BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Karl Marx

1818 - 1883

 

Lohnarbeit und Kapital

 

Neue Rheinische Zeitung Nr. 267

 

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Neue Rheinische Zeitung Nr. 267 vom 8. April 1849

 

*Köln, 7. April. (Lohnarbeit und Kapital. Fortsetzung.)

Wächst das Kapital, so wächst die Masse der Lohnarbeit, so wächst die Anzahl der Lohnarbeiter, mit einem Wort: die Herrschaft des Kapitals dehnt sich über eine größere Masse von Individuen aus. Und unterstellen wir den günstigsten Fall: Wenn das produktive Kapital wächst, wächst die Nachfrage nach Arbeit. Es steigt also der Preis der Arbeit, der Arbeitslohn.

Ein Haus mag groß oder klein sein, so lange die es umgebenden Häuser ebenfalls klein sind, befriedigt es alle gesellschaftlichen Ansprüche an eine Wohnung. Erhebt sich aber neben dem kleinen Haus ein Pallast, und das kleine Haus schrumpft zur Hütte zusammen. Das kleine Haus beweist nun, daß sein Inhaber keine oder nur die geringsten Ansprüche zu machen hat; und es mag im Laufe der Civilisation in die Höhe schießen noch so sehr, wenn der benachbarte Pallast in gleichem oder gar in höherem Maaß in die Höhe schießt, wird der Bewohner des verhältnißmäßig kleinen Hauses sich immer unbehaglicher, unbefriedigter, gedrückter in seinen vier Pfählen finden.

Ein merkliches Zunehmen des Arbeitslohns setzt ein rasches Wachsthum des produktiven Kapitals voraus. Das rasche Wachsthum des produktiven Kapitals ruft ebenso rasches Wachsthum des Reichthums, des Luxus, der gesellschaftlichen Bedürfnisse und der gesellschaftlichen Genüsse hervor. Obgleich also die Genüsse des Arbeiters gestiegen sind, ist die gesellschaftliche Befriedigung, die sie gewähren, gefallen im Vergleich mit den vermehrten Genüssen des Kapitalisten, die dem Arbeiter unzugänglich sind, im Vergleich mit dem Entwicklungsstand der Gesellschaft überhaupt. Unsere Bedürfnisse und Genüsse entspringen aus der Gesellschaft; wir messen sie daher an der Gesellschaft; wir messen sie nicht an den Gegenständen ihrer Befriedigung. Weil sie gesellschaftlicher Natur sind, sind sie relativer Natur.

Der Arbeitslohn wird überhaupt nicht nur bestimmt durch die Masse von Waaren, die ich für ihn eintauschen kann. Er enthält verschiedene Beziehungen.

Was die Arbeiter zunächst für ihre Arbeit erhalten, ist eine bestimmte Summe Geldes. Ist der Arbeitslohn nur durch diesen Geldpreis bestimmt?

Im 16. Jahrhundert vermehrte sich das in Europa zirkulirende Gold und Silber in Folge der Entdeckung von Amerika. Der Werth des Goldes und Silbers fiel daher im Verhältniß zu den übrigen Waaren. Die Arbeiter erhielten nach wie vor dieselbe Masse gemünzten Silbers für ihre Arbeit. Der Geldpreis ihrer Arbeit blieb derselbe, und dennoch war ihr Arbeitslohn gefallen, denn im Austausch für dieselbe Quantität Silber erhielten sie eine geringere Summe anderer Waaren zurück. Es war dies einer der Umstände, die das Wachsthum des Kapitals, das Aufkommen der Bourgeoisie im 16. Jahrhundert förderten.

Nehmen wir einen andern Fall. Im Winter 1847 waren in Folge einer Mißerndte die unentbehrlichsten Lebensmittel, Getreide, Fleisch, Butter, Käse u.s.w. bedeutend im Preise gestiegen. Gesetzt, die Arbeiter hätten nach wie vor dieselbe Summe Geldes für ihre Arbeit empfangen. War ihr Arbeitslohn nicht gefallen? Allerdings. Für dasselbe Geld erhielten sie im Austausch weniger Brot, Fleisch u.s.w. Ihr Arbeitslohn war gefallen, nicht weil sich der Werth des Silbers vermindert, sondern weil sich der Werth der Lebensmittel vermehrt hatte.

Gesetzt endlich, der Geldpreis der Arbeit bleibe derselbe, während alle Agrikultur- und Manufakturwaaren in Folge von Anwendung neuer Maschinen, günstiger Jahreszeit u.s.w. im Preise gefallen wären. Für dasselbe Geld können die Arbeiter nun mehr Waaren aller Art kaufen. Ihr Arbeitslohn ist also gestiegen, eben weil der Geldwerth desselben sich nicht verändert hat.

Der Geldpreis der Arbeit, der nominelle Arbeitslohn, fällt also nicht zusammen mit dem reellen Arbeitslohn, d. h. mit der Summe von Waaren, die wirklich im Austausch gegen den Arbeitslohn gegeben wird. Sprechen wir also vom Steigen oder Fallen des Arbeitslohnes, so haben wir nicht nur den Geldpreis der Arbeit, den nominellen Arbeitslohn, im Auge zu halten.

Aber weder der nominelle Arbeitslohn, d. h. die Geldsumme, wofür der Arbeiter sich an den Kapitalisten verkauft, noch der reelle Arbeitslohn, d. h. die Summe Waaren, die er für dies Geld kaufen kann, erschöpfen die im Arbeitslohn enthaltenen Beziehungen.

Der Arbeitslohn ist vor Allem noch bestimmt durch sein Verhältniß zum Gewinn, zum Profit des Kapitalisten – verhältnißmäßiger, relativer Arbeitslohn.

Der reelle Arbeitslohn drückt den Preis der Arbeit im Verhältniß zum Preise der übrigen Waaren aus, der relative Arbeitslohn dagegen den Preis der unmittelbaren Arbeit im Verhältniß zum Preise der aufgehäuften Arbeit, den verhältnißmäßigen Werth von Lohnarbeit und Kapital, den wechselseitigen Werth der Kapitalisten und Arbeiter.

Der reelle Arbeitslohn mag derselbe bleiben, er mag selbst steigen, und der relative Arbeitslohn kann nichtsdestoweniger fallen. Unterstellen wir z. B., alle Lebensmittel seien im Preise um 2/3 gesunken, während der Tagelohn nur um /3 sinke, also z. B. von 3 Frs. auf 2. Obgleich der Arbeiter mit diesen 2 Francs über eine größere Summe von Waaren verfügt, als früher mit 3 Francs, so hat dennoch sein Arbeitslohn im Verhältniß zum Gewinn des Kapitalisten abgenommen. Der Profit des Kapitalisten (z. B. des Fabrikanten) hat sich um 1 Franc vermehrt, d. h. für eine geringere Summe von Tauschwerthen, die er dem Arbeiter zahlt, muß der Arbeiter eine größere Summe von Tauschwerthen produziren als früher. Der Werth des Kapitals im Verhältniß zum Werth der Arbeit ist gestiegen. Die Vertheilung des gesellschaftlichen Reichthums zwischen Kapital und Arbeit ist noch ungleichmäßiger geworden. Der Kapitalist kommandirt mit demselben Kapital eine größere Quantität Arbeit. Die Macht der Kapitalistenklasse über die Arbeiterklasse ist gewachsen; die gesellschaftliche Stellung des Arbeiters hat sich verschlechtert, ist um eine Stufe tiefer unter die Kapitalisten herabgedrückt.

Welches ist nun das allgemeine Gesetz, das Fallen und Steigen des Arbeitslohns und Profits in ihrer wechselseitigen Beziehung bestimmt?

Sie stehen in umgekehrtem Verhältniß. Der Tauschwerth des Kapitals, der Profit, steigt in demselben Verhältniß, worin der Tauschwerth der Arbeit, der Taglohn, fällt, und umgekehrt. Der Profit steigt in dem Maße, worin der Arbeitslohn fällt, er fällt in dem Maße, worin der Arbeitslohn steigt.

Man wird vielleicht einwenden, daß der Kapitalist gewinnen kann durch vortheilhaften Austausch seiner Produkte mit andern Kapitalisten, durch Steigen der Nachfrage nach seiner Waare, sei es in Folge der Eröffnung von neuen Märkten, sei es in Folge augenblicklich vermehrter Bedürfnisse auf den alten Märkten u.s.w., daß der Profit des Kapitalisten sich also vermehren kann durch die Uebervortheilung dritter Kapitalisten, unabhängig vom Steigen und Fallen des Arbeitslohns, des Tauschwerths der Arbeit, oder der Profit des Kapitalisten könne auch steigen durch Verbesserung der Arbeitsinstrumente, neue Anwendung der Naturkräfte u.s.w.

Zunächst wird man zugeben müssen, daß das Resultat dasselbe bleibt, obgleich es auf umgekehrtem Wege herbeigeführt ist. Der Profit ist zwar nicht gestiegen, weil der Arbeitslohn gefallen ist, aber der Arbeitslohn ist gefallen, weil der Profit gestiegen ist. Der Kapitalist hat mit derselben Summe von Arbeit eine größere Summe von Tauschwerthen erkauft, ohne deshalb die Arbeit höher bezahlt zu haben, d. h. also die Arbeit wird niedriger bezahlt im Verhältniß zum Reinertrag, den sie dem Kapitalisten abwirft.

Zudem erinnern wir, daß trotz der Schwankungen der Waarenpreise der Durchschnittspreis jeder Waare, das Verhältniß, worin sie sich gegen andere Waaren austauscht, durch ihre Produktionskosten bestimmt ist. Die Uebervortheilungen innerhalb der Kapitalistenklasse gleichen sich daher nothwendig aus. Die Verbesserung der Maschinerie, die neue Anwendung von Naturkräften im Dienst der Produktion befähigen in einer gegebenen Arbeitszeit, mit derselben Summe von Arbeit und Kapital eine größere Masse von Produkten, keineswegs aber eine größere Masse von Tauschwerthen zu schaffen. Wenn ich durch die Anwendung der Spinnmaschine noch einmal so viel Gespinst in einer Stunde liefern kann wie vor ihrer Erfindung, z. B. 100 Pfund statt 50, so erhalte ich für diese 100 Pfund nicht mehr Waaren im Austausch zurück als früher für 50, weil die Produktionskosten um die Hälfte gefallen sind, oder weil ich mit denselben Kosten das doppelte Produkt liefern kann.

Endlich, in welchen Verhältnissen auch immer die Kapitalistenklasse, die Bourgeoisie, sei es eines Landes, sei es des ganzen Weltmarkts, den Reinertrag der Produktion unter sich vertheile, die Gesammtsumme dieses Reinertrags ist jedesmal nur die Summe, um welche die aufgehäufte Arbeit im Großen und Ganzen durch die lebendige Arbeit vermehrt worden ist. Diese Gesammtsumme wächst also in dem Verhältniß, worin die Arbeit das Kapital vermehrt, d. h. in dem Verhältniß, worin der Profit gegen den Arbeitslohn steigt.

Wir sehen also, daß selbst, wenn wir innerhalb des Verhältnisses von Kapital und Lohnarbeit stehen bleiben, die Interessen des Kapitals und die Interessen der Lohnarbeit sich schnurstracks gegenüberstehen.

Eine rasche Zunahme des Kapitals ist gleich einer raschen Zunahme des Profits. Der Profit kann nur rasch zunehmen, wenn der Tauschwerth der Arbeit, wenn der relative Arbeitslohn ebenso rasch abnimmt. Der relative Arbeitslohn kann fallen, obgleich der reelle Arbeitslohn gleichzeitig mit dem nominellen Arbeitslohn, mit dem Geldwerth der Arbeit steigt, aber nur nicht in demselben Verhältnisse steigt wie der Profit. Steigt z. B. in guten Geschäftszeiten der Arbeitslohn um 5 Prozent, der Profit dagegen um 30 Prozent, so hat der verhältnismäßige, der relative Arbeitslohn nicht zugenommen, sondern abgenommen.

Vermehrt sich also die Einnahme des Arbeiters mit dem raschen Wachsthum des Kapitals, so vermehrt sich gleichzeitig die gesellschaftliche Kluft, die den Arbeiter vom Kapitalisten scheidet, so vermehrt sich gleichzeitig die Macht des Kapit[a]ls über die Arbeit, die Abhängigkeit der Arbeit vom Kapital.

Der Arbeiter hat ein Interesse am raschen Wachsthum des Kapitals, heißt nur: Je rascher der Arbeiter den fremden Reichthum vermehrt, desto fettere Brocken fallen für ihn ab, um desto mehr Arbeiter können beschäftigt und in's Leben gerufen, desto mehr kann die Masse der von dem Kapital abhängigen Sklaven vermehrt werden.

Wir haben also gesehen:

Selbst die günstigste Situation für die Arbeiterklasse, möglichst rasches Wachsen des Kapitals, so sehr sie das materielle Leben des Arbeiters verbessern mag, hebt den Gegensatz zwischen seinen Interessen und den Bourgeoisinteressen, den Interessen des Kapitalisten nicht auf. Profit und Arbeitslohn stehen nach wie vor in umgekehrtem Verhältniß.

Ist das Kapital rasch anwachsend, so mag der Arbeitslohn steigen; unverhältnismäßig schneller steigt der Profit des Kapitals. Die materielle Lage des Arbeiters hat sich verbessert, aber auf Kosten seiner gesellschaftlichen Lage. Die gesellschaftliche Kluft, die ihn vom Kapitalisten trennt, hat sich erweitert.

Endlich:

Günstigste Bedingung für die Lohnarbeit ist möglichst rasches Wachsthum des produktiven Kapitals, heißt nur: Je rascher die Arbeiterklasse die ihr feindliche Macht, den fremden, über sie gebietenden Reichthum vermehrt und vergrößert, unter desto günstigeren Bedingungen wird ihr erlaubt, von neuem an der Vermehrung des bürgerlichen Reichthums, an der Vergrößerung der Macht des Kapitals zu arbeiten, zufrieden sich selbst die goldenen Ketten zu schmieden, woran die Bourgeoisie sie hinter sich herschleift.

 

(Fortsetzung folgt.)