BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich von Kleist

1777 - 1811

[255]

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65tes Blatt    Den 14ten December 1810.

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Ueber das Marionettentheater.

 

(Fortsetzung.)

 

Ich sagte, daß, so geschickt er auch die Sache seiner Paradoxe führe, er mich doch nimmermehr glauben machen würde, daß in einem mechanischen Gliedermann mehr Anmuth enthalten sein könne, als in dem Bau des menschlichen Körpers.

Er versetzte, daß es dem Menschen schlechthin unmöglich wäre, den Gliedermann darin auch nur zu erreichen. Nur ein Gott könne sich, auf diesem Felde, mit der Materie messen; und hier sei der Punct, wo die beiden Enden der ringförmigen Welt in einander griffen.

Ich erstaunte immer mehr, und wußte nicht, was ich zu so sonderbaren Behauptungen sagen sollte.

Es scheine, versetzte er, indem er eine Prise Taback nahm, daß ich das dritte Capitel vom ersten Buch Moses nicht mit Aufmerksamkeit gelesen; und wer diese erste Periode aller menschlichen Bildung nicht kennt, mit dem könne man nicht füglich über die folgenden, um wie viel weniger über die letzte, sprechen.

Ich sagte, daß ich gar wohl wüßte, welche Unordnungen, in der natürlichen Grazie des Menschen, das Bewußtsein anrichtet. Ein junger Mann von meiner Bekanntschaft hätte, durch eine bloße Bemerkung, gleichsam vor meinen Augen, seine Unschuld verloren, und das Paradies derselben, trotz [256] aller ersinnlichen Bemühungen, nachher niemals wieder gefunden. – Doch, welche Folgerungen, setzte ich hinzu, können Sie daraus ziehen?

Er fragte mich, welch einen Vorfall ich meine?

Ich badete mich, erzählte ich, vor etwa drei Jahren, mit einem jungen Mann, über dessen Bildung damals eine wunderbare Anmuth verbreitet war. Er mogte ohngefähr in seinem sechszehnten Jahre stehn, und nur ganz von fern ließen sich, von der Gunst der Frauen herbeigerufen, die ersten Spuren von Eitelkeit erblicken. Es traf sich, daß wir grade kurz zuvor in Paris den Jüngling gesehen hatten, der sich einen Splitter aus dem Fuße zieht; der Abguß der Statue ist bekannt und befindet sich in den meisten deutschen Sammlungen. Ein Blick, den er in dem Augenblick, da er den Fuß auf den Schemel setzte, um ihn abzutrocknen, in einen großen Spiegel warf, erinnerte ihn daran; er lächelte und sagte mir, welch' eine Entdeckung er gemacht habe. In der That hatte ich, in eben diesem Augenblick, dieselbe gemacht; doch sei es, um die Sicherheit der Grazie, die ihm beiwohnte, zu prüfen, sei es, um seiner Eitelkeit ein wenig heilsam zu begegnen: ich lachte und erwiederte – er sähe wohl Geister! Er erröthete, und hob den Fuß zum zweitenmal, um es mir zu zeigen; doch der Versuch, wie sich leicht hätte voraussehn lassen, misglückte. Er hob verwirrt den Fuß zum dritten und vierten, er hob ihn wohl noch zehnmal: umsonst! er war außer Stand, dieselbe Bewegung wieder hervorzubringen – was sag' ich? die Bewegungen, die er machte, hatten ein so komisches Element, daß ich Mühe hatte, das Gelächter zurückzuhalten: –

Von diesem Tage, gleichsam von diesem Augenblick an, ging eine unbegreifliche Veränderung [257] mit dem jungen Menschen vor. Er fieng an, Tage lang vor dem Spiegel zu stehen; und immer ein Reiz nach dem anderen verließ ihn. Eine unsichtbare und unbegreifliche Gewalt schien sich, wie ein eisernes Netz, um das freie Spiel seiner Gebährden zu legen, und als ein Jahr verflossen war, war keine Spur mehr von der Lieblichkeit in ihm zu entdecken, die die Augen der Menschen sonst, die ihn umringten, ergötzt hatte. Noch jetzt lebt jemand, der ein Zeuge jenes sonderbaren und unglücklichen Vorfalls war, und ihn, Wort für Wort, wie ich ihn erzählt, bestätigen könnte. –

 

(Beschluß folgt.)

 

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Fragmente.

 

1.

Die Herzhaftigkeit, alles herauszusagen, was einem einfällt, hat schon so manchem den Ruhm erworben, daß er die artigsten Einfälle habe. Aber das Sinnreiche und das Unsinnige haben die Aehnlichkeit unter sich, daß beides einem andern nicht so leicht eingefallen wäre; und daher wird oft eins für das andere genommen.

 

2.

Soll dich die Welt für einen weisen Mann halten, so geh tiefsinnig einher, sprich nichts, oder nur mit geheimnißvoller Dunkelheit, um andre zu verkleinern, sage niemals dein Urtheil, sondern lächle nur, und habe keine Freude.

Fr. Sch.

[Friedrich Schulz]

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Bülletin der öffentlichen Blätter.

 

London, den 27ten Nov.

Von Lord Wellington sind Depeschen, datirt Porto=Negro, den 10. Nov. angekommen. Nach denselben ist seit dem 3. nichts von Wichtigkeit vorgefallen. Am 5. wollte sich der Feind der zu Villa Velha befindlichen Tajobrücke bemächtigen; fand sie aber zerstört und kehrte nach Formosa zurück.

Privatbriefe aus Lissabon melden, daß man glaube, Massena werde, während des Winters, der sich einstellt, keine Bewegung vornehmen; wenigstens wenn wir ihn nicht zurücktreiben. Es scheint, daß er Werke anlegen lasse, um sich im Nothfall zu vertheidigen. Seine Position ist sehr stark.

Die merkwürdigste Nachricht, die man im Lager Lord Wellingtons hatte, war die Gefangennehmung Mascarachas, der als Courier an Napoleon gesandt war. Dieser Mensch war Adjutant bei junot; man verhaftete ihn zu Bobadele und fand seine Depeschen in seinen Stiefeln. (Mon.) [Kleist]

Lissabon, den 14. Nov.

Nach Briefen vom 8. herrscht die Seuche auch zu Cadiz. Sie rafft daselbst täglich 50 Menschen weg.      (Mon.) [Kleist]

 

Paris den 3ten Dec.

Das Befinden des Königs von England ist fortdaurend bedenklich. Nach neueren Nachrichten soll da[s] Parlament nicht wieder ajournirt sein; man spricht stark von einer Regentschaft.       (L. d. B.) [Kleist]

 

Hamburg den 11ten Dec.

Bei der Armee in Portugal war bis zum 14ten Nov. nichts Neues vorgefallen.       (L. d. B.) [Kleist]

 

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Bei J. E. Hitzig hinter der katholischen Kirche Nr. 3.

ist eben angekommen:

Halle und Jerusalem. Studentenspiel und Pilger-

abentheuer, von Ludwig Achim von Arnim.

Mit einer schönen Titel=Vignette. 8. Heidelberg,

bei Mohr und Zimmer, 1 tbl. 16 gr.