BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Novalis

1772 - 1801

 

Hymnen an die Nacht

 

Paralipomena zu den «Hymnen an die Nacht»

 

Textgrundlage:

Novalis, Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs,

hrsg. von Paul Kluckhohn und Richard Samuel.

Historisch-kritische Ausgabe. Band 1: Das dichterische Werk.

Stuttgart: Kohlhammer 1976

 

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Paralipomena

 

1.

 

Der Bruder Karl an Novalis in Tennstedt.

 

Lucklum. d. 11ten May 1797.

 

Ich kenne keine prächtigere Natur Scene als ein Gewitter; eben als ich Dir schreiben wollte, zog ein solches fürchterliches Phänomen bey uns vorüber, doch iezt ist es vorbey, der Donner rollt nur noch fern, und der Himmel ist wieder völlig heiter; die furchtbar dunkeln Wolken standen meinem Fenster gerade gegenüber, nur am äußersten Ende des Horizonts lief ein glänzender, lichtblauer schmaler Streif hin, wie ein schöner Gedanke eines künftigen glücklichen Lebens. – Mit wahrer Heiterkeit konnte ich an den plözlichen Tod durch den Blitz denken, er schien mir so schneller, so ein sanfter Uebergang, daß ich den Wunsch nach ihm für erlaubt gehalten hätte; Ein Augenblik, und man wär – Dort, lieber guter Friz, in der ewigen Umarmung unserer Geliebten. Schon, den Gedanken einer Ewigkeit denken zu können, halte ich für einen unendlichen Reichthum des Menschen.

 

 

2.

 

Tagebuch nach Sophieens Tod.

 

13. Mai 1797.

 

[...] Nach Tisch gieng ich spatzieren – dann Kaffee – das Wetter trübte sich – erst Gewitter dann wolkig und stürmisch – sehr lüstern – ich fieng an in Shakesp[eare] zu lesen – ich las mich recht hinein. Abends gieng ich zu Sophieen. Dort war ich unbeschreiblich freudig – aufblitzende Enthusiasmus Momente – Das Grab blies ich wie Staub, vor mir hin – Jahrhunderte waren wie Momente – ihre Nähe war fühlbar – ich glaubte, sie solle immer vortreten – Wie ich nach Hause kam – hatte ich einige Rührungen im Gespräch mit Machere ... Abends hatte ich noch einige gute Ideen. Shakespeare gab mir viel zu dencken.