BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich von Kleist

1777 - 1811

 

Der zerbrochne Krug,

ein Lustspiel

 

Scene: Die Gerichtsstube

 

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Zehnter Auftritt.

 

Die Vorigen (ohne Licht). (Späterhin) Einige Mägde.

 

 

Adam (aufstehend).

Inzwischen könnte man, wenn's so gefällig,

Vom Sitze sich ein wenig lüften –?

Walter.

Hm! O ja.

Was ich sagen wollt' –

Adam.

Erlaubt ihr gleichfalls,

Daß die Parthei'n, bis Frau Brigitt erscheint' –?

Walter.

1415

Was? Die Parthei'n?

Adam.

Ja, vor die Thür, wenn ihr –

Walter (für sich).

Verwünscht!

(laut).

Herr Richter Adam, wißt ihr was?

Gebt ein Glas Wein mir in der Zwischenzeit.

Adam.

Von ganzem Herzen gern. He! Margarethe!

Ihr macht mich glücklich, gnäd'ger Herr. – Margrethe!

(Die Magd tritt auf.)

Die Magd.

1420

Hier.

Adam.

Was befehlt ihr? – Tretet ab, ihr Leute.

Franz? – Auf dem Vorsaal draußen. – Oder Rhein?

Walter.

Von unserm Rhein.

Adam.

Gut. – Bis ich rufe. Marsch!

Walter.

Wohin?

Adam.

Geh, vom Versiegelten, Margrethe. –

Was? Auf den Flur bloß draußen. – Hier. – Der Schlüssel.

Walter.

1425

Hm! Bleibt.

[103]

Adam.

Fort! Marsch, sag ich! – Geh, Margarethe!

Und Butter, frisch gestampft, Käs' auch aus Limburg,

Und von der fetten pommerschen Räuchergans.

Walter.

Halt! Einen Augenblick! Macht nicht so viel

Umständ' ich bitt euch sehr, Herr Richter.

Adam.

Schert

1430

Zum Teufel euch, sag' ich! Thu, wie ich sagte.

Walter.

Schickt ihr die Leute fort, Herr Richter?

Adam.

Ew. Gnaden?

Walter.

Ob ihr –?

Adam.

Sie treten ab, wenn ihr erlaubt.

Bloß ab, bis Frau Brigitt' erscheint.

Wie, oder soll's nicht etwa –?

Walter.

Hm! Wie ihr wollt.

1435

Doch ob's der Mühe sich verlohnen wird?

Meint ihr, daß es so lange Zeit wird währen,

Bis man im Ort sie trifft?

[104]

Adam.

S' ist heute Holztag,

Gestrenger Herr. Die Weiber größtentheils

Sind in den Fichten, Sträucher einzusammeln.

1440

Es könnte leicht –

Ruprecht.

Die Muhme ist zu Hause.

Walter.

Zu Haus'. Laßt sein.

Ruprecht.

Die wird sogleich erscheinen.

Walter.

Die wird uns gleich erscheinen. Schafft den Wein.

Adam (für sich).

Verflucht!

Walter.

Macht fort. Doch nichts zum Imbiß, bitt ich,

Als ein Stück trocknen Brodes nur, und Salz.

Adam (für sich).

1445

Zwei Augenblicke mit der Dirn' allein –

(laut).

Ach trocknes Brod! Was! Salz! Geht doch.

Walter.

Gewiß.

[105]

Adam.

Ei, ein Stück Käs' aus Limburg – mindstens Käse –

Macht erst geschickt die Zunge, Wein zu schmekken.

Walter.

Gut. Ein Stück Käse denn, doch weiter nichts.

Adam.

1450

So geh. Und weiß, von Damast, aufgedeckt.

Schlecht alles zwar, doch recht.

(Die Magd ab).

Das ist der Vortheil

Von uns verrufnen hagestolzen Leuten,

Daß wir, was Andre knapp und kummervoll,

Mit Weib und Kindern täglich theilen müssen,

1455

Mit einem Freunde zur gelegnen Stunde,

Vollauf genießen.

Walter.

Was ich sagen wollte –

Wie kamt ihr doch zu eurer Wund', Herr Richter?

Das ist ein böses Loch, fürwahr, im Kopf, das!

Adam.

– Ich fiel.

Walter.

Ihr fielt. Hm! So. Wann? Gestern Abend?

Adam.

1460

Heut, Glock halb sechs, verzeiht, am Morgen, früh,

Da ich soeben aus dem Bette stieg.

[106]

Walter.

Worüber?

Adam.

Ueber – gnäd'ger Herr Gerichtsrath,

Die Wahrheit euch zu sagen, über mich.

Ich schlug euch häuptlings an den Ofen nieder,

1465

Bis diese Stunde weiß ich nicht, warum?

Walter.

Von hinten?

Adam.

Wie? Von hinten –

Walter.

Oder vorn?

Ihr habt zwo Wunden, vorne ein' und hinten.

Adam.

Von vorn und hinten. Margarethe!

Die beiden Mägde

(mit Wein u.s.w. Sie decken auf, und gehen wieder ab.)

Walter.

Wie?

Adam.

Erst so, dann so. Erst auf die Ofenkante,

1470

Die vorn die Stirn mir einstieß, und sodann

Vom Ofen rückwärts auf den Boden wieder,

Wo ich mir noch den Hinterkopf zerschlug.

(Er schenkt ein.)

Ist's euch gefällig?

[107]

Walter (nimmt das Glas).

Hättet ihr ein Weib,

So würd' ich wunderliche Dinge glauben,

1475

Herr Richter.

Adam.

Wie so?

Walter.

Ja, bei meiner Treu,

So rings seh' ich zerkritzt euch und zerkratzt.

Adam (lacht).

Nein, Gott sei Dank! Fraunnägel sind es nicht.

Walter.

Glaub's. Auch ein Vortheil noch der Hagestolzen.

Adam (fortlachend).

Strauchwerk, für Seidenwürmer, das man trocknend

1480

Mir an dem Ofenwinkel aufgesetzt. –

Auf euer Wohlergehn!

(Sie trinken.)

Walter.

Und grad' auch heut

Noch die Perücke seltsam einzubüßen!

Die hätt' euch eure Wunden noch bedeckt.

Adam.

Ja, ja. Jedwedes Uebel ist ein Zwilling. –

1485

Hier – von dem fetten jetzt – kann ich –?

[108]

Walter.

Ein Stückchen.

Aus Limburg?

Adam.

Rect' aus Limburg, gnäd'ger Herr.

Walter.

– Wie Teufel aber, sagt mir, ging das zu?

Adam.

Was?

Walter.

Daß ihr die Perücke eingebüßt.

Adam.

Ja seht. Ich sitz' und lese gestern Abend

1490

Ein Actenstück, und weil ich mir die Brille

Verlegt, duck' ich so tief mich in den Streit,

Daß bei der Kerze Flamme lichterloh

Mir die Perücke angeht. Ich, ich denke,

1495

Feu'r fällt vom Himmel auf mein sündig Haupt,

Und greife sie, und will sie von mir werfen;

Doch eh ich noch das Nackenband gelößt,

Brennt sie wie Sodom und Gomorrha schon.

Kaum daß ich die drei Haare noch mir rette.

Walter.

Verwünscht! Und eure andre ist in der Stadt.

Adam.

1500

Bei dem Perückenmacher. – Doch zur Sache.

Walter.

Nicht allzurasch, ich bitt', Herr Richter Adam.

Adam.

Ei, was! Die Stunde rollt. Ein Gläschen hier.

(er schenkt ein).

Walter.

Der Lebrecht – wenn der Kauz dort wahr gesprochen –

Er auch hat einen bösen Fall gethan.

Adam.

1505

Auf meine Ehr.

(er trinkt).

Walter.

Wenn hier die Sache,

Wie ich fast fürchte, unentworren bleibt,

So werdet ihr, in eurem Ort, den Thäter

Leicht noch aus seiner Wund' entdecken können.

(er trinkt).

Niersteiner?

Adam.

Was?

Walter.

Oder guter Oppenheimer?

Adam.

1510

Nierstein. Sieh da! Auf Ehre! Ihr versteht's

Aus Nierstein, gnäd'ger Herr, als hätt' ich ihn geholt.

Walter.

Ich prüft' ihn, vor drei Jahren, an der Kelter.

Adam

(schenkt wieder ein).

Walter.

– Wie hoch ist euer Fenster – dort! Frau Marthe.

Frau Marthe.

Mein Fenster?

Walter.

Das Fenster jener Kammer, ja,

1515

Worin die Jungfer schläft?

Frau Marthe.

Die Kammer zwar

Ist nur vom ersten Stock, ein Keller drunter,

Mehr als neun Fuß das Fenster nicht vom Boden;

Jedoch die ganze, wohlerwogene

Gelegenheit sehr ungeschickt zum Springen.

1520

Denn auf zwei Fuß steht von der Wand ein Weinstock,

Der seine knot'gen Aeste rankend hin

Durch ein Spalier treibt, längs der ganzen Wand:

Das Fenster selbst ist noch davon umstrickt.

Es würd ein Eber, ein gewaffneter,

1525

Müh mit den Fängern haben, durchzubrechen.

Adam.

Es hing auch keiner drin.

(er schenkt sich ein).

Walter.

Meint ihr?

[111]

Adam.

Ach, geht!

(er trinkt).

Walter (zu Ruprecht).

Wie traf er denn den Sünder? Auf den Kopf?

Adam.

Hier.

Walter.

Laßt.

Adam.

Gebt her.

Walter.

S' ist halb noch voll.

Adam.

Will's füllen.

Walter.

Ihr hört's.

Adam.

Ei, für die gute Zahl.

Walter.

Ich bitt' euch.

Adam.

1530

Ach, was! Nach der Pythagoräer=Regel.

(er schenkt ihm ein).

Walter (wieder zu Ruprecht).

Wie oft traf er dem Sünder denn den Kopf?

[112]

Adam.

Eins ist der Herr. Zwei ist das finstre Chaos;

Drei ist die Welt. Drei Gläser lob' ich mir.

Im dritten trinkt man mit den Tropfen Sonnen,

1535

Und Firmamente mit den übrigen.

Walter.

Wie oftmals auf den Kopf traf er den Sünder?

Er, Ruprecht, ihn dort frag' ich!

Adam.

Wird man's hören?

Wie oft trafst du den Sündenbock? Na, heraus!

Gott's Bitz, seht, weiß der Kerl wohl selbst, ob er –

1540

Vergaßt du's?

Ruprecht.

Mit der Klinke?

Adam.

Ja, was weiß ich.

Walter.

Vom Fenster, als er nach ihm herunter hieb?

Ruprecht.

Zweimal, ihr Herrn.

Adam.

Hallunke! das behielt er!

(er trinkt).

Walter.

Zweimal! Er konnt' ihn mit zwei solchen Hieben

Erschlagen, weiß er –?

Ruprecht.

Hätt' ich ihn erschlagen,

1545

So hätt' ich ihn. Es wär mir grade recht.

Läg' er hier vor mir, todt, so könnt' ich sagen,

Der war's, ihr Herrn, ich hab euch nicht belogen.

Adam.

Ja, todt! das glaub' ich. Aber so –

(er schenkt ein).

Walter.

Konnt' er ihn denn im Dunkeln nicht erkennen?

Ruprecht.

1550

Nicht einen Stich, gestrenger Herr. Wie sollt ich?

Adam.

Warum sperrt'st du nicht die Augen auf – Stoßt an!

Ruprecht.

Die Augen auf! Ich hatt' sie aufgesperrt.

Der Satan warf sie mir voll Sand.

Adam (in den Bart).

Voll Sand, ja!

Warum sperrt'st du deine großen Augen auf.

1555

– Hier. Was wir lieben, gnäd'ger Herr! Stoßt an!

[113]

Walter.

– Was recht und gut und treu ist, Richter Adam!

(sie trinken).

Adam.

Nun denn, zum Schluß jetzt, wenns gefällig ist.

(er schenkt ein).

Walter.

Ihr seid zuweilen bei Frau Marthe wohl,

Herr Richter Adam. Sagt mir doch,

1560

Wer, außer Ruprecht, geht dort aus und ein.

Adam.

Nicht allzuoft, gestrenger Herr, verzeiht.

Wer aus und ein geht, kann ich euch nicht sagen.

Walter.

Wie? Solltet ihr die Witwe nicht zuweilen

Von eurem sel'gen Freund besuchen?

Adam.

1565

Nein, in der That, sehr selten nur.

Walter.

Frau Marthe!

Habt ihr's mit Richter Adam hier verdorben?

Er sagt, er spräche nicht mehr bei euch ein?

Frau Marthe.

Hm! Gnäd'ger Herr, verdorben? Das just nicht.

Ich denk er nennt mein guter Freund sich noch.

1570

Doch daß ich oft in meinem Haus' ihn sähe,

[115]

Das vom Herrn Vetter kann ich just nicht rühmen.

Neun Wochen sind's, daß er's zuletzt betrat,

Und auch nur da noch im Vorübergehn.

Walter.

Wie sagt ihr?

Frau Marthe.

Was?

Walter.

Neun Wochen wären's –?

Frau Marthe.

Neun,

1575

Ja – Donnerstag sind's zehn. Er bat sich Saamen

Bei mir, von Nelken und Aurikeln aus.

Walter.

Und – Sontags – wenn er auf das Vorwerk geht –?

Frau Marthe.

Ja, da – da gukt er mir in's Fenster wohl,

Und saget guten Tag zu mir und meiner Tochter;

1580

Doch dann so geht er wieder seiner Wege.

Walter (für sich).

Hm! Sollt ich auch dem Manne wohl –

(er trinkt).

Ich glaubte,

Weil ihr die Jungfer Muhme dort zuweilen

[116]

In eurer Wirthschaft braucht, so würdet ihr

Zu Dank die Mutter dann und wann besuchen.

Adam.

1585

Wie so, gestrenger Herr?

Walter.

Wie so? Ihr sagtet,

Die Jungfer helfe euren Hühnern auf,

Die euch im Hof erkranken. Hat sie nicht

Noch heut in dieser Sach' euch Rath ertheilt?

Frau Marthe.

Ja, allerdings, gestrenger Herr, das thut sie.

1590

Vorgestern schickt' er ihr ein krankes Perlhuhn

Ins Haus, das schon den Tod im Leibe hatte.

Vorm Jahr rettete sie ihm eins vom Pips,

Und dies auch wird sie mit der Nudel heilen:

Jedoch zum Dank ist er noch nicht erschienen.

Walter (verwirrt).

1595

– Schenkt ein, Herr Richter Adam, seid so gut.

Schenkt gleich mir ein. Wir wollen eins noch trinken.

Adam.

Zu eurem Dienst. Ihr macht mich glücklich. Hier.

(er schenkt ein).

Walter.

Auf euer Wohlergehn! – Der Richter Adam,

Er wird früh oder spät schon kommen.

[117]

Frau Marthe.

Meint ihr? Ich zweifle.

1600

Könnt' ich Niersteiner, solchen, wie ihr trinkt,

Und wie mein seel'ger Mann, der Castellan,

Wohl auch, von Zeit zu Zeit, im Keller hatte,

Vorsetzen dem Herrn Vetter, wär's was anders:

Doch so besitz' ich nichts, ich arme Witwe,

1605

In meinem Hause, das ihn lockt.

Walter.

Um so viel besser.