BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Eduard Mörike

1804 - 1875

 

Gedichte

 

1838

 

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[1]

An einem Wintermorgen.

 

Vor Sonnenaufgang.

 

O flaumenleichte Zeit der dunkeln Frühe!

Welch neue Welt bewegest du in mir?

Was ist's, daß ich auf einmal nun in dir

Von sanfter Wollust meines Daseyns glühe?

 

5

Einem Krystall gleicht meine Seele nun,

Den noch kein falscher Strahl des Lichts getroffen;

Zu fluthen scheint mein Geist, er scheint zu ruh'n,

Dem Eindruck naher Wunderkräfte offen,

Die aus dem klaren Gürtel blauer Luft

10

Zuletzt ein Zauberwort vor meine Sinne ruft.

 

Bei hellen Augen glaub' ich doch zu schwanken,

Ich schließe sie, daß nicht der Traum entweiche;

Seh' ich hinab in lichte Feenreiche?

Wer hat den bunten Schwarm von Bildern und Gedanken

15

Zur Pforte meines Herzens hergeladen,

Die glänzend sich in diesem Busen baden,

Goldfarb'gen Fischlein gleich im Gartenteiche?

 

2

Ich höre bald der Hirtenflöten Klänge,

Wie um die Krippe jener Wundernacht,

20

Bald weinbekränzter Jugend Lustgesänge:

Wer hat das friedenselige Gedränge

In meine traurigen Wände hergebracht?

 

Und welch Gefühl entzückter Stärke,

Indem mein Sinn sich frisch zur Ferne lenkt?

25

Vom ersten Mark des heut'gen Tags getränkt,

Fühl' ich mir Muth zu jedem frommen Werke!

Die Seele fliegt, so weit der Himmel reicht,

Der Genius jauchzt in mir; – doch sage,

Warum wird jetzt der Blick von Wehmuth feucht?

30

Ist's ein verloren Glück, was mich erweicht?

Ist es ein werdendes, was ich im Herzen trage?

– Hinweg, mein Geist! hier gilt kein Stillestehn;

Es ist ein Augenblick, und – Alles wird verwehn!

 

Dort sieh! am Horizont lüpft sich der Vorhang schon,

35

Es träumt der Tag, nun sey die Nacht entflohn;

Die Purpurlippe, die geschlossen lag,

Haucht, halbgeöffnet, süße Athemzüge,

Auf einmal blitzt das Aug', und, wie ein Gott, der Tag

Beginnt im Sprung die königlichen Flüge!

 

 

3

Erinnerung.

 

An C. N.

 

Jenes war zum lezten Male,

Daß ich mit dir ging, o Clärchen!

Ja, das war das lezte Mal,

Daß wir uns wie Kinder freuten.

 

5

Als wir durch die sonnenhellen,

Regnerischen Straßen liefen,

Unterm seidnen Schirme eilend,

Beide heimlich eingeschlossen

Wie in einem Feenstübchen,

10

Endlich einmal Arm in Arme!

 

Wenig wagten wir zu reden,

Denn das Herz schlug zu gewaltig,

Beide merkten wir es schweigend,

Und ein Jedes schob im Stillen

15

Des Gesichtes glüh'nde Röthe

Auf den Widerschein des Schirmes.

Ach, ein Engel warst du da!

Wie du auf den Boden immer

Blicktest, und die blonden Locken

20

Um den hellen Nacken fielen.

 

4

«Jezt ist wohl ein Regenbogen

An dem Himmel», sagt' ich einmal:

Dann in meinem frohen Muthe

Sprach ich weiter diese Worte:

25

«Käm' auch keiner mehr an Himmel,

Wär' es gar nicht zu verwundern,

Denn die Leute ziehn ja selber

Seine bunten Bogenstreifen

Zu sich nieder auf die Gassen.

30

Sieh nur, wie sie sich beeile!

Jeder mit dem Regendache

Führet einen andern Farben=

Bogen über seinem Haupte,

Jeder springt mit seinem Raube,

35

Blaue, rothe, violete, –

Alles nehmen sie mir fort.»

 

Und du lächeltest und bogest

Mit mir um die lezte Ecke.

 

Und ich bat dich um ein Röslein,

40

Das du an der Brust getragen,

Und du reichtest mir's im Gehen

Schnelle hin, das süße Röslein;

Zitternd hob ich's an die Lippen,

Küßt es brünstig zwei- und dreimal,

45

Niemand konnte dessen spotten,

Keine Seele hat's gesehen,

Und du selber sahst es nicht.

 

5

An dem fremden Haus, wohin

Ich dich zu begleiten hatte,

50

Standen wir nun, weiß'st, ich drückte

Dir die Hand und –

 

Dieses war zum lezten Male,

Daß ich mit dir ging, o Clärchen!

Ja, das war das lezte Mal,

55

Daß wir uns wie Kinder freuten.

 

 

 

6

Nächtliche Fahrt.

 

Jüngst im Traum ward ich getragen

Ueber fremdes Heideland;

Vor den halbverschloss'nen Wagen

Schien ein Trauerzug gespannt.

 

5

Dann durch mondbeglänzte Wälder

Ging die sonderbare Fahrt,

Bis der Anblick offner Felder

Endlich mir bekannter ward.

 

Wie im lustigen Gewimmel

10

Tanzt nun Busch und Baum vorbei!

Und ein Dorf nun! Guter Himmel!

O mir ahnet, was es sey.

 

Sah ich doch vor Zeiten gerne

Diese Häuser oft und viel,

15

Die am Wagen die Laterne

Streift im stummen Schattenspiel.

 

Ja, dort unterm Giebeldache

Schlummerst du, vergeßlich Herz!

Und daß dein Getreuer wache,

20

Sagt dir kein geheimer Schmerz.

 

7

– Ferne waren schon die Hütten;

Sieh', da flattert's durch den Wind!

Eine Gabe zu erbitten

Schien ein armes, holdes Kind.

 

25

Wie vom bösen Geist getrieben,

Werf' ich rasch der Bettlerin

Ein Geschenk von meiner Lieben,

Jene goldne Kette, hin.

 

Plötzlich scheint ein Rad gebunden,

30

Und der Wagen steht gebannt,

Und das holde Mädchen unten

Hält mich schelmisch bei der Hand.

 

«Denkt man so damit zu schalten?

So entdeck' ich den Betrug?

35

Doch, den Wagen festzuhalten,

War die Kette stark genug.

 

Willst du, daß ich dir verzeihe,

Sey erst selber wieder gut!

Oder wo ist deine Treue,

40

Falsches Herze, falsches Blut?»

 

Und sie streichelt mir die Wange,

Küßt mir das erfrorne Kinn,

Steht und lächelt, weinet lange

Als die schönste Büßerin.

 

8

Doch mir bleibt der Mund verschlossen,

Und kaum weiß ich, was geschehn;

Ganz in ihren Arm gegossen

Schien ich selig zu vergehn.

 

Und nun fliegt mit uns, ihr Pferde,

50

In die graue Welt hinein!

Unter uns vergeh' die Erde,

Und kein Morgen soll mehr seyn!

 

 

 

9

Der junge Dichter.

 

Wenn der Schönheit sonst, der Anmuth

Immer flüchtige Erscheinung

Wie ein heller Glanz der Sonne

Einmal vor die Sinne wieder

5

Mit der Neuheit Zauber trat,

Daß ein heimlich trunknes Jauchzen

Mir der Ausdruck lautern Dankes

Für solch süßes Daseyn war:

O wie drang es da mich armen,

10

Mich unmünd'gen Sohn Apollens,

Dieses Alles auch in schöner,

Abgeschlossener Gestaltung

Fest, auf ewig festzuhalten,

Es durch goldne Leierklänge

15

So zum Einklang mit mir selber

Umzubilden, neu zu schaffen,

Daß ich, heiter wie ein Gott,

Ueber der gediegnen Schöne,

Die aus mir herausgetreten,

20

Die ich ganz mein eigen nenne,

Ruhig, klaren Auges schwebe.

 

Doch, wenn mir das tief Empfundne

Nicht alsbald so rein und völlig,

Wie es in der Seele lebte,

25

In des Dichters zweite Seele,

Den Gesang, hinüberspielte,

10

Wenn ich nur mit stumpfem Finger

Ungelenk die Saiten rührte,

Sollt' ich dann nicht muthlos werden,

30

Daß ich stets ein Schüler bleibe?

 

Aber, Liebchen, sieh, bei dir

Bin ich plötzlich wie verwandelt,

Im erwärmten Winterstübchen

Bei dem Schimmer dieser Lampe,

35

Wo ich deinen Worten lausche,

Hold bescheidnen Liebesworten.

Wie du dann geruhig deine

Braunen Lockenhaare schlichtest,

Also legt sich schön geglättet

40

All dies wirre Bilderwesen,

All des Herzens eitle Sorge,

Viel=zertheiltes Thun und Denken.

Froh begeistert, leicht gefiedert,

Flieg' ich aus der Dichtung engen

45

Rosenbanden, daß ich nur

Noch in ihrem reinen Dufte,

Als im Elemente, lebe.

 

Oder, Mädchen, sage mir,

Bist du gar die Muse selber,

50

Die, wie wahre Dichtung pflegt,

Selbst unwissend, wer sie sey,

Mich in ihren Armen hält,

Daß ich selber, eins mit ihr,

Nur ein zart Gedicht erscheine?

 

11

O du Liebliche, du lächelst,

Schüttelst, küssend mich, das Köpfchen,

Und begreifst nicht, was ich meine.

Möcht' ich selber es nicht wissen,

Wissen nur, daß du mich liebest,

60

Daß ich in dem Flug der Zeit

Deine kleinen Hände halte!

 

 

 

12

Der Knabe und das Immlein.

 

Im Weinberg auf der Höhe

Ein Häuslein steht so windebang,

Hat weder Thür noch Fenster,

Die Weile wird ihm lang.

 

5

Und ist der Tag so schwüle,

Sind all' verstummt die Vögelein;

Summt an der Sonnenblume

Ein Immlein ganz allein.

 

Mein Lieb hat einen Garten,

10

Da steht ein hübsches Immenhaus:

Kommst du daher geflogen?

Schickt sie dich nach mir aus?

 

«O nein, du feiner Knabe,

Es hieß mich Niemand Boten gehn;

15

Dies Kind weiß nichts von Lieben,

Hat dich noch kaum gesehn.

 

Was wüßten auch die Mädchen,

Wenn sie kaum aus der Schule sind!

Dein herzallerliebstes Schätzchen

20

Ist noch ein Mutterkind.

 

13

Ich bring' ihm Wachs und Honig;

Ade! – ich hab' ein ganzes Pfund;

Wie wird das Schätzchen lachen,

Ihm wässert schon der Mund.»

 

25

Ach, wolltest du ihr sagen,

Ich wüßte, was viel süßer ist:

Nichts Lieblichers auf Erden

Als wenn man herzt und küßt!

 

 

 

14

Rath einer Alten.

 

Bin jung gewesen,

Kann auch mitreden,

Und alt geworden,

Drum gilt mein Wort.

 

5

Schön reife Beeren

Am Bäumchen hangen:

Nachbar, da hilft kein

Zaun um den Garten;

Lustige Vögel

10

Wissen den Weg.

 

Aber, mein Dirnchen,

Du laß dir rathen:

Halte dein Schätzchen

Wohl in der Liebe,

15

Wohl im Respekt!

 

Mit den zwei Fädlein

In Eins gedrehet,

Ziehst du am kleinen

Finger ihn nach.

 

20

Aufrichtig Herze,

Doch schweigen können,

Früh mit der Sonne

15

Muthig zur Arbeit,

Gesunde Glieder,

25

Saubere Linnen,

Das machet Mädchen

Und Weibchen werth.

 

Bin jung gewesen,

Kann auch mitreden,

30

Und alt geworden,

Drum gilt mein Wort.

 

 

 

16

Begegnung.

 

Was doch heut Nacht ein Sturm gewesen,

Bis erst der Morgen sich geregt!

Wie hat der ungebetne Besen

Kamin und Gassen ausgefegt!

 

5

Da kommt ein Mädchen schon die Straßen,

Das halb verschüchtert um sich sieht;

Wie Rosen, die der Wind zerblasen,

So unstet ihr Gesichtchen glüht.

 

Ein schöner Bursch tritt ihr entgegen,

10

Er will ihr voll Entzücken nahn:

Wie sehn sich freudig und verlegen

Die ungewohnten Schelme an!

 

Er scheint zu fragen, ob das Liebchen

Die Zöpfe schon zurechtgemacht,

15

Die heute Nacht im offnen Stübchen

Ein Sturm in Unordnung gebracht.

 

Der Bursche träumt noch von den Küssen,

Die ihm das süße Kind getauscht,

Er steht, von Anmuth hingerissen,

20

Derweil sie um die Ecke rauscht.

 

 

 

17

Der Jäger.

 

Drei Tage Regen fort und fort,

Kein Sonnenschein zur Stunde;

Drei Tage lang kein gutes Wort

Aus meiner Liebsten Munde!

 

5

Sie truzt mit mir und ich mit ihr,

So hat sie's haben wollen;

Mir aber nagt's am Herzen hier,

Das Schmollen und das Grollen.

 

Willkommen denn, des Jägers Lust,

10

Gewittersturm und Regen!

Fest zugeknöpft die heiße Brust,

Und jauchzend euch entgegen!

 

Nun sizt sie wohl daheim und lacht,

Und scherzt mit den Geschwistern;

15

Ich höre in des Waldes Nacht

Die alten Blätter flüstern.

 

Nun sizt sie wohl und weinet laut

Im Kämmerlein, in Sorgen;

Mir ist es wie dem Wilde traut,

20

In Finsterniß geborgen.

 

18

Kein Hirsch und Rehlein überall!

Ein Schuß zum Zeitvertreibe!

Gesunder Knall und Widerhall

Erfrischt das Mark im Leibe. –

 

25

Doch wie der Donner nun verhallt

In Thälern, durch die Runde,

Ein plötzlich Weh mich überwallt,

Mir sinkt das Herz zu Grunde.

 

Sie truzt mit mir und ich mit ihr,

30

So hat sie's haben wollen,

Mir aber frißt's am Herzen hier,

Das Schmollen und das Grollen.

 

– Und auf! und nach der Liebsten Haus!

Und sie gefaßt um's Mieder!

35

«Drück' mir die nassen Locken aus,

Und küss' und hab' mich wieder!»

 

 

 

19

Jägerlied.

 

Zierlich ist des Vogels Tritt im Schnee,

Wenn er wandelt auf des Berges Höh':

Zierlicher schreibt Liebchens liebe Hand,

Schreibt ein Brieflein mir in ferne Land'.

 

5

In die Lüfte hoch ein Reiher steigt,

Dahin weder Pfeil noch Kugel fleugt:

Tausendmal so hoch und so geschwind

Die Gedanken treuer Liebe sind.

 

 

 

20

Schön-Rohtraut.

 

Wie heißt König Ringangs Töchterlein?

Rohtraut, Schön=Rohtraut.

Was thut sie denn den ganzen Tag,

Da sie wohl nicht spinnen und nähen mag?

5

Thut fischen und jagen.

O daß ich doch ihr Jäger wär'!

Fischen und jagen freute mich sehr.

– Schweig' stille, mein Herze!

 

Und über eine kleine Weil',

10

Rohtraut, Schön=Rohtraut,

So dient der Knab' auf Ringangs Schloß

In Jägertracht und hat ein Roß,

Mit Rohtraut zu jagen.

O daß ich doch ein Königssohn wär'!

15

Rohtraut, Schön=Rohtraut lieb' ich so sehr.

– Schweig' stille, mein Herze!

 

Einsmals sie ruhten am Eichenbaum,

Da lacht Schön=Rohtraut:

Was siehst mich an so wunniglich?

20

Wenn du das Herz hast, küsse mich!

Ach! erschrak der Knabe!

Doch denket er: mir ist's vergunnt,

Und küsset Schön=Rohtraut auf den Mund.

– Schweig' stille, mein Herze!

 

21

Darauf sie ritten schweigend heim,

Rohtraut, Schön=Rohtraut;

Es jauchzt der Knab' in seinem Sinn:

Und würd'st du heute Kaiserin,

Mich sollt's nicht kränken:

30

Ihr tausend Blätter im Walde wißt,

Ich hab Schön=Rohtrauts Mund geküßt!

– Schweig' stille, mein Herze!

 

 

 

22

Ein Stündlein wohl vor Tag.

 

Derweil ich schlafend lag,

Ein Stündlein wohl vor Tag,

Sang vor dem Fenster auf dem Baum

Ein Schwälblein mir, ich hört' es kaum,

5

Ein Stündlein wohl vor Tag:

 

Hör' an, was ich dir sag',

Dein Schätzlein ich verklag':

Derweil ich dieses singen thu',

Herzt er ein Lieb in guter Ruh,

10

Ein Stündlein wohl vor Tag.

 

O weh! nicht weiter sag'!

O still! nichts hören mag!

Flieg' ab, flieg' ab von meinem Baum!

– Ach, Lieb' und Treu ist wie ein Traum

15

Ein Stündlein wohl vor Tag.

 

 

 

23

Das verlassene Mägdlein.

 

Früh, wann die Hähne krähn,

Eh' die Sternlein verschwinden,

Muß ich am Herde stehn,

Muß Feuer zünden.

 

5

Schön ist der Flammen Schein,

Es springen die Funken;

Ich schaue so drein,

In Leid versunken.

 

Plötzlich, da kommt es mir,

10

Treuloser Knabe,

Daß ich die Nacht von dir

Geträumet habe.

 

Thräne auf Thräne dann

Stürzet hernieder;

15

So kommt der Tag heran, –

O ging' er wieder!

 

 

 

24

Storchenbotschaft.

 

Des Schäfers sein Haus und das steht auf zwei Rad,

Steht hoch auf der Heiden, so frühe, wie spat.

Und wenn nur ein Mancher so'n Nachtquartier hätt'!

Ein Schäfer tauscht nicht mit dem König sein Bett.

 

5

Und käm' ihm zu Nacht auch was Seltsames vor,

Er betet sein Sprüchel und legt sich auf's Ohr;

Ein Geistlein, ein Hexlein, so lustige Wicht',

Sie klopfen ihm wohl, doch er antwortet nicht.

 

Einmal doch, da ward es ihm wirklich zu bunt:

10

Es knopert am Laden, es winselt der Hund,

Nun ziehet mein Schäfer den Riegel – ei schau!

Da stehen zwei Störche, der Mann und die Frau.

 

Das Pärchen, es machet ein schön Kompliment,

Es möchte gern reden, ach, wenn es nur könnt'!

15

Was will mir das Ziefer? ist so was erhört?

Doch ist mir wohl fröhliche Botschaft bescheert.

 

Ihr seyd wohl dahinten zu Hause am Rhein?

Ihr habt wohl mein Mädel gebissen in's Bein?

Nun weinet das Kind und die Mutter noch mehr,

20

Sie wünschet den Herzallerliebsten sich her?

 

25

Und wünschet daneben die Taufe bestellt:

Ein Lämmlein, ein Würstlein, ein Beutelein Geld? –

So sagt nur, ich käm' in zwei Tag oder drei,

Und grüßt mir mein Bübel und rührt ihm den Brei!

 

25

Doch halt! warum stellt ihr zu Zweien euch ein?

Es werden doch, hoff' ich, nicht Zwillinge seyn? –

Da klappern die Störche im lustigsten Ton,

Sie nicken und knicksen und fliegen davon.

 

 

 

26

Die schlimme Greth und der Königssohn.

 

«Mein Vater ist ein Müller,

Ich bin sein einzig Kind;

Ich habe keinen Mühlbach hier,

Die Mühle treibt der Wind.

 

5

Die stangenlangen Flügel

Sie haspeln leere Luft:

Ich lebe von dem Winde leicht

und Regenbogenduft.»

 

«Mein Vater war ein König,

10

Ich bin sein einziger Sohn.

Dreimal verwünschet sey der Tag

An dem ich stieg zu Thron!

 

Es riß die rothe Fahn' vom Thurm

Die Windsbraut und ihr Troß,

15

Es that sich auf der Erden Grund,

Es fiel mein Königsschloß.

 

Da schrien die Priester Ach und Weh,

Mein Volk in Waffen stand,

Bei Nacht und Nebel mußt' ich fliehn

20

Aus meiner Väter Land.

 

27

Und drunten an dem Berge

Die Hütte dort ist mein,

Da liegt auch meine Krone,

Geschmuck und Edelstein.

 

25

Willt du meine Liebste heißen,

So sage, wie und wann,

An Tagen und in Nächten,

Ich zu dir kommen kann?» –

 

«Ich bind' eine güldne Pfeife

30

Wohl an den Flügel hin,

Daß sie sich helle hören läßt,

Wann ich daheime bin.

 

Doch wollt du bei mir wohnen,

Sollt mir willkommen seyn:

35

Mein Haus ist groß und weit mein Hof,

Da wohn ich ganz allein.» –

 

Der Königssohn ihr folget

Mit Freuden in ihr Haus;

Sie tischt ihm auf, sie spielet ihm

40

Die Zither fein zum Schmaus.

 

Und schaffet, was sein Herz begehrt,

Er fragt nicht lang woher;

Ein Küßlein sie ihm auch gewährt,

Doch weiter nimmermehr.

 

28

Einsmals da kam der Königssohn

Am Morgen von der Jagd,

Er sah gar scheu und bange drein,

Er sprach zu seiner Magd:

 

«Die Leute reden schlimm von dir,

50

Schatz, sey auf deiner Hut!

Sie thäten dich gern verderben

Du süßes junges Blut!» –

 

«Sie sagen, daß ich ein falsches Ding,

Daß ich eine Hexe sey?» –

55

«Ach, Liebste, ja so sprechen sie!

Eine Hexe, meiner Treu!

 

Das macht, du bist die Schönst' im Land,

Sie sind voll Gift und Neid;

O ihr beerschwarzen Augen, ihr

60

Seyd dennoch meine Freud'.

 

Und länger ruh' ich keinen Tag,

Bis daß ich König bin,

Und morgen zieh' ich auf die Fahrt:

Aufs Jahr bist du Königin!» –

 

65

Sie sieht ihn an so schelmisch,

Sie blickt ihn an so schlau:

«Du lügst in deinen Hals hinein,

Du willt keine Hex zur Frau!

 

29

Du willt dich von mir scheiden;

70

Das mag ja wohl geschehn:

Sollt aber von der schlimmen Greth

Noch erst ein Probstück sehn.» –

 

«Ach, Liebchen, ach, wie wallet hoch,

Dein schwarzes Ringelhaar!

75

Und rühret sich kein Lüftchen doch,

O sage, was es war?

 

Schon wieder, ach, und wieder!

Du lachest und mir graut:

Es singen deine Zöpfe ... Weh!

80

Du bist die Windesbraut!

 

Du rissest die Fahn' von meinem Thurm!

Mein Schloß verheerest du!» –

«O nein! die Fahne nahm ich zwar,

Dein Schloß ließ ich in Ruh';

 

85

Tief unter deinen Felsen hält

Mein Bruder Grabes rast,

Er bäumte sich im Schlafe nur,

Da stürzte dein Palast.

 

Und bin ich auch des Windes Braut,

90

Der Schaden ist nicht groß;

Komm, küsse mich! ich halte dich

Und lasse dich nimmer los!

 

30

O pfui, das ist ein schief Gesicht!

Du wirst ja kreideweiß!

95

Frisch, munter, Prinz! ich gebe dir

Mein bestes Stücklein preis.» –

 

Rührlöffel in der Küch' sie holt,

Rührlöffel ihrer zwei,

War jeder eine Elle lang,

100

Waren beide nagelneu.

 

«Was guckst du so erschrocken?

Denkst wohl, es gäbe Streich'?

Ach nein, Herzliebster, warte nur,

Dein Wunder siehst du gleich.»

 

105

Auf den obern Boden führt sie ihn:

«Schau, was ein weiter Platz!

Wie ausgeblasen, hübsch und rein!

Hie tanzen wir, mein Schatz.

 

Schau, was ein Nebel zieht am Berg!

110

Gib Acht, ich thu' ihn ein!»

Sie beugt sich aus dem Laden weit,

Die Geister zu bedräu'n;

 

Sie wirbelt über einander

Ihre Löffel so wunderlich,

115

Sie wickelt den Nebel und wickelt,

Und schmeißt ihn hinter sich.

 

31

Sie langt hervor ein Saitenspiel,

Sah wie ein Hackbret aus,

Sie rühret es nur leise,

120

Es zittert das ganze Haus.

 

«Theil dich, theil dich, du Wolkendunst!

Ihr Geister, geht herfür!

Lange Männer, lange Weiber, seyd

Hurtig zu Dienste mir!»

 

125

Da fangt es an zu kreisen,

Da wallet es hervor,

Lange Arme, lange Schleppen,

Und wieget sich im Chor.

 

«Faßt mir den dummen Jungen da!

130

Geschwinde wickelt ihn ein!

Er hat mein Herz gekränket schwer,

Das soll er mir bereun.»

 

Den Jüngling von dem Boden hebt's,

Es dreht ihn um und um,

135

Es trägt ihn als ein Wickelkind

Dreimal im Saal herum.

 

Margreth ein Wörtlein murmelt,

Klatscht in die Hand dazu:

Da fegt es wie ein Wirbelwind

140

Durch's Fenster fort im Nu.

 

32

Und fähret über die Berge,

Den Jüngling mitten inn',

Und fort bis wo der Pfeffer wächst –

O du Knabe, wie ist dir zu Sinn?

 

145

Und als er sich besonnen,

Lag er im grünen Gras,

Gar hoch auf einer Heiden,

Die Liebste bei ihm saß.

 

Ein Teppich ist gebreitet,

150

Köstlich gewirket, bunt,

Darauf ein lustig Essen

In blankem Silber stund.

 

Und als er sich die Augen reibt

Und schaut sich um und an,

155

Ist sie wie eine Prinzessin schön,

Wie ein Prinz er angethan.

 

Sie sieht ihn an so schelmisch,

Sie schenkt ihm lieblich ein,

Er will nicht weiter trinken,

160

Legt sich zur Buhlin sein.

 

Da ging es an ein Küssen,

Er kriegt nicht satt an ihr:

Fürwahr ihr güldner Gürtel wär'

Zu Schaden kommen schier.

 

33

«O Liebchen, schau, wie wallet hoch

Dein schwarzes Ringelhaar!

Warum mich so erschrecken jezt?

Nun ist meine Freude gar.» –

 

«Hu! meine Zöpfe sausen

170

Und singen wundersam –

Mir ist, ich müsse dich würgen,

Herzliebster Bräutigam!

 

Rück her! rück her! sey nicht so bang!

Nun sollt du erst noch sehn,

175

Wie lieblich meine Arme thun,

Komm, es ist gleich geschehn!» – –

 

Sie drückt ihn an die Brüste,

Der Athem wird ihm schwer,

Sie singt ein lustig Todtenlied

180

Und trägt ihn über das Meer.

 

 

 

34

Die Geister am Mummelsee.

 

Wechselgesang.

 

Vom Berge, was kommt dort um Mitternacht spät

Mit Fackeln so prächtig herunter?

Ob das wohl zum Tanze, zum Feste noch geht?

Mir klingen die Lieder so munter.

5

O nein!

So sage, was mag es wohl seyn?

 

Das, was du da siehest, ist Todtengeleit,

Und was du da hörest, sind Klagen,

Dem König, dem Zauberer, gilt es zu Leid,

10

Und Geister nur sind's, die ihn tragen.

Ach wohl!

Sie singen so traurig und hohl.

 

Sie schweben hernieder ins Mummelseethal,

Sie haben den See schon betreten,

15

Sie rühren und netzen den Fuß nicht einmal,

Sie schwirren in leisen Gebeten,

O schau,

Am Sarge die glänzende Frau!

 

35

Jezt öffnet der See das grünspiegelnde Thor;

20

Gib Acht, nun tauchen sie nieder!

Es schwankt eine lebende Treppe hervor,

Und – drunten schon summen die Lieder.

Hörst du?

Sie singen ihn unten zur Ruh.

 

25

Die Wasser, wie lieblich sie brennen und glühn!

Sie spielen in grünendem Feuer;

Es geisten die Nebel am Ufer dahin,

Zum Meere verzieht sich der Weiher –

Nur still!

30

Ob dort sich nichts rühren will?

 

Es zuckt in der Mitten – o Himmel! ach hilf!

Ich glaube, sie nahen, sie kommen!

Es orgelt im Rohr und es klirret im Schilf;

Nur hurtig, die Flucht nur genommen!

35

Davon!

Sie wittern, sie haschen mich schon!

 

 

 

36

Septembermorgen.

 

Im Nebel ruhet noch die Welt,

Noch träumen Wald und Wiesen:

Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,

Den blauen Himmel unverstellt,

5

Herbstkräftig die gedämpfte Welt

In warmem Golde fließen.

 

 

 

37

Er ist's.

 

Frühling läßt sein blaues Band

Wieder flattern durch die Lüfte,

Süße, wohlbekannte Düfte

Streifen ahnungsvoll das Land.

5

Veilchen träumen schon,

Wollen balde kommen.

– Horch, von fern ein leiser Harfenton!

Frühling, ja du bist's,

Frühling, ja du bist's!

10

Dich hab' ich vernommen!

 

 

 

38

Erstes Liebeslied eines Mädchens.

 

Was im Netze? Schau einmal!

Aber ich bin bange;

Greif' ich einen süßen Aal?

Greif ich eine Schlange?

 

5

Lieb' ist blinde

Fischerin;

Sagt dem Kinde,

Wo greift's hin?

 

Schon schnellt mir's in Händen!

10

Ach Jammer! o Lust!

Mit Schmiegen und Wenden

Mir schlüpft's an die Brust.

 

Es beißt sich, o Wunder!

Mir keck durch die Haut,

15

Schießt 's Herze hinunter,

O Liebe! mir graut!

 

Was thun, was beginnen?

Das schaurige Ding,

Es schnalzet da drinnen,

20

Es legt sich im Ring.

 

39

Gift muß ich haben!

Hier schleicht es herum,

Thut wonniglich graben

Und bringt mich noch um!

 

 

 

40

Liebesvorzeichen.

 

Ich stand am Morgen jüngst im Garten

Vor dem Granatbaum sinnend still;

Mir war, als müßt ich gleich erwarten,

Ob er die Knospe sprengen will.

 

5

Sie aber schien es nicht zu wissen,

Wie mächtig ihr die Fülle schwoll,

Und daß sie in den Feuerküssen

Des goldnen Tages brennen soll.

 

Und dort am Rasen lag Jorinde;

10

Wie schnell bin ich zum Gruß bereit,

Indeß sie sich nur erst geschwinde

Den Schlummer aus den Augen streut!

 

Dann leuchtet dieser Augen Schwärze

Mich an in Lieb' und guter Ruh,

15

Sie hört dem Muthwill meiner Scherze

Mit kindischem Verwundern zu.

 

Dazwischen dacht' ich wohl im Stillen:

Du gut und unerfahren Kind!

Die Lippen, die von Reife quillen,

20

Wie blöde noch und fromm gesinnt!

 

41

Fürwahr, sie schien es nicht zu wissen,

Wie mächtig ihr die Fülle schwoll,

Und daß sie in den Feuerküssen

Des wildsten Knaben brennen soll.

 

25

Still überlegt' ich auf und nieder,

Und ging so meiner Wege fort,

Doch schon der nächste Morgen wieder

Fand mich an dem Granatbaum dort.

 

Wer hat dem Baum in wenig Stunden

30

Ein solches Wunder angethan?

Die Flammenkrone aufgebunden?

Und was sagt mir dies Zeichen an?

 

Ich eile rasch den Gang hinunter,

Dort geht das Kind im Morgenstrahl,

35

Und bald, o Wunder über Wunder!

Wir küßten uns zum ersten Mal!

 

Nun trieb der Baum wohl Blüth' auf Blüthe

Frisch in die blaue Luft hinaus,

Und noch, seitdem er lang verglühte,

40

Ging uns das Küssen nimmer aus.

 

 

 

42

Nimmersatte Liebe.

 

So ist die Lieb! So ist die Lieb!

Mit Küssen nicht zu stillen;

Wer ist der Thor und will ein Sieb

Mit eitel Wasser füllen?

5

Und schöpf'st du an die tausend Jahr,

Und küssest ewig, ewig gar,

Du thust ihr nie zu Willen.

 

Die Lieb, die Lieb hat alle Stund

Neu wunderlich Gelüsten,

10

Wir bissen uns die Lippen wund,

Da wir uns heute küßten.

Das Mädchen hielt in guter Ruh,

Wie's Lämmlein unter'm Messer;

Ihr Auge bat: nur immer zu,

15

Je weher, desto besser!

 

So ist die Lieb, und war auch so,

Wie lang es Liebe gibt,

Und anders war Herr Salomo,

Der Weise, nicht verliebt.

 

 

 

43

Suschens Vogel.

 

Ich hatt' ein Vöglein, ach wie fein!

Kein schöners mag wohl nimmer seyn:

 

Hätt' auf der Brust ein Herzlein roth,

Und sung und sung sich schier zu todt.

 

5

Herzvogel mein, so wunderschön,

Jezt sollt du mit zu Markte gehn! –

 

Und da ich durch das Städtlein kam,

Er saß auf meiner Achsel zahm;

 

Und als ich ging am Haus vorbei

10

Des Knaben, dem ich brach die Treu,

 

Der Knab' just aus dem Fenster sah,

Mit seinem Finger schnalzt er da:

 

Wie horchet gleich mein Vogel auf!

Zum Knaben fliegt er husch! hinauf;

 

15

Der koset ihn so lieb und hold,

Ich wußt nicht, was ich machen sollt,

 

Und stund, im Herzen so erschreckt,

Mit Händen mein Gesichte deckt',

 

44

Und schlich davon und weinet sehr,

20

Mir war, als rief' es hinterher:

 

«Du falsche Maid, behüt' dich Gott,

Ich hab' doch wieder mein Herzlein roth!»

 

 

 

45

In der Frühe.

 

Kein Schlaf noch kühlt das Auge mir,

Dort gehet schon der Tag herfür

An meinem Kammerfenster.

Es wühlet mein verstörter Sinn

5

Noch zwischen Zweifeln her und hin

Und schaffet Nachtgespenster.

Aengste, quäle

Dich nicht länger, meine Seele!

Freu' dich! schon sind da und dorten

10

Morgenglocken wach geworden.

 

 

 

46

Im Frühling.

 

Hier lieg' ich auf dem Frühlingshügel;

Die Wolke wird mein Flügel,

Ein Vogel fliegt mir voraus.

Ach, sag mir, all=einzige Liebe,

5

Wo du bleibst, daß ich bei dir bliebe!

Doch du und die Lüfte, ihr habt kein Haus.

 

Der Sonnenblume gleich steht mein Gemüthe offen,

Sehnend,

Sich dehnend,

10

In Lieben und Hoffen.

Frühling, was bist du gewillt?

Wann werd' ich gestillt?

 

Die Wolke seh' ich wandeln und den Fluß,

Es dringt der Sonne goldner Kuß

15

Mir tief bis in's Geblüt hinein;

Die Augen, wunderbar berauschet,

Thun, als schliefen sie ein,

Nur noch das Ohr dem Ton der Biene lauschet.

Ich denke Dies und denke Das,

20

Ich sehne mich, und weiß nicht recht, nach was:

Halb ist es Lust, halb ist es Klage;

Mein Herz, o sage:

Was webst du für Erinnerung

In golden grüner Zweige Dämmerung?

25

– Alte unnennbare Tage!

 

 

 

47

Fußreise.

 

Am frischgeschnitt'nen Wanderstab

Wenn ich in der Frühe

So durch Wälder ziehe,

Hügel auf und ab:

5

Dann, wie's Vögelein im Laube

Singet und sich rührt,

Oder wie die goldne Traube

Wonnegeister spürt

In der ersten Morgensonne:

10

So fühlt auch mein alter, lieber

Adam Herbst- und Frühlingsfieber,

Gottbeherzte,

Nie verscherzte

Erstlings-Paradieseswonne.

 

15

Also bist du nicht so schlimm, o alter

Adam, wie die strengen Lehrer sagen;

Liebst und lobst du immer doch,

Singst und preisest immer noch,

Wie an ewig neuen Schöpfungstagen,

20

Deinen lieben Schöpfer und Erhalter.

 

Möcht' es Dieser geben,

Und mein ganzes Leben

Wär' im leichten Wanderschweiße

Eine solche Morgenreise!

 

 

 

48

Besuch in Urach.

 

Nur fast so wie im Traum ist mir's geschehen,

Daß ich in dies geliebte Thal verirrt;

Kein Wunder ist, was meine Augen sehen,

Doch schwankt der Boden, Luft und Staude schwirrt,

5

Aus tausend grünen Spiegeln scheint zu gehen

Vergang'ne Zeit, die lächelnd mich verwirrt,

Die Wahrheit selber wird hier zum Gedichte,

Mein eigen Bild ein fremd und hold Gesichte!

 

Da seyd ihr alle wieder aufgerichtet,

10

Besonnte Felsen, alte Wolkenstühle!

Auf Wäldern schwer, wo kaum der Mittag lichtet

Und Schatten mischt mit balsamreicher Schwüle;

Kennt ihr mich noch, der sonst hieher geflüchtet,

Im Moose, bei süß=schläferndem Gefühle,

15

Der Mücke Sumsen hier ein Ohr geliehen,

Ach, kennt ihr mich, und wollt nicht vor mir fliehen?

 

Hier wird ein Strauch, ein jeder Halm zur Schlinge,

Die mich in liebliche Betrachtung fängt;

Kein Mäuerchen, kein Holz ist so geringe,

20

Daß nicht mein Blick voll Wehmuth an ihm hängt;

Ein jedes spricht mir halbvergeßne Dinge,

Ich fühle, wie von Schmerz und Lust gedrängt

Die Thräne stockt, indeß ich ohne Weile,

Unschlüssig, satt und durstig, weiter eile.

 

49

Hinweg! und leite mich, du Schaar von Quellen,

Die ihr durchspielt der Matten grünes Gold!

Zeigt mir die ur=bemoosten Wasserzellen,

Aus denen euer ewigs Leben rollt,

Im kühnsten Walde die verwachs'nen Schwellen,

30

Wo eurer Mutter Kraft im Berge grollt,

Bis sie im breiten Schwung an Felsenwänden

Herabstürzt, euch im Thale zu versenden.

 

O hier ist's, wo Natur den Schleier reißt!

Sie bricht einmal ihr übermenschlich Schweigen:

35

Laut mit sich selber redend will ihr Geist,

Sich selbst vernehmend, sich ihm selber zeigen.

– Doch ach, sie bleibt, mehr als der Mensch, verwais't,

Darf nicht aus ihrem eignen Räthsel steigen!

Dir biet' ich denn, begier'ge Wassersäule,

40

Die nackte Brust, ach! ob sie dir sich theile!

 

Vergebens! und dein kühles Element

Tropft an mir ab, im Grase zu versinken.

Was ist's, das deine Seele von mir trennt?

Sie flieht, und möcht' ich auch in dir ertrinken!

45

Dich kränkt's nicht, wie mein Herz um dich entbrennt,

Küssest im Sturz nur diese schroffen Zinken;

Du bleibest, was du warst seit Tag und Jahren,

Ohn' ein'gen Schmerz der Zeiten zu erfahren.

 

Hinweg aus diesem üpp'gen Schattengrund

50

Voll großer Pracht, die drückend mich erschüttert!

Bald grüßt beruhigt mein verstummter Mund

Den schlichten Winkel, wo sonst halb verwittert

50

Die kleine Bank und wo das Hüttchen stund;

Erinn'rung reicht mit Lächeln die verbittert –

55

Bis zur Betäubung süßen Zauberschalen,

So trink' ich gierig die entzückten Qualen.

 

Hier schlang sich tausendmal ein junger Arm

Um meinen Hals mit inn'gem Wohlgefallen.

O säh' ich mich, als Knaben sonder Harm,

60

Wie einst, mit Necken durch die Haine wallen!

Ihr Hügel, von der alten Sonne warm,

Erscheint mir denn auf keinem von euch allen

Mein Ebenbild, in jugendlicher Frische

Hervorgesprungen aus dem Waldgebüsche?

 

65

O komm, enthülle dich! dann sollst du mir

Mit Freundlichkeit in's dunkle Auge schauen!

Noch immer, guter Knabe, gleich' ich dir,

Uns beiden wird nicht vor einander grauen!

So komm' und laß mich unaufhaltsam hier

70

Mich deinem reinen Busen anvertrauen! –

Umsonst, daß ich die Arme nach dir strecke,

Den Boden, wo du gingst, mit Küssen decke!

 

Hier will ich denn laut schluchzend liegen bleiben,

Fühllos, und Alles habe seinen Lauf! –

75

Mein Finger, matt, in's Gras beginnt zu schreiben:

Hin ist die Lust! hab' Alles seinen Lauf! –

Da, plötzlich, hör' ich's durch die Lüfte treiben,

Und ein entfernter Donner schreckt mich auf;

Elastisch angespannt mein ganzes Wesen

80

Ist von Gewitterluft wie neu genesen.

 

51

Sieh! wie die Wolken finstre Ballen schließen

Um den ehrwürd'gen Trotz der Burgruine!

Von Weitem schon hört man den alten Riesen,

Stumm harrt das Thal mit ungewisser Miene,

85

Der Kukuk nur ruft sein einförmig Grüßen

Versteckt aus unerforschter Wildniß Grüne, –

Jezt kracht die Wölbung, und verhallet lange,

Das wundervolle Schauspiel ist im Gange!

 

Ja nun, indeß mit hoher Feuerhelle

90

Der Blitz die Stirn und Wange mir verklärt,

Ruf' ich den lauten Segen in die grelle

Musik des Donners, die mein Wort bewährt:

O Thal! du meines Lebens andre Schwelle!

Du meiner tiefsten Kräfte stiller Herd!

95

Du meiner Liebe Wundernest! ich scheide,

Leb wohl! – und sey dein Engel mein Geleite!

 

 

 

52

An eine Aeolsharfe.

 

Tu semper urges flebilibus modis

Mysten ademptum: nec tibi Vespero

Surgente decedunt amores,

Nec rapidum fugiente Solem.

Hor. Od., 2, 9, 9ff.

 

Angelehnt an die Epheuwand

Dieser alten Terrasse,

Du, einer luftgebornen Muse

Geheimnißvolles Saitenspiel,

5

Fang' an,

Fange wieder an

Deine melodische Klage!

 

Ihr kommet, Winde, fern herüber,

Ach! von des Knaben,

10

Der mir so lieb war,

Frisch grünendem Hügel.

Und Frühlingsblüthen unterweges streifend,

Uebersättigt mit Wohlgerüchen,

Wie süß bedrängt ihr dies Herz!

15

Und säuselt her in die Saiten,

Angezogen von wohllautender Wehmuth,

Wachsend im Zug meiner Sehnsucht,

Und hinsterbend wieder.

 

Aber auf einmal,

20

Wie der Wind heftiger herstößt,

53

Ein holder Schrei der Harfe

Wiederholt, mir zu süßem Erschrecken,

Meiner Seele plötzliche Regung;

Und hier – die volle Rose streut, geschüttelt,

25

All ihre Blätter vor meine Füße!

 

 

 

54

Hochzeitlied.

 

Mit einem blauen Kornblumenkranze.

 

Nicht weit vom Dorf zwei Linden stehen,

Einsam, der Felder stille Hut,

Wo in der Sommernächte Wehen

Ein Hirte gern, ein Dichter, ruht.

 

5

Hell schwamm auf Duft und Nebelhülle

Des Mondes leiser Zaubertag,

Kaum unterbrach die süße Stille

Von fern bescheidner Wachtelschlag.

 

Und wie ich ruhig so in Mitten

10

All dieser Schönheit lag und sann,

Da kam mit leicht gehobnen Schritten

Ein göttlich Frauenbild heran.

 

Gewiß, es war der Musen eine,

Erschrocken merkt' ich's, lustbewegt;

15

Sie sezt sich zu mir an dem Raine,

Die Hand auf meinen Arm gelegt.

 

Und schüttelt lächelnd aus dem Kleide

Blaue Cyanen, Stern an Stern:

«Dich stört's nicht, wenn an deiner Seite

20

Ich heut' ein Kränzlein bände gern.

 

55

Nicht wahr, mit Schwärmen und mit Plaudern

Verbrächte gern mein Freund die Nacht?

Doch flecht' ich still, und ohne Zaudern

Sey du mir auf ein Lied bedacht!

 

25

Sieh, wo das Dörflein mit der Spitze

Des gelben Thurms herüberschaut,

Dort schlummert auf dem Elternsitze

Noch wenig Nächte eine Braut.

 

Sie schläft. Der Wange Rosen beben,

30

Wir beide ahnen wohl, wovon;

Um die halb offne Lippe schweben

Die Träume glühnder Küsse schon.

 

Nicht doch! mit lauten Herzensschlägen

Hört sie vielleicht der Glocken Klang,

35

Hört am Altar den Vatersegen

Und eines Engels Brautgesang.

 

Sieht unter Weinen sich umschlungen

Von Mutter=Lieb', von Schwester=Treu',

Das Herz, von Lust und Schmerz gedrungen,

40

Macht sich mit tausend Thränen frei.

 

Und alle diese sel'gen Träume,

Der nächste Morgen macht sie wahr;

Es stehen schon des Hauses Räume

Geschmückt für froher Gäste Schaar.

 

56

Hier aber, wo mit den Gespielen

Das Mädchen oft sich Veilchen las,

Vielleicht alleine mit Gefühlen

Der sehnsuchtsvollen Ahnung saß,

 

Hier, unterm Blick prophet'scher Sterne,

50

Weih' ich mit dir dies Fest voraus:

Tief schaut die Muse in die Ferne

Des bräutlichen Geschicks hinaus.

 

Wie golden winkt die neue Schwelle

Des Lebens jedem jungen Paar!

55

Doch weiß man, daß nicht stets so helle

Der Mittag wie der Morgen war.

 

Bei manchem lauten Hochzeitfeste

Schlich mit weissagendem Gemüth

Ich aus dem Kreis entzückter Gäste,

60

Und sang ein heimlich Trauerlied.

 

Heut aber seh' ich schöne Tage

Blühn in gedrängter Sternen=Saat,

Entschieden liegt schon auf der Wage,

Was dieses Paar vom Schicksal bat.

 

65

Hast, Liebchen, du der Jugend Blüthe,

Anmuth und Liebenswürdigkeit,

All deines Herzens lautre Güte

Kühn deinem Einzigen geweiht;

 

57

Läß'st du der Heimath Friedens=Auen,

70

So manch ein lang gewohntes Glück,

Um dir den eignen Herd zu bauen,

Halb wehmuthsvoll, halb froh zurück:

 

Getrost! so darf ich laut es zeugen,

Ein würdig Herz hast du gewählt;

75

Selbst böser Neid bekennt mit Schweigen,

Daß Nichts zu deinem Glücke fehlt.

 

Denn Heiterkeit und holde Sitte,

Wie Sommerluft, durchwehn dein Haus,

Und, goldbeschuht, mit leisem Tritte

80

Gehn Segensengel ein und aus.»

 

Die Muse schwieg, und ohne Säumen

Flocht sie nun mit geschäft'ger Hand,

Indeß zu anspruchlosen Reimen

Ich ihre Worte still verband.

 

85

Auf einmal hielt sie mir entgegen

Den fertigen Cyanenkranz,

Und sprach: «Bring's Ihr mit meinem Segen!»

Und schwand dahin im Nebelglanz.

 

Ich aber blieb noch lange lauschen,

90

Von Liebestrunkenheit bewegt,

Das Aehrenfeld begann zu rauschen,

Von Morgenschauern angeregt.

 

58

Und lichter ward's und immer lichter,

In mir und außer mir; da ging

95

Die Sonne auf, von der der Dichter

Den ersten Strahl für Euch empfing.

 

 

 

59

Jung Volker.

 

Gesang der Räuber.

 

Jung Volker, das ist unser Räuberhauptmann,

Mit Fidel und mit Flinte,

Damit er geigen und schießen kann,

Nachdem just Wetter und Winde.

5

Fidel und die Flint,

Fidel und die Flint!

Volker spielt auf.

 

Ich sah ihn hoch im Sonnenschein

Auf einem Hügel sitzen:

10

Da spielt er die Geig' und schluckt rothen Wein,

Seine blauen Augen ihm blitzen.

Fidel und die Flint,

Fidel und die Flint!

Volker spielt auf.

 

15

Auf einmal, er schleudert die Geig' in die Luft,

Auf einmal, er wirft sich zu Pferde;

Der Feind kommt! Da stößt er in's Pfeifchen und ruft:

«Brecht los, wie der Wolf in die Herde!»

Fidel und die Flint,

20

Fidel und die Flint!

Volker spielt auf.

 

 

 

60

Jung Volkers Lied.

 

Und die mich trug im Mutterleib,

Und die mich schwang im Kissen,

Die war ein schön frech braunes Weib,

Wollte nichts vom Mannsvolk wissen.

 

5

Sie scherzte nur und lachte laut,

Und ließ die Freier stehen:

Möcht' lieber seyn des Windes Braut,

Denn in die Ehe gehen!

 

Da kam der Wind, da nahm der Wind

10

Als Buhle sie gefangen:

Von dem hat sie ein lustig Kind

In ihren Schoos empfangen.

 

 

 

61

Maschinkas Lied.

 

Herz! und weißt du selber denn zu sagen,

Was dich drückt und quält?

Oder kann man so um Nichts verzagen?

Herz, ich habe schwer an dir zu tragen,

5

Schwer! Schwer!

Daß ich mit dir im Grabe wär'!

 

Die Geschwister kommen mich zu fragen,

Was mir immer fehlt?

O ich darf nicht wagen,

10

Die verweinten Augen aufzuschlagen,

Wenn ich denke, was du mir verhehlt!

Herz! ich habe schwer an dir zu tragen,

Schwer! Schwer!

Daß ich im Grabe wär'!

 

 

 

62

Mein Fluß.

 

O Fluß, mein Fluß im Morgenstrahl!

Empfange nun, empfange

Den sehnsuchtsvollen Leib einmal,

Und küsse Brust und Wange!

5

– Er fühlt mir schon herauf die Brust,

Er kühlt mit Liebesschauerlust

Und jauchzendem Gesange.

 

Es schlüpft der goldne Sonnenschein

In Tropfen an mir nieder,

10

Die Woge wieget aus und ein

Die hingegeb'nen Glieder;

Die Arme hab' ich ausgespannt,

Sie kommt auf mich herzugerannt,

Sie faßt und läßt mich wieder.

 

15

Du murmelst so, mein Fluß, warum?

Du trägst seit alten Tagen

Ein seltsam Mährchen mit dir um,

Und müh'st dich, es zu sagen;

Du eilst so sehr und läufst so sehr,

20

Als müßtest du im Land umher,

Man weiß nicht, wen? drum fragen.

 

Der Himmel, blau und kinderrein,

Worin die Wellen singen,

Der Himmel ist die Seele dein:

63

O laß mich ihn durchdringen!

Ich tauche mich mit Geist und Sinn

Durch die vertiefte Bläue hin,

Und kann sie nicht erschwingen!

 

Was ist so tief, so tief wie sie?

30

Die Liebe nur alleine.

Sie wird nicht satt und sättigt nie

Mit ihrem Wechselscheine.

– Schwill an, mein Fluß, und hebe dich!

Mit Grausen übergieße mich!

35

Mein Leben um das deine!

 

Du weisest schmeichelnd mich zurück

Zu deiner Blumenschwelle;

So trage denn allein dein Glück,

Und wieg' auf deiner Welle

40

Der Sonne Pracht, des Mondes Ruh,

Die lieben Sterne führe du

Zur ew'gen Mutterquelle!

 

 

 

64

Josephine

 

Das Hochamt war. Der Morgensonne Blick

Glomm wunderbar im süßen Weihrauchscheine;

Der Priester schwieg; nun brauste die Musik

Vom Chor herab zur Tiefe der Gemeine.

5

So stürzt ein sonnetrunkner Aar

Vom Himmel sich mit herrlichem Gefieder,

So läßt Jehovens Mantel unsichtbar

Sich stürmend aus den Wolken nieder.

 

Dazwischen hört' ich eine Stimme wehen,

10

Die sanft den Sturm der Chöre unterbrach;

Sie schmiegte sich mit schwesterlichem Flehen

Dem süß verwandten Ton der Flöte nach.

 

Wer ist's, der diese Himmelsklänge schickt?

Das Mädchen dort, das so bescheiden blickt.

15

Ich eile sachte auf die Galerie;

Zwar klopft mein Herz, doch tret' ich hinter sie.

 

Hier konnt' ich denn in unschuldsvoller Lust

Mit leiser Hand ihr festlich Kleid berühren,

Ich konnte still, ihr selber unbewußt,

20

Die nahe Regung ihres Wesens spüren.

 

65

Doch, welch ein Blick und welche Miene,

Als ich das Wort nun endlich nahm,

Und nun der Name Josephine

Mir herzlich auf die Lippen kam!

25

Welch zages Spiel die braunen Augen hatten!

Wie barg sich unterm tiefgesenkten Schatten

Der Wimper gern die ros'ge Schaam!

 

Und wie der Mund, der eben im Gesang

Die Gottheit noch auf seiner Schwelle hegte,

30

Sich von der Töne heil'gem Ueberschwang

Zu mir mit schlichter Rede herbewegte!

 

O dieser Ton – ich fühlt' es nur zu bald,

Schlich sich in's Herz und macht es tief erkranken;

Ich stehe wie ein Träumer in Gedanken,

35

Indeß die Orgel nun verhallt,

Die Sängerin vorüberwallt,

Die Kirche aufbricht und die Kerzen wanken.

 

 

 

66

Auf der Reise.

 

Zwischen süßem Schmerz,

Zwischen dumpfem Wohlbehagen

Sitz' ich nächtlich in dem Reisewagen,

Lasse mich so weit von dir, mein Herz,

5

Weit und immer weiter tragen.

 

Schweigend sitz' ich und allein,

Ich wiege mich in bunten Träumen,

Das muntre Posthorn klingt darein,

Es tanzt der liebe Mondenschein

10

Nach diesem Ton auf Quellen und auf Bäumen,

Sogar zu mir durch's enge Fensterlein.

 

Ich wünsche mir nun Dies und Das.

O könnt' ich jetzo durch ein Zauberglas

In's Goldgewebe deines Traumes blicken!

15

Vielleicht dann säh' ich wieder mit Entzücken

Dich in der Laube wohlbekannt,

Ich sähe Genofevens Hand

Auf deiner Schulter traulich liegen,

Am Ende säh' ich selber mich,

20

Halb keck und halb bescheidentlich,

An deine holde Wange schmiegen.

Doch nein! wie dürft' ich auch nur hoffen,

Daß jezt mein Schatten bei dir sey!

Ach, stünden deine Träume für mich offen,

25

Du winktest wohl auch wachend mich herbei!

 

 

 

67

Frage und Antwort.

 

Fragst du mich, woher die bange

Liebe mir zum Herzen kam,

Und warum ich ihr nicht lange

Schon den bittern Stachel nahm?

 

5

Sprich, warum mit Geisterschnelle

Wohl der Wind die Flügel rührt,

Und woher die süße Quelle

Die verborgnen Wasser führt?

 

Banne du auf seiner Fährte

10

Mir den Wind in vollem Lauf!

Halte mit der Zaubergerte

Du die süßen Quellen auf!

 

 

 

68

Heimweh.

 

Anders wird die Welt mit jedem Schritt,

Den ich weiter von der Liebsten mache;

Mein Herz, das will nicht weiter mit!

Hier scheint die Sonne kalt in's Land,

5

Hier deucht mir Alles unbekannt,

Sogar die Blumen am Bache!

Hat jede Sache

So fremd eine Miene, so falsch ein Gesicht.

Das Bächlein murmelt wohl und spricht:

10

Armer Knabe, komm' bei mir vorüber,

Siehst auch hier Vergißmeinnicht!

– Ja, die sind schön an jedem Ort,

Aber nicht wie dort.

Fort, nur fort!

15

Die Augen gehn mir über!

 

 

 

69

Nachts.

 

Wie süß der Nachtwind nun die Wiese streift,

Und klingend jezt den jungen Hain durchläuft!

Da noch der freche Tag verstummt,

Hört man der Erdenkräfte flüsterndes Gedränge,

5

Das aufwärts in die zärtlichen Gesänge

Der reingestimmten Lüfte summt.

 

Wie ein Gewebe zuckt die Luft manchmal,

Durchsicht'ger stets und leichter aufzuwehen,

Dazwischen hört man weiche Töne gehen

10

Von sel'gen Feen, die im Sternensaal

Beim Sphärenklang,

Und fleißig mit Gesang,

Silberne Spindeln hin und wieder drehen.

 

 

 

70

Die traurige Krönung.

 

Es war ein König Milesint,

Von dem will ich euch sagen:

Der meuchelte sein Bruders=Kind,

Wollte selbst die Krone tragen.

5

Die Krönung ward mit Prangen

Auf Liffey=Schloß begangen.

O Irland! Irland! warest du so blind?

 

Der König sizt um Mitternacht

Im öden Marmorsaale,

10

Er freut sich seiner neuen Pracht,

Beim einsamen Pokale;

Er spricht zu seinem Sohne:

«Noch einmal bring' die Krone!

Doch schau wer hat die Pforten aufgemacht?»

 

15

Da kommt ein seltsam Todtenspiel,

Ein Zug mit leisen Tritten,

Vermummte Gäste groß und viel,

Eine Krone schwankt in Mitten;

Es drängt sich durch die Pforte

20

Mit Flüstern ohne Worte;

Dem Könige, dem wird so geisterschwül.

 

Und aus der schwarzen Menge blickt

Ein Kind mit frischer Wunde,

Es lächelt sterbensweh und nickt,

25

Es macht im Saal die Runde,

71

Es trippelt zu dem Throne,

Es reichet eine Krone

Dem Könige, deß Herze tief erschrickt.

 

Darauf der Zug von dannen strich,

30

Von Morgenluft berauschet,

Die Kerzen flackern wunderlich,

Der Mond am Fenster lauschet;

Der Sohn mit Angst und Schweigen

Zum Vater thät sich neigen, –

35

Er neiget über eine Leiche sich.

 

 

 

72

Chor jüdischer Mädchen.

 

Aus einer unvollendeten Oper.

 

Wir fürchten uns nicht in des Königes Saale:

Er lud uns zum Mahle;

So sind wir nun da.

Eia la la! Eia la la!

5

Ist doch auch des Königs sein Töchterlein da!

 

Duftende Quellen

Springen im Saal,

Und wie Gazellen

Wir hüpfen um's Mahl.

 

10

Keine soll stocken im Tanz!

Schüttelt nur Locken und Kranz!

Lustig! im Taumel muthwilliger Tänze

Fliegen die Kränze,

Fliegt es mit Rosen und Bändern im Saal!

15

Eia la la! Eia la la! u. s. w.

 

 

 

73

Der Gärtner.

 

Auf ihrem Leib=Rößlein,

So weiß wie der Schnee,

Die schönste Prinzessin

Reit't durch die Allee.

 

5

Der Weg, den das Rößlein

Hintanzet so hold,

Der Sand, den ich streute,

Er blinket wie Gold!

 

Du rosenfarbs Hütlein,

10

Wohl auf und wohl ab!

O wirf eine Feder

Verstohlen herab!

 

Und willst du dagegen

Eine Blüthe von mir,

15

Nimm tausend für Eine,

Nimm alle dafür!

 

 

 

74

Lied vom Winde.

 

Sausewind, Brausewind!

Dort und hier!

Deine Heimath sage mir!

 

«Kindlein, wir fahren

5

Seit viel vielen Jahren

Durch die weit weite Welt,

Und möchten's erfragen,

Die Antwort erjagen,

Bei den Bergen, den Meeren,

10

Bei des Himmels klingenden Heeren,

Die wissen es nie.

Bist du klüger als sie,

Magst du es sagen.

– Fort, wohlauf!

15

Halt' uns nicht auf!

Kommen Andre nach, unsre Brüder,

Da frag wieder.»

 

Halt an! Gemach,

Eine kleine Frist!

20

Sagt, wo der Liebe Heimath ist,

Ihr Anfang, ihr Ende?

 

«Wer's nennen könnte!

Schelmisches Kind,

75

Lieb ist wie Wind,

25

Rasch und lebendig,

Ruhet nie,

Ewig ist sie,

Aber dein Schatz nicht beständig.

– Frisch, wohlauf!

30

Halt uns nicht auf!

Fort über Stoppel und Wälder und Wiesen!

Wenn ich dein Schätzchen seh',

Will ich es grüßen;

Kindlein – Ade!»

 

 

 

76

Agnes.

 

Rosenzeit! wie schnell vorbei,

Schnell vorbei,

Bist du doch gegangen!

Wär' mein Lieb nur blieben treu,

5

Blieben treu,

Sollte mir nicht bangen.

 

Um die Ernte wohlgemuth,

Wohlgemuth,

Schnitterinnen singen.

10

Aber, ach! mir kranken Blut,

Mir kranken Blut,

Will nichts mehr gelingen.

 

Schleiche so durch's Wiesenthal,

So durch's Thal,

15

Als im Traum verloren,

Nach dem Berg, da tausend Mal,

Tausend Mal

Er mir Treu geschworen.

 

Oben auf des Hügels Rand,

20

Abgewandt,

Wein' ich bei der Linde;

An dem Hut mein Rosenband,

Von seiner Hand,

Spielet in dem Winde.

 

 

 

77

Elfenlied.

 

Bei Nacht im Dorf der Wächter rief:

Elfe!

Ein ganz kleines Elfchen im Walde schlief,

Wohl um die Elfe;

5

Und meint, es rief ihm aus dem Thal

Bei seinem Namen die Nachtigall,

Oder Silpelit hätt' ihm gerufen.

Reibt sich der Elf die Augen aus,

Begibt sich vor sein Schneckenhaus,

10

Und ist als wie ein trunken Mann,

Sein Schläflein war nicht voll gethan,

Und humpelt also tippe tapp

Durch's Haselholz in's Thal hinab,

Schlupft an der Weinbergauer hin,

15

Daran viel Feuerwürmchen glühn:

«Was sind das helle Fensterlein?

Da drin wird eine Hochzeit seyn;

Die Kleinen sitzen beim Mahle,

Und treiben's in dem Saale,

20

Da guck' ich wohl ein wenig 'nein!»

– Pfui, stößt den Kopf an harten Stein!

Elfe, gelt, du hast genug?

Gukuk! Gukuk!

 

 

 

78

Mausfallen-Sprüchlein.

 

Das Kind geht dreimal um die Falle und spricht:

 

Muse=Mäuschen, stell dich ein

Heut Nacht bei Mondenschein!

Mach' aber die Thür fein hinter dir zu,

Hörst du?

5

Dabei hüte dein Schwänzchen!

Nach Tische singen wir

Nach Tische springen wir

Und machen ein Tänzchen:

Witt witt!

10

Meine alte Katze tanzt wahrscheinlich mit.

 

 

 

79

Die Schwestern.

 

Wir Schwestern zwei, wir schönen,

So gleich von Angesicht,

So gleicht kein Ei dem andern,

Kein Stern dem andern nicht.

 

5

Wir Schwestern zwei, wir schönen,

Wir haben lichtbraune Haar,

Und flichtst du sie in Einen Zopf,

Man kennt sie nicht fürwahr.

 

Wir Schwestern zwei, wir schönen,

10

Wir tragen gleich Gewand,

Spazieren auf dem Wiesenplan

Und singen Hand in Hand.

 

Wir Schwestern zwei, wir schönen,

Wir spinnen in die Wett',

15

Wir sitzen an Einer Kunkel,

Und schlafen in Einem Bett.

 

O Schwestern zwei, ihr schönen,

Wie hat sich das Blättchen gewend't!

Ihr liebet einerlei Liebchen –

20

Jezt hat das Liedel ein End'.

 

 

 

80

Des Schloßküpers Geister zu Tübingen.

 

Ballade, beim Weine zu singen.

 

In's alten Schloßwirths Garten

Da klingt schon viele Jahr kein Glas;

Kein Kegel fällt, keine Karten,

Wächst aber schön lang Gras.

 

5

Ich mutterseelalleine

Sazt' mich an einen langen Tisch;

Der Schloßwirth regt die Beine,

Vom Rothen bringt er frisch.

 

Und läßt sich zu mir nieder;

10

Von alten Zeiten red't man viel,

Man seufzet hin und wieder;

Der Schöpplein wird kein Ziel.

 

Da nun der Tag gegangen,

Der Schloßwirth sagt kein Wörtlein mehr;

15

Neun Lichter thät er langen,

Neun Stühle sezt er her.

 

Als wie zum größten Feste

Auftischt er, daß die Tafel kracht:

Was kämen noch für Gäste?

20

Ist doch schier Mitternacht!

 

81

Der Narr, was kann er wollen?

Er macht sich an die Kugelbahn,

Läßt eine Kugel rollen,

Ein Höllenlärm geht an.

 

25

Es fahren gar behende

Acht Kegel hinter'm Brett herauf,

Schrei'n: Hagel und kein Ende!

Wer Teufel weckt uns auf?

 

Und waren acht Studiosen,

30

Wohl aus der Zopf= und Puderzeit:

Rothe Röcklein, kurze Hosen,

Und ganz charmante Leut'.

 

Die sehen mit Ergetzen

Den edelen Karfunkelwein,

35

Gleich thäten sie sich letzen

Und zechen und juchhein.

 

Den Wirth erbaut das wenig;

Er sprach: Ihr Herren, wollt verzeihn:

Wo ist der Schoppenkönig?

40

Wann seyd Ihr denn zu Neun?

 

Ach Küper, lieber Küper!

Wie machest uns das Herze schwer!

Wohl funfzig Jahr und drüber

Begraben lieget er.

 

82

Gott hab' den Herren selig

Mit seiner rothen Habichtsnas'!

Regierete so fröhlich,

Kam Tags auf sieben Maß.

 

Einst thät er uns bescheiden,

50

Sprach: Männiglich kennt mein Gebot:

Den Gerstensaft zu meiden;

Man büßet's mit dem Tod.

 

Mit ein paar lausigen Dichtern

Traf man beim sauren Bier euch an,

55

Versteht sich, nudelnüchtern,

Wohl auf der Kugelbahn.

 

Kommt also her, ihr Lümmel!

– Er zog sein' Zauberstab herfür –

Wir stürzten wie vom Himmel –

60

Acht Kegel waren wir!

 

Jezt ging es an ein Hudeln,

Einen hölzern König man uns gab,

Doch schoß man nichts wie Pudel,

Da schafften sie uns ab. –

 

65

Nun dauert es nicht lange,

So zieht das Burschenvolk einmal

Auf's Schloß, mit wildem Sange,

Zum König in den Saal:

 

83

Wir woll'n dich Lands verweisen,

70

So du nicht schwörest ab den Wein;

Bierkönig sollt du heißen!

– Er aber saget: Nein;

 

Da habt ihr meine Krone!

An mir ist Hopfen und Malz verlor'n. –

75

So stieg er von dem Throne

In seinem edlen Zorn.

 

Für Kummer und für Grämen

Der Herre wurde krank und alt,

Zerfiele wie ein Schemen

80

Und holt der Tod ihn bald.

 

Mit Purpur ward gezieret

Sein Leichnam als ein König groß;

Ein tief Gewölb man führet

Zu Tüwingen im Schloß.

 

85

Vier schwarze Edelknaben

Sein' Becher trugen vor der Bahr';

Der ist mit ihm begraben,

War doch von Golde gar.

 

Damals ward prophezeiet:

90

Wenn nur erst hundert Jahr herum,

Da würd' der Thron erneuet

Vom alten Königthum.

 

84

So müssen wir halt warten,

Bis daß die Zeit erfüllet was;

95

Und in des Schloßwirths Garten

Derweil wächst langes Gras.

 

Ach Küper, lieber Küper,

Jezt geige du uns wieder heim!

Die Nacht ist schier vorüber:

100

Acht Kegel müssen wir seyn.

 

Der Schloßwirth nimmt die Geigen

Und streicht ein Deo gloria,

Sie tanzen einen Reigen

Und Keiner ist mehr da.

 

 

  

85

Romanze vom wahnsinnigen Feuerreiter*)

 

Sehet ihr am Fensterlein

Dort die rothe Mütze wieder?

Muß nicht geheuer seyn,

Denn er geht schon auf und nieder;

5

Und was für ein toll Gewühle

Plötzlich auf den Gassen schwillt!

Horch! das Jammerglöcklein grillt:

Hinter'm Berg, hinter'm Berg

Brennt's in einer Mühle!

 

10

Schaut! da sprengt er wüthend schier

Durch das Thor, der Feuerreiter,

Auf dem rippendürren Thier,

Als auf einer Feuerleiter!

86

Durch den Qualm und durch die Schwüle

15

Rennt er schon wie Windesbraut!

Aus der Stadt, da ruft es laut:

Hinter'm Berg, hinter'm Berg

Brennt's in einer Mühle!

 

Keine Stunde hielt es an,

20

Bis die Mühle borst in Trümmer;

Doch den wilden Reitersmann

Sah man von der Stunde nimmer;

Darauf stiller das Gewühle

Kehret wiederum nach Haus;

25

Auch das Glöcklein klinget aus:

Hinter'm Berg, hinter'm Berg

Brennt's! –

 

Nach der Zeit ein Müller fand

Ein Gerippe sammt der Mützen

30

Ruhig an der Kellerwand

Auf der beiner'n Mähre sitzen:

«Feuerreiter, wie so kühle

Reitest du in deinem Grab! »

Husch! da fällt's in Asche ab!

35

Ruhe wohl! Ruhe wohl

Drunten in der Mühle!

 

*) Ist aus dem Roman «Maler Nolten». In einer alten Stadt, so wird erzählt, habe im Giebeldache eines kleinen Hauses ein junger fremder Mann gewohnt, von dessen Lebensweise Niemand näher wußte, der sich Jahr aus, Jahr ein auch niemals habe blicken lassen, außer – nach dem Volksglauben – regelmäßig vor dem Ausbruch einer Feuersbrunst. Dann sah man ihn in einer scharlachrothen, netzartigen Mütze unruhig am kleinen Fenster auf und nieder gehen, zum sichern Vorzeichen des nahe drohenden Unglücks. Mit dem ersten Feuerlärmen kam er auf einem magern Klepper unten aus dem Stalle hervorgesprengt und nahm pfeilschnell, unfehlbar seinen Lauf nach dem Orte des Brandes.

 

 

 

87

Erzengel Michaels Feder.

 

Frau Marie Niethammer, geb. Kerner, gewidmet.

 

I.

 

Weil schon vor so viel hundert Jahren,

Da unsre Väter noch Heiden waren,

Unser geliebtes Schwabenland

So lustig wie ein Garten stand,

5

So sah der Teufel auch einmal

Vom Michelsberg in's Maienthal

Und auf das weit bebaute Feld.

Er sprach: das ist ja wohlbestellt;

Hier blüht, wie einst im Paradies,

10

Der Apfelbaum und schmeckt so süß!

Wir wollen dieses Gartens pflegen,

Und soll sich erst kein Pfaff drein legen!

– Solch Frevelwort des Satans hört

Der Herr im Himmel ungestört,

15

War aber gar nicht sehr ergezt,

Daß sich der Bock zum Gärtner sezt.

Er sandte Bonifazium

Damals im deutschen Reich herum,

Daß er, des heiligen Geistes voll,

20

Den himmlischen Weinstock pflanzen soll;

So rückt er nun auch zum Michelsberg.

Das kam dem Satan überzwerch,

Thät ihm sogleich den Weg verrennen,

Ließ den Boden wie Schwefel brennen,

88

Hüllet mit Dampf und Wetterschein

Das ganze Revier höchst grausam ein,

Ging selber auf den Heiligen los,

Der stand aller irdischen Waffen bloß,

Die Hände sein zum Himmel kehrt,

30

Rief: Starker Gott! leih mir ein Schwert!

Da zückt herab, wie ein Donnerstreich,

Erzengel Michael sogleich.

Sein Flügel und sein Fußtritt dämpft

Das Feuer schnell, er ficht und kämpft,

35

Und würgt den Schwarzen blau und grün,

Der hätte schier nach Gott geschrien;

Schmeißt ihn der Engel auch alsbald

Kopfunter in den Höllenspalt,

Schließt sich der Boden eilend zu,

40

Da war's auf Erden wieder Ruh,

Die Lüfte flossen leicht und rein,

Der Engel sah wie Sonnenschein.

Unser Heiliger bedankt sich sehr,

Möcht' aber noch ein Wörtlein mehr

45

Mit dem Patronen gern verkehren;

Deß wollte Jener sich erwehren,

Sprach: Jetzo hab' ich keine Zeit.

Da ging Herr Bonifaz so weit,

Daß er ihn faßt an seiner Schwingen,

50

Der Engel ließ sich doch nicht zwingen,

War wie ein Morgenrauch entschlüpft.

Der Mann Gottes stund sehr verblüfft.

Ihm war, wie er mit dem Erzengel rang,

Eine Feder, gülden, schön und lang

89

Aus dem Fittig in der Hand geblieben.

Jezt thät er sie in Mantel schieben,

Ging eine Strecke fort und sann:

Was fang ich mit der Feder an?

 

Nun aber auf des Berges Rand

60

Ein kleiner Heidentempel stand,

Noch in der lezten Römerzeit

Luna, der Mondsgöttin, geweiht,

Von Trephon, dem Feldhauptmann.

Da nahm Bonifaz ein Aergerniß dran,

65

Ließ also das Bethaus gleich fegen und lichten,

Zur christlichen Kapell herrichten,

Und weihte sie auch auf der Stell'

Dem theuren Erzengel Michael.

Sein Bild, über'n Altar gestellt,

70

Mit der rechten Hand die Feder hält,

Die dann bei mancher Pilgerfahrt,

Noch bis heute, hochverehret ward.

 

Zu guter Lezt ich melden will:

Da bei dem Berg liegt auch Tripstrill,

75

Wo, wie ihr ohne Zweifel wißt,

Die berühmte Pelzmühl' ist.

 

 

90

II.

 

Es war ein Kaufherr zu Heilbronn,

Fürwahr ein halber Salomon;

Mit seinen Thalern hätt' man mögen

Den Markt wohl zwiefach pflästern und legen;

5

Zwar seines Glaubens nur ein Jüd,

Jedoch ein ächt und fromm Gemüth,

Machte manchen Christenbettler satt.

Er hatte drei Häuser in der Stadt,

Indeß er selbst das ganze Jahr,

10

Oft über Meer, verreiset war.

Weil aber in guter Christen Mitte,

Sein Volk damals viel Tort erlitte,

Ließ Herr Aaron seiner Frauen

Auf dem Land ein Schlößlein bauen,

15

Ringsum mit Wiesen, See und Wald,

Zur Sommerszeit ein Aufenthalt.

Zu all dem sah sein jung Gemahl

Nur wie das Klagweib im Hochzeitssaal:

Ging weder fischen, weder jagen,

20

Ließ sich auch nicht vom Maulthier tragen

Durch Berg und Wald, das Dorf entlang,

Wollte kein Saitenspiel, noch Gesang:

Denn ihr einzig Kind, ein Mägdlein zart,

Wie ein Fürstenblut so schön von Art,

25

War leider taub und stumm geboren,

Auch Kunst und Hoffnung ganz verloren.

 

Als nun das Mägdlein endlich groß

Gleich einer Lilien aufschoß,

91

Ging es und ritte manches Mal

30

Ohne Diener durch's Wiesenthal.

Dann sprachen die Leute insgemein:

«Seht da, des Sultans Töchterlein!»

War weiß von Haut und schwarz von Haar,

Mit Ringeln deckt's den Nacken gar.

35

Ihr Auge gab so edlen Glanz,

Sah munter drein beim Schäfertanz;

Ihr rother Mund zwar red'te nicht,

Konnt' aber lachen inniglich.

 

Einsmals schön Rahel saß allein

40

Beim Birkenwald am grünen Rain,

Dacht' einem Traumgesichte nach,

Darin ihr Gott der Herr versprach,

Treu und wahrhaft, durch Engelsmund:

Sie sollte werden ganz gesund,

45

Wenn sie ihm thäte Dies und Das –

Sie wußte leider nicht mehr Was?

Hätt' sie's gewußt, sie könnt's nicht sagen,

Müßt' es ewig bei ihr selbsten tragen.

Das fiel ihr nun aufs Herz so schwer,

50

Daß sie seufzet laut und weinet sehr.

 

Nun kam den Pfad ein Büblein her,

Dem war die Rahel wohlgesinnt,

Es war des Juden Pächters Kind,

Kam von der Synagoge warm,

55

Hatt' Buch und Täflein unter'm Arm.

92

Sie macht ihm Platz an ihrer Rechten,

Lehrt ihm ein lustig Kränzlein flechten,

Am Bach da hatt's der Blumen viel;

Der Tag war aber gar zu schwül:

60

Der Knabe nickt, dann schläft er ein,

Schön Rahel sizt für sich allein.

 

Sie kriegt des Knaben Buch zur Hand,

Davon sie leider nichts verstand,

Sie nimmt das Täflein auf den Schoos,

65

Da wurden ihr die Thränen los.

Mit Händen deckt sie ihr Gesicht,

Sie bet't im Stillen und weiß es nicht.

 

Und wie sie wieder aufgeblickt,

Ein frisches Aug ins Blaue schickt, –

70

Vom Michelsberg was blinkt so hell,

Als wie das Kreuz auf der Kapell?

Streicht es nicht durch die Luft daher?

Kommt es nicht nah und immer mehr?

Ein Vogel, ei! ein Schwälblein hold!

75

Im Schnabel hat's ein klares Gold.

Der Jungfrau legt's, o Wunder, sieh!

Eine güldne Feder auf ihr Knie,

Fliegt auf den nächsten Erlenbaum:

Der Jungfrau ist es als ein Traum.

80

Wie wird es ihr im Geist so licht!

Sie weiß ihr ganzes Traumgesicht!

Ihr klinget, was der Engel sprach,

Hell, wie Gesang, im Herzen nach.

93

Im Taumelsinn, in seliger Hast,

85

Hat sie den güldnen Kiel gefaßt:

Er lebt und schreibt, kaum hält sie ihn

So rasch geht's über's Täflein hin,

Mit goldiger Hebräer=Schrift

(Wohl feiner denn mit Schiefer=Stift!):

90

«Schön Rahel! Friede sey mit dir!

Der ewig' Vater grüßt dich hier,

Will lösen deiner Zunge Band,

Aufthun dein Ohr mit seiner Hand,

So du mit Vater und Mutter dein

95

Dem Heiland willt zu eigen seyn.»

 

Die Feder ruht; das Schwälblein keck

Fliegt ab dem Baum und nimmt sie weg,

Und auf und fort in einem Nu,

Dem Michelsberg da wieder zu.

 

100

Indessen war der Knab erwacht,

Nahm auch das Wunder wohl in Acht.

Die Jungfrau winket ihm aufzustehn,

Alle Beide stumm nach Hause gehn.

Wie sie noch wenig Schritt vom Hofe,

105

Entgegen rennet schon die Zofe,

Bedeutend, daß der Vater kommen.

Von tausend Freuden übernommen

Es eilet das glückselig Kind

Ins Haus noch zehnmal so geschwind.

110

Herr Aaron stund just in der Thür,

Faßt sie in Arm, sie zittert schier,

94

Und Thränen, so sonst nicht sein' Art,

Ihm mächtig tropfen in den Bart.

Sie dringet ihm das Täflein auf,

115

Dann eilet sie in Einem Lauf,

Holt ihre Mutter in den Saal,

Herzet und küßt sie tausendmal,

Winket des Pächters Kind herbei,

Das saget, was geschehen, frei.

120

Der Alte liest und staunt und schweigt,

Seiner Frauen dar das Wunder reicht,

Und murmelt für sich unbewußt;

Schlägt dann laut an seine Brust,

Und ruft: «Dein Knecht, Herr, ist nicht werth,

125

Daß ihm so Großes widerfährt!

Ich seufzet' oft in Nächten tief

Nach deines Sohnes Heil und rief;

Doch Zweifels Angst und Spott der Welt

Hat mir so theures Licht verstellt:

130

Ich war verstocket, taub und blind:

Muß mich noch retten mein armes Kind!

Dafür sey Preis und Ehre dein!

Laß mich jezt auch der Erste seyn,

So brünstig dir, Herr Jesu Christ,

135

Weh! die durchgrabnen Füße küßt!

Und wie, zu deinem Stern gewandt,

Drei Könige aus Morgenland

Dir brachten Myrrhen, Weihrauch, Gold:

Vergönne, daß dein Knecht dir zollt,

140

Was Alles du seit so viel Jahren

Durch ihn der Kirche wollen sparen!

95

– O du, an deines Sohnes Seite,

Vertritt uns Mutter, benedeyte!»

 

So sprach Herr Aaron jenen Tag;

145

Hört an, was weiter werden mag.

Zu Pfingsten, früh vor Tage schon,

Zieht, groß und lang, eine Prozession

Mit hellen Kerzen ohne Zahl

Langsam dahin durch's grüne Thal,

150

Söhne und Töchter Israel,

Zum Berg des Engels Michael.

 

Zuvorderst thät Herr Aaron gehn

Mit seiner Frauen und Rahel schön;

Kam hierauf seine Dienerschaft,

155

Lobpreisend Gottes Wunderkraft,

Aber zulezt, in langen Reihn,

An die zweihundert seiner Gemein:

Die kamen nicht, zu sehn und zu gaffen,

Sondern geschlagen von Gottes Waffen,

160

Wollten sich alle taufen lassen.

Das Kirchlein nicht ein Drittel faßt

Der Meng', so an den Pforten paßt.

 

Jetzo die Orgel hell erklingt,

Man freudig Hallelujah singt.

165

Dann, voller Demuth, holder Sitte,

Schön Rahel vor den Taufstein schritte.

Ihr Haupt gebeuget und ihr Knie,

Empfänget Bad und Segen sie.

96

Und als der Priester feierlich

170

Sprach: Gotteskind, ich taufe dich,

So jetzo Dorothea heißt,

Auf Vater, Sohn und Heiligen Geist: –

Glaubst du an des Dreieinigen Namen?

Schön Dorothe' sprach: Ja und Amen.

 

 

 

97

Idylle.

 

An J. M.

 

Unter die Eiche gestreckt, im jung belaubten Gehölze

Lag ich, ein Büchlein vor mir, das mir das lieblichste bleibt;

Jene Mährchen erzählt's, von der Gänsemagd und von dem Fischer,

Von dem Machandelboom; wahrlich man wird sie nicht satt.

5

Grünlicher Maienschein warf mir geringelte Lichter

Auf's beschattete Buch, neckische Bilder zum Text.

Ferne hör' ich die Holzaxt fallen, ich höre den Gukuk

Und es lispelt ein Bach wenige Schritte vor mir.

Mährchenhaft fühl' ich mich selbst, mit aufgeschlossenen Sinnen

10

Seh' ich, wie helle! den Wald, ruft mir der Gukuk, wie fremd!

Plötzlich rauscht es im Laub, – wird doch Sneewittchen nicht kommen,

Oder, bezaubert, ein Reh? Nicht doch, kein Wunder geschieht;

Siehe, mein Nachbarskind aus dem Dorf, mein artiges Schätzchen!

Müßig lief es in Wald, weil es den Vater dort weiß.

15

Ehrbar setzet es sich an meine Seite, vertraulich

Plaudern wir Dieses und Das, und ich erzähle sofort

98

Gar ausführlich die Leiden des unvergleichlichen Mädchens,

Dem von der Mutter Hand dreimal der Tod schon gedroht.

Denn die Eitle, die Königin, haßte sie, weil sie so schön war,

20

Grimmig, da mußte sie fliehn, wohnte bei Zwergen sich ein.

Aber die Königin findet sie bald; sie klopfet am Hause,

Bietet, als Krämerin, schlau, lockende Waare zu Kauf.

Arglos öffnet das Kind, den Rath der Zwerge vergessend,

Und das Liebchen empfängt, ach! den vergifteten Kamm.

25

Welch ein Jammer, da nun die Kleinen zu Hause gekommen!

Welcher Künste bedarf's, bis die Erstarrte erwacht!

Doch zum zweiten Mal kommt, zum dritten Male, verkleidet,

Die Verderberin, leicht hat sie das Mädchen beschwazt,

Schnürt in das zierliche Leibchen sie ein, den Athem erstickend

30

In dem Busen; zuletzt bringt sie die tödtliche Frucht.

Nun ist alle Hülfe umsonst; wie weinen die Zwerge!

Ein krystallener Sarg schließet die Aermste nun ein,

Frei gestellt auf dem Berg, ein Anblick allen Gestirnen,

Unverwelklich ruht innen die süße Gestalt.

35

– So weit war ich gekommen, da drang aus dem nächsten Gebüsche,

Hinter mir Nachtigallschlag herrlich auf Einmal hervor,

Troff wie Honig durch das Gezweig und sprühte wie Feuer

Zackige Töne, mir traf freudig ein Schauer das Herz,

Wie wenn der Göttinnen Eine, vorüberfliehend, dem Dichter

40

Durch ambrosischen Duft ihre Begegnung verräth.

99

Leider verstummte die Sängerin bald, ich horchte noch lange,

Doch vergebens, und so bracht' ich mein Mährchen zum Schluß. –

Jetzo deutet das Kind und ruft: «Margrete! da kommt sie!

In dem Korb, siehst du, bringt sie dem Vater die Milch!»

45

Durch die Lücke sogleich erkannt' ich die ältere Schwester;

Von der Wiese herauf beugt nach dem Walde sie ein,

Rüstig, die bräunliche Dirne; ihr brennt auf der Wange der Mittag;

Gern erschreckten wir sie, aber sie grüßet bereits.

«Haltet's mit, wenn Ihr mögt! es ist heiß, da mißt man die Suppe

50

Und den Braten zur Noth, fett ist und kühle mein Mahl.»

Und ich sträubte mich nicht, wir folgten dem Schalle der Holzaxt;

Statt des Kindes wie gern hätt' ich die Schwester geführt!

 

– Freund! du ehrest die Muse, die jene Mährchen vor Alters

Wohl zu Tausenden sang; aber nun schweiget sie längst,

55

Die am Winterkamin, bei der Schusterbank, oder am Webstuhl

Dichtendem Volkswitz oft köstliche Nahrung gereicht.

Das Unmögliche war ihr Feld;leichtfertig verknüpft sie

Das Entfernteste, reicht lustig dem Blöden den Preis.

Sind drei Wünsche erlaubt: ihr Held wird das Albernste wählen;

60

Ihr zu Ehren sey dir nun das Geständniß gethan,

100

Wie an der Seite der Dirne, der vielgesprächigen, sachte

Im bewegten Gemüth brünstig der Wunsch mich beschlich:

Wär' ich ein Jäger, ein Hirt, wär' ich ein Bauer geboren,

Trüg' ich Knüttel und Beil, wärst, Margarete, mein Weib!

65

Nie da beklagt' ich die Hitze des Tags, ich wollte mich herzlich

Auch der rauheren Kost, wenn du sie brächtest, erfreun.

O wie herrlich würde mir jeder Morgen begegnen,

Und das Abendroth über dem reifenden Feld!

Balsam würde mein Blut im frischen Kusse des Weibes,

70

Kraftvoll blühte mein Haus, doppelt, in Kindern empor.

Aber im Winter, zu Nacht, am Ofen und auf der Schnitzbank

Rief' ich, o Muse, dich auch, mährchenerfindende, an!

 

 

 

101

Akme und Septimius.

 

Nach Catull.

 

Akme, seine Geliebte, auf dem Schoose

Haltend, sagte Septimius: «Meine Akme!

Uebermäßig hab ich dich lieb und will auch

Jahr für Jahr dich beständig also lieben,

5

So arg wie nur ein Mensch jemals im Stand ist;

Sieh, sonst mag mir's geschehn, daß ich, ganz einsam,

Sey's in Libyen, sey's im heißen Inder=

Land, dem tödtlichen Blick des Leu'n begegne!»

Wie er dieses gesagt, nies't Amor, herzlich

10

Es bekräftigend (sonst war er ihm abhold).

Akme, rückwärts ihr Köpfchen leicht gebogen,

Und die trunkenen Augen ihres süßen

Knaben küssend mit jenem Purpurmunde,

Sprach: «Mein Leben! o du mein Septiminchen!

15

Künftig dienen wir diesem Herrn alleine,

Ich, wie du, – so gewiß als mir noch weit ein

Heißer Feuer im zarten Marke glühet!»

Wie sie dieses gesagt, nies't Amor, herzlich

Es bekräftigend (sonst war er ihr abhold).

20

Auf so günstige Zeichen nunmehr bauend

Tauschen Beide von Herzen Lieb' um Liebe.

Nur in Akme allein lebt noch Septimius,

102

Die ihm theurer als Syrien und Britannien,

Nur Septimius widmet Akme treulich

25

All' ihr Süßes und alle Liebeswonnen.

Kein glückseliger Paar hat man gesehen,

Keine Liebe, so schön vom Gott besiegelt!

 

 

 

103

Lose Waare.

 

«Tinte! Tinte kauft ab! Schön schwarze Tinte verkauf ich:»

Rief ein Büblein gar hell Straßen hinauf und hinab.

Lachend traf sein feuriger Blick mich oben im Fenster,

Eh' ich mich's irgend versah, huscht er ins Zimmer herein.

5

Knabe, dich rief Niemand! – «Herr! meine Waare versucht nur!»

Und sein Fäßchen behend schwang er vom Rücken herum.

Da verschob sich das halbzerrissene Jäckchen ein wenig

An der Schulter und hell schimmert ein Flügel hervor.

Ei, laß sehen, mein Sohn! du führst auch Federn im Handel?

10

Amor, verkleideter Schelm! soll ich dich rupfen sogleich?»

Und er lächelt, entlarvt und legt auf die Lippen den Finger:

«Stille! sie sind nicht verzollt – stört die Geschäfte mir nicht!

Gebt das Gefäß, ich füll' es umsonst, und bleiben wir Freunde!»

Dies gesagt und gethan, schlüpft er zur Thüre hinaus. –

15

Angeführt hat er mich doch: denn will ich was Nützliches schreiben,

Gleich wird ein Liebesbrief, gleich ein Erotikon draus.

 

 

 

104

Die Herbstfeier.

 

Auf! im traubenschwersten Thale

Stellt ein Fest des Bacchus an!

Becher her und Opferschale!

Und des Gottes Bild voran!

5

Flöte mit Gesang verkünde

Gleich des Tages letzten Rest,

Mit dem Abendstern entzünde

Sich auch unser Freudenfest!

 

Braune Männer, schöne Frauen

10

Soll man hier versammelt seh'n,

Greise auch, die ehrengrauen,

Dürfen nicht von ferne steh'n;

Knaben, so die Krüge füllen,

Und, daß er vollkommen sey,

15

Treten zögernd auch die stillen

Mädchen unserm Kranze bei.

 

Noch ist vor der nahen Feier

Süß beklommen manche Brust,

Aber weiter bald und freier

20

Uebergibt sie sich der Lust.

Thaut euch nicht wie Frühlingsregen

Lieblicher Gedankenschwarm?

Erdenleben, laß dich hegen,

Uns ist wohl in deinem Arm!

 

105

Wahrlich und schon mit Entzücken

Ist der Gott im vollen Lauf,

Schließt vor den erwärmten Blicken

Seine goldnen Himmel auf.

Amor auch hat nichts dawider,

30

Wenn sich Wang' an Wange neigt,

Und der Mund, im Takt der Lieder,

Sich dem Mund entgegen beugt.

 

Mädchen! schlingt die wildsten Tänze!

Reißt nur euren Kranz entzwei!

35

Ohne Furcht, denn solche Kränze

Flicht man immer wieder neu;

Doch den andern, den ich meine,

Nehmt, ihr Zärtlichen, in Acht!

Und zumal im Mondenscheine,

40

Und zumal in solcher Nacht.

 

Laßt mir doch den Alten machen,

Der sich dort zum Korbe bückt

Und den Krug mit hellem Lachen

Kindisch an die Wange drückt!

45

Wie sein kleiner Sohn geschäftig

Sorge um den Zecher trägt

Und ihm mit der Fackel kräftig

Den gekrümmten Rücken schlägt!

 

Aber schaut nach dem Gebüsche,

50

Wo gedrungner Efeu webt,

Wie sich dort das träumerische

Marmorbild des Gottes hebt!

106

Lasset uns ihm näher treten,

Schließt mit Fackeln einen Kreis!

55

Flehet zu ihm in Gebeten,

Doch geheimnißvoll und leis'.

 

Wie er lächelnd abwärts blicket!

Er besinnet sich nur kaum.

Herrlicher! dein Auge nicket,

60

Doch dies Alles ist kein Traum;

Luna sucht mit frommer Leuchte

Dich, o schöner Jüngling, hier,

Schöpfet zärtlich ihre feuchte

Klarheit auf die Stirne dir.

 

65

Wie der Menschen, so der Götter

Liebster Liebling heißest du:

Selber Zeus rief seinem Retter

Herzliches Willkommen zu;

Dumpf ist des Olympus Dröhnen,

70

Aber wie melodisch Gold

Muß sein starres Erz ertönen,

Wenn dein Thyrsus auf ihm rollt.

 

Und eh Mars im Kriegerschwarme

Sich zur Ebne niederläßt,

75

Schließet er in seine Arme

Dich, wie die Geliebte, fest,

Fühlet nun an Göttermarke

Sich gedoppelt einen Gott,

Und es brüllt der Himmlisch=Arge

80

Todeslust und Siegerspott.

 

107

Wie dir Alle dienen müssen,

Schmiegt auch Eros' hohe Macht

Leise todt sich dir zu Füßen,

Oder schauert auf und wacht.

85

Und Apollo mit der Leyer

Rufet Welt und Sternenbahn

Gern aus dem verklärten Feuer

Deines holden Wahnes an.

 

Herr! wie müssen wir dich loben?

90

Soll mit wild geschlagner Brust

Die Mänade um dich toben?

Fluchst du unsrer keuschen Lust?

Gib, o Fürst, gib uns ein Zeichen,

Daß wir deine Kinder sey'n!

95

Wunderthäter ohne Gleichen,

Laß ein Wunder uns erfreun!

 

Tritt in unsre bunte Mitte,

Oder winke mit der Hand,

Wandle drei gemess'ne Schritte

100

Längs der hohen Rebenwand!

– Ach, er läßt sich nicht bewegen.

Aber, horcht, es bebt das Thal!

Ja, das ist von Donnerschlägen:

Horch, und schon zum dritten Mal!

 

105

Selber Zeus hat nun geschworen,

Daß sein Sohn uns günstig sey

So ist kein Gebet verloren,

So ist der Olymp getreu.

108

– Doch nach solcher Götterfülle

110

Ungestümem Ueberschwang

Werden alle Herzen stille,

Alle Gäste zauberbang.

 

Stimmet an die letzten Lieder!

Und so, Paar an Paar gereiht,

115

Steiget nun zum Fluß hernieder,

Wo ein festlich Schiff bereit.

Auf dem vordern Rand erhebe

Sich der Gott und führ' uns an,

Und der Kiel, mit Flüstern, schwebe

120

Durch die mondbeglänzte Bahn!

 

 

 

109

Lied eines Verliebten.

 

In aller Früh', ach, lang vor Tag,

Weckt mich mein Herz, an dich zu denken,

Da doch gesunde Jugend schlafen mag.

 

Hell ist mein Aug' um Mitternacht,

5

Heller als frühe Morgenglocken:

Wann hätt'st du je am Tage mein gedacht?

 

Wär' ich ein Fischer, stünd' ich auf,

Trüge mein Netz hinab zum Flusse,

Trüg' herzlich froh die Fische zum Verkauf.

 

10

In der Mühle, bei Licht, der Müllerknecht

Tummelt sich, alle Gänge klappern;

So rüstig Treiben wär' mir eben recht!

 

Weh, aber ich! o armer Tropf!

Muß auf dem Lager mich müßig grämen,

15

Ein ungebärdig Mutterkind im Kopf.

 

 

 

110

An Clara.

 

Höre das liebliche Wunder, das ich fürwahr nicht erdichte,

Auch erdichtet wär' es wohl schön, doch sah ich's mit Augen.

Unter dem blühenden Apfelbaum saß ich auf dem bemoosten

Mäuerchenn, still in Gedanken vertieft; es ruhte das neue

5

Testament mir halbgeöffnet zwischen den Fingern,

Klein und zierlich gebunden: (es kam vom treuesten Herzen –

Ach, du ruhest nun auch, mir unvergessen, im Grabe!)

Lange saß ich und blickte nicht auf; mit Einem so läßt sich

Mir ein Schmetterling nieder auf's Buch, er hebet und senket

10

Dunkle Flügel mit schillerndem Blau, er dreht sich und wandelt

Hin und her auf dem Rande. Was suchst du, reizender Sylphe?

Lockte die blaue Decke dich an, der glänzende Goldschnitt?

Sahst du, getäuscht, im Büchlein die herrlichste Wunderblume?

Oder zogen geheim dich himmlische Kräfte hernieder

15

Des lebendigen Worts? Ich muß es glauben, denn immer

Weilest du noch, wie gebannt und scheinst wie trunken, ich staune!

111

Aber von nun an bist du auf alle Tage gesegnet!

Unverletzlich dein Leib, dir altern nimmer die Schwingen!

Und wohin du künftig die zarten Füße wirst setzen,

20

Thauet Segen von dir. Jezt eile hinunter zum Garten,

Den das beste Mädchen besucht am frühesten Morgen,

Eile zur Lilie du, gleich wird die Knospe sich öffnen

Unter dir, dann küsse sie tief in den Busen: von Stund an

Göttlich befruchtet, athmet sie Geist und himmlisches Leben.

25

Wenn die Gute nun kommt, vor den hohen Stengel getreten,

Steht sie befangen, entzückt von paradiesischer Nähe,

Ahnungsvoll wie im Traum die holde Seele versunken.

 

 

 

112

Johann Kepler

 

Gestern, als ich vom nächtlichen Lager den Stern mir in Osten

Lang' betrachtete, den dort mit dem röthlichen Licht,

Und des Mannes gedachte, der seine Bahnen zu messen,

Von dem Gotte gereizt, himmlischer Pflicht sich ergab,

5

Durch beharrlichen Fleiß der Armuth grimmigen Stachel

Zu versöhnen, umsonst, und zu verachten bemüht:

Mir entbrannte mein Herz von inniger Wehmuth; ach! dacht' ich,

Wußten die Himmlischen dir, Meister, kein besseres Loos?

Wie ein Dichter den Helden sich wählt, wie Homer von Achilles

10

Göttlichem Adel gerührt, schön im Gesang ihn erhob,

Also wandtest du ganz die Kräfte nach jenem Gestirne,

Sein gewaltiger Gang war dir ein ewiges Lied.

Doch so bewegt sich kein Gott von seinem goldenen Sitze,

Holdem Gesange geneigt, den zu erretten, herab,

15

Dem die höhere Macht die dunkeln Tage bestimmt hat,

Und euch Sterne berührt nimmer ein Menschengeschick;

Ihr geht über dem Haupte des Weisen oder des Thoren

Euren seligen Weg ewig gelassen dahin!

 

 

 

113

Auf das Grab von Schillers Mutter.

 

Cleversulzbach, im Mai.

 

Nach der Seite des Dorf's, wo jener alternde Zaun dort

Ländliche Gräber umschließ't, wall' ich in Einsamkeit oft.

Sieh' den gesunkenen Hügel! es kennen wenige Greise

Kaum ihn noch und es ahnt Niemand ein Heiligthum hier

5

Jegliche Zierde gebricht und jedes deutende Zeichen;

Dürftig breitet ein Baum schützende Arme umher.

Wilde Rose! dich find ich allein statt anderer Blumen;

Ja, beschäme sie nur, brich als ein Wunder hervor!

Tausendblättrig eröffne dein Herz! entzünde dich herrlich

10

Am begeisternden Duft, den aus der Tiefe du ziehst!

Eines Unsterblichen Mutter liegt hier bestattet; es richten

Deutschlands Männer und Frau'n eben den Marmor ihm auf.

 

 

 

114

Theokrit

 

Sey, Theokritos, mir, du Anmuthsvollster, gepriesen!

Lieblich bist du zuerst, aber auch herrlich fürwahr.

Wenn du die Grazien schickst in die Paläste der Reichen,

Unbeschenkt kehren sie dir, nackenden Fußes, zurück.

5

Müßig sitzen sie wieder im ärmlichen Hause des Dichters,

Auf die frierenden Knie' traurig die Stirne gesenkt.

Oder führe das Mädchen mir vor, das, rasend in Liebe,

Da ihm der Jüngling entfloh, Hekate's Künste versucht.

Oder singe den jungen Herakles, welchem zur Wiege

10

Dienet der eherne Schild, wo er die Schlangen erwürgt:

Klangvoll fährst du dahin! dich kränzte Kalliope selber:

Aber bescheiden, ein Hirt, hast du die Syrinx erwählt.

 

 

 

115

An eine Lieblingsbuche meines Gartens,

 

in deren Stamm ich Hölty's Namen schnitt.

 

Holde Dryas, halte mir still! es schmerzet nur wenig;

Mit wollüstigem Reiz schließt sich die Wunde geschwind.

Eines Dichters Namen zu tragen bist du gewürdigt,

Keinen Lieberen hat Wiese noch Wald mir genannt.

5

Künftig sey du die Erste von allen deinen Geschwistern,

Welche der kommende Lenz wecket und reichlich belaubt!

Und ein liebendes Mädchen, von deinem Dunkel umduftet,

Sieht den Namen, der, halb nur verborgen, ihr winkt;

Leise drückt sie, gedankenvoll, die Lippen auf diese

10

Lettern, es dringet ihr Kuß dir an das innerste Mark.

Wehe der Hand, die dich zu schädigen waget! Ihr glücke

Nimmer, in Feld und Haus, nimmer ein friedliches Werk!

 

 

 

116

Tibullus.

 

Wie der wechselnde Wind nach allen Seiten die hohen

Saaten im weichen Schwung niedergebogen durchwühlt:

Liebekranker Tibull! so unstet fluthen, so reizend,

Deine Gesänge dahin, während der Gott dich bestürmt.

 

 

 

117

An Hermann.

 

Unter Thränen rissest du dich von meinem Halse;

In die Finsterniß lang' sah ich verworren dir nach;

Wie? auf Ewig? sagtest du so? Dann lässet auf Ewig

Meine Jugend von mir, lässet mein Genius mich!

5

Und warum? bei Allem, was heilig, weißt du es selber?

Wenn es der Uebermuth schwärmender Jugend nicht ist?

O verwegenes Spiel! Komm! nimm das Wort, ruf es zurücke!

– Aber du hörtest nicht, ließest mich staunend allein.

Monde vergingen und Jahre; die heimliche Sehnsucht im Herzen,

10

Standen wir fremd, es fand Keiner ein muthiges Wort,

Um den falschen Bann, den luftgewebten, zu brechen,

Und der gemeine Tag löschte bald jeglichen Wunsch.

Aber heutige Nacht erschien mir wieder im Traume

Deine Knabengestalt – Wehe! wo rett' ich mich hin

15

Vor dem lieblichen Bild! Ich sah dich unter den hohen

Maulbeerbäumen im Hof, wo wir zusammen gespielt.

Und du wandtest dich ab, wie beschamt, ich strich dir die Locken

Aus der Stirne: O du, rief ich, was kannst du dafür!

Weinend erwacht' ich zuletzt, trüb schien der Mond auf mein Lager,

20

Aufgerichtet im Bett saß ich und dachte dir nach;

118

O wie tobte mein Herz! Du fülltest wieder den Busen

Mir, wie kein Bruder vermag, wie die Geliebte nicht kann!

 

 

 

119

Muse und Dichter.

 

«Graben kann ich nicht: nun vollends krank! und zu betteln

Schäme ich mich. Du schweigst Muse? O rathe mir! hilf!

Gib die Leyer!» – Nicht doch! Dir ist die Ruhe geboten.

Schlafe, träume nur! still ruf' ich dir Hülfe herab.

5

Deinem Haupte noch blühet ein Kranz; und sey es zum Leben,

Sey's zum Tode; getrost! meine Hand windet ihn dir.

«Keinen Lorbeer will ich, die kalte Stirne zu schmücken:

Laß mich leben! und gib fröhliche Blumen zum Strauß!»

 

 

 

120

Gespräch vor Tage.

 

«Sage doch, wird es denn heute nicht Tag? es dämmert so lange!

Und zu Hunderten, horch! singen die Lerchen im Feld.»

Wohl; ihr lichtbegieriges Auge sauget die ersten

Strahlen des Tages hinweg und so wächst langsam er nur.

 

 

 

121

An meinen Arzt,

 

Herrn Dr. Elsässer.

 

Siehe! da stünd ich wieder auf meinen Füßen! und blicke

Froh erstaunt in die Welt, die mir im Rücken schon lag;

Aber ich spreche von Danke dir nicht: du liesest ihn besser

Mir im Auge, du fühlst hier ihn im Drucke der Hand.

5

– Ich glückseliger Thor, daß ich meine, du solltest verwundert

Ueber dich selber seyn, oder gerührt, so wie ich!

Doch daran erkennen wir dich! – Den schwindelnden Nachen

Herrlich meisternd fährt ruhig der Schiffer an's Land,

Wirft in den Kahn das Ruder, das, ach! so Viele gerettet,

10

Laut aufjauchzen sie ihm, aber er achtet es kaum,

Kettet das Schiff an den Pflock; und am Abend sizt er beim Kruge

Wie ein anderer Mann, füllet sein Pfeifchen und ruht.

 

 

 

122

Der Genesene an die Hoffnung.

 

Tödtlich graute mir der Morgen:

Doch schon lag mein Haupt, wie süß!

Hoffnung, dir im Schoos verborgen,

Bis der Sieg gewonnen hieß.

5

Opfer bracht' ich allen Göttern,

Doch vergessen warest du;

Seitwärts von den ew'gen Rettern

Sahest du dem Feste zu.

 

O vergib, du Vielgetreue!

10

Tritt aus deinem Dämmerlicht,

Daß ich dir in's ewig neue,

Mondenhelle Angesicht

Einmal schaue recht von Herzen,

Wie ein Kind und sonder Harm;

15

Ach, nur Einmal ohne Schmerzen

Schließe mich in deinen Arm!

 

 

 

123

Ideale Wahrheit.

 

Gestern entschlief ich im Wald: da sah ich im Traume das kleine

Mädchen, mit dem ich als Kind immer am liebsten verkehrt.

Und sie zeigte mir hoch in der Eiche Gipfel den Gukuk,

Wie die Kindheit ihn denkt, prächtig gefiedert und groß.

5

Drum! – rief ich – dieß ist der ächte Gukuk! Wer sagte

Mir doch neulich, er sey klein nur, unscheinbar und grau!

 

 

 

Maschinka.

 

Dieser schwellende Mund, den Reiz der Heimath noch athmend,

Kennt die Sprache nicht mehr, die ihn so lieblich geformt;

Halb verdrießlich greifet die Schöne nach der Grammatik,

Stammelt russischen Laut, weil es der Vater befiehlt.

5

Euer Stammeln ist süß, doch pflegt ihr, trutzige Lippen,

Heimlich ein ander Geschäft, das euch vor allem verschönt!

 

 

 

124

Schnelle Beute.

 

Hat der Dichter im Geist ein köstliches Liedchen empfangen,

Ruht und rastet er nicht, bis es vollendet ihn grüßt:

Schönste! so sah ich dich neulich zum ersten Mal flüchtig am Fenster,

Und ich brannte; nun liegst heute du mir schon im Arm!

 

 

 

Nachts am Schreibepult.

 

Primeln, Sterne, Syringen, von stiller Kerze beleuchtet,

Hier im Glase: wie fremd blickt ihr, wie feenhaft, her!

Sonne schien, als die Liebste euch trug; da wart ihr so freudig:

Mitternacht summt nun um euch, ach! und kein Liebchen ist hier.

 

 

 

125

Vicia faba minor.

 

Fort mit diesem Geruch, dem zauberhaften: Er mahnt mich

An die Haare, die mir einst alle Sinne bestrickt.

Weg mit dieser Blüthe, der schwarz und weißen! Sie sagt mir,

Daß die Verführerin, ach! schwer mit dem Tode gebüßt.

 

 

 

Auf dem Grabe eines Künstlers.

 

Tausende liegen hier, sie kannten keinen Homerus:

Selig sind sie gleichwohl, aber nicht eben wie du.

 

 

 

126

An meine Mutter.

 

Siehe, von allen den Liedern nicht Eines gilt dir, o Mutter!

Dich zu preisen, o glaub's, bin ich zu arm und zu reich.

Ein noch ungesungenes Lied ruhst du mir im Busen,

Keinem vernehmbar sonst, mich nur zu trösten bestimmt,

5

Wenn sich das Herz unmuthig der Welt abwendet und einsam

Seines himmlischen Theils bleibenden Frieden bedenkt.

 

 

 

An Dieselbe.

 

Ach wie liebreich warst du der Welt und dienetest Allen!

Und wie klein doch, wie plump hat sie dich endlich verkannt!

Da entsagtest du ihr; doch lächelnd wehren die Deinen

Heute wie gestern der Hand, die sich in Liebe vergißt.

 

 

 

127

An H. K.

 

Sey mir bestens willkommen! denn wahrlich Dir hat die Muse

Heiter Lippen und Stirn und beide die glänzenden Augen

Mit unsprödem Kusse berührt, so küsse mich wieder!

 

 

 

Brockes.

 

Alter, führe mich nur in deinen geschnörkelten Frühlings=

Garten! noch duftet und thaut frisch und gewürzig sein Flor.

 

 

 

Joseph Haydn.

 

Manchmal ist sein Humor altfränkisch, ein zierliches Zöpflein,

Das, wie der Zauberer spielt, schalkhaft im Rücken ihm tanzt.

 

 

 

128

Auf einen Klavierspieler

 

Hört ihn und seht sein dürftig Instrument!

Die alte, klepperdürre Mähre,

An der ihr jede Rippe zählen könnt,

Verwandelt sich im Griffe dieses Knaben

5

Zu einem Pferd von wilder, edler Art,

Das in Arabiens Gluth geboren ward!

Es will nicht Zeug, noch Zügel haben,

Es bäumt den Leib, zeigt wiehernd seine Zähne,

Dann schüttelt sich die weiße Mähne,

10

Wie Schaum des Meers zum Himmel sprizt,

Bis ihm, besiegt von dem gelass'nen Reiter,

Im Aug' die bittre Thräne blizt –

O horch! nun tanzt es sanft auf goldner Töne Leiter!

 

 

 

129

P. K.

 

Wer ergözte sicht nicht am derben Witze des Mannes!

Heute verwünschet man ihn, morgen heißt's: wär er nur da!

Trocken sitzt er im Kreis der Gäste; bald wagt es ein Schlaukopf,

Reizt ihn leise von fern, scheinbar bemerkt er es nicht.

5

Jetzo faßt er den Mann sich in's Auge, schweigt noch und wieget

Sachte, sachte das Haupt, und – nun, ihr kennt ja das Spiel

Mit dem Vogel von Holz? Erst zielt der eiserne Schnabel,

Trifft ins Schwarze: – herauf rauschet mit Lachen Hanswurst.

 

 

 

130

An Friedr. Vischer,

 

Prof. der Aesthet. etc.

Mit meinen Gedichten.

 

Oft hat mich der Freund vertheidigt,

Oft sogar gelobt, doch nun?

Der Professor ist beeidigt,

Und da hilft kein Traulich=thun.

 

5

Also geht, ihr braven Lieder,

Daß man euch die Köpfe wascht!

Seht auch, daß ihr hin und wieder

Einen guten Blick erhascht.

 

Er ist Vater: um so minder

10

Denk' ich ihn euch abgeneigt;

Sind doch seine eignen Kinder

Auf der Schulbank nicht gezeugt!

 

 

 

131

Die Anti-Sympathetiker.

 

An Justin Kerner.

 

Von lauter Geiste die Natur durchdrungen,

Wie würde sie nicht durch den Geist bezwungen?

Wenn sich getrennte Kräfte wiederkennen,

Auf ein Erinn'rungswort entbrennen,

5

Die Krankheit weicht, das Blut sich plötzlich stillt,

Das ist das Wunder, wie's die Dummheit schilt!

– Laß die Schwachmatiker nur immer räsonniren,

Und rechn' es ihnen allzu hoch nicht an!

Denn, wenn sie Gott und die Natur borniren,

10

Es streckt sich Keiner länger als er kann.

 

 

 

132

An einen Liebesdichter.

 

Von Liebe singt so mancher Mann,

Damit er auch von Liebe singe,

und hebt ein mächtig Klagen an,

Der Ruhm ist groß, die Pein geringe.

 

5

Nun bist du nicht im selben Fall,

Und lässest auch Gesang erschallen,

Obwohl noch keine Nachtigall,

Doch mehr als jene Nachtigallen.

 

Was ist denn wohl der Unterschied,

10

Freund, zwischen dir und zwischen jenen?

– Sie singen froh ein traurig Lied,

Und du ein fröhlichs unter Thränen.

 

 

 

133

Apostrophe.

 

Als der Verfasser unter ein paar alten Eichen verschiedene Gedichte

las, worin Rückerts geniale Formen auf eine geistlose

Weise nachgeahmt und überboten waren.

 

Ihr mehr als tausendjährigen,

Eichbäum', ihr rauh=moos=härigen!

Ihr, fröhlichen, spitzöhrigen

Waldteufeln angehörigen!

5

Ihr lang von wuthbeflissenen

Nordstürmen wild zerrissenen!

Nun angeweht von weichlichen

Mailüftchen, unvergleichlichen;

Und euer Fuß, der tüchtige,

10

Den grimmig der bergschlüchtige,

Von Felsen überpurzelte

Waldstrom so gern entwurzelte,

Beglänzt von Bächleins Schimmer nun,

Dessen Gesprächlein nimmer ruhn:

15

Von Grund des Herzens preis' ich euch,

Und überglücklich heiß' ich euch,

Daß ihr so hoch euch beide streckt

Und in so dicken Häuten steckt,

Daß, was ich euch in künstlichen,

20

So äußerst sprachverdienstlichen

Reimweisen eben vorgesungen,

Euch gar nicht an das Ohr gedrungen.

 

 

 

134

Antike Poesie.

 

Ich sah den Helicon in Wolkendunst,

Nur kaum berührt vom ersten Sonnenstrahle;

Schau! jetzo stehen hoch mit einem Male

Die Gipfel dort in Morgenröthe=Brunst.

 

5

Hier unten spricht von keuscher Musen Gunst

Der heil'ge Quell im dunkelgrünen Thale;

Wer aber schöpft mit reiner Opferschale,

Wie einst, den ächten Thau der alten Kunst?

 

Wie? soll ich endlich keinen Meister sehn?

10

Will keiner mehr den alten Lorbeer pflücken?

– Da sah ich Iphigeniens Dichter stehn:

 

Er ist's, an dessen Blick sich diese Höhn

So zauberhaft, so sonnewarm erquicken.

Er geht, und frostig rauhe Lüfte weh'n.

 

 

 

135

Eberhard Wächter.

 

In seine hohen Wände eingeschlossen,

Mit traurig schönen Geistern im Verkehr,

Gestärkt am reinen Athem des Homer,

Von Goldgewölken Attikas umflossen:

 

5

So stets vor seinen Tüchern unverdrossen,

Fern von dem Markt der Künste, sizet er;

Kein Neid verlezt, kein Lob berauscht ihn mehr,

Ihm blüht ein Kranz bei herrlichern Genossen.

 

O kommt und schaut ein selig Künstlerleben!

10

Besuchet ihn am abendlichen Herd,

Wenn diese Stirne sich der Wunderschwingen

 

Des Genius erwehrend, nun soeben

Sich munter zu dem Alltagskreise kehrt,

Den Weib und Kinder scherzend um ihn schlingen.

 

 

 

136

Seltsamer Traum.

 

Als Nachbild eines glücklichen Theaterabends bei und nach Aufführung

von Mozarts Figaro,

dem liebenswürdigen Schwesterpaar

Marie und Pauline,

Rudolph und Friedrich,

gewidmet von dem Lustigsten aus der Gesellschaft

Stuttgart 1828.

 

Ich sahe nächtlich hinter Traumgardinen

Viel Frühlingsgärten blühn und immer ändern;

Es tanzten, klein, auf zierlichen Geländern

An hundert Figaros mit Cherubinen.

 

5

Wie alle Dinge hundertfach erschienen,

So sah ich zwischen «Masken, Blumen, Bändern»,

Und zwischen all den «seidenen Gewändern»

Einfach die Einzigen, Marien, Paulinen.

 

Und aus dem sammtnen Frühlingsboden stiegen,

10

Gehoben von melodischen Gewalten,

Die Leidenschaften auf als ernste Schatten;

 

Da sah ich, still, mit tief gefurchten Zügen,

Einfach zwei edle bärtige Gestalten,

Und ich sang, als Hanswurst, auf Blumenmatten.

 

 

 

137

Trost.

 

Ja, mein Glück, das lang gewohnte,

Endlich hat es mich verlassen!

– Ja, die liebsten Freunde seh ich

Achselzuckend von mir weichen,

5

Und die gnadenreichen Götter,

Die am besten Hülfe wüßten,

Kehren höhnisch mir den Rücken.

Was beginnen? werd' ich etwa,

Meinen Lebenstag verwünschend,

10

Rasch nach Gift und Messer greifen?

Das sey ferne! vielmehr muß man

Stille sich im Herzen fassen.

 

Und ich sprach zu meinem Herzen:

Laß uns fest zusammenhalten!

15

Denn wir kennen uns einander,

Wie ihr Nest die Schwalbe kennet,

Wie die Cither kennt den Sänger,

Wie sich Schwert und Schild erkennen,

Schild und Schwert einander lieben.

20

Solch ein Paar, wer mag es scheiden?

 

Als ich dieses Wort gesprochen,

Hüpfte mir das Herz im Busen,

Das noch erst geweinet hatte.

 

 

 

138

Zum neuen Jahr.

 

Kirchengesang.

(Melodie aus Axur: Wie dort auf den Auen.)

 

Wie heimlicher Weise

Ein Engelein leise

Mit rosigen Füßen

Die Erde betritt:

5

So nahte der Morgen.

Jauchzt ihm, ihr Frommen,

Ein heilig Willkommen,

Ein heilig Willkommen!

Herz, jauchze du mit!

 

10

In Ihm sey's begonnen,

Der Monde und Sonnen

An blauen Gezelten

Des Himmels bewegt.

Du, Vater, du rathe!

15

Lenke du und wende!

Herr, dir in die Hände

Sey Anfang und Ende,

Sey Alles gelegt!

 

 

 

139

Der König bei der Krönung

 

Dir angetrauet am Altare,

O Vaterland! wie bin ich dein!

Laß für das Rechte mich und Wahre

Nun Priester oder Opfer seyn!

 

5

Geuß auf mein Haupt, Herr! deine Schale,

Ein köstlich Oel des Friedens, aus,

Daß ich wie eine Sonne strahle

Dem Vaterland und meinem Haus!

 

 

 

140

Auf die Vermählung des

Fürsten v. Schwarzburg=Sondershausen

mit Mathilde, Prinzessin von Hohenlohe.

 

Zum Empfang in der Kirche.

 

Hebt euch, sanftbeschwingte Lieder,

Und empfangt ein edel Paar!

Ew'ge Liebe blick' hernieder!

Denn dir schmückt sich der Altar;

 

5

Wo der Fürst, der Hochbeglückte,

Staunend deiner Wege denkt,

Tief in Wehmuth die entzückte

Braut die reine Stirne senkt.

 

Leis' auf goldner Wage wäget,

10

Engel, gütig Ihr Geschick,

Und zu ew'gen Kränzen leget

Jedes holde Erdenglück!

 

 

 

141

Nanny's Traum.

 

Der Mutter zum Geburtstage.

Mit einer rothen Rose.

 

Ich ging auf grünen Wiesengründen,

Ich wollte gar zu gern für Dich

Ein herzig Blümelein wo finden,

Und lief und suchte emsiglich.

 

5

Ach, nirgend sah ich eines stehn,

Da fing ich laut zu weinen an:

«Den Frühling hab' ich kaum gesehen,

Und kommt der Winter schon heran!»

 

So lief ich fort und fort mit Trauern,

10

Erst bei dem letzten Abendschein

Hielt ich vor heil'gen Kirchenmauern,

Das Thor stand auf, ich trat hinein

 

Und kam in einen stillen Garten

Und vor ein frisch bereites Grab,

15

Dran sah ich einen Engel warten,

Gelehnt auf einen Hirtenstab.

 

Der schaut mich traurig an und bange

Und nickt und winket mich herbei;

Mir war, als kennt' ich ihn schon lange

20

An seinen Augen fromm und treu.

 

142

Er winkt, und aus des Grabes Schoose

Steigt blühend, wie der Schnee so rein,

Hervor die weiße Todtenrose

und neiget sich im Mondenschein.

 

25

Begierig schnell will ich sie pflücken,

Doch mir versagt die kleine Hand,

Indeß mit freudehellen Blicken

Ein zweiter Engel vor mir stand.

 

Er zog mich sachte weg zur Pforte

30

Und sprach: «Du gutes, krankes Kind,

O laß die Rosen hier am Orte,

Die bleich wie deine Wangen sind!

 

Auf's Neue sollst du fröhlich springen,

Ihr Wänglein blühet frisch und roth!

35

Dies Pfand magst du der Mutter bringen,

Das dir dein guter Engel bot.»

 

 

 

143

Verborgenheit.

 

Laß, o Welt, o laß mich seyn!

Locket nicht mit Liebesgaben!

Laßt dies Herz alleine haben

Seine Wonne, seine Pein!

 

5

Was ich traure weiß ich nicht,

Es ist unbekanntes Wehe;

Immerdar durch Thränen sehe

Ich der Sonne liebes Licht.

 

Oft bin ich mir kaum bewußt,

10

Und die helle Freude zücket

Durch die Schwere, so mich drücket

Wonniglich in meiner Brust.

 

Laß, o Welt, o laß mich seyn!

Locket nicht mit Liebesgaben!

15

Laßt dies Herz alleine haben

Seine Wonne, seine Pein!

 

 

 

144

Suspirium.

 

Jesu benigne!

A cujus igne

Opto flagrare

Et Te amare:

5

Cur non flagravi?

Cur non amavi

Te, Jesu Christe?

– O frigus triste!

(Altes Lied)

 

Seufzer.

 

Dein Liebesfeuer,

Ach Herr! wie theuer

Wollt ich es hegen,

Wollt' ich es pflegen!

5

Hab's nicht geheget

Und nicht gepfleget,

Bin Eis im Herzen –

O Höllenschmerzen!

 

 

 

145

An den Schlaf.

 

Somne levis! quanquam certissima mortis imago;

Consortem cupio te tamen esse tori.

Alma quies, optata, veni! nam sic sine vita

Vivere, quam suave est, sic sine morte mori!

Meibom.

 

Schlaf! süßer Schlaf! obwohl dem Tod wie du Nichts gleicht:

Komm! theilen wir dies Lager brüderlich!

So ohne Leben, ach wie lieblich lebt es sich!

So ohne Tod, wie stirbt es sich so leicht!

 

 

 

146

Wo find' ich Trost?

 

Eine Liebe kenn' ich, die ist treu,

War getreu, so lang ich sie gefunden,

Hat mit tiefem Seufzen immer neu,

Stets versöhnlich, sich mit mir verbunden.

 

5

Welcher einst mit himmlischem Gedulden

Bitter bittern Todestropfen trank,

Hing am Kreuz und büßte mein Verschulden,

Bis es in ein Meer von Gnade sank.

 

Und was ist's nun, daß ich traurig bin,

10

Daß ich angstvoll mich am Boden winde?

Frage: Hüter, ist die Nacht bald hin?

Und: was rettet mich von Tod und Sünde?

 

Arges Herze! ja gesteh es nur,

Du hast wieder böse Lust empfangen;

15

Frommer Liebe, frommer Treue Spur,

Ach, das ist auf lange nun vergangen.

 

Ja, das ist's auch, daß ich traurig bin,

Daß ich angstvoll mich am Boden winde!

Hüter, Hüter, ist die Nacht bald hin?

20

Und was rettet mich von Tod und Sünde?

 

 

 

147

Auf ein altes Bild.

 

In grüner Landschaft Sommerflor,

Bei kühlem Wasser, Schilf und Rohr,

Schau, wie das Knäblein Sündelos

Frei spielet auf der Jungfrau Schos!

5

Und dort im Walde wonnesam,

Ach, grünet schon des Kreuzes Stamm!

 

 

 

148

Zurechtweisung.

 

In dieser Winterfrühe

Wie ist mir doch zu Muth!

O Morgenroth, ich glühe

Von deinem Jugendblut.

 

5

Es glüht der alte Felsen,

Die Wälder Funken sprühn,

Berauschte Nebel wälzen

Sich in der Tiefe hin.

 

Wie von der Höhe nieder

10

Der reinste Himmel flimmt,

Der um die Rosenglieder

Entzückter Engel schwimmt!

 

Mit thatenfroher Eile

Erhebt sich Geist und Sinn,

15

Und flügelt goldne Pfeile

Durch alle Ferne hin.

 

Auf Burgen möcht ich springen,

In alter Fürsten Schloß,

Möcht' hohe Lieder singen,

20

Mich schwingen auf das Roß.

 

149

Und stolzen Siegeswagen

Stürzt' ich mich brausend nach,

Die Harfe wird zerschlagen,

Die nur von Liebe sprach.

 

25

Wie? singst du so vermessen,

Herz, hast du nicht bedacht,

Hast, Närrchen, ganz vergessen,

Was dich so trunken macht?

 

Ach, wohl! was aus mir singet,

30

Ist nur der Liebe Glück,

Die wirren Töne schlinget

Sie sanft in sich zurück.

 

Was hilft, was hilft mein Sehnen?

Geliebte, wärst du hier!

35

In tausend Freudethränen

Verging' die Erde mir.

 

 

 

150

Am Walde.

 

Am Waldsaum kann ich lange Nachmittage,

Dem Gukuk horchend, in dem Grase liegen;

Er scheint das Thal gemächlich einzuwiegen

Im friedevollen Gleichklang seiner Klage.

 

5

Da ist mir wohl, und meine schlimmste Plage,

Den Fratzen der Gesellschaft mich zu fügen,

Hier wird sie mich doch endlich nicht bekriegen,

Wo ich auf eigne Weise mich behage.

 

Und wenn die feinen Leute nur erst dächten,

10

Wie schön Poeten ihre Zeit verschwenden,

Sie würden mich zuletzt noch gar beneiden.

 

Denn des Sonetts gedrängte Kränze flechten

Sich wie von selber unter meinen Händen,

Indeß die Augen in der Ferne weiden.

 

 

 

151

Zuviel.

 

Der Himmel glänzt vom reinsten Frühlingslichte,

Ihm schwillt der Hügel sehnsuchtsvoll entgegen,

Die starre Welt zerfließt in Liebessegen,

Und schmiegt sich rund zum zärtlichsten Gedichte.

 

5

Am Dorfeshang, dort bei der luft'gen Fichte,

Ist meiner Liebsten kleines Haus gelegen –

O Herz, was hilft dein Wiegen und dein Wägen,

Daß all' der Wonne=Streit in dir sich schlichte!

 

Du, Liebe, hilf den süßen Zauber lösen,

10

Womit Natur in meinem Innern wühlet!

Und du, o Frühling, hilf die Liebe beugen!

 

Lisch aus, o Tag! Laß mich in Nacht genesen!

Indeß ihr sanften Sterne göttlich kühlet,

Will ich zum Abgrund der Betrachtung steigen.

 

 

 

152

Liebesglück.

 

Wenn Dichter oft in warmen Phantasieen,

Von Liebesglück und schmerzlichem Vergnügen

Sich oder uns, nach ihrer Art, belügen,

So sey dies Spielwerk ihnen gern verziehen.

 

5

Mir aber hat ein güt'ger Gott verliehen,

Den Himmel, den sie träumen, zu durchfliegen,

Ich sah die Anmuth mir im Arm sich schmiegen,

Der Unschuld Blick von raschem Feuer glühen.

 

Auch ich trug einst der Liebe Müh' und Lasten,

10

Verschmähte nicht, den herben Kelch zu trinken,

Damit ich seine Lust nun ganz empfinde.

 

Und dennoch gleich' ich jenen Erz=Phantasten:

Mir will mein Glück so unermeßlich dünken,

Daß ich mir oft im wachen Traum verschwinde.

 

 

 

153

An die Geliebte.

 

Wenn ich, von deinem Anschaun tief gestillt,

Mich stumm an deinem heil'gen Werth vergnüge,

Dann hör' ich recht die leisen Athemzüge

Des Engels, welcher sich in dir verhüllt.

 

5

Und ein erstaunt, ein fragend Lächeln quillt

Auf meinem Mund, ob mich kein Traum betrüge,

Daß nun in dir, zu ewiger Genüge,

Mein kühnster Wunsch, mein einz'ger, sich erfüllt?

 

Von Tiefe dann zu Tiefen stürzt mein Sinn,

10

Ich höre aus der Gottheit nächt'ger Ferne

Die Quellen des Geschicks melodisch rauschen.

 

Betäubt kehr' ich den Blick nach Oben hin,

Zum Himmel auf – da lächeln alle Sterne;

Ich kniee, ihrem Lichtgesang zu lauschen.

 

 

 

154

Nur zu!

 

Schön prangt im Silberthau die junge Rose,

Den ihr der Morgen in den Busen rollte,

Sie blüht, als ob sie nie verblühen wollte,

Sie ahnet nichts vom lezten Blumen=Loose.

 

5

Der Adler strebt hinan in's Grenzenlose,

Sein Auge trinkt sich voll von sprühndem Golde,

Er ist der Thor nicht, daß er fragen sollte,

Ob er das Haupt nicht an die Wölbung stoße.

 

Mag denn der Jugend Blume uns verbleichen,

10

Noch glänzet sie und reizt unwiderstehlich;

Wer will so holdem Trug zu bald entsagen?

 

Und Liebe, darf sie nicht dem Adler gleichen?

Doch fürchtet sie; auch fürchten ist ihr selig,

Denn all' ihr Glück, was ist's? – ein endlos Wagen!

 

 

 

155

Charwoche.

 

O Woche, Zeugin heiliger Beschwerde!

Du stimmst so ernst zu dieser Frühlingswonne,

Du breitest im verjüngten Strahl der Sonne

Des Kreuzes Schatten auf die lichte Erde,

 

5

Und senkest schweigend deine Flöre nieder:

Der Frühling darf indessen immer keimen,

Das Veilchen duftet unter Blüthenbäumen

Und alle Vöglein singen Jubellieder.

 

O schweigt, ihr Vöglein auf den grünen Auen!

10

Es hallen rings die dumpfen Glockenklänge,

Die Engel singen leise Grabgesänge;

O still, ihr Vöglein hoch im Himmelblauen!

 

Ihr Veilchen, kränzt heut keine Lockenhaare!

Euch pflückt mein frommes Kind zum dunkeln Strauße,

15

Ihr wandert mit zum Muttergotteshause,

Da sollt ihr welken auf des Herrn Altare.

 

Ach dort, von Trauermelodieen trunken

Und süß betäubt von schweren Weihrauchdüften,

Sucht sie den Bräutigam in Todesgrüften:

20

Und Lieb' und Frühling, Alles ist versunken!

 

 

 

156

Tag und Nacht.

 

(Orientalisch.)

 

Schlank und schön ein Mohrenknabe

Bringt in himmelblauer Schürze

Manche wundersame Gabe,

Kühlen Duft und süße Würze.

5

Wenn die Abendlüfte wehen,

Naht er sachte, kaum gesehen,

Hat ein Harfenspiel zur Hand.

 

Auch der Saiten sanftes Tönen

Kann man nächtlich lauschend hören;

10

Doch scheint Alles seiner Schönen,

Ungetreuen zu gehören;

Und er wandelt, bis am Haine,

Bis am See und Wiesenraine

Er die Spur der Liebsten fand.

 

15

Wohl ein Lächeln mag sich leise

Dann ins ernste Antlitz neigen,

Weiße Zähne, schneeig=weiße,

Sich wie Sternenlichter zeigen.

Doch ihn faßt ein reizend Bangen,

20

Kommt von Ferne Sie gegangen,

Und er sucht sein dunkles Haus.

 

157

Liebchen tritt von Bergeshöhen

In das Thal: da wird es Freude!

Wald und Flur wie neu erstehen

25

Vor dem Kind im Rosenkleide;

Alles drängt sich nach der Süßen,

Alt und Jung will sie begrüßen,

Nur der Knabe bleibet aus.

 

Und doch ist ein tiefes Ahnen

30

Von dem Fremdling ihr geblieben;

Wie ein Traum will sie's gemahnen

An ein früh gehegtes Lieben.

Glänzen dann auf allen Wegen

Schmuck und Perlen ihr entgegen,

35

Denkt sie wohl, wer es gebracht.

 

Schnell den Schleier vorgezogen,

Steht das Töchterchen in Thränen,

Und der Mutter Friedensbogen

Neigt sich thauend ihrem Sehnen;

40

Erd und Himmel haben Frieden,

Aber ach, sie sind geschieden,

Sind getrennt, wie Tag und Nacht.

 

 

 

158

Die Elemente.

 

Ἡ γὰρ ἀποκαραδοκία τῆς κτίσεως

τὴν ἀποκάλυψιν τῶν υἱῶν τοῦ θεοῦ

ἀπεκδέχεται.

Paulus a. d. Röm. 8, 19.

 

Am schwarzen Berg da steht der Riese,

Steht hoch der Mond darüber her;

Die weißen Nebel auf der Wiese

Sind Wassergeister aus dem Meer:

5

Ihrem Gebieter nachgezogen,

Vergiften sie die reine Nacht,

Aus deren hoch geschwungnem Bogen

Das volle Heer der Sterne lacht.

 

Still schaut der Herr auf seine Geister,

10

Die Faust am Herzen fest geballt;

Er heißt der Elemente Meister,

Heißt Herr der tödtlichen Gewalt;

Ein Gott hat sie ihm übergeben,

Ach, ihm die schmerzenreichste Lust!

15

Und namenlose Seufzer heben

Die ehrne, göttergleiche Brust.

 

Die Keule schwingt er jezt, die alte,

Vom Schlage dröhnt der Erde Rund,

Dann springt durch die gewalt'ge Spalte

20

Der Riesenkörper in den Grund.

159

Die fest verschlossnen Feuer tauchen

Hoch aus uraltem Schlund herauf,

Da fangen Wälder an zu rauchen

Und prasseln wild im Sturme auf.

 

25

Er aber darf nicht still sich fühlen,

Beschaulich im verborgnen Schacht,

Wo Gold und Edelsteine kühlen

Und hellen Augs der Elfe wacht:

Nach einem unverrückten Willen,

30

Der blüht in der Gestirne Flur,

Muß er die ew'gen Kräfte stillen

Mit Lust und Schrecken der Natur.

 

Soll er den Flug von hundert Wettern

Laut donnernd durcheinander ziehn,

35

Des Menschen Hütte niederschmettern,

Verderben auf das Meerschiff sprühn,

Da will das edle Herz zerreißen,

Da sieht er schrecklich sich allein:

Und doch kann er nicht würdig heißen,

40

Mit Göttern ganz ein Gott zu seyn.

 

Noch aber blieb ihm eine Freude,

Nachdem er Land und Meer bewegt,

Wenn er bei Nacht auf öder Haide

Die Sehnsucht seiner Seele pflegt.

45

Da hängen ungeheure Ketten

Aus tiefstem Wolkenraum herab,

Dran er, als müßten sie ihn retten,

Sich schwingt zum Himmel auf und ab.

 

160

Dort weilen rosige Gestalten

50

In heitern Höhen, himmlisch klar,

Und fest an goldnen Seilen halten

Sie schwesterlich das Kettenpaar;

Sie liegen ängstlich auf den Knieen

Und sehen sanft zum wilden Spiel,

55

Und wie sie im Gebete glühen,

Löst, wie ein Traum, sich sein Gefühl.

 

Denn ihr Gesang tönt mild und leise,

Er rührt beruhigend sein Ohr:

O folge harmlos deiner Weise,

60

Dazu Allvater dich erkor!

Dem Wort der Sterne kannst du trauen,

Laß dein Gemüth in ihnen ruhn!

Das Tiefste wirst du endlich schauen,

Begreifen lernen all dein Thun.

 

65

Und wirst nicht länger menschlich hadern,

Wirst schaun der Dinge heil'ge Zahl,

Wie in der Erde warmen Adern,

Wie in dem Frühlingssonnenstrahl,

Wie in des Sturmes dunkeln Falten

70

Des Vaters göttlich Wesen schwebt,

Den Faden freundlicher Gewalten,

Den Geist der holden Eintracht webt.

 

Einst wird es kommen, daß auf Erden

Sich höhere Geschlechter freun,

75

Und heitre Angesichter werden

Des Ewig=Schönen Spiegel seyn,

161

Wo aller Engelsweisheit Fülle

Der Menschengeist in sich gewahrt,

In neuer Sprachen Kinderhülle

80

Sich alles Wesen offenbart.

 

Und auch die Elemente mögen

Die freie, gottbewußte Kraft

In Frieden auf und niederregen,

Die nimmermehr Entsetzen schafft;

85

Dann, wie aus Nacht und Duft gewoben,

Vergeht dein Leben unter dir,

Mit lichtem Blick steigst du nach Oben,

Denn in der Klarheit wandeln wir.

 

 

 

162

Schiffer- und Nixen-Mährchen.
 

      I.

Vom Sieben=Nixen=Chor.

 

Manche Nacht im Mondenscheine

Sizt ein Mann von ernster Schöne,

Sizt der Magier Drakone,

Auf dem Gartenhausbalkone,

5

Mit Prinzessin Liligi;

Lehrt sie allda seine Lehre

Von der Erde, von dem Himmel,

Von dem Traum der Elemente,

Vom Geschick im Sternenkreise.

 

10

Laß es aber nun genug seyn,

Mitternacht ist lang vorüber,

Spricht Prinzessin Liligi,

Und nach solchen Wunderdingen,

Mächtigen und ungewohnten,

15

Lüstet mich nach Kindermährchen,

Lieber Mann, ich weiß nicht wie!

 

«Hörst du gern das Lied vom Winde,

Das nicht End' noch Anfang hat,

Oder gern vom Königskinde,

20

Gerne von der Muschelstadt?»

 

163

Singe du so heut wie gestern

Von des Meeres Lustrevier,

Von dem Haus der sieben Schwestern

Und vom Königssohne mir.

 

25

«Zwischen grünen Wasserwänden

Sitzt der Sieben=Nixen=Chor;

Wasserrosen in den Händen,

Lauschen sie zum Licht empor.

 

Und wenn oftmals auf der Höhe

30

Schiffe fahren, schattengleich,

Steigt ein siebenfaches Wehe

Aus dem stillen Wasserreich.

 

Dann, beim Spiel von Zauberglocken,

Drehn die Schwestern sich im Tanz,

35

Schütteln wild die grünen Locken

Und verlieren Gurt und Kranz.

 

Und das Meer beginnt zu schwanken,

Well' auf Welle steigt und springt,

Alle Elemente zanken

40

Um das Schiff, bis es versinkt.»

 

Also sang in Zaubertönen

Süß der Magier Drakone

Zu der lieblichen Prinzessin;

Und zuweilen, im Gesange,

45

Neiget er der Lippen Milde

164

Zu dem feuchten Rosenmunde,

Zu den hyazintheblauen,

Schon in Schlaf gesenkten Augen

Der bethörten Jungfrau hin.

50

Diese meint im leichten Schlummer,

Immer höre sie die Lehre

Von der Erde, von dem Himmel,

Vom Geschick im Sternenkreise,

Doch zulezt erwachet sie:

 

55

Laß es aber nun genug seyn!

Mitternacht ist lang vorüber,

Und nach solchen Wunderdingen,

Mächtigen und ungewohnten,

Lüstet mich nach Kindermährchen,

60

Lieber Mann, ich weiß nicht wie!

 

«Wohl! – Schon auf des Meeres Grunde

Sitzt das Schiff mit Mann und Maus,

Und die Sieben in die Runde

Rufen: Schönster, tritt heraus!

 

65

Rufen zierlich mit Verneigen:

Komm! es soll dich nicht gereu'n;

Woll'n dir unsre Kammer zeigen,

Wollen deine Mägde seyn.

 

– Sieh, da tritt vom goldnen Borde

70

Der bethörte Königssohn,

Und zu der korallnen Pforte

Rennen sie mit ihm davon.

 

165

Doch man sah nach wenig Stunden,

Wie der Nixenbräutigam,

75

Todt, mit sieben rothen Wunden,

Hoch am Strand des Meeres schwamm.»

 

Also sang in Zaubertönen

Süß der Magier Drakone;

Und zuweilen, im Gesange,

80

Neiget er der Lippen Milde

Zu dem feuchten Rosenmunde,

Zu den hyazintheblauen,

Schon in Schlaf gesenkten Augen

Der bethörten Jungfrau hin.

 

85

Sie erwacht zum andern Male,

Sie verlanget immer wieder:

Lieber Mann, ein Kindermährchen

Singe mir zu guter Lezt'!

 

Und er singt das lezte Mährchen,

90

Und er küßt die lezten Küsse;

Lied und Kuß hat ausgeklungen,

Aber sie erwacht nicht mehr.

Denn schon war die dritte Woche,

Seit der Magier Drakone

95

Bei dem edeln Königskinde

Seinen falschen Dienst genommen;

Wohlberechnet, wohlbereitet

Kam der lezte Tag heran.

 

166

Jetzo fasset er die Leiche,

100

Schwingt sich hoch im Zaubermantel

Durch die Lüfte zu dem Meere,

Rauschet nieder in die Wogen,

Klopft an dem korall'nen Thor,

Führet so die junge Fürstin,

105

Daß auch sie zur Nixe werde,

Als willkommene Genossin

In den Sieben=Nixen=Chor.

 

 

 

II.

Nixe Binsefuß.

 

Des Wassermanns sein Töchterlein

Tanzt auf dem Eis im Vollmondschein,

Sie singt und lachet sonder Scheu

Wohl an des Fischers Haus vorbei.

 

5

«Ich bin die Jungfer Binsefuß,

Und meine Fisch' wohl hüten muß,

Meine Fisch' die sind im Kasten.

Sie haben kalte Fasten;

Von Böhmer=Glas mein Kasten ist,

10

Da zähl' ich sie zu jeder Frist.

 

Gelt, Fischer=Matz? gelt, alter Tropf,

Dir will der Winter nicht in Kopf?

Komm' mir mit deinen Netzen!

Die will ich schön zerfetzen!

167

Dein Mägdlein zwar ist fromm und gut,

Ihr Schatz ein braves Jägerblut.

 

Drum häng' ich ihr, zum Hochzeitstrauß,

Ein schilfen Kränzlein vor das Haus,

Und einen Hecht, von Silber schwer,

20

Er stammt von König Artus her,

Ein Zwergen=Goldschmieds=Meisterstück,

Wer's hat, dem bringt es eitel Glück:

Er läßt sich schuppen Jahr für Jahr,

Da sind's fünfhundert Gröschlein baar.

 

25

Ade, mein Kind! Ade für heut!

Der Morgenhahn im Dorfe schreit.»

 

 

 

III.

Zwei Liebchen

 

Ein Schifflein auf der Donau schwamm,

Drin saßen Braut und Bräutigam,

Er hüben und sie drüben.

 

Sie sprach: Herzliebster, sage mir,

5

Zum Angebind was geb ich dir?

 

Sie streift zurück ihr Aermelein,

Sie greift in's Wasser frisch hinein.

 

Der Knabe, der thät gleich also,

Und scherzt mit ihr und lacht so froh.

 

168

Ach, schöne Frau Done, geb' sie mir

Für meinen Schatz eine hübsche Zier!

 

Sie zog heraus ein schönes Schwert,

Der Knab' hätt' lang so eins begehrt.

 

Der Knab', was hält er in der Hand?

15

Milchweiß ein köstlich Perlenband.

 

Er legt's ihr um ihr schwarzes Haar,

Sie sah wie eine Fürstin gar.

 

Ach, schöne Frau Done, geb' sie mir

Für meinen Schatz eine hübsche Zier!

 

20

Sie langt hinein zum andern Mal,

Faßt einen Helm von lichtem Stahl.

 

Der Knab' vor Freud' entsezt sich schier,

Fischt ihr einen goldnen Kamm dafür.

 

Zum Dritten sie in's Wasser griff:

25

Ach weh! da fällt sie aus dem Schiff.

 

Er springt ihr nach, er faßt sie keck,

Frau Done reißt sie Beide weg;

 

Frau Done hat ihr Schmuck gereut,

Das büßt der Jüngling und die Maid.

 

30

Das Schifflein leer hinunterwallt;

Die Sonne sinkt hinter die Berge bald.

 

169

Und als der Mond am Himmel stand,

Die Liebchen schwimmen tot ans Land,

Er hüben und sie drüben.

 

 

 

IV.

Der Zauberleuchtthurm

 

Des Zauberers sein Mägdlein saß

In ihrem Saale rund von Glas.

Sie spann beim hellen Kerzenschein,

Und sang so glockenhell darein;

5

Der Saal, als eine Kugel klar,

In Lüften aufgehangen war

An einem Thurm auf Felsenhöh',

Bei Nacht hoch ob der wilden See,

Und hing in Sturm und Wettergraus

10

An einem langen Arm hinaus.

Wenn nun ein Schiff in Nächten schwer

Sah weder Rath noch Rettung mehr,

Der Lootse zog die Achsel schief,

Der Hauptmann alle Teufel rief,

15

Auch der Matrose wollt verzagen:

O weh mir armen Schwartenmagen!

Auf einmal scheint ein Licht von fern

Als wie ein heller Morgenstern;

Die Mannschaft jauchzet überlaut:

20

Heida! jezt gilt es trockne Haut!

Aus allen Kräften steuert man

Jezt nach dem theuren Licht hinan,

170

Das wächst und wächst und leuchtet fast

Wie einer Zaubersonne Glast,

25

Darin ein Mägdlein sizt und spinnt,

Sich beuget ihr Gesang im Wind;

Die Männer stehen wie verzückt,

Ein jeder nach dem Wunder blickt

Und horcht und staunet unverwandt,

30

Dem Steuermann entsinkt die Hand,

Hat Keiner auf das Schiff mehr Acht;

Bis es am Felsenriffe kracht.

Die Luft zerreißt ein Jammerschrei:

Herr Gott im Himmel, steh' uns bei!

35

Da löscht die Zauberin ihr Licht;

Noch einmal aus der Tiefe bricht

Verhallend Weh aus Einem Munde:

Da zuckt das Schiff und sinkt zu Grunde.

 

 

 

171

Das lustige Wirthshaus.

 

Ballade, beim Weine zu singen.

Nichts für ungut, lieber Leser!

Jugendblut hat Uebermuth.

 

Die Burschen.

Man lebet doch wie im Schlaraffenland hier,

Da schmauset man frühe wie spat;

Schon dreht sich der Boden vor Wonne mit mir,

Kaum daß ich die Schwelle betrat!

 

5

Der Becher, ihr Herrn, wird nur gratis gefüllt:

Der Wirth ist kein knausiger Tropf,

Er führt den Hanswurst nicht vergeblich im Schild,

Man wirft euch das Geld an den Kopf.

 

Der Alte, man sagt's, soll ein Zauberer seyn,

10

Er lächelt auch immer so schlau;

– Und seht nur, was treten für Kerl da herein?

Die Eule, der Storch und der Pfau!

 

Seht nur, wie manierlich die Racker sich drehn!

Die Kratzfüß'! Ei Wetter, so schlag!

15

Sie nehmen sich Stühle – das muß ich gestehn,

So was sieht man nicht alle Tag.

 

Mein Alter am Fäßchen, er zapfet den Wein

Und hält sich vor Lachen den Bauch;

Rebekke schenkt ihnen vom feurigsten ein

20

Und zierlich kredenzt sie ihn auch.

 

172

Nun sitzen sie steif wie Professorsleut' da,

Und lassen das Glas unberührt,

Wir Herren vom Humpen sind ihnen zu nah':

Man hat sich leicht compromittirt.

 

25

Nur ruhig, und kehrt euch noch gar nicht an sie!

Die führen ihr Müthlein im Sack;

Es ist nur erlogene Pedanterie,

Sie sind das versoffenste Pack.

 

Inzwischen, mein schönes, schwarzaugiges Kind,

30

Komm, sing' uns was Lustiges vor!

 

Das Mädchen.

Das kann ja geschehen; die Herren dann sind

So gütig und machen den Chor.

 

(Dieselbe fährt fort mit der Zither:)

 

– Mein Vater, der hatte drei Krebse zum Schild,

Da sprachen die Leute nicht ein:

35

Nun führt er den scheckigen Narren im Bild,

Er selber trinkt aber den Wein.

 

Chor.

Heida! sa sa!

Er selber trinkt aber den Wein.

 

Mädchen.

Auch seht ihr ja wohl, wie so herrlich das lauft,

Man denkt, es wär Kirmeß im Haus;

40

Und wenn man uns Betten und Stühle verkauft,

Wir lachen die Leute noch aus.

 

173

Chor.

Heida! sa sa!

Ihr lachet die Leute noch aus.

 

Mädchen.

Mein Vater, heißt's, hab ein klein Männlein im Sold,

Ein Männlein, so fein und so klug,

45

Und wenn er nur möchte und wenn er nur wollt',

Wir hätten Dukaten genug.

 

Chor.

Heida! sa sa!

Ihr hättet Dukaten genug.

 

Mädchen.

Das laß' ich nun gerne dahin gestellt seyn;

Was kümmert mich Silber und Gold!

50

Und zög' ich auf Bettel Land aus und Land ein,

Mein Schätzchen, das bliebe mir hold.

 

Chor.

Heida! sa sa!

Dein Schätzchen das bliebe dir hold.

 

Mädchen.

Denn ich und des Schäfers sein lustiger Franz,

Wir ziehn wie die Vögel so frei,

55

Ich spiele die Zither, das Hackbrett zum Tanz,

Mein Liebster, der spielt die Schalmei.

 

Chor.

 

Heida! sa sa!

Dein Liebster, der spielt die Schalmei.

 

174

Mädchen.

Und wenn meine Mutter Frau Kaiserin wär',

Hätt' ich Kleider und seidene Schuh',

60

Ich gäb' doch den herzigen Jungen nicht her,

Gäb' ihm Kron' und Zepter dazu.

 

Chor.

Heida! sa sa!

Gäbst ihm Kron' und Zepter dazu.

 

Mädchen.

Doch seht mir nur dort das Professorsvolk an!

Das jauchzet und tanzet und hopft!

65

Der Storch und der Pfau und die Eule voran!

Mein Seel, sie sind Alle bezopft!

 

Chor.

Heida! sa sa!

Mein Seel, sie sind Alle bezopft!

 

 

 

175

Mährchen vom sichern Mann.

 

An Louis B.

 

Soll ich vom sicheren Mann ein Mährchen erzählen, so höre!

– Etliche sagen, ihn habe die steinerne Kröte geboren:

Also heißt ein mächtiger Fels in den Bergen des Schwarzwalds

Bauchig und oben platt, der häßlichen Kröte vergleichbar.

5

Darin lag er und schlief bis nach den Tagen der Sündfluth.

Nämlich es war sein Vater ein Waldmensch, tückisch und grausam,

Allen Göttern ein Gräul und allen Nymphen gefürchtet.

Ihm nicht völlig gleich ist der Sohn, doch immer ein Unhold;

Riesenhaft an Gestalt, von breitem Rücken und Schultern.

10

Ehmals ging er fast nackt, unehrbarlich, aber seit Menschen=

Denken im grauen wollenen Rock, mit schrecklichen Stiefeln.

Graue Borsten träget sein Haupt, es starret der Bart ihm.

(Heimlich, so heißt's, besucht ihn der Igelslocher Balbierer

In der Höhle, wo er ihm dient wie der sorgsame Gärtner,

15

Wenn er die Hecken stuzt mit der unermeßlichen Scheere.)

Lauter Nichts ist sein Thun und voller thörichter Grillen:

Wenn er niedersteigt vom Gebirg bei nächtlicher Weile,

Laut mit sich selbst redend, und oft ingrimmigen Herzens

Weg= und Meilenzeiger knickt mit Einem Fußtritt

176

(Diese hasset er auf den Tod, gewißlich ohn' Ursach'),

Oder wenn er zur Winterzeit in's beschneiete Blachfeld

Sich der Länge nach streckt und, aufgestanden, an seinem

Conterfei sich ergözt, mit bergerschütterndem Lachen.

 

Aber nun lag er einmal Mittags in seiner Behausung,

25

Seinen Rübenfraß zu verdauen, welcher ihm süß däucht.

Plötzlich erfüllet wonniger Glanz die Wände der Höhle:

Lolegrin tritt herein, der liebliche Götterjüngling,

Welcher ein Lustigmacher heißt der seligen Götter, 

(Sonst nur auf Orplid*) gesehn, die andern Lande vermeidend)

30

Weyla's schalkischer Sohn, mit dem Narrenkranz um die Schläfe,

Zierlich aus blauen Glocken und Küchenschelle geflochten.

Er nun redet den Ruhenden an mit trüglichem Ernste:

«Suckelborst, sicherer Mann, sey gegrüßt! und höre getraulich,

Was die Himmlischen dir durch meine Sendung entbieten.

35

– Sämmtlich ehren sie deinen Verstand und gute Gemüthsart,

So wie deine Geburt: es war dein Vater ein Halbgott,

Und deßgleichen hielten sie dich stets; aber in Einem

Bist du ihnen nicht recht: das sollst du jetzo vernehmen.

Lieber, bleibe nur liegen getrost! ich setze mich unten

40

Auf den Absatzrand hier deines würdigen Stiefels,

Der wie ein Felsblock ragt, und unschwer bin ich zu tragen.

177

– Siehe, Serachadan zeugete dich mit der Riesenkröte,

Seine Götterkraft in ihrem Leibe verschließend,

Da sie noch lebend war; denn gleich nach ihrer Empfängniß

45

Ward sie verwandelt zu Stein, auch dein Vater hauchte den Geist aus;

Aber du schliefest in Mutterleib neun Monden und drüber,

Denn im zehnten kamen die großen Wasser auf Erden.

Vierzig Tage lang strömte der Regen und vierzig Nächte

Auf die sündige Welt, so Thiere wie Menschen ersäufend;

50

Eine einzige See war über die Lande ergossen,

Ueber Gebirg und Thal und deckte die wolkigen Gipfel.

Aber du lagest zufrieden in deinem Felsen verborgen,

So wie die Auster ruht in festverschlossenen Schalen,

Oder des Meeres Preis, die unbezahlbare Perle.

55

Götter segneten deinen Schlaf mit hohen Gesichten,

Zeigten der Schöpfung Heimliches dir, wie Alles geworden;

Erst, wie der Erdenball, mit wirkenden Kräften geschwängert,

Einst dem dunkelen Nichts entschwebte, zusammt den Gestirnen;

Wie mit Gras und Kraut sich zuerst der Boden begrünte,

60

Wie aus der Erde Milch, so sie hegt im inneren Herzen,

Alles Fleisch ward geformt, das zarte, darinnen der Geist wohnt,

Thier= und Menschengeschlecht; denn erdgeboren sind Beide.

Ferner sang dir dein Traum der Völker späteste Zukunft,

Auch der Throne Wechselgeschick, der Könige Thaten,

65

Ja, du sahst den verborgenen Rath der ewigen Götter.

Solches gönnten sie dir, daß du, ein herrlicher Lehrer

Oder Seher, das Unerhörte wiederum kündest,

178

Nicht den Menschen sowohl, die da leben und wandeln auf Erden, –

Ihnen dient nur wenig zu wissen –, sondern den Geistern

70

In der Schattenwelt, die alten Weisen und Helden,

Welche traurig sitzen und forschen das hohe Verhängniß,

Schweigsam immerdar, des erquicklichen Wortes entbehrend.

Aber vergebens harren sie dein, dieweil du ja gänzlich

Deines erhabnen Berufs vergissest. Laß mich nur offen

75

Dir gestehen, so wie du es bisher getrieben, erscheinst du

Weder ein Halbgott, noch ein Begeisteter, sondern ein Schweinpelz.

Gräulichem Rübenfraß ergeben, sinnst du nur Unheil;

Steigest des Nachts in den Fluß, bis über die Kniee gestiefelt,

Trennst die Bänder los an den Flößen und schleuderst die Balken

80

Weit hinein in das Land, den ehrlichen Flößern zum Torten.

Taglang trollst du müßig umher im wilden Gebirge,

Ahmest das Grunzen des Keulers nach und lockest sein Weibchen,

Greifest, wenn sie nun rennt durch den Busch, die Sau bei den Ohren,

Zwickst die Wüthende, grausam dich weidend an ihrem Geschreie.

85

Siehe, dies wissen wir wohl, denn Alles sehen die Götter.

Aber du reize sie länger nicht mehr, es möchte dich reuen!

Schmeidige doch ein Weniges deine borstige Seele!

Suche zusammen dein Wissen und lichte die rußigen Kammern

179

Deines Gehirns, besinne dich wohl auf Alles und Jedes,

90

Was dir offenbart; dann nimm den Griffel und zeichn' es

Fein mit Fleiß in ein Buch, damit es daure und bleibe;

Leg' es den Todten aus in der Unterwelt! sicherlich weißt du

Wohl die Pfade dahin und den Eingang, welcher dich nicht schreckt,

Denn du bist ja der sichere Mann mit den wackeren Stiefeln.

95

Jetzo sey es genug. Bewahre mein Wort im Gedächtniß,

Lieber! und also scheid' ich. Ade! wir sehen uns wieder.»

 

Sprach's, der schelmische Gott, und ließ den Alten alleine.

Dieser war wie verstürzt, und stand ihm fast der Verstand still.

Endlich hebt er halblaut zu brummen an und zu fluchen,

100

Schandbare Worte zumal, gottlose, nicht zu beschreiben.

Aber nachdem die Galle verraucht war und die Empörung,

Hielt er inne und schwieg; denn es gemahnte der Geist ihn,

Nicht zu trotzen den Himmlischen, deren doch immer die Macht ist,

Sondern zu folgen vielmehr. Und alsbald wühlt sein Gedanke

105

Rückwärts durch der Jahrtausende Wust, bis tief, wo er selber,

Noch ein Ungeborener, träumte die Wehen der Schöpfung,

(Denn so sagte der Gott, und Götter werden nicht lügen)

180

Aber da däucht' es ihm Nacht, dickfinstere; wo er umhertappt,

Nirgend ist noch ein Halt und noch kein Nagel geschlagen,

110

Anzuhängen die Wucht der zentnerschweren Gedanken,

Welche der Gott ihm erregt' in seiner erhabenen Seele.

Und so kam er zu Nichts und schwitzete wie ein Magister.

Endlich ward ihm geschenkt, daß er sich dahin bedachte:

Erst ein Buch sich zu schaffen, ein unbeschriebenes, großes,

115

Seinen Fäusten gerecht und werth des künftigen Inhalts.

Wie er Solches erreicht, o Muse, dies hilf mir verkünden!

 

Längst war die Sonne hinab und Nacht beherrschte den Erdkreis

Seit vier Stunden, da hebt der sichere Mann sich vom Lager,

Setzet den runden Hut auf das Haupt, den Wanderstab faßt er

120

Und verlässet die Höhle. Gemächlich steigt er bergaufwärts,

Redt mit sich selber dabei und brummt nach seiner Gewohnheit.

 

Aber jetzo hub sich der Mond in leuchtender Schöne

Rein am Forchenwalde herauf und erhellte die Gegend,

Sammt der Höhe von Igelsloch, wo nun Suckelborst anlangt.

125

Eben hatte der Wächter die zwölfte Stunde gerufen,

Alles ist ruhig im Dorf und nirgend ein Licht mehr zu sehen,

Nicht in den Kunkelstuben gesellig spinnender Mägdlein,

Nicht am einsamen Stuhle des Webers oder im Wirthshaus,

181

Mann und Weib im Bette, die Last des Tages verschlafend.

130

Sachte tritt Suckelborst nun vor die nächstgelegene Scheuer,

Mißt mit wohlgefälligem Aug' so Höhe wie Breite,

Beider Flügelthore (sie waren nicht von den kleinsten,

Aber er selbst war größer denn sie, dieweil er ein Riese),

Dann betrachtet er Schloß und Riegel, kneipt mit dem Finger

135

Ab den Globen und öffnet das Thor und hebet die Flügel

Aus den Angeln und lehnt an die Wand sie übereinander.

Alsbald schaut er sich um nach des Nachbars Scheuer und schreitet

Zu demselben Geschäft und raubet die mächtigen Thore,

Stellt zu den vorigen sie an die Wand und alsofort macht er

140

Weiter im Gäßchen hinauf, bis er dem fünften und sechsten

Bauern auf gleiche Weise die Tenne gelüftet. Am Ende

Ueberzählt er die Stücke: es waren gerade ein Dutzend

Blätter, und fehlte nur noch, daß er mit sauberen Stricken

Hinten die Angel=Oehre verband, da war es ein Schreibbuch,

145

Gar ein stattliches; doch dies war ein Geschäft für daheime.

Also nimmt er es unter den Arm, das Werk, und trollt sich.

 

Unterdeß war der schnarchenden Bauern Einer vom Schlafe

Aufgeschauert und hörte des schwer=Entwandelnden Fußtritt.

182

Hastig entrauscht er dem Lager und stößt am niedrigen Fenster

150

Rasch den Schieber zurück und horcht und sieht mit Entsetzen

Rings im mondlichen Dorf der Scheuern finstere Rachen

Offen stehn; da fährt er voll Angst in die lederne Hose

(Beide Füße verkehrt, den linken macht er zum rechten),

Rüttelt sein Weib und redet zu ihr die eifrigen Worte:

155

«Käthe, steh' auf! der sichere Mann – ich hab' ihn vernommen –

Hat im Flecken hanthiert und die Scheuern geplündert!

Sieh mir im Hause nach und im Stall! Ich laufe zum Schulzen.»

Also stürmt er hinaus. Doch im Hofe thut er erst selber

Einen Blick in die Ställe, ob auch das Vieh noch vorhanden.

160

Aber da fehlte kein Stück, und die Schecke muht ihm entgegen,

Meint, es wär' Fütternszeit; er aber eilt in die Gasse,

Klopft unterwegs dem Büttel am Laden und ruft ihm das Wort zu:

«Michel, steh' auf! mach' Lärm! der Suckelborst hat den Flecken

Heimgesucht und die Scheuern erbrochen und übel gewirthschaft't!»

165

Solches noch redend war er schon weiter und weckte den Schultheiß,

Weckte den Bürgermeister und alle seine Gefreundte.

 

183

Alsbald werden die Straßen lebendig, es staunen die Männer,

Stoßen Verwünschungen aus, im Chor lamentiren die Weiber.

Jeder durchsuchet seinen Besitz und, halb nur getröstet,

170

Keinen größeren Schaden zu finden, fallen mit Unrecht

Etliche über den Nachtwächter her und schreien: «Du Schlafratz!

Du keinnütziger Tropf!» und ballen die bäurischen Fäuste,

Ihn zu bläuen, und nehmen auch nur mit Mühe Vernunft an.

Endlich zerstreuen sie sich zur Ruhe; doch ordnet der Schultheiß

175

Wachen an auf den Fall, daß der Unhold noch einmal käme.

 

Suckelborst hatte nunmehr die Höhle wieder gewonnen,

Welche von vorn gar weit und hoch in den Felsen sich wölbte.

Duftende Kiefern umschatteten riesenmäßig den Eingang.

Hier denn leget er nieder die ungeheueren Thore,

180

Und sich selber zugleich, des goldenen Schlafes genießend.

 

Aber sobald die Sonne nur zwischen den Bäumen hereinschien,

Gleich an die Arbeit machet er sich, die Thore zu heften.

Saubere Stricke lagen bereit, gestohlene freilich;

Und er ordnet die Blätter mit sinnigen Blicken und füget

185

Vorn und hinten die schönsten zur Decke (sie waren des Schulzen,

Künstlich über das Kreuz mit rothen Leisten beschlagen).

 

184

Aber auf einmal nun in des stattlichen Werkes Betrachtung,

Wächst ihm der Geist, und er nimmt die mächtige Kohle vom Boden,

Legt vor das offene Buch sich nieder und schreibet aus Kräften,

190

Grad' und krumme Strich', in unnachsagbaren Sprachen,

Krazt und schreibt und brummelt dabei nach seiner Gewohnheit.

Anderthalb Tag hanthieret er so, kaum gönnet er Zeit sich,

Speise zu nehmen und Trank, bis die lezte Seite gefüllt ist,

Endlich folget am Schluß das Punctum, groß wie ein Kindskopf.

195

Tief aufathmend erhebet er sich, das Buch zuschmetternd.

 

Jetzo, nachdem er das Herz sich gestärkt mit reichlicher Mahlzeit,

Nimmt er den Hut und den Stock und reiset. Auf einsamen Pfaden

Immer gen Mitternacht läuft er: dies ist der Weg zu den Todten.

Schon mit dem fünften Morgen erreicht er die finstere Pforte.

200

Purpurn streifte so eben die Morgenröthe den Himmel,

Welche den lebenden Menschen das Licht des Tages verkündet,

Als er hinunterstieg, furchtlos, die felsigen Hallen.

Aber er hatte der Stunden noch zweimal zwölfe zu wandeln

185

Durch der Erde gewundenes Ohr, wo ihn Lolegrin heimlich

205

Führete, bis er die Schatten ersah, die, luftig und schwebend,

Dämmernde Räume bewohnen, die Bösen so wie die Guten.

 

Vorn bei dem Eingang sammelte sich unliebsamer Kehricht

Niederen Volks, betrügliche Krämer, Kuppler und Metzen,

Lausige Dichter auch und unzählbares Gesindel.

210

Diese, zu schwatzen gewohnt, zu scherzen oder zu fluchen,

Mühten vergebens sich ab, zu erheben die lispelnde Stimme –

Denn hellklingendes Wort ist nicht den Todten verliehen –

Und so winkten sie nur mit heftig bewegter Geberde,

Stießen und zerrten einander wie im Gewühle des Jahrmarkts.

215

Aber weiter hinein sah man die edleren Geister,

Priester, Könige, Helden; geschmückt mit ewigem Lorbeer.

Ruhig ergingen sie sich und saßen, Manche zusammen,

Manche für sich, und es schied die weit zerstreueten Gruppen

Hügel und Fels und Gebüsch und die finstere Wand der Cypressen.

 

220

Kaum nun war der sichere Mann in der Pforte erschienen,

Aufrecht die hohe Gestalt, mit dem Welt=Buch unter dem Arme,

Sieh, da betraf die Schatten am Eingang tödtliches Schrecken.

Auseinander stoben sie all', wie Kinder vom Spielplatz,

Wenn es im Dorfe nun heißt: «DerHummel ist los!» und «da kommt er!»

186

Doch der sichere Mann, vorschreitend, winkete gnädig

Rings herum, da kamen sie näher, standen und gafften.

 

Suckelborst lehnet nunmehr sein mächtiges Manuscriptum

Gegen den kleinen Hügel, den rundlichen, welchem genüber

Er selbst Platz zu nehmen gedenkt auf moosigem Felsstück.

230

Doch erst leget er Hut und Stock bedächtig zur Seite,

Streicht mit der breiten Hand den beißenden Schweiß von der Stirne,

Räuspert sich, daß die Hallen ein prasselndes Echo versenden,

Sitzet nieder sodann und beginnt den erhabenen Vortrag;

Wie der Erdball, mit wirkenden Kräften geschwängert,

235

Einst dem dunkelen Nichts entschwebte, zusammt den Gestirnen,

Wie mit Gras und Kraut sich zuerst der Boden begrünte,

Wie aus der Erde Milch, so sie hegt im inneren Herzen,

Alles Fleisches ward geformt, das zarte, darinnen der Geist wohnt,

Thier= und Menschengeschlecht; denn erdgeboren sind Beide.

 

240

Solches lehrte der Alte, und still aufhorchten die Schatten

Aber es hatte der Teufel, das schwarze, gehörnete Scheusal,

Sich aus fremdem Gebiet des unterirdischen Reiches

Unberufen hier eingedrängt, neugierig und boshaft –

187

So wie er manchmal pflegt, wenn er Kundschaft suchet und Kurzweil –

245

Und er stellte sich hinter den Alten, ihn zu verhöhnen,

Schnitt Gesichter, und reckte die Zung' und machete Purzel=

Bäum', als ein Aff', und reizte die Seelen beständig, zu lachen.

Wohl bemerkt' es der sichere Mann, doch that er nicht also,

Sondern er redete fort, in würdiger Ruhe beharrend.

250

Indeß trieb es der Andere nur um desto verwegner:

Schob am Ende den Schwanz, den wuchtigen, langen, dem Alten

In die Hintertasche des Rocks, als wenn es ihn fröre:

Plötzlich greifet der sichere Mann nach hinten und packet

Mit der Rechten den Schweif gewaltig und reißet ihn schnellend

255

Bei der Wurzel heraus, daß es kracht' – ein gräßlicher Anblick.

Lautauf brüllet der Böse, die Tatzen gedeckt auf die Wunde,

Dreht im rasenden Schmerz wie ein Kreisel sich, schreiend und winselnd,

Und es schoß ihm das Blut wie heißes Pech aus der Wunde.

Jezt, wie ein Pfeil, zur Seite gewendet, schmählich entrinnt er

260

Durch die schnell eröffnete Gasse der staunenden Seelen,

Nach der eigenen Hölle verlangend, wo er zu Haus war.

Und man hörte noch weit aus der Ferne des Flüchtigen Wehlaut.

 

188

Aber es standen die Schaaren umher von Grausen gefesselt,

Ehrfurchtsvoll die Augen zum sicheren Manne erhoben.

265

Dieser hielt noch und wog den wuchtigen Schweif in den Händen,

Den bisweilen zuckender Schmerz noch leise bewegte;

Sinnend schaut' er ihn an und sprach die prophetischen Worte:

 

«Wie viel Mal thut der sichere Mann dem Teufel ein Leides?

Erstlich heute, wie eben geschehn, ihr saht es mit Augen.

270

Dann ein zweites, ein drittes Mal in der Zeiten Vollendung:

Dreimal rauft der sichere Mann dem Teufel den Schweif aus.

Solcher sprosset ihm zwar von Neuem, aber nicht ganz mehr,

Sondern kürzer, je um ein Drittheil, bis daß er welket.

Gleichermaßen vergeht dem Bösen der Muth und die Stärke,

275

Kindisch wird er und alt und ein Bettler, Allen verachtet.

Dann wird ein Jubel seyn in der Unterwelt und auf der Erde,

Aber der sichere Mann wird ein lieber Genosse den Göttern.»

 

Dies gesprochen, legt er den Schweif in das Buch als ein Zeichen,

Sorgsam, daß oben noch just der haarige Büschel heraussah:

280

«So! da machen wir denn ein ander Mal weiter!» und – Basta

189

Schlägt er den Deckel zu des ungeheueren Werkes,

Faßt es unter den Arm, nimmt Hut und Stock und empfiehlt sich.

 

Unermeßliches Beifallklatschen des sämmtlichen Pöbels

Folgte dem Trefflichen nach, bis er ganz in der Pforte verschwunden,

285

Und es rauschte noch lang und tosete schwärmende Freude.

 

Aber Lolegrin hatte, der Gott, das ganze Spektakel

Heimlich mit angesehn und gehört, in Gestalt der Cicade

Auf dem hangenden Zweig der schwarzen Weide sich wiegend.

Jetzo verließ er den Ort und schwang sich empor zu den Göttern,

290

Ihnen treulich zu melden die Thaten des sicheren Mannes

Und das himmlische Mahl mit süßem Gelächter zu würzen.

 

*)  Orplid, eine fabelhafte Insel, deren Beschützerin die Göttin

Weyla ist. Man vergleiche überhaupt zu diesem Stück:

Maler Nolten, 1r Thl. S. 142 und 171.

 

 

 

190

Gesang Weyla's.

 

Du bist Orplid, mein Land!

Das ferne leuchtet;

Vom Meere dampfet dein erwärmter Strand

Den Nebel, so der Götter Wange feuchtet.

 

5

Uralte Wasser steigen

Verjüngt um deine Hüften, Kind!

Vor deiner Gottheit beugen

Sich Könige, die deine Wärter sind.

 

 

 

 

191

Der Tambour.

 

Wenn meine Mutter hexen könnt',

Da müßt' sie mit dem Regiment

Nach Frankreich, überall mit hin,

Und wär' die Markedenterin.

5

Im Lager, wohl um Mitternacht,

Wenn Niemand auf ist als die Wacht,

Und Alles schnarchet, Roß und Mann,

Vor meiner Trommel säß' ich dann:

Die Trommel müßt' eine Schüssel seyn,

10

Ein warmes Sauerkraut darein,

Die Schlegel Messer und Gabel,

Eine lange Wurst mein Sabel,

Mein Tschako wär' ein Humpen gut,

Gefüllet mit Burgunderblut,

15

Und weil es mir an Lichte fehlt,

Da scheint der Mond in mein Gezelt,

Scheint er auch auf Franzö'sch herein,

Mir fällt doch meine Liebste ein:

Ach weh! jezt hat der Spaß ein End'!

20

– Wenn nur meine Mutter hexen könnt'!

 

 

 

 

192

Die Soldatenbraut.

 

Ach, wenn's nur der König auch wüßt',

Wie wacker mein Schatzelein ist!

Für den König, da ließ er sein Blut,

Für mich aber eben so gut.

 

5

Mein Schatz hat kein Band und kein' Stern,

Kein Kreuz wie die vornehmen Herrn,

Mein Schatz wird auch kein General:

Hätt' er nur seinen Abschied einmal!

 

Es scheinen drei Sterne so hell

10

Dort über Marien=Kapell;

Da knüpft uns ein rosenroth Band,

Und ein Hauskreuz ist auch bei der Hand.

 

 

 

 

193

Auftrag.

 

An S.

 

In poetischer Epistel

Ruft ein desperater Wicht

Aus dem Ton der höchsten Fistel:

Schurke, warum schreibt Er nicht?!

 

5

Weiß Er doch, es lassen Herzen,

Die die Liebe angeweht,

Ganz und gar nicht mit sich scherzen,

Und nun vollends ein Poet!

 

Denn ich bin von dem Gelichter,

10

Dem der Kopf beständig voll:

Bin ich auch nur halb ein Dichter,

Bin ich doch zur Hälfte toll.

 

Amor hat Ihn mir verpflichtet,

Und fürwahr, der durft' es schon,

15

Denn der Mund, der Ihm berichtet,

Reicht zugleich den Botenlohn.

 

Pass' Er denn zur guten Stunde,

Wenn Sein Schatz durch's Lädchen schaut,

Lock' ihr jedes Wort vom Munde,

20

Das mein Schätzchen ihr vertraut.

 

194

Schreib' Er mir dann von dem Mädchen

Ein halb Dutzend Bogen voll,

Und daneben ein Traktätchen,

Wie ich mich verhalten soll.

 

 

 

 

195

Unser Friz.

 

(d. 3. März 1827)

 

Unser Friz richt't seinen Schlag,

Wollt' ein Meislein fangen,

Doch weil ihm denselben Tag

Keines drein gegangen,

5

Wird dem Friz zu lang die Zeit,

Denkt: ich hab' umsonst gestreut,

Will ja keine kommen.

 

Nach acht Tagen fällt ihm ein,

Im Garten zu spazieren:

10

Es ist schöner Sonnenschein,

Man kann nicht erfrieren;

Und am alten Apfelbaum

Kommt's ihm plötzlich wie im Traum:

Ob der Schlag gefallen?

 

15

«Ja! es sizt ein Vogel drinn!

Aber, weh! o wehe!

Das ist trauriger Gewinn:

Todt, so viel ich sehe!

– Aber was kann ich dafür?

20

Sicher hat das dumme Thier

Sich zu todt gefressen!»

 

196

So tröst't sich dein Mörder wohl,

Der dich hungern lassen,

Aber ich vor Leid und Groll

25

Weiß mich nicht zu fassen!

Hast alle Bröslein aufgepickt,

Hast dann vergebens umgeblickt,

Wo noch ein Körnlein wäre!

 

Ihr andern Vöglein allesammt,

30

Wohl unterm blauen Himmel!

Ihr habt mit Wehgesang verdammt

Den Vogelsteller=Lümmel.

Ach, Eines starb so balde, bald!

Eben da in Feld und Wald

35

Der Frühling wollte kommen.

 

 

 

 

197

Einer verehrten Frau

 

zum Geburtstage, mit einem Blumenstock.

 

Man sagt, an solchen Tagen sey es Pflicht,

Sich selber einen Spiegel vorzuhalten;

Ich bring' ihn Dir; verschmäh' dies Blümchen nicht,

Es soll Dir Deinen eignen Werth entfalten.

 

5

Sieh' der bescheidenen Reseda Blüthe,

Ein Bild der Menschenfreundlichkeit,

Die ohne Prunk, voll innerer Herzensgüte,

Den Wohlgeruch der thät'gen Liebe streut.

 

 

 

 

198

Die Visite.

 

Philister kommen angezogen:

Man sucht im Garten mich und Haus;

Doch war der Vogel ausgeflogen

Zum vielgeliebten Wald hinaus.

5

Sie kommen, mich auch da zu stören;

Schon heißt es: Horcht! die Nachtigall!

– Gleich lass' ich mich als Gukuk hören,

Bin nirgends und bin überall.

 

So führt' ich sie, nur wie im Traume,

10

Als Puck im ganzen Wald herum;

Ich pfiff und sang von jedem Baume,

Sie sahn sich fast die Hälse krumm.

Nun schalten sie: Verfluchte Possen!

Der Sonderling, der Grobian!

15

Da komm' ich grunzend angeschossen,

Ein Eber, mit gefletschtem Zahn.

 

Mit Schrei'n, als wenn der Boden brennte,

Zerstob ein Theil im wilden Lauf,

Die Andern kletterten behende

20

Den nächsten besten Baum hinauf;

Sie krochen weislich bis zum Wipfel,

Und sahen nicht einmal zurück,

Doch ich als Eichhorn saß im Gipfel:

Ich grüße sie und wünsche Glück.

 

199

«Ei, welch ein allerliebstes Späßchen!

Gott grüß' euch, schöne Fraun und Herrn!

Sie kommen, hoff' ich, auf ein Täßchen

Eichel=Kaffee? Von Herzen gern!»

– Allein sie fanden's nicht gemüthlich

30

In dieser ungewohnten Höh'.

So schieden wir für heute gütlich;

Doch wehe meiner Renommée!

 

 

 

 

200

An –

 

Ei, wer hätt' es je gemeint,

Fräulein Ludovike!

Hat man denn, so lieb man scheint,

Auch geheime Tücke?

 

5

Mädchen! wer ergründet euch?

Räthsel ohne Ende!

Arg und falsch und engelgleich,

Wer das reimen könnte!

 

O, nicht süßen Honig nur

10

Führen eure Lippen;

Und so seyd ihr von Natur

Liebliche X – – – .

 

 

 

 

201

An Florentine.

 

Wildes Mädchen! schau mir doch

Einmal recht in's Auge!

Ob so gar nichts dir darin

Nur ein wenig tauge?

 

5

Zwar dein liebes Bild hast du

Oefters drin gesehen,

Freutest auch des Spiegels dich,

Läß'st ihn wieder stehen.

 

Doch so mußt du mehr und mehr

10

Dir darin gefallen,

Und am Ende bleibt er dir

Lieb und werth vor allen.

 

 

 

 

202

Der Liebhaber

 

an die heiße Quelle in B.

 

Du heilest Den und tröstest Jenen,

O Quell, so hör' auch meinen Schmerz!

Ich klage dir mit bittern Thränen

Ein hartes, kaltes Mädchenherz.

 

5

Es zu erweichen, zu durchglühen,

Dir ist es eine leichte Pflicht;

Man kann ja Hühner in dir brühen,

Warum ein junges Gänschen nicht?

 

 

 

 

203

Lammwirths Klagelied.

 

Da droben auf dem Markte

Spazier' ich auf und ab,

Den ganzen lieben langen Tag,

Und schaue die Straße hinab.

 

5

Es steht ein Regenbogen

Wohl über jenem Haus,

Mein Schild ist eingezogen,

Ein andrer hangt heraus.

 

Heraus hangt über der Thüre

10

Ein Hahn mit rothem Kamm;

Als ich die Wirthschaft führte,

War es ein güldenes Lamm.

 

Mein Schäflein wohl zu scheeren,

Ich sparte keine Müh',

15

Ich bin herunter gekommen,

Und weiß doch selber nicht, wie.

 

Nun läuft es mit Köchen und Kellnern

Im ganzen Hause so voll,

Ich weiß nicht, wem ich von Allen

20

Zuerst den Hals brechen soll.

 

204

Da kommen die Chaisen gefahren!

Der Hausknecht springt in die Höh'.

Vorüber, ihr Rößlein, vorüber,

Dem Lammwirth ist gar so weh!

 

 

 

205

Der Kanonier.

 

(Mit einer Zeichnung.)

 

Auf der Erde begegneten sich die Schaaren des Himmels

Und der Höllen; es kommt eben zur förmlichen Schlacht.

Vorn auf dem Hügel steht ein Teufel bei der Kanone;

Sein stets rauchender Schwanz dient ihm als Lunte dabei.

5

(Etwas phantastisch geformt ist der Feuerschlund, Flügel des Drachen,

Statt der Räder, stehn hüben und drüben empor:

Denn man braucht dies Geschütz zuweilen über den Wolken

Bei Blokaden, da fliegt es durch die höllische Kunst.)

Aber der Kerl ist feige; denn während langsam der Schweif sich

10

Nach dem Zündloch bewegt, hält er die Ohren sich zu,

Seitwärts über die Achsel schielend; jetzo die Augen

Fest zudrückend, Tupf! folgt der entsetzliche Knall.

 

 

 

206

Charis und Penia.

 

A.

Seht doch den Schläfer dort in's Gras gestreckt!

Es ist des Gauklers Sohn, der schöne Knabe,

Den gestern wir so lieblich tanzen sahn.

Für jezt das bunte Jäckchen abgeworfen,

5

Den Schatten suchend vor der Mittagsschwüle,

Warf er sich in des Wirthes Garten, faul,

Hier unter den Syringenbusch.

 

B.

Frei, losgebunden ruht ein jedes Glied;

Nur bei den Knöcheln schmiegen sich die Füße,

10

Das rothe Paar der Stiefeln, um einander,

Dem Blüthenknopfe des Granatbaums gleich,

Der eben aufzubrechen Willens ist;

Es scheinen seine Füße wie zum Tanz

In jedem Augenblicke sich zu öffnen.

 

C.

15

Es ist, als athmen sie im Schlafe selbst

Den holden Geist des Tanzes! Ja gewiß,

Er träumt Musik zu hören.

 

A.

    Aber seht,

Wie rührend spricht aus diesen fremden Zügen

Jezt offne, reine Menschlichkeit sich aus!

207

Bajazzo's rohe Stimme ist entfernt,

Die Peitsche, die zum Scherze, doch empfindlich

Den Kleinen traf, der sich zum Lachen zwang.

 

B.

Ich weck' ihn auf! und stürzt er auch im Traum

Von seinem Seil, er fällt in's weiche Gras.

 

Knabe im Schlaf.

25

No! No! per Dio santo! Mein ist die Wurst,

Du Immeldonnerwetter!

 

Die Freunde.

Ach so! Das war's!

Nun, das ist lustig!

 

C.

Er erwacht und hebt

Den Kopf; verstört, beschämt schaut er uns an.

 

B.

Komm, guter Junge, dort an unsern Tisch!

30

So recht – nur munter!

Magst du denn Wurst?

 

Knabe.

Si, si, cari Signori!

Gern das ik freß'.

 

A.

O Charis! O Penia!

Wie seyd ihr einzig, wenn ihr euch umarmt!

 

 

 

208

An meinen Vetter.

 

Lieber Vetter! Er ist eine

Von den freundlichen Naturen,

Die ich Sommerwesten nenne.

Denn sie haben wirklich etwas

5

Sonniges in ihrem Wesen.

Es sind weltliche Beamte,

Rechnungsräthe, Revisoren,

Oder Cameralverwalter,

Auch wohl manchmal Herrn vom Handel,

10

Aber meist vom ältern Schlage,

Keinesweges Petitmaitres,

Haben manchmal hübsche Bäuche,

Und ihr Vaterland ist Schwaben.

 

Neulich auf der Reise traf ich

15

Auch mit einer Sommerweste

In der Post zu Besigheim

Eben zu Mittag zusammen.

Und wir speisten eine Suppe,

Darin rothe Krebse schwammen,

20

Rindfleisch mit französ'schem Senfe,

Dazu liebliche Radieschen,

Dann Gemüse, und so weiter;

Schwazten von der neu'sten Zeitung,

Und daß es an manchen Orten

25

Gestern stark gewittert habe.

 

209

Drüber zieht der wackre Herr ein

Silbern Büchslein aus der Tasche,

Sich die Zähne auszustochern;

Endlich stopft er sich zum schwarzen

30

Kaffee seine Meerschaumpfeife,

Dampft und discurrirt und schaut in=

mittelst einmal nach den Pferden.

 

Und ich sah ihm so von hinten

Nach und dachte: Ach, daß diese

35

Lieben, hellen Sommerwesten,

Die bequemen, angenehmen,

Endlich doch auch sterben müssen!

 

 

 

210

Gute Lehre

 

In unsers Pfarrers Garten,

Es fällt ein warmes Regelein,

Wie duften da die Blumen,

Die Apfelblüth' so fein!

 

5

Im Häuselein da drüben

Ein Bauer vespert wohlgemuth,

Hat's Fensterlein halb offen,

Das Lüftlein thät ihm gut.

 

Ei, spricht er bei sich selbsten,

10

Ein Sonntagssträuschen hätt' ich gern,

Auf morgen in die Predigt,

Tulipanen oder Stern.

 

Ein Vöglein hat's vernommen,

Das denkt: dir soll geholfen seyn;

15

Thät schnell ein Blümlein holen,

Und bringt's im Schnäbelein.

 

Ei, lachte da mein Peter!

Hat flugs sein Fenster zugemacht,

Hat's Vögelein gefangen

20

Und in den Käfig bracht.

 

211

Ach, muß das Vöglein trauern!

Und war auch von der Stunde krank;

Sind feine Kerl die Bauern,

Die geben Stank für Dank!

 

 

 

212

Restauration

 

nach Durchlesung eines Manuskripts mit Gedichten.

 

Das süße Zeug ohne Saft und Kraft!

Es hat mir all mein Gedärm erschlafft.

Es roch, ich will des Henkers seyn,

Wie lauter welke Rosen und Camille=Blümlein.

5

Mir ward ganz übel, mauserig, dumm,

Ich sah mich schnell nach was Tüchtigem um,

Lief in den Garten hinter'm Haus,

Zog einen herzhaften Rettig aus,

Fraß ihn auch auf bis auf den Schwanz,

10

Da war ich wieder frisch und genesen ganz.

 

 

 

213

Zur Warnung.

 

Einmal nach einer lustigen Nacht

War ich am Morgen seltsam aufgewacht:

Durst – Wasserscheu – ungleich Geblüt,

Dabei gerührt und weichlich im Gemüth,

5

Beinah poetisch, ja, ich bat die Muse um ein Lied;

Sie, mit verstelltem Pathos, spottet' mein,

Gab mir den schnöden Bafel ein:

 

«Es schlagt eine Nachtigall

Am Wasserfall;

10

Und ein Vogel ebenfalls,

Der schreibt sich Wendehals,

Johann Jakob Wendehals;

Der thut tanzen

Bei den Pflanzen

15

Obbemeldten Wasserfalls –»

 

So ging es fort: mir wurde immer bänger;

Jezt sprang ich auf – zum Wein; Der war denn auch mein Retter.

– Merkt's euch, ihr thränenreichen Sänger,

Im Katzenjammer ruft man keine Götter!

 

 

 

214

Alles mit Maas.

 

Mancherlei sind es der Gaben, die gütige Götter den Menschen

Zum Genusse verliehn und für die tägliche Nothdurft.

Aber vor jeglichem Ding begehr' ich gebratenen Schweinsfuß.

Meine Frau Wirthin, die merkt's, nun hab' ich alle Tag' Schweinsfüß'.

5

Oefters ahnt' mir im Geist: jezt ist kein einziger Schweinsfuß

In der Stadt mehr zu finden: Was krieg' ich zu Mittag? Schweinsfüß'!

Spräche der König nun gleich zu seinem Koch: Schaff' mir Schweinsfüß'!

Gnade der Himmel dem Mann! denn nirgend mehr wandelt ein Schweinsfuß.

Und ich sagte zur Wirthin zulezt: «Nun laßt mir die Schweinsfüß'!

10

Denn er schmeckt mir nicht mehr wie sonst, der bräunliche Schweinsfuß.»

Aber sie denkt, aus Zartgefühl nur verbät' ich die Schweinsfüß',

Lächelnd bringet sie mir auch heute gebratenen Schweinsfuß –

Ei so hole der Teufel auf ewig die höllischen Schweinsfüß'!

 

 

 

215

Kalter Streich.

 

A.

Ich will mich selber just nicht rühmen;

Doch darf ich sagen: Es ist so ein Geist

von «Stunden der Andacht».

 

B.

Ja? Und wie heißt –

 

A.

Der Titel? «Amor und Hymen

5

Eine christliche Gabe für beide Geschlechter,

Besonders für gebildete Töchter»

 

B.

Pfui Teufel!

 

A.

Was? Mein Werk? Sind Sie bei Verstand?

So eben meldete sich der achthundertste Pränumerant!

 

B.

Ich glaub's; die lieben Eltern gegenwärtig

10

Sind selber ungemein davon charmirt,

Wenn bei der süßen Jugend allzeit fertig

Amor dem Hymen pränumerirt.

 

 

 

216

Falsche Manier.

 

Ach, ich merke, Freund, du möchtest

Gern pikant dein süß Gedicht;

Aber in der Pfeffermühle

Mahlt man keinen Zucker nicht.

 

 

 

Schul-Schmäcklein.

 

Ei ja! es ist ein vortrefflicher Mann,

Wir lassen ihn billig ungerupft;

Aber seinen Versen merkt man an,

Daß der Verfasser Lateinisch kann

5

Und schnupft.

 

 

 

217

Auf die Prosa eines Beamten

 

A.

Welch ein Gedankendrang in den Perioden! ein wahrer

Stilus infarctus, von dem Quinctilian nichts gewußt!

 

B.

Ganz wurstartig, auf Ehre! Die Schrift ist ein einzig farcimen,

Und der Zipfel guckt hinten und vorne heraus.

 

 

 

218

Bei Gelegenheit eines Kinderspielzeugs,

vorstellend:

Hanswurst an der Sandmühle.

 

Hanswurst.

Schauen's gefälligst, meine Lieben,

Ein hübsch Geschäft wird hier betrieben.

Geht wohl einem Müller im ganzen Land

Sein Metier so lustig aus der Hand?

5

Zwar das bekenn' ich frank und frei,

Besonderer Segen ist nicht dabei:

Sand gießt man ein, Sand kommt heraus;

Man dächte fast, hier wär' ein Narr zu Haus.

Sobald ich übrigens insoweit fertig bin,

10

Hab' ich etwas wirklich Gemeinnütziges im Sinn.

 

Ein Bürger.

Was denn, Hans?

 

Hanswurst.

Ein neues Augenpulver.

 

Zweiter Bürger.

Aus Streusand, Kerl? o weh!

 

Hanswurst.

Ein herrlich Volksmittel.

 

Erster Bürger.

Volksmittel? Ich versteh',

15

Spitzbub! Schlagt ihm den Schädel ein!

 

219

Hanswurst.

Ihr Herrn, da muß ein Irrthum seyn.

 

Beide Bürger.

Hundsfott! dich hat die Regierung im Sold!

 

Hanswurst.

Ich will des Teufels seyn, ich weiß nicht, was ihr wollt.

Hülfe! zu Hülfe!

 

Andere.

20

Was gibt's?

 

Erster und Zweiter.

Da! Sand will man uns in die Augen streu'n!

Der Polignac steckt dahinter!

 

Andere.

Seyd gescheit,

Der Narr hatt' euch zum Besten, gute Leut'!

Ihr kennt ihn ja, es ist der Alte.

 

Hanswurst.

25

Gleich beißen und kratzen! Gott verdamm's!

Hab' doch tausend Farben an Hosen und Wamms

Zum Zeichen, daß ich's mit keiner halte!

Wenn ich meinen Purzelbaum machen kann,

Was ficht die Politik mich an?

 

Ein Bürger.

30

Ich glaub's ihm gern; der Sand ist nur so nebenher.

 

Hanswurst.

Mein Seel! treibt ihr mein Rad, ich mahl' euch lotterleer!

 

220

Erster Bürger.

Der Tagdieb!

 

Hanswurst.

Was, du Schuft?

Gott der Herr schlägt am lustigen Sommertage

Seinen bunten Reifen in die Luft, –

35

Was guckst du scheel, wenn ich den meinen schlage?

Der eine nuzt so wenig wie der ander',

Aber Kinder und Narren sehen's gern.

Ich bin nicht Bonapart' und bin nicht Alexander,

Und hab' doch meinen Sparr'n so gut wie diese Herrn.

40

– Was führt ihr überhaupt so einen hohen Ton

Und schämt euch schier, mich auch nur zu belachen?

Ich sah die ganze würdige Nation

Schon viel possirlichere Sprünge machen!

 

Aus jezt – wem sein Kopf lieb ist!

 

 

 

221

Hülf' in der Noth.

 

Ein rechter Freund erscheint uns in der Noth

Zu rechter Zeit und sicher wie der Tod.

Doch offen, Bester, sag' ich dir,

Du hast eine ganz verwünschte Manier!

5

Du trocknest mir den Jammerschweiß,

Und machst mir doch die Hölle heiß,

Du bringst das ganze jüngste Gericht

Mit dir; – bei Gott, so meint ich's nicht!

 

 

 

222

Selbstgeständniß.

 

Ich bin meiner Mutter einzig Kind,

Und weil die andern ausblieben sind,

Was weiß ich wie viel, die Sechs oder Sieben,

Ist eben Alles an mir hängen blieben;

5

Ich hab' müssen die Liebe, die Treue, die Güte

Für ein ganz halb Dutzend allein aufessen,

Ich will's mein Lebtag nicht vergessen.

Es hätte mir aber noch wohl mögen frommen,

Hätt' ich nur auch Schläg' für Sechse bekommen.

 

 

 

223

Bei einer Trauung

 

Vor lauter hochadligen Zeugen

Copuliert man ihrer Zwei;

Die Orgel hängt voll Geigen,

Der Himmel nicht, mein' Treu!

5

O weh', sie weint ja gräulich,

Er macht ein Gesicht abscheulich!

Denn leider, freilich, freilich

Keine Lieb' ist nicht dabei.

 

 

 

224

Meines Vetters Brautfahrt.

 

Ach, wie wird er sich freun, die liebe Braut zu begrüßen?

– Aber wo bleibt er so lang? Sagt ihm, die Kutsche sey da!

Droben liegt er im Bett, verdrießlich, und lieset in Schellers

Lexikon! als ich ihn schalt, rief er halb grimmig: «Nun ja,

5

Gebt mir andere Strümpf'! die haben Löcher – ach freilich

Eine Frau muß in's Haus, die mich von Fuß auf kurirt!»

 

 

 

225

An einen Prediger.

 

Lieber! ganz im Vertrauen gesagt: Es buhlt mit dem Ehrgeiz

Deine Andacht: Du trägst Hörnlein, und Satanas lacht.

 

 

 

226

Pastor an seine Zuhörer.

 

Gefall' ich euch nicht, ei so bleibt doch zu Haus,

Oder geht zu einem Andern!

Der zieht euch die Zähn' mit dem Stiefelknecht aus;

Wir sind noch von den Galantern.

 

 

 

Pastoralerfahrung.

 

Meine guten Bauern freuen mich sehr;

Eine «scharfe Predigt» ist ihr Begehr.

Und wenn man mir es nicht verdenkt,

Sag' ich, wie das zusammenhängt.

5

Sonnabend, wohl nach Elfe spat,

Im Garten stehlen sie mir den Salat;

In der Morgenkirch' mit guter Ruh'

Erwarten sie den Essig dazu;

Der Predigt Schluß fein linde sey:

10

Sie wollen gern auch Oel dabei.

 

 

 

227

Neutheologische Kanzelberedtsamkeit

 

A.

Der biblische Text ist gar nicht schlecht,

Nur sing' ich nach eigenen Noten.

 

B. bei Seite.

Ja, untersucht nur seine Kanzel recht:

Sie hat einen doppelten Boden.

 

 

 

Lückenbüßer.

 

«Hochehrwürdiger Herr», so hätt' ich gern geschrieben,

Aber die Ehre schien mir fast und die Würde zu hoch;

Euch verdroß indeß mein P. P.; doch setz ich es wieder

Ueber den Brief; denkt Euch pater peccavi dabei.

 

 

 

228

An –

 

Laß doch dein Dichten! hast ja Geld;

Tropf! brauch's, die Poesie lebendig zu betreiben!

Was gilt's? dich freut das Schönste in der Welt

Nur halb, vor lauter Angst, du müssest es beschreiben.

 

 

 

Auskunft.

 

Dumme Tadler und Lober auf beiden Seiten! Doch darum

Hat mir mein Schöpfer den Kopf zwischen die Ohren gesezt.

 

 

 

229

Abschied.

 

Unangeklopft ein Herr tritt Abends bei mir ein:

«Ich habe die Ehr', Ihr Recensent zu seyn.»

Sofort nimmt er das Licht in die Hand,

Besieht lang meinen Schatten an der Wand,

5

Rückt nah und fern: «Nun, lieber junger Mann,

Sehn Sie doch gefälligst 'mal Ihre Nas' so von der Seite an!

Sie geben zu, daß das ein Auswuchs is.»

– Das? Alle Wetter – gewiß!

Ei Hasen! ich dachte nicht,

10

All mein Lebtage nicht,

Daß ich so eine Welts=Nase führt' im Gesicht!!

 

Der Mann sprach noch Zerschiednes hin und her,

Ich weiß, auf meine Ehre, nicht mehr;

Meinte vielleicht, ich sollt' ihm beichten.

15

Zulezt stand er auf; ich that ihm leuchten.

Wie wir nun an der Treppe sind,

Da geb' ich ihm, ganz froh gesinnt,

Einen kleinen Tritt,

Nur so von hinten auf's Gesäße, mit –

20

Alle Hagel! ward das ein Gerumpel,

Ein Gepurzel, ein Gehumpel!

Dergleichen hab' ich nie gesehn,

All mein Lebtage nicht gesehn

Einen Menschen so rasch die Trepp' hinab gehn!

 

 

 

230

Tout comme chez nous.

 

Erste Henne.

Nur einen Dotter hat doch sonst ein Ei,

Das meine hier hat ihrer zwei!

 

Andere Henne.

Ach, Frau Gevatter, ich bitte Sie!

Das gibt wahrhaftig ein Genie.

 

Dritte Henne.

5

Ja wohl, Natur treibt gern so loses Spiel,

Hat manchmal einen Sparren zu viel.

 

Der Hahn halblaut.

Ich glaub', der Wind bläst wo anders her:

Die legt schon Jahr und Tag nicht mehr.

Kikeriki!

 

 

 

231

Peregrina.

 

I.

 

Der Spiegel dieser treuen, braunen Augen

Ist wie von innerm Gold ein Widerschein;

Tief aus dem Busen scheint er's anzusaugen,

Dort mag solch Gold in heil'gem Gram gedeih'n.

5

In diese Nacht des Blickes mich zu tauchen,

Unwissend Kind, du selber lädst mich ein,

Willst, ich soll kecklich mich und dich entzünden,

Reichst lächelnd mir den Tod im Kelch der Sünden!

 

 

II.

 

Aufgeschmückt ist der Freudensaal.

Lichterhell, bunt, in laulicher Sommernacht

Stehet das offene Gartengezelte.

Säulengleich steigen,

5

Reichlich durchwirket mit Laubwerk,

Die stolzen Leibergepaart,

Sechs gezähmter, riesiger Schlangen,

Tragend und stützend das

Leichtgegitterte Dach.

 

10

Aber die Braut noch wartet bescheiden

In dem Kämmerlein ihres Hauses;

Endlich bewegt sich der Zug der Hochzeit,

232

Fackeln tragend,

Feierlich stumm.

15

Und in der Mitte,

Mich an der rechten Hand,

Schwarzgekleidet, geht einfach die Braut,

Schöngefaltet ein Scharlachtuch

Liegt um den zierlichen Kopf geschlagen;

20

Lächelnd geht sie dahin;

das Mahl schon duftet.

 

Später im Lärmen des Fests

Stahlen wir seitwärts uns Beide

Weg, nach den Schatten des Gartens wandelnd,

25

Wo im Gebüsche die Rosen brannten,

Wo der Mondstrahl um Lilien zuckte,

Wo die Bäume von Nachtthau troffen.

 

Und nun strich sie mir, stillestehend,

Seltsamen Blicks mit dem Finger die Schläfe,

30

Jählings versank ich in tiefen Schlummer,

Aber gestärkt vom Wunderschlafe

Bin ich erwacht zu glückseligen Tagen,

Führte die seltsame Braut in mein Haus ein.

 

 

III.

 

Ein Irrsal kam in die Mondscheingärten

Einer einst heiligen Liebe.

Schaudernd entdeckt' ich verjährten Betrug.

233

Und mit weinendem Blick, doch grausam,

5

Hieß ich das schlanke,

Zauberhafte Mädchen

Ferne gehen von mir.

Ach, ihre hohe Stirn,

Drin ein schöner, sündhafter Wahnsinn

10

Aus dem dunkelen Auge blickte,

War gesenkt, denn sie liebte mich;

Aber sie zog mit Schweigen

Fort in die graue,

Stille Welt hinaus.

 

15

Von der Zeit an

Kamen mir Träume voll schöner Trübe,

Wie gesponnen auf Nebelgrund;

Wußte nimmer, wie mir geschah,

War nur schmachtend seliger Krankheit voll.

 

20

Oft in den Träumen zog sich ein Vorhang

Finster und groß ins Unendliche

zwischen mich und die dunkle Welt;

Hinter ihm ahnt' ich ein Haideland,

Hinter ihm hört' ich's wie Nachtwind sausen;

25

Auch die Falten des Vorhangs

Fingen bald an sich im Sturme zu regen:

Gleich einer Ahnung strich er dahinten,

Ruhig blieb ich und bange doch:

Immer leiser wurde der Haidesturm – Siehe! da kam's

 

234

Aus einer Spalte des Vorhangs guckte

Plötzlich der Kopf des Zaubermädchens,

Lieblich war er und doch so beängstend.

Sollt' ich die Hand ihr nicht geben

In ihre liebe Hand?

35

Bat denn ihr Auge nicht,

Sagend, da bin ich wieder

Hergekommen aus weiter Welt!

 

 

IV.

 

Warum, Geliebte, denk' ich dein

Auf Einmal mit viel tausend Thränen,

Und kann gar nicht zufrieden seyn,

Und will die Brust in alle Ferne dehnen?

 

5

Ach, gestern in den hellen Kindersaal,

Beim Flimmer zierlich aufgesteckter Kerzen,

Wo ich mein selbst vergaß in Lärm und Scherzen,

Tratst du, o Bildniß mitleid=schöner Qual;

Es war dein Geist, er sezte sich an's Mahl,

10

Wir saßen fremd mit stumm verhaltnen Schmerzen;

Zulezt brach ich in lautes Schluchzen aus,

Und Hand in Hand verließen wir das Haus.

 

 

V.

 

Die Liebe, sagt man, steht am Pfahl gebunden,

Geht endlich arm, verlassen, unbeschuht;

Dies edle Haupt hat nicht mehr, wo es ruht,

Mit ihren Thränen nezt sie bittre Wunden.

 

235

Ach, Peregrinen hab' ich so gefunden!

Schön war ihr Wahnsinn, ihrer Wange Gluth,

Noch scherzend in der Frühlingsstürme Wuth,

Und wilde Kränze in das Haar gewunden.

 

Wie? solche Schönheit konntest du verlassen?

10

So kehrt nun doppelt schön das alte Glück!

O komm', in diese Arme dich zu fassen!

 

Doch weh'! o weh'! was soll mir dieser Blick?

Sie küßt mich zwischen Lieben, zwischen Hassen,

Sie kehrt sich ab – und kehrt mir nie zurück.

 

 

 

236

Um Mitternacht.

 

Bedächtig stieg die Nacht an's Land,

Lehnt träumend an der Berge Wand,

Ihr Auge sieht die goldne Wage nun

Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn,

5

Und kecker rauschen die Quellen hervor,

Sie singen der Mutter, der Nacht, in's Ohr

Vom Tage,

Vom heute gewesenen Tage.

 

Das uralt alte Schlummerlied,

10

Sie achtet's nicht, sie ist es müd';

Ihr klingt des Himmels Bläue süßer noch,

Der flücht'gen Stunden gleichgeschwungnes Joch.

Doch immer behalten die Quellen das Wort,

Es singen die Wasser im Schlafe noch fort

15

Vom Tage,

Vom heute gewesenen Tage.