram hingewendet also:

 

Was begehrt ihr, schnöde Götzendiener,

Hier im Vaterland des wahren Glaubens?

Welch Geschäft trieb euch an meine Küsten?

120

Oder war's die ungeduldige Windsbraut,

Die den Auswurf aller Völker auswarf?

Steuert ihr zur Feuerinsel etwa,

Eurem lästerlichen Brauch zu fröhnen,

Um den Holzstoß euren falschen Göttern

125

Aufzurichten über Naphtaquellen,

Ja, des Menschenopfers blutige Gräuel,

Die der Herr und sein Prophet verabscheut,

Gotteslästerlich entmenscht zu feiern?

Aber Allah – Hier begegnete wieder

130

Ihren Blicken Assurs Blick, sie stockte,

Und im Weibe ging die Herrin unter.

 

Ihr versetzte drauf der listige Behram:

Hohe Königin! Von deiner Weisheit

Ist die Erde voll, und nicht allein hier,

135

Wo du herrschest, werde, nein – im fernen

Magierland gepriesen deine Milde!

Kurze Freistatt nur für wenige Stunden

Oder wenige Tage sei vergönnt uns

Hier im Haven, den des Windes Ungunst

140

Aufzusuchen voll Vertrau'n genötigt.

Nicht zum Opfer eilen wir; ein Kaufmann

Bin ich selbst, und Diese sind Matrosen:

Einzutauschen Spezerei'n in Indien

Fuhr ich aus. Was unsere Waarenfässer

145

Auch enthalten, Alles werde willig

Dir gewidmet; aber laß die Heimat

Wiedersehn uns, Aeltern und Geschwister,

Weib und Söhne wiedergrüßen laß uns!

 

Wie den starren Reif der heiße Südwind

150

Leicht bewältigt und in Tropfenform ihn

Strömen läßt von überfrornen Dächern:

Alsoleicht bezwang der Fürstin Busen

Menschlichkeit, und mit der Hand dem Behram

Winkend, schon entläßt sie ihn. Da kehrte,

155

Während Alle sich entfernten, Assur's

Thränenvolles Auge noch einmal sich

Nach der schönen Königin Selmira.

Tief erschüttert saß die stolze Fürstin,

Und dem Mitleid mußte zugestehn sie,

160

Was sie zugestanden nicht der Liebe.

Gegen Scham in ihrem Herzen kämpfte

Mitgefühl; sie rief den eiligen Behram

Noch einmal zurück und sprach die Worte:

Zeuch in Frieden sammt den Deinen! Wähne

165

Nicht, als könnt' ich deiner schwererworbenen

Güter dich berauben; doch verkünde

Noch das Eine! Jener sanfte Jüngling,

Der so schwermutsvoll den Blick hinabsenkt,

Dessen Gang und Tracht und edle Haltung

170

Keines Ruderknechts Geschlecht verraten,

Wer es ist, verkünde mir und gehe!

 

Ihr versetzte drauf der listige Behram:

Deine Huld, o Königin, ergießt sich

Gnadespendend über Alles! Dieser

175

Knabe, den du deiner Frage wert hältst,

Meines Oheims jüngstes Söhnchen ist er,

Dient als Schreiber uns im Schiff. Geschieden

Aus dem Arm der hochbesorgten Mutter,

Peinigt Heimweh sein Gemüt, in diesem

180

Zarten Alter ein gewohntes Uebel!

Aber länger hält sich nicht der Jüngling;

Mächtig tritt er aus dem Kreis des schnöden

Schiffervolks, die Schüchternheit bezwingend.

Würdigen Schritts und königlicher Miene

185

Naht er schnell dem Thron, und vor der Fürstin

Beugt ein Knie er voll bescheidener Anmut.

Edle Herrscherin! das Netz der Lüge,

So beginnt er, spinnt um deines Auges

Ewige Klarheit ihre falschen Schleier!

190

Kenne Diese, kenne mich! Verräter

Lockten einst in dieses Volks Gewalt mich;

Als ein Opfer ward ich auserlesen,

Das sie jährlich nach dem Feuereiland,

Ihrem Götzendienst zu fröhnen, schleppen.

195

Diesen nicht gehör' ich an, ich rühme

Mich des Glaubens aller Mosleminen:

Assur ist mein Name, meines Vaters

Name Harun Alraschid, Beherrscher

Aller Gläubigen, aller Völker Sultan!

 

200

Rasch vom Thron herunter stieg Selmira,

Und der silberstoffene Mantel rauschte

Hinter ihr. Dem knieenden Sohn des Harun

Reicht sie dar die lilienweise Rechte:

Stehet auf, erlauchter Fürst, begann sie,

205

Dieser Thron ist euer, mir geziemt es,

Eure Sklavin hier zu knien im Staube!

Gegen Behram aber hingewendet,

Fuhr sie fort: Verdank' es meiner Milde,

Wenn ich nicht dein eigen Haubt und deiner

210

Fahrtgenossen ihre durch den Henker

Augenblicks auf meines Schlosses Zinne

Heften lasse! Fleuch, und nie betrete

Mehr die Palmenstadt! Der Tod bezahle

Für des Windes Laune, wenn sie jemals

215

Dich zurück an diese Küsten trüge!

Meine Langmut gönnt die heutige Nacht dir,

Doch, sobald der Morgenstern im Osten

Flimmert, ehe dein verhaßtes Fahrzeug

Meinen Strand verlassen, wehe, dreimal

220

Wehe dir und deiner ganzen Schaar dann!

 

So die Königin. Es neigte Behram

Mit den Seinen sich und schlich von dannen.

Assur aber nahm das Wort und sagte:

Nimm das Leben, das du selbst gerettet,

225

Edle Fürstin, als ein Weihgeschenk an!

Deinem Dienste widm' ich jede Stunde

Dieses Daseins. Ihm versetzt Selmira:

Sohn des Harun, der der Sohn Mohadi's:

Wenig thät' ich, wenn das Leben blos ich

230

Dir erhalten hätte; selbst den letzten

Aller Sklaven hätt' ich gegen Willkür,

Wo Gerechtigkeit es heischt, vertheidigt.

Nicht ja Schutz allein verleiht den Bürgern

Einer Stadt die hochgethürmte Mauer,

235

Aber Schatten auch an heißen Tagen:

Nimm das Dasein; aber nimm zugleich auch

Was es Liebliches uns gewährt, und Alles,

Was du siehst, als Eigenthum betracht' es!

Meine Länder, dieses Schloß und diese

240

Gärten, die der Ocean umbrandet,

Nenne dein und deines großen Vaters,

Welcher Bagdad als Kalif und alle

Welt befehligt, Eigenthum! Vergönne

Mir indessen, daß auf kurze Zeit ich

245

Mich entferne, diese tiefbewegte

Brust zu sammeln, und zugleich mit meinen

Frau'n und Sklaven dir ein Fest zu ordnen,

Würdig eines Abbassiden! – Also

Spricht Selmira, dann entfernt sie schnell sich

250

Sammt den Dienerinnen, ihres Herzens

Innere Glut verbergend. Assur sieht ihr

Lange nach, und aus dem Schlund der Hölle

Glaubt er plötzlich sich versetzt nach Eden.

Also mag sich ein Verdammter fühlen,

255

Der zum Richtplatz wird geführt, das Beil schon

Sieht geschliffen; aber plötzlich hört er

Gnade schrei'n, und ihn begrüßt das frohe

Tausendstimmige Lebehoch des Volkes.

 

Um der Seele vollen Drang zu stillen,

260

Sich am Glück zu sättigen, auszusprechen

Allen Lüften seine Lust und Liebe,

Eilt hinunter nach den Gärten Assur,

Die vom Meer bespült und weit verbreitet

Rings der Königin Pallast umgaben.

 

265

Eben sank der Sonnengott in seinen

Ocean, um schlafend, wie es alter

Völker Glaube war, in goldnem Kahne,

Längs der Erde morgenwärts zu schiffen.

Assurs Auge trank der letzten Stralen

270

Milde Glut, und durch des heiligen Lorbeers

Grüne Wände, durch der Myrtenbüsche

Wohlgeruch beflügelt seinen Gang er,

Rosen pflückend für den schönsten Busen,

Und dem jungen Abendstern die eigne

275

Seligkeit verkündend; nichts vermissend,

Als die Nähe seines Bruders Assad.

Immer aber wandte sein Gedanke

Nach der schönen Königin Selmira,

Wie die Blume nach dem Licht zurück sich.

280

Ein Gewässer hört er endlich rauschen,

Und gelangt an einen prächtigen Springquell,

Der mit silberklaren Fluten über

Blanke Marmorstaffeln niedertanzte:

Unten theilend sich in Doppelarme,

285

Links und rechts, war über niedre Mauern

Hingeführt er, welche, ganz bekleidet

Mit Jasmin, nur duftige Hecken schienen;

Schritt vor Schritt auf jener Mauer standen

Lange Reihn von schöngehenkelten Urnen,

290

Aus den Urnen aber stieg die Springflut

Rein empor, wie eine schlanke Lilje.

Allzulieblich schien die Stelle, sanftes

Murmeln scholl umher und Nachtigallen

Tauschten Wehmut. Auf den Wiesenteppich,

295

An den Rand des Brunnens streckt sich Assur,

Zwischen Müdigkeit und innerer Sehnsucht,

Halb in ruhigen, halb in ruhelosen

Traum geschaukelt. Und zuletzt entschläft er.

 

Unterdessen stand der finstre Behram

300

Auf dem Schiffsverdeck, den Zug der Wolken,

Samt dem Lauf der Sterne, wohl beachtend.

Endlich, als des Abendrotes letzte

Streifen unter'm Horizont verborgen

Lagen, hob sich sanft ein günstiger Fahrwind.

305

Schnell beruft an ihre Ruderbänke

Seine Schaar des Schehriars Erzeugter,

Und er sendet einen Theil der Mannschaft,

Einzuschöpfen süßes Wasser eilig,

Um das Ankertau sodann zu lösen,

310

Um die Palmenstadt vor Tagesanbruch

Hinter sich zu lassen, jenes Machtworts

Eingedenk der Königin Selmira.

Mit Gefäßen auf der Schulter wandeln

Jene Wasserträger fort. Doch scheu'n sie,

315

Nach dem Markt zu eilen, wo ein Brunnen

Stand und reichlich aus dem Mund der Sphinxe

Fluten warf in schöngehauene Tröge;

Aber jene scheu'n den Hohn der Bürger,

Und vermeiden drum die Stadt, sie wandeln

320

Längs der Gärten hin, und finden endlich

Angelehnt ein kleines Seitenpförtchen,

Das zum Park der Königin sie führte,

Nach dem Strande ging die Thüre, deren

Oft bediente sich die schöne Fürstin,

325

Wenn sie Abends oder früh des Morgens,

Kühlere Luft zu schöpfen, eine Seefahrt

Auf bemalter Gondel wagte. Dieses

Offene Pförtchen fand die Schaar des Behram.

 

In den Garten tretend, hören fern sie

330

Quellen rauschen, und der Schall geleitet

Bald sie nach dem Brunnen, wo entschlummert

Assur lag. Sie trauen kaum den eignen

Augen; Einer zeigt dem Andern flüsternd

Diesen Fund, der Kühnste gibt den Anschlag.

335

Vier von ihnen setzen ihre Krüge

Weg, und laden auf die starken Schultern

Ihn, den lang sich sträubenden Sohn des Harun,

Mit den Schärpen ihm den Mund verbindend.

Triumphirend durch das Pförtchen eilen,

340

Kräftigen Schrittes, jene vier Matrosen

Nach dem Ufer; schleunig folgen ihnen

Ihre Freunde mit gefüllten Krügen.

Tiefer sinkt die Nacht, am Borde stehn sie.

Einer löst das Seil, die Andern schreiten

345

Auf dem schwanken Brett in's Schiff hinüber,

Leichten Gangs. Der überraschte Behram

Sieht sich unverhofft am Ziel der Wünsche,

Und empfängt aus ihrer Hand ein Opfer,

Dem er knirschend schon entsagt. Es eilen

350

Nach den Ruderbänken Alle, seewärts

Wird das Schiff gedreht, und durch der Sterne

Widerschein, der aus den Wogen glänzte,

Gräbt der schneidende Kiel beschäumte Furchen.