Karl Marx
1818 - 1883
Lohnarbeit und Kapital
Neue Rheinische Zeitung Nr. 264
|
|
______________________________________________________________________________
|
|
Neue Rheinische Zeitung Nr. 264 vom 5. April 1849
*Köln, 4. April.Von verschiedenen Seiten warf man uns vor, daß wir nicht die ökonomischen Verhältnisse dargestellt haben, welche die materielle Grundlage der jetzigen Klassenkämpfe und Nationalkämpfe bilden. Wir haben planmäßig diese Verhältnisse nur da berührt, wo sie sich in politischen Kollisionen unmittelbar aufdrangen.Es galt vor Allem den Klassenkampf in der Tagesgeschichte zu verfolgen und an dem vorhandenen und täglich neu geschaffenen geschichtlichen Stoffe empirisch nachzuweisen, daß mit der Unterjochung der Arbeiterklasse, welche Februar und März gemacht hatte, gleichzeitig ihre Gegner besiegt wurden – die Bourgeoisrepublikaner in Frankreich, die den feudalen Absolutismus bekämpfenden Bürger- und Bauernklassen auf dem gesammten europäischen Kontinent; daß der Sieg der honetten Republik in Frankreich gleichzeitig der Fall der Nationen war, die auf die Februarrevolution mit heroischen Unabhängigkeitskriegen geantwortet hatten; daß endlich Europa mit der Besiegung der revolutionären Arbeiter in seine alte Doppelsklaverei zurückfiel, in die englisch-russische Sklaverei. Der Junikampf zu Paris, der Fall Wiens, die Tragikomödie des Berliner Novembers, die verzweifelten Anstrengungen Polens, Italiens und Ungarns, Irlands Aushungerung – das waren die Hauptmomente, in denen sich der europäische Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Arbeiterklasse zusammenfaßte, an denen wir nachwiesen, daß jede revolutionäre Erhebung, mag ihr Ziel noch so fernliegend dem Klassenkampf scheinen, scheitern muß, bis die revolutionäre Arbeiterklasse siegt, daß jede sociale Reform eine Utopie bleibt, bis die proletarische Revolution und die feudalistische Contrerevolution sich in einem Weltkrieg mit den Waffen messen. In unserer Darstellung, wie in der Wirklichkeit, waren Belgien und die Schweiz tragikomische karrikaturmäßige Genrebilder in dem großen historischen Tableau, das eine der Musterstaat der bürgerlichen Monarchie, das andere der Musterstaat der bürgerlichen Republik, beides Staaten, die sich einbilden, ebenso unabhängig von dem Klassenkampf zu sein wie von der europäischen Revolution.Jetzt, nachdem unsere Leser den Klassenkampf im Jahre 1848 in kolossalen politischen Formen sich entwickeln sahen, ist es an der Zeit, näher einzugehen auf die ökonomischen Verhältnisse selbst, worauf die Existenz der Bourgeoisie und ihre Klassenherrschaft sich gründet wie die Sklaverei der Arbeiter.Wir werden in drei großen Abtheilungen darstellen: 1) das Verhältniß der Lohnarbeit zum Kapital, die Sklaverei des Arbeiters, die Herrschaft des Kapitalisten, 2) den unvermeidlichen Untergang der mittleren Bürgerklassen und des Bauernstandes unter dem jetzigen Systeme, 3) die kommerzielle Unterjochung und Ausbeutung der Bourgeoisklassen der verschiedenen europäischen Nationen durch den Despoten des Weltmarkts – England.Wir werden möglichst einfach und populär darzustellen suchen und selbst die elementarischsten Begriffe der politischen Oekonomie nicht voraussetzen. Wir wollen den Arbeitern verständlich sein. Und zudem herrscht in Deutschland die merkwürdigste Unwissenheit und Begriffsverwirrung über die einfachsten ökonomischen Verhältnisse, von den patentirten Verteidigern der bestehenden Zustände bis hinab zu den socialistischen Wunderschäfern und den verkannten politischen Genies, an denen das zersplitterte Deutschland noch reicher ist als an Landesvätern.Zunächst also zur ersten Frage: Was ist der Arbeitslohn? Wie wird er bestimmt?Wenn man Arbeiter fragte: Wie hoch ist Ihr Arbeitslohn? so würden sie antworten, dieser: Ich erhalte 1 Franc *) für den Arbeitstag von meinem Bourgeois&ldquo:, jener: Ich erhalte 2 Francs&ldquo: u.s.w. Nach den verschiedenen Arbeitszweigen, denen sie angehören, würden sie verschiedene Geldsummen angeben, die sie für eine bestimmte Arbeitszeit oder für die Herstellung einer bestimmten Arbeit, z.B. für das Weben einer Elle Leinwand oder für das Setzen eines Druckbogens, von ihrem jedesmaligen Bourgeois erhalten. Trotz der Verschiedenheit ihrer Angaben werden sie | Alle in dem einen Punkt übereinstimmen: Der Arbeitslohn ist die Summe Geldes, die der Bourgeois für eine bestimmte Arbeitszeit oder für eine bestimmte Arbeitslieferung zahlt.Der Bourgeois kauft also ihre Arbeit mit Geld. Für Geld verkaufen sie ihm ihre Arbeit. Mit derselben Geldsumme, womit der Bourgeois ihre Arbeit gekauft hat, z. B. mit 2 Francs, hätte er 2 Pfund Zucker oder irgendeine andere Waare zu einem bestimmten Belauf kaufen können. Die 2 Francs, womit er 2 Pfund Zucker kaufte, sind der Preis der 2 Pfund Zucker. Die 2 Francs, womit er zwölf Stunden Arbeit kauft, sind der Preis der zwölfstündigen Arbeit. Die Arbeit ist also eine Waare, nicht mehr, nicht minder als der Zucker. Die erste mißt man mit der Uhr und die andere mit der Wage.Ihre Waare, die Arbeit, tauschen die Arbeiter gegen die Waare des Kapitalisten aus, gegen das Geld, und zwar geschieht dieser Austausch in einem bestimmten Verhältniß. So viel Geld für so viel Arbeit. Für 12stündiges Weben 2 Francs. Und die 2 Francs, stellen sie nicht alle anderen Waaren vor, die ich für 2 Francs kaufen kann? In der That hat der Arbeiter also seine Waare, die Arbeit, gegen andere Waaren aller Art ausgetauscht, und zwar in einem bestimmten Verhältniß. Indem der Kapitalist ihm 2 Francs gab, hat er ihm so viel Fleisch, so viel Kleidung, so viel Holz, Licht u.s.w. im Austausch gegen seinen Arbeitstag gegeben. Die 2 Francs drücken also das Verhältniß aus, worin die Arbeit gegen andere Waare ausgetauscht wird, den Tauschwerth seiner Arbeit. Der Tauschwerth einer Waare, in Geld abgeschätzt, heißt eben ihr Preis. Der Arbeitslohn ist also nur ein besonderer Name für den Preis der Arbeit, für den Preis dieser eigenthümlichen Waare, die keinen andern Behälter hat als menschliches Fleisch und Blut.Nehmen wir einen beliebigen Arbeiter, z. B. einen Weber. Der Bourgeois liefert ihm den Webstuhl und das Garn. Der Weber setzt sich an's Arbeiten, und aus dem Garn wird Leinwand. Der Bourgeois bemächtigt sich der Leinwand und verkauft sie, zu 20 Francs z.B. Ist nun der Arbeitslohn des Webers ein Antheil an der Leinwand, an den 20 Francs, an dem Product seiner Arbeit? Keineswegs. Lange bevor die Leinwand verkauft ist, vielleicht lange bevor sie fertiggewebt ist, hat der Weber seinen Arbeitslohn empfangen. Der Kapitalist zahlt diesen Lohn also nicht mit dem Geld, das er aus der Leinwand lösen wird, sondern mit vorräthigem Geld. Wie Webstuhl und Garn nicht das Product des Webers sind, dem sie vom Bourgeois geliefert werden, so wenig sind es die Waaren, die er im Austausch für seine Waare, die Arbeit, erhält. Es war möglich, daß der Bourgeois gar keinen Käufer für seine Leinwand fand. Es war möglich, daß er selbst den Arbeitslohn nicht aus ihrem Verkauf herausschlug. Es ist möglich, daß er sie im Verhältniß zum Weblohn sehr vortheilhaft verkauft. Alles das geht den Weber nichts an. Der Kapitalist kauft mit einem Theil seines vorhandenen Vermögens, seines Kapitals, die Arbeit des Webers ganz so, wie er mit einem andern Theil seines Vermögens den Rohstoff – das Garn – und das Arbeitsinstrument – den Webstuhl – angekauft hat. Nachdem er diese Einkäufe gemacht, und unter diese Einkäufe gehört die zur Production der Leinwand nöthige Arbeit, producirt er nur noch mit ihm zugehörigen Rohstoffen und Arbeitsinstrumenten. Zu letzteren gehört denn nun freilich auch unser guter Weber, der an dem Product oder dem Preise des Productes so wenig einen Antheil hat wie der Webstuhl.Der Arbeitslohn ist also nicht ein Antheil des Arbeiters an der von ihm producirten Waare. Der Arbeitslohn ist der Theil schon vorhandener Waaren, womit der Kapitalist eine bestimmte Summe productiver Arbeit an sich kauft.Die Arbeit ist also eine Waare, die ihr Besitzer, der Lohnarbeiter, an das Kapital verkauft. Warum verkauft er sie? Um zu leben.Die3 Arbeit ist aber die eigene Lebensthätigkeit des Arbeiters, seine eigene Lebensäußerung. Und diese Lebensthätigkeit verkauft er an einen Dritten, um sich die nöthigen Lebensmittel zu sichern. Seine Lebensthätigkeit ist für ihn also nur ein Mittel, um existiren zu können. Er arbeitet, um zu leben. Er rechnet die Arbeit nicht selbst in sein Leben ein, sie ist vielmehr ein Opfer seines Lebens. Sie ist eine Waare, die er an einen Dritten zugeschlagen hat. Das Product seiner Thätigkeit ist daher auch nicht der Zweck seiner Thätigkeit. Was er für sich selbst producirt, ist nicht die Seide, die er webt, nicht das Gold, das er aus dem Bergschacht zieht, nicht der Pallast, den er baut. Was er für sich selbst producirt, ist der Arbeitslohn, und Seide, Gold, Pallast lösen sich für ihn auf in ein bestimmtes Quantum von Lebensmitteln, vielleicht in eine Baumwollenjacke, in Kupfermünze und in eine Kellerwohnung. Und der Arbeiter, der 12 Stunden webt, spinnt, bohrt, dreht, baut, schaufelt, Steine klopft, trägt u.s.w. – gilt ihm dies zwölfstündige Weben, Spinnen, Bohren, Drehen, Bauen, Schaufeln, Steinklopfen als Aeußerung seines Lebens, als Leben. Umgekehrt. Das Leben fängt da für ihn an, wo diese Thätigkeit aufhört, am Tisch, auf der Wirthshausbank, im Bett. Die 12stündige Arbeit dagegen hat ihm keinen Sinn als Weben, Spinnen, Bohren u.s.w., sondern als Verdienen, das ihn an den Tisch, auf die Wirthshausbank, in's Bett bringt. Wenn der Seidenwurm spänne, um seine Existenz als Raupe zu fristen, so wäre er ein vollständiger Lohnarbeiter.Die Arbeit war nicht immer eine Waare. Die Arbeit war nicht immer Lohnarbeit, d. h. freie Arbeit. Der Sclave verkauft seine Arbeit nicht an den Sclavenbesitzer, so wenig wie der Ochse seine Leistungen an den Bauern verkauft. Der Sclave mitsamt seiner Arbeit ist ein für allemal an seinen Eigenthümer verkauft. Er ist eine Waare, die von der Hand des einen Eigenthümers in die des andern übergehen kann. Er selbst ist eine Waare, aber die Arbeit ist nicht seine Waare. Der Leibeigene verkauft nur einen Theil seiner Arbeit. Nicht er erhält einen Lohn vom Eigenthümer des Grund und Bodens: der Eigenthümer des Grund und Bodens erhält vielmehr von ihm einen Tribut. Der Leibeigene gehört zum Grund und Boden und wirft dem Herrn des Grund und Bodens Früchte ab. Der freie Arbeiter dagegen verkauft sich selbst, und zwar stückweis. Er versteigert 8, 10, 12, 15 Stunden seines Lebens, einen Tag wie den andern, an den Meistbietenden, an den Besitzer der Rohstoffe, der Arbeitsinstrumente und Lebensmittel, d. h. an die Kapitalisten. Der Arbeiter gehört weder einem Eigenthümer noch dem Grund und Boden an; aber 8, 10, 12, 15 Stunden seines täglichen Lebens gehören dem, der sie kauft. Der Arbeiter verläßt den Kapitalisten, dem er sich vermietet, sooft er will, und der Kapitalist entläßt ihn, sooft er es für gut findet, sobald er keinen Nutzen oder nicht den beabsichtigten Nutzen mehr aus ihm zieht. Aber der Arbeiter, dessen einzige Erwerbsquelle der Verkauf der Arbeit ist, kann nicht die ganze Klasse der Käufer, d. h. die Kapitalistenklasse verlassen, ohne auf seine Existenz zu verzichten. Er gehört nicht diesem oder jenem Bourgeois, aber der Bourgeoisie, der Bourgeoisklasse; und es ist dabei seine Sache, sich an den Mann zu bringen, d. h. in dieser Bourgeoisklasse einen Käufer zu finden.Bevor wir jetzt auf das Verhältniß zwischen Kapital und Lohnarbeit näher eingehen, werden wir kurz die allgemeinsten Verhältnisse darstellen, die bei der Bestimmung des Arbeitslohnes in Betracht kommen.Der Arbeitslohn ist, wie wir gesehen haben, der Preis einer bestimmten Waare, der Arbeit. Der Arbeitslohn wird also durch dieselben Gesetze bestimmt, die den Preis jeder andern Waare bestimmen.Es fragt sich also, wie wird der Preis einer Waare bestimmt?
(Fortsetzung folgt.)
―――――――― *) Ein Franc ist 8 Sgr. preußisch |