Friedrich Hölderlin
1770 - 1843
Vesperpredigt
1785
Textgrundlage:Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 4, Der Tod des Empedokles. Aufsätze.Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1962
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Prooemium habendum d. 27. Dec. 1785.Die Ioannis, in caput primum Epistolae ad Ebraeos.
Nachdem vorzeiten Gott manchmal und mancherley Weise geredt hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er am lezten in diesen Tagen zu uns geredt durch den Sohn, welchen er gesezt hat zum Erben über alles, durch welchen er auch die Welt gemacht hat. Diese zwey Verse des ersten Capitels an die Ebräer, das wir heute betrachten, enthalten für uns schon unendlich viel seeliges. Lange lehrte Gott die Menschen durch unmittelbare Offenbahrung und Erscheinungen; lange lehrte Gott sein Volk durch Propheten, denen er seinen göttlichen Willen durch seinen Geist, durch Gesichte und Träume anzeigte; denn er sahe wohl, daß der bereits gefallene Mensch immer tieffer in Blindheit und Sünde verfallen würde, wann nicht immer wieder seine Lehre dessen verderbtes Herz zurükruffen würde. Allein endlich sandte der Gott voll Liebe, seinen Feinden, dem halsstarrigen Menschengeschlecht, dessen Natur immer gerade wider seinen Befehl handelte, seinen Sohn; den Sohn, Geliebteste, der von Ewigkeit in gleicher Göttlichkeit mit ihm war, der die ganze Welt, Himmel und Erde, als allmächtiger Gott, erschuf, den sandte er ihnen. Ihm gleicht kein Engel, ob dieser schon eines der herrlichsten Geschöpfe Gottes ist, sondern dieser bettet den Sohn Gottes, indem er gar wohl seiner Niedrigkeit gegen demselben bewußt ist, in tiefster Ehrfurcht an. Der Sohn Gottes regiert eben so weise, so gerecht, als der Vater; er erhält und trägt eben so alle Dinge, wie der Vater. Zu ihm hat der Vater gesagt; das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe: Lucä am 3ten im 22ten Vers. Ihm sind alle Creaturen im Himmel, auf Erden, und unter der Erde eben so Dank und Verehrung schuldig, dann er nimmt sich mit eben der allmächtigen Güte eines jeden seiner Geschöpfe an, als sein Vater; Er ist die zweyte Person der h. Dreyeinigkeit, welche für unsre kurzsichtige Vernunfft ein so heiliges Räthsel ist; Er ist mit dem Vater gleiches Wesens, Macht, und Herrlichkeit. Und dieser eingebohrne Sohn Gottes hat sich auf die Erde, in die schwache Hülle der Sünder, seiner Feinde, aber ohne Sünde, begeben, um durch seine göttliche Lehre ihre blinde Herzen zu erleuchten, und durch seinen Todt und Leiden ihre ganze Sündenlast zu tilgen, und also ihr Mittler zu werden.O! unausdenkliches Geheimniß der Liebe und Barmherzigkeit Gottes! Der Erlöser sahe wohl voraus, wie ihn eben diese, um deren willen er vorzüglich sich auf die Erde begab, wie ihn das Volk Gottes, ja selbst ihre Vorgesezte mit der schnödesten Verachtung von sich stoßen würden; wie diese elende Menschen seine Majestät so offt, so boshafft, so niederträchtig beleidigen würden: allein seine ewige Liebe war noch viel größer, als eine solche Widerspenstigkeit! O! Theuerste Zuhörer! sollte wohl jemand unter uns so tief im Schlamm der Sünde versunken seyn, daß nicht ein tieffes Gefühl des Dankes und der Freude in ihm erwachte? besonders zu der wirklichen Zeit, wo vor mehr als 17hundert Jahren dieser große Tag erschienen ist, der dem Menschengeschlecht ihren Heiland brachte. Nein! wir wollen das irrdische fahren lassen, und die Freude über die heilreiche Geburt Jesu Christi ganz genießen.Jede Stunde soll ihm gewiedmet, jede soll des frölichsten Dankes und Lobes voll seyn, und auch diese soll dir, ewiger Gottmensch, geheiligt seyn; Laßt uns aber den Herrn zuvor um seinen Seegen anrufen, und also betten: |