|
|
-
- B e t r a c h t u n g e i n e s J ü n g l i n g s
b e i d e r W a h l e i n e s B e r u f e s .
1 8 3 5
Text:
Abitur. Deutscher Aufsatz.
Karl Marx, Werke, Bd. I
Artikel, Literarische Versuche
bis März 1843
Dietz-Verlag Berlin 1975
- ______________________________________________
Betrachtung eines Jünglings
bei der Wahl eines Berufs.
Dem Thiere hat die Natur selber den Wirkungskreis bestimmt, in welchem es sich bewegen soll und ruhig vollendet es denselben, ohne über ihn hinauszustreben, ohne auch nur einen anderen zu ahnen. Auch dem Menschen gab die Gottheit ein allgemeines Ziel, die Menschheit und sich zu veredlen, aber sie überließ es ihm selber, die Mittel aufzusuchen, durch welche er es erringen kann; sie überließ es ihm, den Standpunkt in der Gesellschaft zu wählen, der ihm am angemessensten ist, von welchem aus er sich und die Gesellschaft am besten erheben kann.
Diese Wahl ist ein großes Vorrecht vor den übrigen Wesen der Schöpfung, aber zugleich eine That, die sein ganzes Leben zu vernichten, alle seine Pläne zu vereiteln, ihn unglücklich zu machen vermag. Diese Wahl ernst zu erwägen, ist also gewiß die erste Pflicht des Jünglings, der seine Laufbahn beginnt, der nicht dem Zufall seine wichtigsten Angelegenheiten überlassen will.
Jeder hat ein Ziel, ein Ziel, das ihm wenigstens groß scheint, vor Augen, das auch groß ist, wenn die tiefste Ueberzeugung, die innerste Stimme des Herzens es so nennt, denn die Gottheit läßt den Irdischen nie ganz ohne Führer; sie spricht leise aber sicher.
Leicht aber wird diese Stimme übertäubt und, was wir für Begeistrung gehalten, kann der Augenblick erzeugt haben, wird der Augenblick vielleicht auch wieder vernichten. Unsere Phantasie ist vielleicht entflammt, unser Gefühl erregt. Scheinbilder gaukeln um unser Auge und begierig stürzen wir zu dem Ziele, von dem wir wähnen, die Gottheit selbst habe es uns gezeigt; aber, was wir glühend an unseren Busen gedrückt, stößt uns bald zurück und unsre ganze Existenz sehn wir vernichtet.
Wir müssen daher ernst prüfen, ob wir wirklich für einen Beruf begeistert sind, ob eine Stimme von Innen ihn billigt, oder ob die Begeisterung Täuschung, das, was wir für einen Ruf der Gottheit gehalten, Selbstbetrug gewesen ist. Wie aber vermögen wir dieses zu erkennen, als wenn wir der Quelle der Begeistrung selbst nachspüren?
Das Große glänzt, der Glanz erregt Ehrgeitz und der Ehrgeitz kann leicht die Begeisterung, oder, was wir dafür gehalten, hervorgerufen haben; aber, wen die Furie der Ehrsucht lockt, den vermag die Vernunft nicht mehr zu zügeln, und er stürzt dahin, wohin ihn der ungestümme Trieb ruft: er wählt sich nicht mehr seinen Stand, sondern Zufall und Schein bestimmen ihn.
Und nicht zu dem Stande sind wir berufen, in welchem wir am meisten zu glänzen vermögen; er ist nicht derjenige, der in der langen Reihe von Jahren, in welchen wir ihn vielleicht verwalten, uns nie ermatten, unsern Eifer nie unter sinken, unsere Begeistrung nie erkalten läßt, sondern bald werden wir unsere Wünsche nicht gestillt, unsere Ideen nicht befriedigt sehn, der Gottheit grollen, der Menschheit fluchen.
Aber nicht nur der Ehrgeitz kann eine plötzliche Begeisterung für einen Stand erregen, sondern vielleicht haben wir denselben durch unsere Phantasien ausgeschmückt und die hat ihn zu dem Höchsten, was das Leben zu bieten vermag, ausgeschmückt. Wir haben ihn nicht zergliedert, nicht die ganze Last betrachtet, die große Verantwortlichkeit, die er auf uns wälzt; wir haben ihn nur von der Ferne gesehn und die Ferne täuscht.
Hierinn kann unsre eigne Vernunft nicht die Rathgeberinn sein; denn weder Erfahrung, noch tiefere Beobachtung unterstützen sie, während sie von dem Gefühle getäuscht, von der Phantasie geblendet wird. Zu wem sollen wir aber die Blicke wenden, wer soll uns da unterstützen, wo unsere Vernunft uns verläßt?
Die Eltern, die schon die Bahn des Lebens durchwandelt, die schon die Strenge des Schicksals erprobt haben, ruft unser Herz.
Und wenn dann noch unsere Begeisterung fortwährt, wenn wir dann noch den Stand lieben und für ihn berufen zu sein glauben, nachdem wir ihn kalt geprüft, nachdem wir seine Lasten erblickt, seine Beschwerden kennen gelernt haben, dann dürfen wir ihn ergreifen, dann täuscht uns weder Begeisterung, noch reißt uns Uebereilung dahin.
Aber wir können nicht immer den Stand ergreifen, zu dem wir uns berufen glauben; unsere Verhältnisse in der Gesellschaft haben einigermaßen schon begonnen, ehe wir sie zu bestimmen im Stande sind.
Schon unsere physische Natur stellt sich oft drohend entgegen und ihre Rechte wage keiner zu verspotten.
Wir vermögen zwar, uns über dieselbe zu erheben; aber dann sinken wir desto schneller unter, dann wagen wir ein Gebäude auf morsche Trümmer zu erbauen, dann ist unser ganzes Leben ein unglücklicher Kampf zwischen dem geistigen und körperlichen Prinzip. Wer aber nicht in sich selbst die kämpfenden Elemente zu stillen vermag, wie soll sich der dem wilden Drange des Lebens entgegenstellen können, wie soll er ruhig handlen und aus der Ruhe allein können große und schöne Thaten emportauchen; sie ist der Boden, in dem allein gereifte Früchte gedeihn.
Obgleich wir mit einer physischen Natur, die unserem Stande nicht angemessen ist, nicht lange und selten freudig wirken können, so erhebt doch stets der Gedanke, unser Wohl der Pflicht aufzuopfern, schwach dennoch kräftig zu handlen; allein, wenn wir einen Stand gewählt, zu dem wir nicht die Talente besitzen, so vermögen wir ihn nie würdig auszufüllen, so werden wir bald beschämt unsere eigene Unfähigkeit erkennen und uns sagen, daß wir ein nutzloses Wesen in der Schöpfung, ein Glied in der Gesellschaft sind, das seinen Beruf nicht erfüllen kann. Die natürlichste Folge ist dann Selbstverachtung und welches Gefühl ist schmerzlicher, welches vermag weniger durch alles, was die Außenwelt bietet, ersezt zu werden? Selbstverachtung ist eine Schlange, die ewigwühlend die Brust zernagt, das Lebensblut aus dem Herzen saugt und es mit dem Gifte des Menschenhasses und der Verzweiflung vermischt.
Eine Täuschung über unsere Anlagen für einen Stand, den wir näher betrachtet, ist ein Vergehn, das rächend auf uns selbst zurückfällt, das, wenn es auch nicht von der Außenwelt getadelt wird, in unserer Brust eine schrecklichere Pein erregt, als jene hervorzurufen vermag.
Haben wir dieses alles erwägt und gestatten unsere Lebensverhältnisse, einen beliebigen Stand zu wählen, so mögen wir den ergreifen, der uns die größte Würde gewährt, der auf Ideen gegründet ist, von deren Wahrheit wir durchaus überzeugt sind, der das größte Feld darbietet, um für die Menschheit zu wirken und uns selbst dem allgemeinen Ziele zu nähern, für welches jeder Stand nur ein Mittel ist, der Vollkommenheit.
Die Würde ist dasjenige, was den Mann am meisten erhebt, was seinem Handlen, allen seinen Bestrebungen einen höheren Adel leiht, was ihn unangetastet, von der Menge bewundert und über sie erhaben dastehn läßt.
Würde kann aber nur der Stand gewähren, in welchem wir nicht als knechtische Werkzeuge erscheinen, sondern wo wir in unserem Kreise selbständig schaffen; kann nur der Stand gewähren, der keine verwerfliche, selbst dem Anscheine nach nicht verwerfliche Thaten erheischt, den der Beste mit edlem Stolze ergreifen kann. Der Stand, der dieses am meisten gewährt, ist nicht immer der höchste, aber stets der vorzüglichste.
Wie aber ein Stand ohne Würde uns erniedrigt, so erliegen wir sicher unter der Last eines solchen, der auf Ideen gegründet ist, die wir später als falsch erkennen.
Da sehn wir keine Hülfe mehr, als in der Selbsttäuschung und welche verzweifelte Rettung, die Selbstbetrug gewährt!
Jene Stände, die nicht sowohl in das Leben eingreifen, als mit abstrakten Wahrheiten sich beschäftigen, sind die gefährlichsten für den Jüngling, dessen Grundsätze noch nicht gediegen, dessen Ueberzeugung noch nicht fest und unerschütterlich ist, obwohl sie zugleich als die erhabensten erscheinen, wenn sie tief in der Brust Wurzeln geschlagen haben, wenn wir für die Ideen, die in ihnen herrschen, das Leben und alle Bestrebungen zu opfern vermögen.
Sie können den beglücken, der für sie berufen ist, allein sie vernichten den, der sie übereilt, unbesonnen, dem Augenblicke gehorchend, ergreift.
Die hohe Meinung hingegen, die wir von den Ideen haben, auf die unser Stand gegründet ist, leiht uns einen höheren Standpunkt in der Gesellschaft, vergrößert unsre eigne Würde, macht unsere Handlungen unerschütterlich.
Wer einen Stand erwählt, den er hoch schäzt, der wird davor zurückbeben sich seiner unwürdig zu machen, der wird schon deßwegen edel handlen, weil seine Stellung in der Gesellschaft edel ist.
Die Hauptlenkerinn aber, die uns bei der Standeswahl leiten muß, ist das Wohl der Menschheit, unsere eigne Vollendung. Man wähne nicht diese beiden Intressen könnten sich feindlich bekämpfen, das eine müsse das andre vernichten, sondern die Natur des Menschen ist so eingerichtet, daß er seine Vervollkommnung nur erreichen kann, wenn er für die Vollendung, für das Wohl seiner Mitwelt wirkt. Wenn er nur für sich schafft, kann er wohl ein berühmter Gelehrter, ein großer Weiser, ein ausgezeichneter Dichter, aber nie ein vollendeter, wahrhaft großer Mensch sein.
Die Geschichte nennt diejenigen als die größten Männer, die, indem sie für das Allgemeine wirkten, sich selbst veredelten; die Erfahrung preißt den als den Glücklichsten, der die meisten glücklich gemacht; die Religion selber lehrt uns, daß das Ideal, dem alle nachstreben, sich für die Menschheit geopfert habe und wer wagte solche Aussprüche zu vernichten?
Wenn wir den Stand gewählt, in dem wir am meisten für die Menschheit wirken können, dann können uns Lasten nicht niederbeugen, weil sie nur Opfer für alle sind; dann genießen wir keine arme, eingeschränkte, egoistische Freude, sondern unser Glück gehört Millionen, unsere Thaten leben still aber ewig-wirkend fort und unsere Asche wird benezt von der glühenden Thräne edler Menschen.
Marx.
_____________
Gesamteinschätzung:
Ziemlich gut.
Die Arbeit empfiehlt sich durch Gedanken-Reichthum und gute, planmäßige Anordnung. Sonst verfällt der Verfasser auch hier in den ihm gewöhnlichen Fehler, in ein übertriebenes Suchen nach einem seltnen, bilderreichen Ausdrucke; daher fehlt der Darstellung an den vielen angestrichenen Stellen die nöthige Klarheit und Bestimmtheit, oft Richtigkeit, wie in den einzelnen Ausdrücken, so in den Satzverbindungen.
Wyttenbach.
2/3
|
|