BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Rudolf von Jhering

1818 - 1892

 

Scherz und Ernst in der Jurisprudenz

 

Erste Abtheilung

Fünfter Brief:

Die Volkmar'schen Anträge

über die Reform des juristischen

Studiums und Examens.

 

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Sechster Brief. 1)

 

Die Idee, welche ich in meinem ersten Briefe, der – zu meinem Schrecken sehe ich es – bereits in Nr. 41 des Jahrganges 1861 das Licht erblickte, angeregt habe, hat eine über Erwarten glänzende Verwirklichung gefunden. Die Maske des „Unbekannten“ ist in der That jener Domino geworden, in dem hinter einander die ganze Mannschaft der Schloßwache den Hof-Maskenball besuchte und sich am Buffet bene that; bald steckt dieser, bald jener Unbekannte sich hinein, ohne daß Einer von dem Andern weiß. Bald bin ich der civilistische Unbekannte, bald der kriminalistische, bald der civilprocessualische 2), und neuerdings (Heft 2, S. 153) sogar der „extra seriem“. Ich spalte und vermehre mich vor den Augen des Publikums wie ein Wurm, den man in Stücke schneidet; jedes Stück zappelt und krabbelt für sich, und alle diese zappelnden und krabbelnden Unbekannten sind doch schließlich Ich selber. Wäre es nicht so unheimlich, an seinem eigenen Ich irre zu werden und lauter Doppelgängern von sich zu begegnen, man könnte es fürwahr ein beneidenswerthes Los nennen, sich in dieser Weise zu vervielfältigen und ohne eigene Mühe und Anstrengung eine große literarische Fruchtbarkeit zu entfalten. Warum haben Savigny und Puchta nicht auch einmal den Gedanken gehabt, eine fremde Kappe überzuhängen und ihre Werke z. B. auf den Namen von [98] Brackenhöft oder Rosshirt in die Welt zu schicken? Welche Überraschung hätte es für letztere sein müssen, ein Werk von sich in die Hände zu bekommen, das sie selber verstanden hätten! Sie wissen, daß Hauff seinen „Mann im Monde“ unter dem Namen Clauren's herausgab; das Publikum ahnte nichts von dem Betruge. Wer weiß, ob dem juristischen Publikum nicht öfter ein ähnlicher Possen gespielt wird; wenigstens kann ich mich bei der Lektüre so mancher Schriften neuerer Autoren nicht des Verdachtes erwehren, daß dieselben nicht von ihnen selber herrühren, sondern daß ein verwünschtes altes Waschweib in unserer Literatur sein Unwesen treibt. Neulich habe ich wieder etwas von ihr unter Händen gehabt: eine ganze Bütte voll Waschwasser, ca. 300 Seiten lang, nichts darin als ein kleiner, dürftiger und noch dazu unrichtiger Gedanke. Erwische ich die Person einmal, die selbst Leute von Namen und Ansehn nicht schont, es soll ihr schlecht ergehen! Könnten Sie nicht die juristische Gesellschaft in Berlin veranlassen, aufs Einfangen des juristischen Waschweibes, das unter dem Namen juristischer Schriftsteller ihr Spiel treibt, eine Prämie zu setzen?

Wie es sich mit dieser Vermuthung aber auch verhalten möge, kurz, in Bezug auf mich ist es Thatsache, daß Andere unter meiner Maske schreiben. Mögen Andere sich beklagen, daß man ihnen die Geisteseier stiehlt und die ausgebrüteten Jungen für eigene ausgiebt, bei mir kehrt der Begriff des literarischen Diebstahls in erfreulichster Weise sich dahin um, daß man mir heimlich die Eier ins Nest legt und auf meinen Namen ausbrütet. Welche staunenswerthe Belesenheit entwickle ich auf allen Gebieten des Rechts! Römisches, preußisches Civilrecht, Rechtsge­schichte, Kriminalrecht, Civilprozeß – Nichts ist mir fremd! Am gespanntesten bin ich darauf, welche Kenntnisse des Staatsrechts ich noch entwickeln werde. Darin etwas zu wissen, ist jetzt die Kunst. [99] Bundesstaatsrecht, hannöversches, kurhessisches, nassauisches Staatsrecht – über Nacht ist es abhanden gekommen. Nur die Hefte der Professoren sind geblieben. Unthätig liegen sie im Pult und grollen dem bösen Bismarck; vielleicht träumen auch sie von einer glücklichen Auferstehung, wo die Welt, die ihnen unter den Händen fortgerutscht ist, sich reuig wieder unter die Hefte zurückbegiebt, und die depossedirten Souveräne wieder in ihre „Reiche“ und zu ihren „Völkern“ zurückkehren.

Doch nach meiner Gewohnheit verirre ich mich einmal wieder. Was ich wollte, war: allen jenen liebenswürdigen Leuten, die mir unaufgefordert die Eier ins Nest gelegt haben, öffentlich meinen Dank ausdrücken; privatim kann ich es nicht, da ich ihre Adresse nicht kenne, und Sie, mein verehrter Herr Redakteur, mir dieselbe einmal nicht mittheilen wollen. Ich heiße Euch alle unter meinen Flügeln willkommen, unbekannte Mitbrüder oder Mitbrüter! vor allen aber Dich neuesten Ankömmling im Nest, der Du Deine Zusendungen mit dem Poststempel Leipzig versehen anonym machst. Hoffnungsvoller Ableger von mir, bringe noch öfter solche Gaben, wie Deinen ersten Brief (Nr. 16 de 1866 S. 61), tauche noch öfter in das weite Meer des juristischen Unsinns, um aus der Tiefe des Abgrundes solche köstliche Perlen zu Tage zu fördern, wie die Strippelmann'sche Schwiegermutter – ein Kabinetsstück ersten Ranges. Vereint wollen wir alle und wer sonst noch Lust hat, sich zu uns zu gesellen, den Kampf gegen die Auswüchse unserer Literatur von Neuem beginnen, und der Flitterstaat der Gelehrsamkeit, des Scharf- und Tiefsinnes, mit dem sie sich behangen haben, soll uns nicht abhalten, sie in ihrer wahren Gestalt zu erkennen und aufzudecken. Mögen Andere den Kampf gegen sie mit schwerem Geschütz führen, Batterien auffahren, um Mücken und Fliegen in den Grund zu bohren, wir unsererseits begnügen uns mit der Fliegenklappe und der Pritsche – ein richtig [100] versetzter Schlag damit wirkt oft mehr als eine ganze Kanonade von Corpus-Juris-Stellen. Ich weiß nicht, welcher Engländer es war, der seine Rettung dem Lachen verdankte, – ein innerliches Geschwür, dem die Ärzte weder mit Feuer noch Eisen beizukommen vermochten, brach auf, als er seinen Pudel mit einer Allongeperücke vor sich sitzen sah und darüber in ein herzhaftes Lachen verfiel. An innerlichen Geschwüren fehlt es auch unserer Jurisprudenz nicht; versuchen wir's mit dem Pudel und der Allongeperücke, vielleicht bringen wir sie zum Lachen und damit zur Gesundheit. Wer ein Mal über eine ungesunde Ansicht gelacht hat, ist für immer dagegen gesichert; das Zwerchfell ist ein höchst werthvolles Stück des Verstandes.

Daß es mit unserer Civilrechtspflege nicht recht in Ordnung ist, darüber sind alle Stimmen einig. Die Theoretiker, Savigny an der Spitze, meinen, der Grund des Übels liege darin, daß die Praxis zu wenig theoretisch, die Praktiker, daß die Theorie zu wenig praktisch sei. Der Eine erklärt den verdorbenen Magen daher, daß der Patient zu viel, der Andere, daß er zu wenig Medicin zu sich genommen; täglich werden ihm neue Recepte verschrieben in Gestalt von dicken Büchern, keins ohne die trostreiche Versicherung, daß der Patient bisher auf dem Holzwege gewesen, aber daß jetzt der Weg des Heils für ihn entdeckt sei. Rechtsgeschichte, Exegese, Rechtsphilosophie, Nationalökonomie, Naturstudium, der Kirchenvater Clemens von Alexandrien, Shakespeare, die Porzia und der Doge von Venedig im Kaufmann von Venedig – was alles soll ihm nicht eine bessere Verdauung und Konstitution verschaffen! Armer Patient, sollst Du warten, bis Deine Leibärzte sich über das, was Dir fehlt und wie Dir zu helfen, geeinigt haben, Du kannst ihnen unter den Händen sterben. Fahre inzwischen ruhig fort in der Verrichtung Deiner Leibesnothdurft: zu impetriren, registriren, präsentiren, [101] insinuiren, dekretiren, publiciren, kontumaziren, appelliren, und was des Irens mehr ist. In dem Seuffert'schen Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte besitzest Du einen getreuen Spiegel Deiner selbst und einen zuverlässigen Führer. Im Wolkenkuckuckshein der Wissenschaft mag man Dich verketzern, daß Du Dich mehr seiner Leitung, als der ihrigen anvertraust; meines Erachtens thust Du wohl daran, denn vom Himmel aus kann man Dir den Weg nicht weisen, Dein Wegweiser muß auf die Erde hinabsteigen, und so lange die Wissenschaft dies verschmäht, hat sie es sich selbst zuzuschreiben, daß Du zu ihrer Führung kein rechtes Vertrauen hast. Nur Eins habe ich an dem Seuffert'schen Unternehmen auszusetzen, und ich werde meinerseits den Mangel durch ein neues Unternehmen unschädlich zu machen versuchen, welches ich als Urheber der Idee das Recht habe zu taufen, und das ich hiermit Anti-Seuffert taufe. Wenn man Jemandem den Weg der Tugend weisen will, so genügt es nicht, ihm glänzende Vorbilder der Tugenden vorzuführen, sondern man muß ihm auch die abschreckenden Beispiele des Lasters vor Augen halten. Seuffert aber giebt bloß die glänzenden Vorbilder, – wie wäre es auch anders möglich, da er sich auf Entscheidungen der obersten Gerichte beschränkt? Allein es fehlen die abschreckenden Beispiele, solche Erkenntnisse, bei denen dem einfachen gewöhnlichen Menschenverstande Hören und Sehen vergeht. Ich halte viel von abschreckenden Beispielen, meine ganze Erziehung, die ich meinem Großvater verdanke, ist darauf gegründet worden. Was hilft's, pflegte er zu sagen, wenn ich, um dem Jungen z. B. die Tugend der Mäßigkeit anzuerziehen, ihm glänzende Vorbilder der Mäßigkeit vorführe? ein Betrunkener, eines „Besoffenen 3) gar nicht zu gedenken, predigt [102] ihm diese Tugend eindringlicher als hundert Nüchterne. Wenn ich nie in meinem Leben in Versuchung gekommen bin, mir mit zu vielen Pflaumen den Magen zu verderben, so verdanke ich dies nur dem Umstande, daß mein Großvater, der wie ein Geier auf alle abschreckenden Beispiele aus war, mich an das Bett eines Jungen führte, der durch übermäßigen Genuß von Pflaumen sich eine grimmige Kolik mit obligatem Erbrechen zugezogen hatte. Um auf meinen Anti-Seuffert zurück zu kommen, so frage ich: welchen Eindruck müßte es machen, wenn derartige Erkenntnisse, wie ich sie hier im Sinne habe, zum Nutzen und Frommen der Menschheit und zur besonderen Abschreckung der Juristen, wie die Eulen ans Thor oder die falschen Münzen auf den Ladentisch, öffentlich angenagelt würden? Eine Galerie juristischer Mißgeburten, ein pathologisch-juristisches Kabinet! Denken Sie Sich den richtigen Anatomen dabei, mit welchem Behagen er solche Prachtstücke seciren und präpariren, dem Unsinn gewissermaßen den Bauch aufschneiden und in den Eingeweiden die Infarkten einer unverdauten Theorie zum Vorschein bringen würde – welcher Dienst für die Rechtspflege! Ein in dieser Weise präparirtes und in unserer juristisch-pathologischen Sammlung zur allgemeinen Abschreckung aufbewahrtes Urtheil würde nicht zum zweiten Male das Licht der Welt erblicken.

Gestehen Sie es nur, Sie beneiden mich um diese Idee. Ich will, um Ihren Neid zu entwaffnen, auch Ihnen einen Antheil daran zugestehen. Sie sollen den Anti-Seuffert in Verlag haben, d. h. er soll von jetzt an einen integrirenden Theil Ihrer Zeitschrift bilden. Was mir an brauchbarem Material zukommt, werde ich Ihnen zustellen, und wenn ich bei meinen Fachgenossen die rechte Unterstützung finde, so müßte es wunderbar zugehen, wenn nicht fortan der Anti-Seuffert eine stehende Rubrik Ihres Blattes bilden würde. [103] Um diese Unterstützung will ich hiermit alle, die in der Lage sind, sie zu gewähren, dringendst gebeten haben, die Beiträge mögen zunächst an die Redaktion dieser Zeitschrift eingesandt werden. Also abgemacht: von jetzt an associiren wir uns für den Anti-Seuffert. „Aber der Skandal, den die Sache machen wird“ – sagen Sie kopfschüttelnd. Verehrter Gönner! Seitdem Pythagoras zur Feier der Erfindung seines bekannten Lehrsatzes den Göttern 100 Ochsen schlachtete, zittern und brüllten nach einem bekannten Ausspruche alle Ochsen bei jeder neuen Entdeckung, – welches lebende Wesen schreit nicht, wenn es geschlachtet werden soll? Das etwaige Geschrei unserer Kollegen würde mir nur ein Beweis sein, daß mein Anti-Seuffert sich den wichtigsten Entdeckungen aller Jahrhunderte anzureihen das Recht hat. Übrigens werde ich gern, da es mir auf die Sache, nicht auf die Personen ankommt, die Koncession machen, die Bezeichnung der Streitsache und des Gerichts völlig fortzulassen, oder sie durch fingirte Namen zu ersetzen. Wer sich trotzdem noch verletzt fühlt, der möge bedenken, daß eine solche Art der Kritik seines Urtheils im Vergleich zu der früher in Deutschland üblichen eine unendlich milde ist. Das „Schelten des Urtheils“ im altdeutschen Prozeß hatte für den Richter zur Folge, daß er sein Urtheil mit Waffen in der Hand vertheidigen mußte. Wie würden unsere Straßen von Blut triefen, wenn diese Art der Anfechtung der Urtheile noch üblich wäre! Außer den Geheimen Ober-Tribunals- und Ober-Appellationsräthen, deren Urtheile sich ja einmal nicht schelten lassen, würde kein Richter seines Lebens mehr sicher sein. Das Avancement würde merkwürdigerweise gewinnen. Nicht wahr? gegen ein solches Abschlachten der Richter in natura ist doch das seitens der Kritik nur Kinderspiel?

Mit meinem Anti-Seuffert ist mir ein Stein vom Herzen gefallen, den ich lange mit mir herumgetragen habe, und [104] ich kann nunmehr ungehindert meinen Weg fortsetzen, der mich fortan mit Beiseitelassung der Praxis ausschließlich zur Theorie zurückführen wird. Ein langer, langer Weg, aber gottlob nicht langweilig – dafür ist gesorgt.

Erinnern Sie Sich noch meines vierten Briefes? An den muß ich zunächst anknüpfen, der fünfte war ein Fastnachtsscherz, der nicht mitzählt. Ich schilderte Ihnen, wie ich als harmloser junger Mensch mit vollem Glauben an die Theorie in die Praxis trat, wie dann aber dieser Glaube durch die bitteren Erfahrungen, die ich mit der Theorie in der Anwendung machte, vollständig erschüttert ward und einer Anschauungsweise Platz machte, die ich früher in den Satz zusammengefaßt habe, daß man, um sich der Theorie ohne Gefahr bedienen zu können, vorher den Glauben an sie gänzlich verloren haben müsse. Sie werden begreifen, daß ich unter der „Theorie“ nicht die Schriften gewiegter Praktiker verstehe, auch nicht die der Theoretiker über Rechtsphilosophie, Rechtsgeschichte und sonstige ungefährliche Disciplinen, sondern ich verstehe darunter die Werke der bloßen Theoretiker über das praktisch geltende Recht. Meiner Ansicht nach sollte ihnen mit geringen Ausnahmen (s. u.) das Schreiben über diesen Gegenstand ein für alle Male gelegt werden. Was bei dem Schreiben herauskommt, hat schon Justinian eingesehen, indem er alle Schriftstellerei über seine Gesetzbücher streng untersagte. Das schöne, einfache Edikt, berichtet er, sei durch die Schriftsteller so zerzaust und zerpflückt worden, daß beinahe das ganze Recht in Verwirrung gerathen sei. Jetzt habe er mit genauer Noth Ordnung geschaffen; kämen da die Bücherschreiber wieder darüber her, so ginge die ganze alte Geschichte von Neuem wieder los. Darum solle jeder von ihnen, der sich das unterstände, als Falsarius bestraft, und seine Bücher dem Feuer überantwortet werden. Aber was vermögen Feuer und Schwert gegen den [105] Schreibkrampf! Von einem neueren Juristen behauptete die Fama, daß er selbst an einem Orte, wo es Einem sonst nur auf eine andere Erleichterung abgesehen ist, sich auch in literarischer Richtung Erleichterung verschaffe, gleich als müsse er an dieser für die Konsumtion der Literatur so verhängnisvollen Stelle das Gleichgewicht zwischen Konsumtion und Produktion wieder herstellen – dulce est desipere – – in loco. Der alte Glück in Erlangen ertrug den Gedan­ken nicht, daß seine Zuhörer sich bloß mit seinen Vorlesungen, Diktaten und Druckbogen über die Pandekten behelfen sollten, er setzte sich hin, um ihnen noch einen kleinen Pandekten-Kommentar von 6 Bänden zum Privatstudium mit nach Hause zu geben. Die treue Seele! Als er starb, hatte er es bis auf 34 Bände gebracht und war etwas über die Hälfte der Pandekten vorgerückt; dann kam Mühlenbruch, dann Fein, Ersterer athmete beim Titel: si quis aliquem testari coegerit vel prohibuerit (XXIX, 6), Letzterer bei XXIX, 7 de jure codicillorum seinen Geist aus, Ersterer mit Hinterlassung von 9, Letzterer von 2 Bänden. Wie viele Generationen von Juristen werden noch darüber hinwegsterben, bis das Werk fertig ist! wie mag's dann in der Welt aussehen! Warum ist denn nie einer von den vielen starrköpfigen Romanisten, die jeden Buchstaben im corpus juris aufrecht erhalten wollen, auf die Idee gekommen, die obige Strafbestimmung von Justinian für gültig zu erklären und den alten Glück oder Savigny oder Puchta als Falsarius zu denunciren? Aber da hapert es plötzlich mit der Gesetzlichkeit – wer hackt sich selber die Finger ab? Und doch, es hilft Nichts, wenn es besser werden soll, müssen wir der Schreiberei zu Leibe. Ganz ausrotten wird sich das Übel freilich nicht lassen, aber es muß wenigstens dafür gesorgt werden, daß es in vernünftige Grenzen eingeschlossen werde. Da bin ich denn nach längerem Nachdenken auf eine Idee [106] gekommen, die ich mir im Folgenden erlauben werde Ihnen vorzulegen.

Konstatiren wir zunächst den eigentlichen Sitz des Übels. Meines Erachtens liegt er in einer traditionellen Einrichtung unserer deutschen Universitäten, nämlich darin, daß dieselben ihre Pforten nur demjenigen öffnen, der eine „literarische Leistung“ aufzuweisen hat, d. h. von ihm Geschriebenes hat setzen und drucken lassen. Der Weg zur Professur geht durch die Druckerei hindurch, – ohne Setzer kein Professor! Welcher deutsche Privatdocent wird um eine solche Prämie sich nicht die Finger wund schreiben! Glückt's mit dem ersten Werke nicht, so ist schnell ein zweites und drittes da, und er bombardirt so lange mit Abhandlungen, Monographien, Lehrbüchern u. s. w. gegen das verschlossene Thor, bis es sich ihm endlich öffnet. Festungen beschießt man nicht mit Sechs-Pfündern, dazu bedarf es des schweren Geschützes; je dicker das Buch, desto wirksamer der Erfolg. Daher jener Fluch und Schrecken unserer Literatur, jenes künstliche und gewaltsame Auftreiben des dürftigsten Inhalts zu möglichst großem Volumen – ein kleiner, kümmerlicher, dürftiger Gedanke, um den ein ganzes Buch herumgebaut wird. Und mitunter fehlt selbst dieser. So stehen sie denn da, die Jünger der Wissenschaft, in Reihe und Glied aufmarschirt, und jeder Meß-Katalog, jedes Heft einer juristischen Zeitschrift bringt eine neue Kanonade, und wenn der Eine glücklich in die Festung eingelassen ist, ist sofort wieder ein Anderer an seine Stelle getreten, der sie von Neuem beschießt. Und das wird so fort gehen bis an den jüngsten Tag, wenn nicht unsere Regierungen und die deutsche Nation ein Einsehen haben.

Aber was schadet es, werden Sie sagen, warum den Leuten diese harmlose Geistes- und Leibesübung wehren? Ob man von ihnen verlangt, daß sie, um sich auf den Lehrstuhl zu schwingen, Purzelbäume schlagen, oder ein Buch [107] schreiben sollen, ist ja im Grunde völlig gleichgültig. Die Bücher, die sie schreiben, beißen Niemanden, Jeder kann ihnen aus dem Wege gehen; wer es nicht thut, wer sie kauft und liest, hat den etwaigen Schaden sich selber zuzuschreiben. Nein, mein Verehrtester, die Sache steht anders. Die schlechte Waare verdirbt der guten den Markt. Ameier, Bmeier, Cmeier und die übrigen Meier durchs ganze Alphabet hindurch bis zu Zmeier über Korrealobligationen, Naturalobligationen, untheilbare Obligatio­nen u. s. w., rein vom sublimen Standpunkte der „rein wissen­schaftlichen Methode“ aus ohne die geringste Bezugnahme auf die Fälle und Bedürfnisse unseres heutigen Lebens, machen einen armen Praktiker zuletzt so kopfscheu, daß er im Unmuth schließlich der ganzen Literatur den Rücken kehrt. Warum hat unsere deutsche Leinwandindustrie ihren früheren Absatz im Auslande so gut wie eingebüßt? Antwort: weil die unsoliden Leineweber Baumwolle unter das Leinen gemischt haben; die unsoliden aber haben nicht bloß sich selbst, sondern auch die soliden um den Absatz gebracht.

In unserer juristischen Literatur ist es ebenso. Die schlechten Bücher verderben den guten den Markt. Wer kauft denn noch Bücher?  4) Du lieber Gott! unter tausend Juristen kaum Einer! Ich kenne juristische Bücher, wahre Wunderwerke der Gelehrsamkeit, wie z. B. Buchholz über Prälegate (700 Seiten!), von denen vielleicht kaum 50 Exemplare abgesetzt sein dürften, und ich bin überzeugt, in manchen deutschen Staaten wird sich von vielen juristischen Werken auch nicht ein einziges Exemplar auftreiben lassen. [108] Ich selber kaufe schon lange keins mehr. Ich habe einen alten Onkel, einen kuriosen Kauz, der muß alles haben, was erscheint, und da er selber die Bücher nicht liest, sondern sie nur zur Zimmerdekoration verwendet – beiläufig ein theurer Luxus, der laufende Fuß kommt ihm plus minus auf 60 Mark zu stehen –, so nehme ich mir von Zeit zu Zeit das eine oder das andere mit, da ich sie für meine juristischen Briefe nöthig habe. Und in dieser Beziehung bieten sie mir allerdings einen höchst ergiebigen Stoff, von dem Sie noch oft profitiren sollen. Der Eindruck bleibt sich aber, wenn ich von sehr wenigen absehe, immer gleich: wer viel davon liest, spürt es im Magen. Die Schuld davon liegt nicht an den guten Leuten, welche sie schreiben, sondern an den Verhältnissen. Die Bücher über das römische Recht – und von letzterem spreche ich in meinen Briefen allein – müssen nothwendigerweise von Jahrhundert zu Jahrhundert immer schlechter werden. Die Drohung Justinian's: volumina autem eorum omnimodo corrumpentur (Const. Tanta circa § 21) ruht wie ein Fluch auf unserer juristischen Literatur. Hören Sie meine Beweisführung!

Ich weiß nicht, ob Sie an dem Gestade der Spree je in der Lage gewesen sind, Wein zu keltern, jedenfalls werden Sie mir keinen Widerspruch entgegensetzen, wenn ich Ihnen sage, daß, wenn wir zwei beide nach einander dasselbe Quantum Trauben zu keltern hätten, der erste von uns am besten, der zweite am schlechtesten daran sein würde, und daß, wenn noch ein Dritter und Vierter u. s. w. an die Reihe käme, schließlich selbst mit einer hydraulischen Presse kein Tropfen mehr hervorzubringen sein würde. Die Anwendung aufs römische Recht liegt auf flacher Hand. Seit 7 bis 8 Jahrhunderten mühen Tausende und aber Tausende, um nicht zu sagen: Millionen von Juristen sich ab, es auszupressen, und es gab Zeiten, wo der Most in armdickem Strahl herauslief, [109] wo man die größten Bütten und Fässer, will sagen: Folianten nöthig hatte, um ihn aufzufangen. So z. B. zu den Zeiten des Cujacius und Donellus. Da war es noch eine Lust zu keltern! Über die bloße Lehre vom usus fructus schrieb Galvanus einen Folianten, mit dem man einen Ochsen hätte todtschlagen können. Dann kam das Zeitalter der Quartanten. Da floß der Most schon etwas dünner, und der Geschmack ward bereits bitterer. Nun aber gar das Zeitalter der Oktavbände, in dem wir gegenwärtig leben, – denn bis zu Duodez und Sedez ist die Jurisprudenz noch nicht heruntergekommen  5) – was bleibt da noch viel [110] übrig? Ein Vergleich mag es sagen. Wenn die Champagnerfabrikanten in Asmannshausen und Ingelheim die Trauben für ihre Zwecke genugsam ausgepreßt haben, so gießt der eigentliche Weinproducent Wasser auf die Trebern und preßt sie noch einmal aus. Dann wird Spiritus und Zucker zugesetzt, und fertig ist der Asmaunshäuser und Oberingelheimer Rothe. Wasser, Spiritus, Zucker – das sind die Ingredienzien, mittelst deren man heutzutage allein noch hoffen darf, aus dem ausgepreßten römischen Recht einen trinkbaren Wein herzustellen. Aber – es ist und bleibt ein Kunstprodukt, „man kann dabei nicht singen, dabei nicht fröhlich sein.“ Das Verhältnis, in dem diese verschiedenen Ingredienzien zugesetzt werden, ist nach dem individuellen Geschmack ein verschiedenes, bei den Meisten wiegt ganz entschieden das Wasser vor, Einer hat es zwar ausschließlich mit Spiritus versucht, aber ohne sein Wissen soll auch ihm manches Wasser zwischen seinen „Geist“ gelaufen sein. Wenn Sie die neueren Erscheinungen auf dem angegebenen Gebiete einmal auf diese Ingredienzien hin prüfen wollen, wird es Ihnen nicht schwer werden, die meisten von ihnen richtig zu klassificiren; vielleicht versuche ich in einem späteren Briefe es selber.

Ich wiederhole nun ausdrücklich: die Schuld dieser Proceduren liegt nicht an unseren Schriftstellern, sondern an den Verhältnissen. Schreiben sollen sie einmal. Einfach die bereits vorhandenen Ansichten reproduciren dürfen sie nicht, – das [111] gilt nicht als „literarische Leistung“, – was bleibt also übrig, wenn die Vorgänger alles Gute bereits vorweggenommen haben, als das Schlechte zu nehmen? Sind die denkbaren vernünftigen Ansichten über den Gegenstand vollständig erschöpft, nun gut, wer will es einem armen Schriftsteller, der trotzdem noch eine neue Ansicht aufstellen muß, zur Last legen, daß er zu einer unsinnigen hat greifen müssen? Da ist mir in diesen Tagen Verschiedenes von einem Dr. Asher, Privatdocent in Heidelberg, unter die Hände gekommen, – unschätzbare Beiträge, die ich in einem der nächsten Briefe neben manchen anderen verwerthen werde. Ich frage Sie nun aber: was kann dieser Mann, der allerdings in dem obigen Artikel das Unglaubliche geleistet hat, dafür, daß Cujacius drei Jahrhunderte vor ihm gelebt und ihm das Beste vorweggenommen hat? Wäre Er damals und Cujacius in unserem Jahrhundert geboren, so wäre er vielleicht Cujacius und Cujacius Dr. Asher geworden, – es kommt Alles nur darauf an, wer zuerst an der Kelter sitzt! Sie haben gut reden: man solle, wenn keine neue gescheite Ansicht mehr möglich sei, lieber eine der bereits vorhandenen annehmen. Das verstehen Sie nicht! Lieber eine unsinnige Ansicht für sich allein, als eine vernünftige mit Andern gemeinschaftlich. Es ist wie mit den Frauen, – wem wäre nicht eine häßliche für sich allein lieber, als eine schöne mit Anderen zusammen? Oder wie mit den Kindern – wer hat die eigenen nicht lieber, als die fremden, selbst wenn erstere noch so dumm sind? Wer wird fremde Kinder adoptiren, so lange er noch die Hoffnung hat, selber welche zu erzielen? Kurzum, die Ansichten muß man sich selber machen, wenn man Schriftsteller werden will, sonst lasse man letzteres nur ganz bleiben.

Nun, habe ich meinen Beweis erbracht? Muß nicht die Literatur über das römische Recht immer öder, leerer, unerquicklicher werden? müssen nicht die Ansichten immer ungesunder, [112] unnatürlicher, verdrehter werden? Ich soll, was ich Ihnen hier auf apriorischem Wege deducirt habe, noch auf aposteriorischem beweisen? Gut! im nächsten Briefe soll es geschehen. Ich werde Ihnen eine Blumenlese des juristischen Unsinns zusammensuchen, daß Ihnen das Herz im Leibe lachen soll. Sie meinen, die Sache sei nichts weniger als zum Lachen, sie habe ihre sehr ernste Seite? Gewiß! Es kommt darauf an, wie man über die fernere Fortdauer der Gültigkeit des römischen Rechts in Deutschland denkt. Wünscht man, daß dieselbe ein baldiges Ende nehme, so kann man sich über die oben von mir dargelegte literarische Erschöpfung des römischen Rechts nur freuen, sie enthält das sicherste Zeichen, daß es mit demselben zu Ende geht; das römische Recht ist altersschwach geworden, es geht an Marasmus senilis und Langeweile zu Grunde. Wünscht man demselben noch ein längeres Leben, dann muß dem Übel freilich baldigst Einhalt gethan werden, und damit komme ich auf das Mittel zurück, das ich gegen dasselbe in Petto habe. Die Gefährlichsten im Punkte der Schriftstellerei sind, wie bereits oben bemerkt, die deutschen Privatdocenten. Ohne je einen einzigen praktischen Fall unter Händen gehabt zu haben, schreiben sie über die intrikatesten Materien, die den gewiegtesten Juristen in Verlegenheit setzen könnten, unbefangen darauf los. Dem Unkundigen ist Alles leicht und klar, und wer über das corpus juris nicht hinaussieht und mit dem nöthigen Selbstvertrauen und der gehörigen Selbstgefälligkeit ausgestattet ist, dem wird es nicht schwer fallen, die Fortbildung, die unsere Praxis in richtiger Würdigung der veränderten Verhältnisse und der Bedürfnisse unseres heutigen Verkehrs einem römischen Gedanken gegeben hat, als eine aus Unkenntnis der Quellen oder mangelhafter Interpretation hervorgegangene Verirrung zu stigmatisiren und mit mitleidigem Lächeln auf den in der Schule des Lebens ergrauten Präsidenten des höchsten [113] Gerichts herabzusehen. Es macht mir denselben Eindruck, als wenn ein Philolog, mit Aristoteles und Plinius in der Hand, sich herausnehmen wollte, in Bezug auf naturwissenschaftliche Fragen Cuvier und Liebig zu schulmeistern.

Meiner Ansicht nach giebt es nun ein ganz einfaches Mittel, um die Privatdocenten literarisch unschädlich zu machen. In Rom bestand bekanntlich seit August die Einrichtung, daß wer aus einem Testament erwerben wollte, eine gewisse Anzahl von Kindern aufweisen mußte: die liberi waren die Bedingung der «capacitas». Personen, denen der Kaiser wohlwollte, ersparte er die Mühe durch Ertheilung des jus liberorum, die Kinder wurden fingirt, oder es wurde gänzlich von ihnen Umgang genommen; auf diesem Wege kam unter andern auch die Diana zu Ephesus, der man als der keuschen Göttin anständigerweise die Erfüllung des Gesetzes nicht zumuthen konnte, in den Besitz der capacitas. Was in Rom die leibliche, bedeutet bei uns die geistige Fruchtbarkeit; „ohne liberi keine Erbschaft,“ hieß es dort, „ohne libri keine Professur,“ heißt es hier. Ich halte dies Princip für ein höchst unglückliches und meine, man sollte die „Capacität“ eines Privatdocenten mehr nach dem Lehren als dem Schreiben bestimmen. Wenn jedoch die Universitäten von dem Erfordernis des Schreibens nicht lassen wollen, so mache man es wenigstens in der Anwendung für die Jurisprudenz unschädlich, indem man nach Analogie des römischen jus liberorum den juristischen Privatdocenten, sobald sie sich anschicken, mit einem Werke an die Öffentlichkeit zu treten, das jus librorum ertheilt, d. h. man mache sie zu Professoren, gleich als ob sie die nöthigen Bücher hätten drucken lassen. Wird es doch bisher schon auf manchen Universitäten mit ihren Büchern nicht gar so streng genommen, vielmehr dieselbe Nachsicht geübt, welche auch die Römer bei Beurtheilung der liberi eintreten ließen, und welche die l. 135 de V. S. (50. 16) in [114] einer so menschlich schönen und für das vorliegende Verhältnis so zutreffenden Weise motivirt, daß ich mich nicht enthalten kann, die ganze Stelle hier abdrucken zu lassen:

L. 135 de V. S. (50. 16): Quaeret aliquis, si portentosum vel monstrosum vel debilem mulier ediderit vel qualem visu vel vagitu novum, non humanae figurae, sed alterius magis animalis quam hominis partum; an, quia enixa est, prodesse ei debeat? Et magis est, ut haec quoque parentibus prosint, nec enim est, quod iis imputetur, qui qualiter po­tuerunt, statutis obtemperaverunt, neque id, quod fataliter accessit, matri damnum injungere debet.

Frei übersetzt für unsern Fall: was können die Privatdocenten, die, so gut und so schlecht, wie sie nun eben konnten (qualiter potuerunt), den Universitätsstatuten nachgekommen sind (statutis obtemperaverunt), was können sie dafür, wenn fataler Weise (quod fataliter accessit) das von ihnen erzeugte Buch weniger den Charakter eines normalen literarischen Erzeugnisses (non humanae figurae), als den einer literarischen Mißgeburt (portentosum vel monstrosum) oder die Spuren der Geistesschwäche (vel debilem partum ediderint) an sich trägt? Sie haben doch etwas zur Welt gebracht, das genügt (quod enixi sunt, prodesse eis debet). Die Ertheilung des jus librorum und der Professur würde natürlich nur erfolgen gegen die Verpflichtung, das vorgelegte Buch nicht, oder wenigstens während eines längeren Zeitraumes, etwa der klassischen 9 Jahre (nonum prematur in annum), nicht herauszugeben; am sichersten dürfte es sein, es der juristischen Fakultät zur Verwahrung anzuvertrauen. Nach Ablauf der 9 Jahre und nach glücklich erlangter Professur würde der Verfasser schwerlich noch auf der Herausgabe bestehen, muthmaßlich sogar Gott danken, daß eine weise väterliche Regierung ihn vor [115] einer literarischen Übereilung bewahrt habe. Welche Gestalt würde unsere Literatur erhalten, wenn diese Einrichtung der neunjährigen Deposition der Manuskripte zur ganz allgemeinen erhoben würde? Ich behaupte, sie würde eine größere Revolution hervorrufen, als das Zündnadelgewehr. Wie unzählige Bücher würden ungeschrieben, und wenn geschrieben, ungedruckt bleiben, und wie würden diejenigen, die schließlich dennoch gedruckt würden, dadurch gewinnen. Es ist ein Gedanke, auf den ich mir etwas einbilde, ein würdiges Seitenstück zu meinem Anti-Seuffert; ich beabsichtige ihn durch einen Freund als Antrag beim deutschen Reichstag einbringen zu lassen. Verbietet die Polizei, unreifes Obst, saures Bier zu verkaufen, warum nicht auch unreife Bücher? Sollten die deutschen Regierungen auf meinen Vorschlag der Ertheilung des jus librorum wegen des Widerstandes, den die Universitäten voraussichtlichermaßen demselben entgegenstellen werden, nicht eingehen, so bleibt nichts übrig, als daß wir Juristen selber die Sache in die Hand nehmen, und ich proponire zu dem Zwecke eine Nationalkollekte, um aus dem Ertrage derselben alle fertigen Manuskripte der juristischen Privatdocenten anzukaufen, oder richtiger: zur Sequestration zu erhalten, damit sie die obigen 9 Jahre hindurch unter Klausur gehalten werden. Neben uns Juristen würden auch die Verleger heranzuziehen sein, und ich zähle auf eine rege Betheiligung von ihrer Seite; sie werden schon wissen, wobei sie das beste Geschäft machen, ob bei der bisherigen, oder der von mir projektirten Einrichtung.

Damit wären die Privatdocenten abgethan; nun zu den Professoren! Ich habe schon erklärt, daß ich sie für ungleich weniger gefährlich halte als erstere. Sie befinden sich bereits im Besitz dessen, was der Privatdocent sich erst durch sein Schreiben erwerben will: der Professur, – dieser Impuls zum Schreiben fällt für sie mithin weg. Sodann ist ein [116] großer Theil ihrer Zeit durch Vorlesungen und Amtsgeschäfte in Anspruch genommen, die Ferien aber haben sie zu ihrer Erholung nöthig, so daß schließlich nicht so viel Zeit zum Schreiben übrig bleibt, während viele Privatdocenten das ganze Jahr hindurch Ferien haben; höchstens dürfte etwa durch Abkürzung der Ferien die überflüssige, aufs Schreiben verwendbare Zeit um etwas zu vermindern sein. Und endlich und vor Allem: je mehr man lernt, desto mehr merkt man, daß nicht jeder neue Gedanke sich der Veröffentlichung verlohnt. Dem jungen Storch, der zum ersten Male seinen Schnabel aus dem Nest herausstreckt, ist Alles neu, er macht die wunderbarsten Entdeckungen, in dem Misthaufen sieht er einen Berg, in der Pfütze einen See; aber der alte Storch, der seine langen Reisen gemacht, kann weite Strecken zurücklegen, bevor ihm etwas aufstößt, was er seiner Aufmerksamkeit würdigt. So möge immerhin den juristischen Professoren das Recht, auch über dogmatische Fragen zu schreiben, unter gewissen Einschränkungen und Kautelen zugestanden werden. Das römische Recht gewährt uns auch hier abermals einen Anhaltspunkt, nämlich in dem gleichzeitig mit dem jus liberorum aufgekommenen jus respondendi. Die angeseheneren Juristen erhielten in der Kaiserzeit von Staatswegen die Autorisation, responsa juris zu ertheilen. Nach dem Vorbilde dieses jus respondendi gebe man unseren hervorragenden Theoretikern das jus scribendi, den zweifelhafteren etwa, wie dies bei den Anstellungen der Staatsdiener in Süddeutschland geschieht, auf Widerruf, damit sie Gelegenheit haben, sich zu erproben; bestehen sie die Probe, so verwandle man es in ein definitives, bestehen sie sie nicht, so entziehe man es ihnen gänzlich. Ich hatte anfänglich vor, Personalvorschläge hinzuzufügen, allein bei Entwerfung derselben stieß ich auf solche Bedenken und Zweifel, daß ich mich derselben gänzlich enthalte und mich darauf beschränke, Ihnen und dem Leser zu [117] eigenem Gebrauch folgende (für Rechtskandidaten zum Zwecke des Examens in Memorialverse gebrachte) Liste der lebenden Romanisten mitzutheilen!

Viel' Juristen giebt's auf r,

Wächter, Bekker und Muther,

Römer, Neuner, Samhaber,

Schirmer und auch Schlesinger,

Pagenstech-, Regelsberger,

Auch noch Unger und Müller.

Vier Juristen merk' auf ing,

Böck-, Fitt-, Stintz- und auch Jhering,

Wer da will, noch den Vering.

Wenige nur giebt's auf o,

Dieses ist der Sanio,

Anders schreibt sich Vangerow.

Dreie end'gen sich mit l,

Das sind Büchell, Wetzell, Sell.

Rudorff, Kuntze, Fritz

Gehen an der Spitz',

Dernburg, Köppen, Witte

Kommen in der Mitte.

Ribb'ntropp, Windscheid, Francke

Schreiben mir zu Danke.

Zweie memorir' auf eist,

Diese heißen Gneist und Leist.

Sonst noch einer Silb' allein

Arndts, Bruns, Brinz, Fritz, Scheurl sich freu'n.

Dazu dann noch Schmidt und Danz,

Hast Du die Juristen ganz.

Wer hier nicht unterkommen kann,

Schaff' sich 'nen andern Namen an.

Wollen Sie selber noch einige Verse hinzufügen, so gebe ich Ihnen hiermit die nöthige Vollmacht dazu. Der civilistische Nachwuchs sorgt dafür, daß stets neue Namen hinzukommen. In meinem nächsten Briefe folgt die versprochene Blumenlese aus der neueren romanistischen Literatur.

 

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1) Deutsche Gerichtszeitung. Neue Folge. Bd. l, S. 309 ff. 1866. 

2) Es waren von den Briefen noch eine zweite und dritte Serie (civilprocessualische und kriminalistische) erschienen, die nicht von mir herrühren. 

3) Vgl. die Begriffsbest. beider bei Wächter, Sächs. Strafr., S.346 

4) Ich meine nicht etwa Holzschuher's Theorie und Kasuistik und derartige literarische Hausmannskost, auch nicht die Kompendien, sondern diejenigen, die nach Absicht und Ansicht ihrer Verfasser in den Ätherregionen der reinen Wissenschaft sich bewegen, die Luftballonsuntersuchungen, welche die ordinäre Welt tief unter sich lassen. 

5) Bei Absendung dieses Briefes kommt mir ein „Taschenbuch des gemeinen Civilrechts, von Dr. G. A. Hesse, Justizrath und Gerichtsamtmann. Jena, Fr. Mauke. 1867“ zu, das den Übergang der Octavliteratur des gemeinen Civilrechts zur Duodezperiode in Aussicht zu stellen scheint. Der Verfasser stellt die Berechtigung des Erscheinens seines Buches in der Vorrede ausdrücklich auf das Format. „An tüchtigen Lehrbüchern fehlt es zwar nicht, aber ein Buch, das für Juristen, besonders auch für Studirende, zu einem Vademekum sich eignete, auf Reisen, in den Ferien, in Gerichtssitzungen, Vereinsversammlungen u. s. w. sie begleiten könnte, bequem, handlich und aushilflich, ein solches Buch besitzen wir noch nicht.“ In der That ein glücklicher, origineller Gedanke: das römische Recht als Taschenkalender, zum Verwechseln ähnlich mit „Cornelia, Taschenkalender für das weibliche Geschlecht“ oder „Iduna, Taschenkalender für die heranreifende weibliche Jugend“! Es fehlte bloß noch als Titelkupfer das Porträt von Justinian oder Tribonian, und als artistische Beigaben „Scenen aus dem Leben der Kaiserin Theodora“ (der antiken Lola Rasmussen *), „die bona und mala fides, zwei weibliche Charakterköpfe,“ oder das „Decretum Divi Marci, in Musik gesetzt, mit obligater Begleitung der Posaune“ u. s. w. Im Geiste sehe ich schon an der Wengernalp einen blondgelockten Jüngling lagern, ganz vertieft in ein kleines Büchlein. „Um Vergebung, Waldmeisters Brautfahrt, oder Hannchen und die Küchlein, wenn ich fragen darf?“ „Nein, Hesse, Taschenbuch des gemeinen Civilrechts; nie ohne dieses!“ Auf der Rückreise besuche ich den Bockkeller in München. Dieselbe Scene mit einem alten Graubart. Ein Glas Bier in der einen, einen Rettich und Hesse's Civilrecht in der andern Hand. Soll das Buch übrigens in Studentenkreisen recht, was man sagt, ziehen, so dürfte es sich empfehlen, bei einer zweiten Auflage einige Kommerslieder mit aufzunehmen, wozu sich insbesondere die juristischen, z. B. „In einem kühlen Grunde, da ruht eine Servitut“, oder „Juchheisa, juchheisa, die Erben sind da“ u. s. w. eignen dürften. Einem industriösen Buchhändler möchte ich empfehlen, juristische Spielkarten, mit Definitionen oder Stellen aus dem Titel de regulis juris versehen, drucken zu lassen.

 

*) [Lola Rasmussen, eigentlich Luise Rasmussen (1815-1874), war das uneheliche Kind eines dänischen Kaufmanns. Nach einer Gouvernantenausbildung war sie Tänzerin im Ballett des Königlichen Theaters Kopenhagen. Ihr Geliebter war der Verleger Carl Berling, später Kammerherr und königlicher Privatsekretär. Durch ihn lernte sie den Kronprinz von Dänemark und späteren König Friedrich VII. kennen. Dieser verliebte sich in sie und machte sie schließlich 1850 gegen große Widerstände als Louise Gräfin Danner zu seiner Gemahlin. In den folgenden Jahren spielte die resolute Frau eine nicht unbedeutende Rolle in der dänischen Politik, vgl. dazu den Artikel in Meyers Konversationslexikon von 1890 und in Chambers's Journal of Popular Literature Science and Arts, vol. XVII Nos. 418-443 January-June, 1862, Sp. 1, Mitte. (U.H.)]