Novalis
1772 - 1801
Jugendwerke (1788-1793)Lyrik
Gedicht 25a
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An ein fallendes Blatt.
Es nahet sich der Winter wiederMit seinem Schnee und Sturm und Eis,Aus dürren Haynen fliehn die Lieder,Es kleidet sich die Flur in Weiß,
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5 | Von Eichen wehn die Blätter nieder,Nicht mehr belebt vom Vögelfleiß,Der Sturm mit traurigem GefiederDurchhaust sie auf der Zeit Geheiß,
Entreißet ihr das Blatt gewaltsam, |
10 | Das ganz allein noch an ihr hing,Und spielt damit nun unaufhaltsam,Und wirft es, daß ers wiederfing.
So reißt auch, häufen sich die JahreUnd nahet sich das stille Grab, |
15 | Und bleichen erst die blonden Haare,Der Nord die lezte Rose ab.
O glücklich! kann man dann mit FreudenDie lezte Rose fliegen sehnUnd braucht den Jüngling nicht zu neiden, |
20 | Um den vollauf geblüht sie stehn,
Kann sich auf andre Blumen freuenDie Töchter der Unsterblichkeit,Man braucht dann nicht den Sturm zu scheuen,Der Erdenleben uns verbeut. |