BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ernst Theodor Amadeus Hoffmann

1776 - 1822

 

Heinrich Heine über

E.T.A. Hoffmann

 

1836

 

Textgrundlage:

Heinrich Heine, Die romantische Schule

Hamburg: bey Hoffmann und Campe, 1836

Faksimile: Google

(Dank an Eberhard Drake für den Hinweis, U.H.)

 

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[190]

 

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Ueber das Verhältniß des Herrn Schelling zur romantischen Schule habe ich nur wenig Andeutungen geben können. Sein Einfluß war meistens persönlicher Art. Dann ist auch, seit durch ihn die Naturphilosophie in Schwung gekommen, die Natur viel sinniger von den Dichtern aufgefaßt worden. Die Einen versenkten sich mit allen ihren menschlichen Gefühlen in die Natur hinein; die Andern hatten einige Zauberformeln sich gemerkt, womit man etwas Menschliches aus der Natur hervorschauen und hervorsprechen lassen konnte. Erstere waren die eigentlichen [191] Mystiker und glichen in vieler Hinsicht den indischen Religiosen, die in der Natur aufgehen, und endlich mit der Natur in Gemeinschaft zu fühlen beginnen. Die Anderen waren vielmehr Beschwörer, sie riefen mit eigenem Willen sogar die feindlichen Geister aus der Natur hervor, sie glichen dem arabischen Zauberer, der nach Willkür jeden Stein zu beleben und jedes Leben zu versteinern weiß. Zu den Ersteren gehörte zunächst Novalis, zu den Andern zunächst Hoffmann. Novalis sah überall nur Wunder und liebliche Wunder; er belauschte das Gespräch der Pflanzen, er wußte das Geheimniß jeder jungen Rose, er identifizirte sich endlich mit der ganzen Natur, und als es Herbst wurde und die Blätter abfielen, da starb er. Hoffmann hingegen sah überall nur Gespenster, sie nickten ihm entgegen aus jeder chinesischen Theekanne und jeder berliner Perücke; er war ein Zauberer, der die Menschen in Bestien verwandelte und diese sogar in königlich [192] preußische Hofräthe; er konnte die Todten aus den Gräbern hervorrufen, aber das Leben selbst stieß ihn von sich als einen trüben Spuk. Das fühlte er; er fühlte, daß er selbst ein Gespenst geworden; die ganze Natur war ihm jetzt ein mißgeschliffener Spiegel, worinn er, tausendfältig verzerrt, nur seine eigne Todtenlarve erblickte; und seine Werke sind nichts anders als ein entsetzlicher Angstschrei in zwanzig Bänden.

Hoffmann gehört nicht zu der romantischen Schule. Er stand in keiner Berührung mit den Schlegeln, und noch viel weniger mit ihren Tendenzen. Ich erwähnte seiner hier nur im Gegensatz zu Novalis, der ganz eigentlich ein Poet aus jener Schule ist. Novalis ist hier [in Frankreich] minder bekannt als Hoffmann, welcher von Loeve-Veimars in einem so vortrefflichen Anzuge dem französischen Publikum vorgestellt worden und dadurch in Frankreich eine große Reputazion erlangt hat. Bei [193] uns in Deutschland ist jetzt Hoffmann keineswegs en Vogue, aber er war es früher. In seiner Periode wurde er viel gelesen, aber nur von Menschen, deren Nerven zu stark oder zu schwach waren, als daß sie von gelinden Akkorden affizirt werden konnten. Die eigentlichen Geistreichen und die poetischen Naturen wollten nichts von ihm wissen. Diesen war der Novalis viel lieber. Aber, ehrlich gestanden, Hoffmann war als Dichter viel bedeutender als Novalis. Denn letzterer, mit seinen idealischen Gebilden, schwebt immer in der blauen Luft, während Hoffmann mit allen seinen bizarren Fratzen sich doch immer an der irdischen Realität festklammert. Wie aber der Riese Antheus unbezwingbar stark blieb, wenn er mit dem Fuße die Mutter Erde berührte, und seine Kraft verlor, sobald ihn Herkules in die Höhe hob: so ist auch der Dichter stark und gewaltig, so lange er den Boden der Wirklichkeit nicht verläßt, und er wird ohnmächtig, sobald [194] er schwärmerisch in der blauen Luft umherschwebt.

Die große Aehnlichkeit zwischen beiden Dichtern besteht wohl darin, daß ihre Poesie eigentlich eine Krankheit war. In dieser Hinsicht hat man geäußert, dass die Beurtheilung ihrer Schriften nicht das Geschäft des Critikers, sondern des Arztes sey. Der Rosenschein in den Dichtungen des Novalis ist nicht die Farbe der Gesundheit, sondern der Schwindsucht, und die Purpurglut in Hoffmanns Phantasiestücken ist nicht die Flamme des Genies, sondern des Fiebers.

Aber haben wir ein Recht zu solchen Bemerkungen, wir, die wir nicht allzusehr mit Gesundheit gesegnet sind? Und gar jetzt, wo die Literatur wie ein großes Lazareth aussieht? Oder ist die Poesie vielleicht eine Krankheit des Menschen, wie die Perle eigentlich nur der [195] Krankheitsstoff ist, woran das arme Austerthier leidet?

[...]

[236] Wenn Hoffmann seine Todten beschwört und sie aus den Gräbern hervorsteigen und ihn umtanzen: dann zittert er selber vor Entsetzen, und tanzt selbst in ihrer Mitte, und schneidet dabei die tollsten Affengrimassen.