BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Novalis

1772 - 1801

 

Tagebücher

Journal

 

16. - 29. Juni 1797

 

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Tagebuch.

Vom 16ten bis zum 29sten Junius. [Weißenfels]

 

Den 16ten [Freitag] fühlt ich mich entsezlich träge und unlustig – so auch den 17ten früh – hier erwachte jedoch plözlich, nach einer Befriedigung meiner fantastischen Lust, Vis et Robur. Ich beschloß künftig häufige körperliche Anstrengungen und Hut für Trägheit. Dem zufolge gieng ich noch denselben Tag Nachmittags im stürmisch-heitern Wetter mit Landvoigt nach Ballenstedt. Wir besuchten Rimrodt – unterwegs sprach ich viel mit Landvoigt über Schlegel und über mich selbst. Den andern Morgen um ½5 Uhr giengen wir mit schon ziemlich müden Beinen unter Sonnenschein nach Thale. Der schöne Weg ward mir ziemlich sauer. Nach einer kurzen Ruh und Erquickung bestiegen wir den herrlichen Rosstrapp. Der Herunterweg machte mich fertig. Nach dem Mittagsmahl fuhren wir nach Ballenstedt zurück und brachten einen prächtigen Abend im Garten zu. Den andern Tag giengen wir nach Wiederstedt zurück. Wir sprachen viel von Philosophie – ich wußte gut mir zu helfen und sprach recht leidlich. Von Quenstedt – wo der Pastor und seine Frau zu uns stießen, ward mir das Gehn sehr schwer und der Hals that mir von vielem Reden weh. Nachmittags hatt ich mich aber in Wiederstedt wieder so erholt, daß ich denselben recht angenehm gesellig im Garten zubrachte.

Den Dienstag [20. Juni] giengen die Kinder mit Landvoigt weg. Dienstag und Mittwoch hab ich müßig und ohne viel zu denken hingebracht. Ich habe nichts gethan, als die Endorfschen Acten gelesen. Mit Elten hab ich mich viel unterhalten und bin überhaupt sehr aufgeräumt gewesen und habe die Gesellschaft belustigt. So auch auf der ganzen Retourreise. Mittwoch Nachmittag hab ich ein Stündchen mit Elten über meine Situation gesprochen. Donnerstag Nachmittag sind wir in schönem Wetter nach Köthen gereißt – wo ich mir von dem dortigen Buchhändler das Kampaner Thal und den Mückenalmanach holte. Freytag früh kamen wir im Regenwetter nach Dessau. Nachmittags hellte sich aber der Himmel auf und wir fuhren am köstlichsten Abend in Wörlitz ein. Auch der Sonnabend war schön – Den Tag vollendeten wir die den ersten Abend gleich angefangene Ansicht des Gartens. Der Fürst fuhr mit Gesellschaft und Musik Nachmittags auf den Gondeln. Sonntags sahen wir das Schloß, das Gothische Haus und fuhren Abends im himmlischen Wetter mit dem Kriegsrath v. Viereck und seiner Frau auf der Gondel. Karoline war die ganzen Tage über krank. Ich las das Kampanerthal mit vieler Freude dieser Tage. Poland hatte mir von Weißenfels einen Brief von Schl[egel] mitgebracht, der wieder meine philosophirende Kraft in Thätigkeit sezte. Den Montag, wo wir nach Halle fuhren, und unterwegs in Dessau [das] Georgium besahen, hatt ich zuweilen einen hellen Gedanken. Dienstag [27. Juni] Mittag kamen wir wieder hier wohlbehalten an. Das Kanapee, worauf mein seeliger Bruder soviel gelitten hat, afficirte mich sehr. Den Nachmittag kramte ich auf und fand mich Abend hell, denkend. Gestern [28. Juni] früh schrieb ich philosophische Gedanken von Werth auf – las in Schellings Briefen über Dogm[atismus] und Kritic[ismus], fuhr mit meinem Vater nach Kösen – schrieb Nachmittags an Karl – gieng zu Severin und Abends mit Hamlett zu Bette. Heute früh las ich in Schellings Ich – in Schlegels Griechen, und machte die Rechnung für den Vater. Nach Tisch las ich wieder in den Griechen – gieng spatzieren und fantasirte mir, was ich wohl beginnen würde, wenn ich Churfürst v[on] Sachsen wäre. Zu Hause machte ich mich an den Meßkatalog – versuchte eine Übersicht desselben. Müde von dieser Beschäftigung gieng ich abermals aus – das Wetter war herrlich – und machte litterairische Plaene. Besonders gefiel mir die Idee eines Journals, unter dem Titel:

Beyträge zur wissenschaftlichen Geschichte der Menschheit.

Historisch philosophische Übersichten, wie z. B. mein Plan der Bearbeitung des Meßkatalogs, reizen mich sehr und düncken mir sehr nüzlich. Mein Kopf war diesen Abend sehr hell. Ich fühle mich überhaupt um manchen Schritt vorgerückt. Auch mein Gedächtniß, meine Beobachtungsgabe und mein Ausdruck gewinnt. Meine Besonnenheit muß aber noch sehr steigen. Es giebt noch unendliche Lacunen. Mein Entschluß steht ganz unwandelbar. Seit der Reise nach
d[em] Rosstrapp bin ich wieder ziemlich mit mir zufrieden – Es muß aber immer besser werden – Besonnenheit und Ruhe ist die Hauptsache. Laß vorzüglich auch die Aufmercksamkeit auf gefälliges und vorsichtiges Betragen gegen den Vater nicht aus der Acht – hüte dich im Umgang mit Schlegeln – übe dich unaufhörlich in besonnener Wirksamkeit – habe Söffchen stets vor Augen – vergiß nicht die Kürze von 3 Monaten – übernimm dich nicht – Sey mäßig – und überlaß dich nicht zu sehr deinem Hange zu vexiren und zu belustigen – Jezt schikt es sich doch nicht mehr recht für dich – wenigstens sehr mit Maas.