Friedrich Hölderlin
1770 - 1843
Hyperionoder der Eremit in Griechenland
I. Band, 2. Buch
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Hyperion an Bellarmin
Ich lebe jezt auf der Insel des Ajax, der theuern Salamis.Ich liebe diß Griechenland überall. Es trägt die Farbe meines Herzens. Wohin man siehet, liegt eine Freude begraben.Und doch ist so viel Liebliches und Großes auch um einen.Auf dem Vorgebirge hab' ich mir eine Hütte gebaut von Mastixzweigen, und Moos und Bäume herumgepflanzt und Thymian und allerlei Sträuche.Da hab' ich meine liebsten Stunden, da siz' ich Abende lang und sehe nach Attika hinüber, bis endlich mein Herz zu hoch mir klopft; dann nehm' ich mein Werkzeug, gehe hinab an die Bucht und fange mir Fische.Oder les' ich auch auf meiner Höhe droben vom alten herrlichen Seekrieg, der an Salamis einst im wilden klugbeherrschten Getümmel vertobte, und freue des Geistes mich, der das wütende Chaos von Freunden und Feinden lenken konnte und zähmen, wie ein Reuter das Roß, und schäme mich innigst meiner eigenen Kriegsgeschichte.Oder schau' ich auf's Meer hinaus und überdenke mein Leben, sein Steigen und Sinken, seine Seeligkeit und seine Trauer und meine Vergangenheit lautet mir oft, wie ein Saitenspiel, wo der Meister alle Töne durchläuft, und Streit und Einklang mit verborgener Ordnung untereinanderwirft.Heut ist's dreifach schön hier oben. Zwei freundliche Regentage haben die Luft und die lebensmüde Erde gekühlt.Der Boden ist grüner geworden, offner das Feld. Unendlich steht, mit der freudigen Kornblume gemischt, der goldene Waizen da, und licht und heiter steigen tausend hoffnungsvolle Gipfel aus der Tiefe des Hains. Zart und groß durchirret den Raum jede Linie der Fernen; wie Stuffen gehn die Berge bis zur Sonne unaufhörlich hinter einander hinauf. Der ganze Himmel ist rein. Das weiße Licht ist nur über den Aether gehaucht, und, wie ein silbern Wölkchen, wallt der schüchterne Mond am hellen Tage vorüber.
Hyperion an Bellarmin
Mir ist lange nicht gewesen, wie jezt.Wie Jupiters Adler dem Gesange der Musen, lausch' ich dem wunderbaren unendlichen Wohllaut in mir. Unangefochten an Sinn' und Seele, stark und fröhlich, mit lächelndem Ernste, spiel' ich im Geiste mit dem Schiksaal und den drei Schwestern, den heiligen Parzen. Voll göttlicher Jugend frohlokt mein ganzes Wesen über sich selbst, über Alles. Wie der Sternenhimmel, bin ich still und bewegt.Ich habe lange gewartet auf solche Festzeit, um dir einmal wieder zu schreiben. Nun bin ich stark genug; nun laß mich dir erzählen.Mitten in meinen finstern Tagen lud ein Bekannter von Kalaurea herüber mich ein. Ich sollt' in seine Gebirge kommen, schrieb er mir; man lebe hier freier als sonstwo, und auch da blüheten, mitten unter den Fichtenwäldern und reißenden Wassern, Limonienhaine und Palmen und liebliche Kräuter und Myrthen und die heilige Rebe. Einen Garten hab' er hoch am Gebirge gebaut und ein Haus; dem beschatteten dichte Bäume den Rüken, und külende Lüfte umspielten es leise in den brennenden Sommertagen; wie ein Vogel vom Gipfel der Ceder, blikte man in die Tiefen hinab, zu den Dörfern und grünen Hügeln, und zufriedenen Heerden der Insel, die alle, wie Kinder, umherlägen um den herrlichen Berg und sich nährten von seinen schäumenden Bächen.Das wekte mich denn doch ein wenig. Es war ein heiterer blauer Apriltag, an dem ich hinüberschiffte. Das Meer war ungewöhnlich schön und rein, und leicht die Luft, wie in höheren Regionen. Man ließ im schwebenden Schiffe die Erde hinter sich liegen, wie eine köstliche Speise, wenn der heilige Wein gereicht wird.Dem Einflusse des Meers und der Luft widerstrebt der finstere Sinn umsonst. Ich gab mich hin, fragte nichts nach mir und andern, suchte nichts, sann auf nichts, ließ vom Boote mich halb in Schlummer wiegen, und bildete mir ein, ich liege in Charons Nachen. O es ist süß, so aus der Schaale der Vergessenheit zu trinken.Mein fröhlicher Schiffer hätte gerne mit mir gesprochen, aber ich war sehr einsylbig.Er deutete mit dem Finger und wies mir rechts und links das blaue Eiland, aber ich sah nicht lange hin, und war im nächsten Augenblike wieder in meinen eignen lieben Träumen.Endlich, da er mir die stillen Gipfel in der Ferne wies und sagte, daß wir bald in Kalaurea wären, merkt' ich mehr auf, und mein ganzes Wesen öffnete sich der wunderbaren Gewalt, die auf Einmal süß und still und unerklärlich mit mir spielte. Mit großem Auge, staunend und freudig sah' ich hinaus in die Geheimnisse der Ferne, leicht zitterte mein Herz, und die Hand entwischte mir und faßte freundlichhastig meinen Schiffer an – so? rief ich, das ist Kalaurea? Und wie er mich drum ansah, wußt' ich selbst nicht, was ich aus mir machen sollte. Ich grüßte meinen Freund mit wunderbarer Zärtlichkeit. Voll süßer Unruhe war all mein Wesen.Den Nachmittag wollt' ich gleich einen Theil der Insel durchstreifen. Die Wälder und geheimen Thale reizten mich unbeschreiblich, und der freundliche Tag lokte alles hinaus.Es war so sichtbar, wie alles Lebendige mehr, denn tägliche Speise, begehrt, wie auch der Vogel sein Fest hat und das Thier.Es war entzükend anzusehn! Wie, wenn die Mutter schmeichelnd frägt, wo um sie her ihr Liebstes sey, und alle Kinder in den Schoos ihr stürzen, und das Kleinste noch die Arme aus der Wiege strekt, so flog und sprang und strebte jedes Leben in die göttliche Luft hinaus, und Käfer und Schwalben und Tauben und Störche tummelten sich in frohlokender Verwirrung unter einander in den Tiefen und Höhn, und was die Erde festhielt, dem ward zum Fluge der Schritt, über die Gräben braußte das Roß und über die Zäune das Reh, und aus dem Meergrund kamen die Fische herauf und hüpften über die Fläche. Allen drang die mütterliche Luft an's Herz, und hob sie und zog sie zu sich.Und die Menschen giengen aus ihren Thüren heraus, und fühlten wunderbar das geistige Wehen, wie es leise die zarten Haare über der Stirne bewegte, wie es den Lichtstral kühlte, und lösten freundlich ihre Gewänder, um es aufzunehmen an ihre Brust, athmeten süßer, berührten zärtlicher das leichte klare schmeichelnde Meer, in dem sie lebten und webten.O Schwester des Geistes, der feurigmächtig in uns waltet und lebt, heilige Luft! wie schön ist's, daß du, wohin ich wandre, mich geleitest, Allgegenwärtige, Unsterbliche!Mit den Kindern spielte das hohe Element am schönsten.Das summte friedlich vor sich hin, dem schlüpft' ein taktlos Liedchen aus den Lippen, dem ein Frohloken aus offner Kehle; das strekte sich, das sprang in die Höhe; ein andres schlenderte vertieft umher.Und all diß war die Sprache Eines Wohlseyns, alles Eine Antwort auf die Liebkosungen der entzükenden Lüfte.Ich war voll unbeschreiblichen Sehnens und Friedens. Eine fremde Macht beherrschte mich. Freundlicher Geist, sagt' ich bei mir selber, wohin rufest du mich? nach Elysium oder wohin?Ich gieng in einem Walde, am rieselnden Wasser hinauf, wo es über Felsen heruntertröpfelte, wo es harmlos über die Kieseln glitt, und mälig verengte sich und ward zum Bogengange das Thal, und einsam spielte das Mittagslicht im schweigenden Dunkel –Hier – ich möchte sprechen können, mein Bellarmin! möchte gerne mit Ruhe dir schreiben!Sprechen? o ich bin ein Laie in der Freude, ich will sprechen!Wohnt doch die Stille im Lande der Seeligen, und über den Sternen vergißt das Herz seine Noth und seine Sprache.Ich hab' es heilig bewahrt! wie ein Palladium, hab' ich es in mir getragen, das Göttliche, das mir erschien! und wenn hinfort mich das Schiksaal ergreift und von einem Abgrund in den andern mich wirft, und alle Kräfte ertränkt in mir und alle Gedanken, so soll diß Einzige doch mich selber überleben in mir, und leuchten in mir und herrschen, in ewiger, unzerstörbarer Klarheit! –So lagst du hingegossen, süßes Leben, so bliktest du auf, erhubst dich, standst nun da, in schlanker Fülle, göttlich ruhig, und das himmlische Gesicht noch voll des heitern Entzükens, worinn ich dich störte!O wer in die Stille dieses Auges gesehn, wem diese süßen Lippen sich aufgeschlossen, wovon mag der noch sprechen?Friede der Schönheit! göttlicher Friede! wer einmal an dir das tobende Leben und den zweifelnden Geist besänftigt, wie kann dem anderes helfen?Ich kann nicht sprechen von ihr, aber es giebt ja Stunden, wo das Beste und Schönste, wie in Wolken, erscheint, und der Himmel der Vollendung vor der ahnenden Liebe sich öffnet, da, Bellarmin! da denke ihres Wesens, da beuge die Knie mit mir, und denke meiner Seeligkeit! aber vergiß nicht, daß ich hatte, was du ahnest, daß ich mit diesen Augen sah, was nur, wie in Wolken, dir erscheint.Daß die Menschen manchmal sagen möchten: sie freueten sich! O glaubt, ihr habt von Freude noch nichts geahnet! Euch ist der Schatten ihres Schattens noch nicht erschienen! O geht, und sprecht vom blauen Aether nicht, ihr Blinden!Daß man werden kann, wie die Kinder, daß noch die goldne Zeit der Unschuld wiederkehrt, die Zeit des Friedens und der Freiheit, daß doch Eine Freude ist, Eine Ruhestätte auf Erden!Ist der Mensch nicht veraltert, verwelkt, ist er nicht, wie ein abgefallen Blatt, das seinen Stamm nicht wieder findet und nun umhergescheucht wird von den Winden, bis es der Sand begräbt?Und dennoch kehrt sein Frühling wieder!Weint nicht, wenn das Treflichste verblüht! bald wird es sich verjüngen! Trauert nicht, wenn eures Herzens Melodie verstummt! bald findet eine Hand sich wieder, es zu stimmen!Wie war denn ich? war ich nicht wie ein zerrissen Saitenspiel? Ein wenig tönt' ich noch, aber es waren Todestöne. Ich hatte mir ein düster Schwanenlied gesungen! Einen Sterbekranz hätt' ich gern mir gewunden, aber ich hatte nur Winterblumen.Und wo war sie denn nun, die Todtenstille, die Nacht und Öde meines Lebens? die ganze dürftige Sterblichkeit?Freilich ist das Leben arm und einsam. Wir wohnen hier unten, wie der Diamant im Schacht. Wir fragen umsonst, wie wir herabgekommen, um wieder den Weg hinauf zu finden.Wir sind, wie Feuer, das im dürren Aste oder im Kiesel schläft; und ringen und suchen in jedem Moment das Ende der engen Gefangenschaft. Aber sie kommen, sie wägen Aeonen des Kampfes auf, die Augenblike der Befreiung, wo das Göttliche den Kerker sprengt, wo die Flamme vom Holze sich löst und siegend emporwallt über der Asche, ha! wo uns ist, als kehrte der entfesselte Geist, vergessen der Leiden, der Knechtsgestalt, im Triumphe zurük in die Hallen der Sonne.
Hyperion an Bellarmin
Ich war einst glüklich, Bellarmin! Bin ich es nicht noch? Wär' ich es nicht, wenn auch der heilige Moment, wo ich zum erstenmale sie sah, der lezte wäre gewesen?Ich hab' es Einmal gesehn, das Einzige, das meine Seele suchte, und die Vollendung, die wir über die Sterne hinauf entfernen, die wir hinausschieben bis an's Ende der Zeit, die hab' ich gegenwärtig gefühlt. Es war da, das Höchste, in diesem Kreise der Menschennatur und der Dinge war es da!Ich frage nicht mehr, wo es sey; es war in der Welt, es kann wiederkehren in ihr, es ist jezt nur verborgner in ihr. Ich frage nicht mehr, was es sey; ich hab' es gesehn, ich hab' es kennen gelernt.O ihr, die ihr das Höchste und Beste sucht, in der Tiefe des Wissens, im Getümmel des Handelns, im Dunkel der Vergangenheit, im Labyrinthe der Zukunft, in den Gräbern oder über den Sternen! wißt ihr seinen Nahmen? den Nahmen deß, das Eins ist und Alles?Sein Nahme ist Schönheit.Wußtet ihr, was ihr wolltet? Noch weiß ich es nicht, doch ahn' ich es, der neuen Gottheit neues Reich, und eil' ihm zu und ergreiffe die andern und führe sie mit mir, wie der Strom die Ströme in den Ocean.Und du, du hast mir den Weg gewiesen! Mit dir begann ich. Sie sind der Worte nicht werth, die Tage, da ich noch dich nicht kannte –O Diotima, Diotima, himmlisches Wesen!
Hyperion an Bellarmin
Laß uns vergessen, daß es eine Zeit giebt und zähle die Lebenstage nicht!Was sind Jahrhunderte gegen den Augenblik, wo zwei Wesen so sich ahnen und nahn?Noch seh' ich den Abend, an dem Notara zum erstenmale zu ihr in's Haus mich brachte.Sie wohnte nur einige hundert Schritte von uns am Fuße des Bergs.Ihre Mutter war ein denkend zärtlich Wesen, ein schlichter fröhlicher Junge der Bruder, und beede gestanden herzlich in allem Thun und Lassen, daß Diotima die Königin des Hauses war.Ach! es war alles geheiliget, verschönert durch ihre Gegenwart. Wohin ich sah, was ich berührte, ihr Fußteppich, ihr Polster, ihr Tischchen, alles war in geheimem Bunde mit ihr. Und da sie zum erstenmale mit Nahmen mich rief, da sie selbst so nahe mir kam, daß ihr unschuldiger Othem mein lauschend Wesen berührte! –Wir sprachen sehr wenig zusammen. Man schämt sich seiner Sprache. Zum Tone möchte man werden und sich vereinen in Einen Himmelsgesang.Wovon auch sollten wir sprechen? Wir sahn nur uns. Von uns zu sprechen, scheuten wir uns.Vom Leben der Erde sprachen wir endlich.So feurig und kindlich ist ihr noch keine Hymne gesungen worden.Es that uns wohl, den Überfluß unsers Herzens der guten Mutter in den Schoos zu streuen. Wir fühlten uns dadurch erleichtert, wie die Bäume, wenn ihnen der Sommerwind die fruchtbaren Äste schüttelt, und ihre süßen Äpfel in das Gras gießt.Wir nannten die Erde eine der Blumen des Himmels, und den Himmel nannten wir den unendlichen Garten des Lebens. Wie die Rosen sich mit goldnen Stäubchen erfreuen, sagten wir, so erfreue das heldenmüthige Sonnenlicht mit seinen Strahlen die Erde; sie sey ein herrlich lebend Wesen, sagten wir, gleich göttlich, wenn ihr zürnend Feuer oder mildes klares Wasser aus dem Herzen quille, immer glüklich, wenn sie von Thautropfen sich nähre, oder von Gewitterwolken, die sie sich zum Genusse bereite mit Hülfe des Himmels, die immer treuer liebende Hälfte des Sonnengotts, ursprünglich vieleicht inniger mit ihm vereint, dann aber durch ein allwaltend Schiksaal geschieden von ihm, damit sie ihn suche, sich nähere, sich entferne und unter Lust und Trauer zur höchsten Schönheit reife.So sprachen wir. Ich gebe dir den Innhalt, den Geist davon. Aber was ist er ohne das Leben?Es dämmerte, und wir mußten gehen. Gute Nacht, ihr Engelsaugen! dacht' ich im Herzen, und erscheine du bald mir wieder, schöner göttlicher Geist, mit deiner Ruhe und Fülle!
Hyperion an Bellarmin
Ein paar Tage drauf kamen sie herauf zu uns. Wir giengen zusammen im Garten herum. Diotima und ich geriethen voraus, vertieft, mir traten oft Thränen der Wonne in's Auge, über das Heilige, das so anspruchlos zur Seite mir gieng.Vorn am Rande des Berggipfels standen wir nun, und sahn hinaus, in den unendlichen Osten.Diotima's Auge öffnete sich weit, und leise, wie eine Knospe sich aufschließt, schloß das liebe Gesichtchen vor den Lüften des Himmels sich auf, ward lauter Sprache und Seele, und, als begänne sie den Flug in die Wolken, stand sanft empor gestrekt die ganze Gestalt, in leichter Majestät, und berührte kaum mit den Füßen die Erde.O unter den Armen hätt' ich sie fassen mögen, wie der Adler seinen Ganymed, und hinfliegen mit ihr über das Meer und seine Inseln.Nun trat sie weiter vor, und sah die schroffe Felsenwand hinab. Sie hatte ihre Lust daran, die schrökende Tiefe zu messen, und sich hinab zu verlieren in die Nacht der Wälder, die unten aus Felsenstüken und schäumenden Wetterbächen herauf die lichten Gipfel strekten.Das Geländer, worauf sie sich stüzte, war etwas niedrig. So durft' ich es ein wenig halten, das Reizende, indeß es so sich vorwärts beugte. Ach! heiße zitternde Wonne durchlief mein Wesen und Taumel und Toben war in allen Sinnen, und die Hände brannten mir, wie Kohlen, da ich sie berührte.Und dann die Herzenslust, so traulich neben ihr zu stehn, und die zärtlich kindische Sorge, daß sie fallen möchte, und die Freude an der Begeisterung des herrlichen Mädchens!Was ist alles, was in Jahrtausenden die Menschen thaten und dachten, gegen Einen Augenblik der Liebe? Es ist aber auch das Gelungenste, Göttlichschönste in der Natur! dahin führen alle Stuffen auf der Schwelle des Lebens. Daher kommen wir, dahin gehn wir.
Hyperion an Bellarmin
Nur ihren Gesang sollt' ich vergessen, nur diese Seelentöne sollten nimmer wiederkehren in meinen unaufhörlichen Träumen.Man kennt den stolzhinschiffenden Schwan nicht, wenn er schlummernd am Ufer sizt.Nur, wenn sie sang, erkannte man die liebende Schweigende, die so ungern sich zur Sprache verstand.Da, da gieng erst die himmlische Ungefällige in ihrer Majestät und Lieblichkeit hervor; da weht' es oft so bittend und so schmeichelnd, oft, wie ein Göttergebot, von den zarten blühenden Lippen. Und wie das Herz sich regt' in dieser göttlichen Stimme, wie alle Größe und Demuth, alle Lust und alle Trauer des Lebens verschönert im Adel dieser Töne erschien!Wie im Fluge die Schwalbe die Bienen hascht, ergriff sie immer uns alle.Es kam nicht Lust und nicht Bewunderung, es kam der Friede des Himmels unter uns.Tausendmal hab' ich es ihr und mir gesagt: das Schönste ist auch das Heiligste. Und so war alles an ihr. Wie ihr Gesang, so auch ihr Leben.
Hyperion an Bellarmin
Unter den Blumen war ihr Herz zu Hause, als wär' es eine von ihnen.Sie nannte sie alle mit Nahmen, schuff ihnen aus Liebe neue, schönere, und wußte genau die fröhlichste Lebenszeit von jeder.Wie eine Schwester, wenn aus jeder Eke ein Geliebtes ihr entgegenkömmt, und jedes gerne zuerst gegrüßt seyn möchte, so war das stille Wesen mit Aug und Hand beschäftigt, seelig zerstreut, wenn auf der Wiese wir giengen, oder im Walde.Und das war so ganz nicht angenommen, angebildet, das war so mit ihr aufgewachsen.Es ist doch ewig gewiß und zeigt sich überall; je unschuldiger, schöner eine Seele, desto vertrauter mit den andern glüklichen Leben, die man seelenlos nennt.
Hyperion an Bellarmin
Tausendmal hab' ich in meiner Herzensfreude gelacht über die Menschen, die sich einbilden, ein erhabner Geist könne unmöglich wissen, wie man ein Gemüße bereitet. Diotima konnte wohl zur rechten Zeit recht herzhaft von dem Feuerheerde sprechen, und es ist gewiß nichts edler, als ein edles Mädchen, das die allwohlthätige Flamme besorgt, und, ähnlich der Natur, die herzerfreuende Speise bereitet.
Hyperion an Bellarmin
Was ist alles künstliche Wissen in der Welt, was ist die ganze stolze Mündigkeit der menschlichen Gedanken gegen die ungesuchten Töne dieses Geistes, der nicht wußte, was er wußte, was er war?Wer will die Traube nicht lieber voll und frisch, so wie sie aus der Wurzel quoll, als die getrokneten gepflükten Beere, die der Kaufmann in die Kiste preßt und in die Welt schikt? Was ist die Weisheit eines Buchs gegen die Weisheit eines Engels?Sie schien immer so wenig zu sagen, und sagte so viel.Ich geleitete sie einst in später Dämmerung nach Hause; wie Träume, beschlichen thauende Wölkchen die Wiese, wie lauschende Genien, sahn die seeligen Sterne durch die Zweige.Man hörte selten ein "wie schön!" aus ihrem Munde, wenn schon das fromme Herz kein lispelnd Blatt, kein Rieseln einer Quelle unbehorcht ließ.Dißmal sprach sie es denn doch mir aus – wie schön!Es ist wohl uns zuliebe so! sagt' ich, ungefähr, wie Kinder etwas sagen, weder im Scherze noch im Ernste.Ich kann mir denken, was du sagst, erwiederte sie; ich denke mir die Welt am liebsten, wie ein häuslich Leben, wo jedes, ohne gerade dran zu denken, sich in's andre schikt, und wo man sich einander zum Gefallen und zur Freude lebt, weil es eben so vom Herzen kömmt.Froher erhabner Glaube! rief ich.Sie schwieg eine Weile.Auch wir sind also Kinder des Hauses, begann ich endlich wieder, sind es und werden es seyn.Werden ewig es seyn, erwiederte sie.Werden wir das? fragt' ich. Ich vertraue, fuhr sie fort, hierinnen der Natur, so wie ich täglich ihr vertraue.O ich hätte mögen Diotima seyn, da sie diß sagte! Aber du weißt nicht, was sie sagte, mein Bellarmin! Du hast es nicht gesehn und nicht gehört.Du hast Recht, rief ich ihr zu; die ewige Schönheit, die Natur leidet keinen Verlust in sich, so wie sie keinen Zusaz leidet. Ihr Schmuk ist morgen anders, als er heute war; aber unser Bestes, uns, uns kann sie nicht entbehren und dich am wenigsten. Wir glauben, daß wir ewig sind, denn unsere Seele fühlt die Schönheit der Natur. Sie ist ein Stükwerk, ist die Göttliche, die Vollendete nicht, wenn jemals du in ihr vermißt wirst. Sie verdient dein Herz nicht, wenn sie erröthen muß vor deinen Hoffnungen.
Hyperion an Bellarmin
So bedürfnißlos, so göttlichgenügsam hab' ich nichts gekannt.Wie die Wooge des Oceans das Gestade seeliger Inseln, so umfluthete mein ruheloses Herz den Frieden des himmlischen Mädchens.Ich hatt' ihr nichts zu geben, als ein Gemüth voll wilder Widersprüche, voll blutender Erinnerungen, nichts hatt' ich ihr zu geben, als meine gränzenlose Liebe mit ihren tausend Sorgen, ihren tausend tobenden Hoffnungen; sie aber stand vor mir in wandelloser Schönheit, mühelos, in lächelnder Vollendung da, und alles Sehnen, alles Träumen der Sterblichkeit, ach! alles, was in goldnen Morgenstunden von höhern Regionen der Genius weissagt, es war alles in dieser Einen stillen Seele erfüllt.Man sagt sonst, über den Sternen verhalle der Kampf, und künftig erst, verspricht man uns, wenn unsre Hefe gesunken sey, verwandle sich in edeln Freudenwein das gährende Leben, die Herzensruhe der Seeligen sucht man sonst auf dieser Erde nirgends mehr. Ich weiß es anders. Ich bin den nähern Weg gekommen. Ich stand vor ihr, und hört' und sah den Frieden des Himmels, und mitten im seufzenden Chaos erschien mir Urania.Wie oft hab' ich meine Klagen vor diesem Bilde gestillt! wie oft hat sich das übermüthige Leben und der strebende Geist besänftigt, wenn ich, in seelige Betrachtungen versunken, ihr in's Herz sah, wie man in die Quelle siehet, wenn sie still erbebt von den Berührungen des Himmels, der in Silbertropfen auf sie niederträufelt!Sie war mein Lethe, diese Seele, mein heiliger Lethe, woraus ich die Vergessenheit des Daseyns trank, daß ich vor ihr stand, wie ein Unsterblicher, und freudig mich schalt, und wie nach schweren Träumen lächeln mußte über alle Ketten, die mich gedrükt.O ich wär' ein glüklicher, ein treflicher Mensch geworden mit ihr!Mit ihr! aber das ist mislungen, und nun irr' ich herum in dem, was vor und in mir ist, und drüber hinaus, und weiß nicht, was ich machen soll aus mir und andern Dingen.Meine Seele ist, wie ein Fisch aus ihrem Elemente auf den Ufersand geworfen, und windet sich und wirft sich umher, bis sie vertroknet in der Hizze des Tags.Ach! gäb' es nur noch etwas in der Welt für mich zu thun! gäb' es eine Arbeit, einen Krieg für mich, das sollte mich erquiken!Knäblein, die man von der Mutterbrust gerissen und in die Wüste geworfen, hat einst, so sagt man, eine Wölfin gesäugt.Mein Herz ist nicht so glüklich.
Hyperion an Bellarmin
Ich kann nur hie und da ein Wörtchen von ihr sprechen. Ich muß vergessen, was sie ganz ist, wenn ich von ihr sprechen soll. Ich muß mich täuschen, als hätte sie vor alten Zeiten gelebt, als wüßt' ich durch Erzählung einiges von ihr, wenn ihr lebendig Bild mich nicht ergreiffen soll, daß ich vergehe im Entzüken und im Schmerz, wenn ich den Tod der Freude über sie und den Tod der Trauer um sie nicht sterben soll.
Hyperion an Bellarmin
Es ist umsonst; ich kann's mir nicht verbergen. Wohin ich auch entfliehe mit meinen Gedanken, in die Himmel hinauf und in den Abgrund, zum Anfang und an's Ende der Zeiten, selbst wenn ich ihm, der meine lezte Zuflucht war, der sonst noch jede Sorge in mir verzehrte, der alle Lust und allen Schmerz des Lebens sonst mit der Feuerflamme, worinn er sich offenbarte, in mir versengte, selbst wenn ich ihm mich in die Arme werfe, dem herrlichen geheimen Geiste der Welt, in seine Tiefe mich tauche, wie in den bodenlosen Ocean hinab, auch da, auch da finden die süßen Schreken mich aus, die süßen verwirrenden tödtenden Schreken, daß Diotima's Grab mir nah ist.Hörst du? hörst du? Diotima's Grab!Mein Herz war doch so stille geworden, und meine Liebe war begraben mit der Todten, die ich liebte.Du weißt, mein Bellarmin! ich schrieb dir lange nicht von ihr, und da ich schrieb, so schrieb ich dir gelassen, wie ich meine.Was ist's denn nun?Ich gehe ans Ufer hinaus und sehe nach Kalaurea, wo sie ruhet, hinüber, das ist's.O daß ja keiner den Kahn mir leihe, daß ja sich keiner erbarme und mir sein Ruder biete und mir hinüberhelfe zu ihr!Daß ja das gute Meer nicht ruhig bleibe, damit ich nicht ein Holz mir zimmre und hinüberschwimme zu ihr.Aber in die tobende See will ich mich werfen, und ihre Wooge bitten, daß sie an Diotima's Gestade mich wirft! –Lieber Bruder! ich tröste mein Herz mit allerlei Phantasien, ich reiche mir manchen Schlaftrank; und es wäre wohl größer, sich zu befreien auf immer, als sich zu behelfen mit Palliativen; aber wem geht's nicht so? Ich bin denn doch damit zufrieden.Zufrieden? ach das wäre gut! da wäre ja geholfen, wo kein Gott nicht helfen kann.Nun! nun! ich habe, was ich konnte, gethan! Ich fodre von dem Schiksaal meine Seele.
Hyperion an Bellarmin
War sie nicht mein, ihr Schwestern des Schiksaals, war sie nicht mein? Die reinen Quellen fodr' ich auf zu Zeugen, und die unschuldigen Bäume, die uns belauschten, und das Tagslicht und den Aether! war sie nicht mein? vereint mit mir in allen Tönen des Lebens?Wo ist das Wesen, das, wie meines, sie erkannte? in welchem Spiegel sammelten sich, so wie in mir, die Stralen dieses Lichts? erschrak sie freudig nicht vor ihrer eignen Herrlichkeit, da sie zuerst in meiner Freude sich gewahr ward? Ach! wo ist das Herz, das so, wie meines, überall ihr nah war, so, wie meines, sie erfüllte und von ihr erfüllt war, das so einzig da war, ihres zu umfangen, wie die Wimper für das Auge da ist.Wir waren Eine Blume nur, und unsre Seelen lebten in einander, wie die Blume, wenn sie liebt, und ihre zarten Freuden im verschloßnen Kelche verbirgt.Und doch, doch wurde sie, wie eine angemaaste Krone, von mir gerissen und in den Staub gelegt?
Hyperion an Bellarmin
Eh' es eines von uns beeden wußte, gehörten wir uns an.Wenn ich so, mit allen Huldigungen des Herzens, seelig überwunden, vor ihr stand, und schwieg, und all' mein Leben sich hingab in den Stralen des Augs, das sie nur sah, nur sie umfaßte, und sie dann wieder zärtlich zweifelnd mich betrachtete, und nicht wußte, wo ich war mit meinen Gedanken, wenn ich oft, begraben in Lust und Schönheit, bei einem reizenden Geschäfte sie belauschte, und um die leiseste Bewegung, wie die Biene um die schwanken Zweige, meine Seele schweift' und flog, und wenn sie dann in friedlichen Gedanken gegen mich sich wandt', und, überrascht von meiner Freude, meine Freude sich verbergen mußt, und bei der lieben Arbeit ihre Ruhe wieder sucht' und fand –Wenn sie, wunderbar allwissend, jeden Wohlklang, jeden Mislaut in der Tiefe meines Wesens, im Momente, da er begann, noch eh' ich selbst ihn wahrnahm, mir enthüllte, wenn sie jeden Schatten eines Wölkchens auf der Stirne, jeden Schatten einer Wehmuth, eines Stolzes auf der Lippe, jeden Funken mir im Auge sah, wenn sie die Ebb' und Fluth des Herzens mir behorcht' und sorgsam trübe Stunden ahnete, indeß mein Geist zu unenthaltsam, zu verschwenderisch im üppigen Gespräche sich verzehrte, wenn das liebe Wesen, treuer, wie ein Spiegel, jeden Wechsel meiner Wange mir verrieth, und oft in freundlichen Bekümmernissen über mein unstet Wesen mich ermahnt', und strafte, wie ein theures Kind –Ach! da du einst, Unschuldige, an den Fingern die Treppen zähltest, von unsrem Berge herab zu deinem Hause, da du deine Spaziergänge mir wiesest, die Pläze, wo du sonst gesessen, und mir erzähltest, wie die Zeit dir da vergangen, und mir am Ende sagtest, es sey dir jezt, als wär' ich auch von jeher dagewesen –Gehörten wir da nicht längst uns an?
Hyperion an Bellarmin
Ich baue meinem Herzen ein Grab, damit es ruhen möge; ich spinne mich ein, weil überall es Winter ist; in seeligen Erinnerungen hüll' ich vor dem Sturme mich ein.Wir saßen einst mit Notara – so hieß der Freund, bei dem ich lebte – und einigen andern, die auch, wie wir, zu den Sonderlingen in Kalaurea gehörten, in Diotima's Garten, unter blühenden Mandelbäumen, und sprachen unter andrem über die Freundschaft.Ich hatte wenig mitgesprochen, ich hütete mich seit einiger Zeit, viel Worte zu machen von Dingen, die das Herz zunächst angehn, meine Diotima hatte mich so einsylbig gemacht –Da Harmodius und Aristogiton lebten, rief endlich einer, da war noch Freundschaft in der Welt. Das freute mich zu sehr, als daß ich hätte schweigen mögen.Man sollte dir eine Krone flechten um dieses Wortes willen! rief ich ihm zu; hast du denn wirklich eine Ahnung davon, hast du ein Gleichniß für die Freundschaft des Aristogiton und Harmodius? Verzeih mir! Aber beim Aether! man muß Aristogiton seyn, um nachzufühlen, wie Aristogiton liebte, und die Blize durfte wohl der Mann nicht fürchten, der geliebt seyn wollte mit Harmodius Liebe, denn es täuscht mich alles, wenn der furchtbare Jüngling nicht mit Minos Strenge liebte. Wenige sind in solcher Probe bestanden, und es ist nicht leichter, eines Halbgotts Freund zu seyn, als an der Götter Tische, wie Tantalus, zu sizen. Aber es ist auch nichts herrlicheres auf Erden, als wenn ein stolzes Paar, wie diese, so sich unterthan ist.Das ist auch meine Hoffnung, meine Lust in einsamen Stunden, daß solche große Töne und größere einst wiederkehren müssen in der Symphonie des Weltlaufs. Die Liebe gebahr Jahrtausende voll lebendiger Menschen; die Freundschaft wird sie wiedergebähren. Von Kinderharmonie sind einst die Völker ausgegangen, die Harmonie der Geister wird der Anfang einer neuen Weltgeschichte seyn. Von Pflanzenglük begannen die Menschen und wuchsen auf, und wuchsen, bis sie reiften; von nun an gährten sie unaufhörlich fort, von innen und außen, bis jezt das Menschengeschlecht, unendlich aufgelöst, wie ein Chaos daliegt, daß alle, die noch fühlen und sehen, Schwindel ergreift; aber die Schönheit flüchtet aus dem Leben der Menschen sich herauf in den Geist; Ideal wird, was Natur war, und wenn von unten gleich der Baum verdorrt ist und verwittert, ein frischer Gipfel ist noch hervorgegangen aus ihm, und grünt im Sonnenglanze, wie einst der Stamm in den Tagen der Jugend; Ideal ist, was Natur war. Daran, an diesem Ideale, dieser verjüngten Gottheit, erkennen die Wenigen sich und Eins sind sie, denn es ist Eines in ihnen, und von diesen, diesen beginnt das zweite Lebensalter der Welt – ich habe genug gesagt, um klar zu machen, was ich denke.Da hättest du Diotima sehen sollen, wie sie aufsprang und die beeden Hände mir reichte und rief: ich hab' es verstanden, Lieber, ganz verstanden, so viel es sagt.Die Liebe gebahr die Welt, die Freundschaft wird sie wieder gebähren.O dann, ihr künftigen, ihr neuen Dioskuren, dann weilt ein wenig, wenn ihr vorüberkömmt, da, wo Hyperion schläft, weilt ahnend über des vergeßnen Mannes Asche, und sprecht: er wäre, wie unser einer, wär' er jezt da.Das hab' ich gehört, mein Bellarmin! das hab' ich erfahren, und gehe nicht willig in den Tod?Ja! ja! ich bin vorausbezahlt, ich habe gelebt. Mehr Freude konnt' ein Gott ertragen, aber ich nicht.
Hyperion an Bellarmin
Frägst du, wie mir gewesen sey um diese Zeit? Wie einem, der alles verloren hat, um alles zu gewinnen.Oft kam ich freilich von Diotima's Bäumen, wie ein Siegestrunkner, oft mußt' ich eilends weg von ihr, um keinen meiner Gedanken zu verrathen; so tobte die Freude in mir, und der Stolz, der allbegeisternde Glaube, von Diotima geliebt zu seyn.Dann sucht' ich die höchsten Berge mir auf und ihre Lüfte, und wie ein Adler, dem der blutende Fittig geheilt ist, regte mein Geist sich im Freien, und dehnt', als wäre sie sein, über die sichtbare Welt sich aus; wunderbar! es war mir oft, als läuterten sich und schmelzten die Dinge der Erde, wie Gold, in meinem Feuer zusammen, und ein Göttliches würde aus ihnen und mir, so tobte in mir die Freude; und wie ich die Kinder aufhub und an mein schlagendes Herz sie drükte, wie ich die Pflanzen grüßte und die Bäume! Einen Zauber hätt' ich mir wünschen mögen, die scheuen Hirsche und all' die wilden Vögel des Walds, wie ein häuslich Völkchen, um meine freigebigen Hände zu versammeln, so seelig thörigt liebt' ich alles!Aber nicht lange, so war das alles, wie ein Licht, in mir erloschen, und stumm und traurig, wie ein Schatte, saß ich da und suchte das entschwundne Leben. Klagen mocht' ich nicht und trösten mocht' ich mich auch nicht. Die Hoffnung warf ich weg, wie ein Lahmer, dem die Krüke verlaidet ist; des Weinens schämt' ich mich; ich schämte mich des Daseyns überhaupt. Aber endlich brach denn doch der Stolz in Thränen aus, und das Leiden, das ich gerne verläugnet hätte, wurde mir lieb, und ich legt' es, wie ein Kind, mir an die Brust.Nein, rief mein Herz, nein, meine Diotima! es schmerzt nicht. Bewahre du dir deinen Frieden und laß mich meinen Gang gehn. Laß dich in deiner Ruhe nicht stören, holder Stern! wenn unter dir es gährt und trüb ist.O laß dir deine Rose nicht blaichen, seelige Götterjugend! Laß in den Kümmernissen der Erde deine Schöne nicht altern. Das ist ja meine Freude, süßes Leben! daß du in dir den sorgenfreien Himmel trägst. Du sollst nicht dürftig werden, nein, nein! du sollst in dir die Armuth der Liebe nicht sehn.Und wenn ich dann wieder zu ihr hinabgieng – ich hätte das Lüftchen fragen mögen und dem Zuge der Wolken es ansehn, wie es mit mir seyn werde in einer Stunde! und wie es mich freute, wenn irgend ein freundlich Gesicht mir auf dem Wege begegnete, und nur nicht gar zu troken sein "schönen Tag!" mir zurief!Wenn ein kleines Mädchen aus dem Walde kam und einen Erdbeerstraus mir zum Verkauffe reichte, mit einer Miene, als wollte sie ihn schenken, oder wenn ein Bauer, wo ich vorübergieng, auf seinem Kirschbaum saß und pflükte, und aus den Zweigen herab mir rief, ob ich nicht eine Handvoll kosten möchte; das waren gute Zeichen für das abergläubische Herz!Stand vollends gegen den Weg her, wo ich herabkam, von Diotima's Fenstern eines offen, wie konnte das so wohlthun!Sie hatte vieleicht nicht lange zuvor herausgesehn.Und nun stand ich vor ihr, athemlos und wankend, und drükte die verschlungnen Arme gegen mein Herz, sein Zittern nicht zu fühlen, und, wie der Schwimmer aus reißenden Wassern hervor, rang und strebte mein Geist, nicht unterzugehn in der unendlichen Liebe.Wovon sprechen wir doch geschwind? konnt' ich rufen, man hat oft seine Mühe, man kann den Stoff nicht finden, die Gedanken daran festzuhalten.Reißen sie wieder aus in die Luft? erwiederte meine Diotima. Du mußt ihnen Blei an die Flügel binden, oder ich will sie an einen Faden knüpfen, wie der Knabe den fliegenden Drachen, daß sie uns nicht entgehn.Das liebe Mädchen suchte sich und mir durch einen Scherz zu helfen, aber es war wenig damit gethan.Ja, ja! rief ich, wie du willst, wie du es für gut hältst – soll ich vorlesen? Deine Laute ist wohl noch gestimmt von gestern – vorzulesen hab' ich auch gerade nichts –Du hast schon mehr, als einmal, sagte sie, versprochen, mir zu erzählen, wie du gelebt hast, ehe wir uns kannten, möchtest du jezt nicht?Das ist wahr, erwiedert' ich; mein Herz warf sich gerne auf das, und ich erzählt' ihr nun, wie dir, von Adamas und meinen einsamen Tagen in Smyrna, von Alabanda und wie ich getrennt wurde von ihm, und von der unbegreiflichen Krankheit meines Wesens, eh' ich nach Kalaurea herüberkam – nun weißt du alles, sagt' ich zu ihr gelassen, da ich zu Ende war, nun wirst du weniger dich an mir stoßen; nun wirst du sagen, sezt' ich lächelnd hinzu, spottet dieses Vulkans nicht, wenn er hinkt, denn ihn haben zweimal die Götter vom Himmel auf die Erde geworfen.Stille, rief sie mit erstikter Stimme, und verbarg ihre Thränen in's Tuch, o stille, und scherze über dein Schiksaal, über dein Herz nicht! denn ich versteh' es und besser, als du.Lieber – lieber Hyperion! Dir ist wohl schwer zu helfen.Weißt du denn, fuhr sie mit erhöhter Stimme fort, weißt du denn, woran du darbest, was dir einzig fehlt, was du, wie Alpheus seine Arethusa, suchst, um was du trauertest in aller deiner Trauer? Es ist nicht erst seit Jahren hingeschieden, man kann so genau nicht sagen, wenn es da war, wenn es weggieng, aber es war, es ist, in dir ist's! Es ist eine bessere Zeit, die suchst du, eine schönere Welt. Nur diese Welt umarmtest du in deinen Freunden, du warst mit ihnen diese Welt.In Adamas war sie dir aufgegangen; sie war auch hingegangen mit ihm. In Alabanda erschien dir ihr Licht zum zweitenmale, aber brennender und heißer, und darum war es auch, wie Mitternacht, vor deiner Seele, da er für dich dahin war.Siehest du nun auch, warum der kleinste Zweifel über Alabanda zur Verzweiflung werden mußt' in dir? warum du ihn verstießest, weil er nur nicht gar ein Gott war?Du wolltest keine Menschen, glaube mir, du wolltest eine Welt. Den Verlust von allen goldenen Jahrhunderten, so wie du sie, zusammengedrängt in Einen glüklichen Moment, empfandest, den Geist von allen Geistern beßrer Zeit, die Kraft von allen Kräften der Heroën, die sollte dir ein Einzelner, ein Mensch ersezen! – Siehest du nun, wie arm, wie reich du bist? warum du so stolz seyn mußt und auch so niedergeschlagen? warum so schröklich Freude und Laid dir wechselt?Darum, weil du alles hast und nichts, weil das Phantom der goldenen Tage, die da kommen sollen, dein gehört, und doch nicht da ist, weil du ein Bürger bist in den Regionen der Gerechtigkeit und Schönheit, ein Gott bist unter Göttern in den schönen Träumen, die am Tage dich beschleichen, und wenn du aufwachst, auf neugriechischem Boden stehst.Zweimal, sagtest du? o du wirst in Einem Tage siebzigmal vom Himmel auf die Erde geworfen. Soll ich dir es sagen? Ich fürchte für dich, du hältst das Schiksaal dieser Zeiten schwerlich aus. Du wirst noch mancherlei versuchen, wirst –O Gott! und deine lezte Zufluchtsstätte wird ein Grab seyn.Nein, Diotima, rief ich, nein, beim Himmel, nein! So lange noch Eine Melodie mir tönt, so scheu ich nicht die Todtenstille der Wildniß unter den Sternen; so lange die Sonne nur scheint und Diotima, so giebt es keine Nacht für mich.Laß allen Tugenden die Sterbegloke läuten! ich höre ja dich, dich, deines Herzens Lied, du Liebe! und finde unsterblich Leben, indessen alles verlischt und welkt.O Hyperion, rief sie, wie sprichst du?"Ich spreche, wie ich muß. Ich kann nicht, kann nicht länger all' die Seeligkeit und Furcht und Sorge bergen – Diotima! – Ja du weißt es, mußt es wissen, hast längst es gesehen, daß ich untergehe, wenn du nicht die Hand mir reichst."Sie war betroffen, verwirrt.Und an mir, rief sie, an mir will sich Hyperion halten? ja, ich wünsch' es, jezt zum erstenmale wünsch' ich, mehr zu seyn, denn nur ein sterblich Mädchen. Aber ich bin dir, was ich seyn kann.O so bist du ja mir Alles, rief ich!"Alles? böser Heuchler! und die Menschheit, die du doch am Ende einzig liebst?"Die Menschheit? sagt' ich; ich wollte, die Menschheit machte Diotima zum Loosungswort und mahlt' in ihre Paniere dein Bild, und spräche: heute soll das Göttliche siegen! Engel des Himmels! das müßt' ein Tag seyn!Geh, rief sie, geh, und zeige dem Himmel deine Verklärung! mir darf sie nicht so nahe seyn.Nicht wahr, du gehest, lieber Hyperion?Ich gehorchte. Wer hätte da nicht gehorcht? Ich gieng. So war ich noch niemals von ihr gegangen. O Bellarmin! das war Freude, Stille des Lebens, Götterruhe, himmlische, wunderbare, unerkennbare Freude.Worte sind hier umsonst, und wer nach einem Gleichniß von ihr fragt, der hat sie nie erfahren. Das Einzige, was eine solche Freude auszudrüken vermochte, war Diotima's Gesang, wenn er, in goldner Mitte, zwischen Höhe und Tiefe schwebte.O ihr Uferweiden des Lethe! ihr abendröthlichen Pfade in Elysiums Wäldern! ihr Lilien an den Bächen des Thals! ihr Rosenkränze des Hügels! Ich glaub' an euch, in dieser freundlichen Stunde, und spreche zu meinem Herzen: dort findest du sie wieder, und alle Freude, die du verlorst.
Hyperion an Bellarmin
Ich will dir immer mehr von meiner Seeligkeit erzählen.Ich will die Brust an den Freuden der Vergangenheit versuchen, bis sie, wie Stahl, wird, ich will mich üben an ihnen, bis ich unüberwindlich bin.Ha! fallen sie doch, wie ein Schwerdtschlag, oft mir auf die Seele, aber ich spiele mit dem Schwerdte, bis ich es gewohnt bin, ich halte die Hand in's Feuer, bis ich es ertrage, wie Wasser.Ich will nicht zagen; ja! ich will stark seyn! ich will mir nichts verhehlen, will von allen Seeligkeiten mir die seeligste aus dem Grabe beschwören.Es ist unglaublich, daß der Mensch sich vor dem Schönsten fürchten soll; aber es ist so.O bin ich doch hundertmal vor diesen Augenbliken, dieser tödtenden Wonne meiner Erinnerungen geflohen und habe mein Auge hinweggewandt, wie ein Kind vor Blizen! und dennoch wächst im üppigen Garten der Welt nichts lieblichers, wie meine Freuden, dennoch gedeiht im Himmel und auf Erden nichts edleres, wie meine Freuden.Aber nur dir, mein Bellarmin, nur einer reinen freien Seele, wie die deine ist, erzähl' ich's. So freigebig, wie die Sonne mit ihren Strahlen, will ich nicht seyn; meine Perlen will ich vor die alberne Menge nicht werfen.Ich kannte, seit dem lezten Seelengespräche, mit jedem Tage mich weniger. Ich fühlt', es war ein heilig Geheimniß zwischen mir und Diotima.Ich staunte, träumte. Als wär' um Mitternacht ein seeliger Geist mir erschienen und hätte mich erkoren, mit ihm umzugehn, so war es mir in der Seele.O es ist ein seltsames Gemische von Seeligkeit und Schwermuth, wenn es so sich offenbart, daß wir auf immer heraus sind aus dem gewöhnlichen Daseyn.Es war mir seitdem nimmer gelungen, Diotima allein zu sehn. Immer mußt' ein Dritter uns stören, trennen, und die Welt lag zwischen ihr und mir, wie eine unendliche Leere. Sechs todesbange Tage giengen so vorüber, ohne daß ich etwas wußte von Diotima. Es war, als lähmten die andern, die um uns waren, mir die Sinne, als tödteten sie mein ganzes äußeres Leben, damit auf keinem Wege die verschlossene Seele sich hinüber helfen möchte zu ihr.Wollt' ich mit dem Auge sie suchen, so wurd' es Nacht vor mir, wollt' ich mich mit einem Wörtchen an sie wenden, so erstikt' es in der Kehle.Ach! mir wollte das heilige nahmenlose Verlangen oft die Brust zerreißen, und die mächtige Liebe zürnt' oft, wie ein gefangener Titan, in mir. So tief, so innigst unversöhnlich hatte mein Geist noch nie sich gegen die Ketten gesträubt, die das Schiksaal ihm schmiedet, gegen das eiserne unerbittliche Gesez, geschieden zu seyn, nicht Eine Seele zu seyn mit seiner liebenswürdigen Hälfte.Die sternenhelle Nacht war nun mein Element geworden. Dann, wann es stille war, wie in den Tiefen der Erde, wo geheimnißvoll das Gold wächst, dann hob das schönere Leben meiner Liebe sich an.Da übte das Herz sein Recht, zu dichten, aus. Da sagt' es mir, wie Hyperions Geist im Vorelysium mit seiner holden Diotima gespielt, eh' er herabgekommen zur Erde, in göttlicher Kindheit bei dem Wohlgetöne des Quells, und unter Zweigen, wie wir die Zweige der Erde sehn, wenn sie verschönert aus dem güldenen Strome blinken.Und, wie die Vergangenheit, öffnete sich die Pforte der Zukunft in mir.Da flogen wir, Diotima und ich, da wanderten wir, wie Schwalben, von einem Frühling der Welt zum andern, durch der Sonne weites Gebiet und drüber hinaus, zu den andern Inseln des Himmels, an des Sirius goldne Küsten, in die Geisterthale des Arcturs –O es ist doch wohl wünschenswerth, so aus Einem Kelche mit der Geliebten die Wonne der Welt zu trinken!Berauscht vom seeligen Wiegenliede, das ich mir sang, schlief ich ein, mitten unter den herrlichen Phantomen.Wie aber am Strahle des Morgenlichts das Leben der Erde sich wieder enzündete, sah ich empor und suchte die Träume der Nacht. Sie waren, wie die schönen Sterne, verschwunden, und nur die Wonne der Wehmuth zeugt' in meiner Seele von ihnen.Ich trauerte; aber ich glaube, daß man unter den Seeligen auch so trauert. Sie war die Botin der Freude, diese Trauer, sie war die grauende Dämmerung, woran die unzähligen Rosen des Morgenroths sprossen. –Der glühende Sommertag hatte jezt alles in die dunkeln Schatten gescheucht. Auch um Diotima's Haus war alles still und leer, und die neidischen Vorhänge standen mir an allen Fenstern im Wege.Ich lebt' in Gedanken an sie. Wo bist du, dacht' ich, wo findet mein einsamer Geist dich, süßes Mädchen? Siehest du vor dich hin und sinnest? Hast du die Arbeit auf die Seite gelegt und stüzest den Arm aufs Knie und auf das Händchen das Haupt und giebst den lieblichen Gedanken dich hin?Daß ja nichts meine Friedliche störe, wenn sie mit süßen Phantasien ihr Herz erfrischt, daß ja nichts diese Traube betaste und den erquikenden Thau von den zarten Beeren ihr streife!So träumt' ich. Aber indeß die Gedanken zwischen den Wänden des Hauses nach ihr spähten, suchten die Füße sie anderswo, und eh' ich es gewahr ward, gieng ich unter den Bogengängen des heiligen Walds, hinter Diotima's Garten, wo ich sie zum erstenmale hatte gesehn. Was war das? Ich war ja indessen so oft mit diesen Bäumen umgegangen, war vertrauter mit ihnen, ruhiger unter ihnen geworden; jezt ergriff mich eine Gewalt, als trät' ich in Dianens Schatten, um zu sterben vor der gegenwärtigen Gottheit.Indessen gieng ich weiter. Mit jedem Schritte wurd' es wunderbarer in mir. Ich hätte fliegen mögen, so trieb mein Herz mich vorwärts; aber es war, als hätt' ich Blei an den Sohlen. Die Seele war vorausgeeilt, und hatte die irrdischen Glieder verlassen. Ich hörte nicht mehr und vor dem Auge dämmerten und schwankten alle Gestalten. Der Geist war schon bei Diotima; im Morgenlichte spielte der Gipfel des Baums, indeß die untern Zweige noch die kalte Dämmerung fühlten.Ach! mein Hyperion! rief jezt mir eine Stimme entgegen; ich stürzt' hinzu; "meine Diotima! o meine Diotima!" weiter hatt' ich kein Wort und keinen Othem, kein Bewußtseyn.Schwinde, schwinde, sterbliches Leben, dürftig Geschäft, wo der einsame Geist die Pfennige, die er gesammelt, hin und her betrachtet und zählt! wir sind zur Freude der Gottheit alle berufen!Es ist hier eine Lüke in meinem Daseyn. Ich starb, und wie ich erwachte, lag ich am Herzen des himmlischen Mädchens.O Leben der Liebe! wie warst du an ihr aufgegangen in voller holdseeliger Blüthe! wie in leichten Schlummer gesungen von seeligen Genien, lag das reizende Köpfchen mir auf der Schulter, lächelte süßen Frieden, und schlug sein ätherisch Auge nach mir auf in fröhlichem unerfahrenem Staunen, als blikt' es eben jezt zum erstenmale in die Welt.Lange standen wir so in holder selbstvergessener Betrachtung, und keines wußte, wie ihm geschah, bis endlich der Freude zu viel in mir sich häufte und in Thränen und Lauten des Entzükens auch meine verlorne Sprache wieder begann, und meine stille Begeisterte vollends wieder in's Daseyn wekte.Endlich sahn wir uns auch wieder um.O meine alten freundlichen Bäume! rief Diotima, als hätte sie sie in langer Zeit nicht gesehn, und das Andenken an ihre vorigen einsamen Tage spielt' um ihre Freuden, lieblich, wie die Schatten um den jungfräulichen Schnee, wenn er erröthet und glüht im freudigen Abendglanze.Engel des Himmels! rief ich, wer kann dich fassen? wer kann sagen, er habe ganz dich begriffen?Wunderst du dich, erwiederte sie, daß ich so sehr dir gut bin? Lieber! stolzer Bescheidner! Bin ich denn auch von denen, die nicht glauben können an dich, hab' ich denn nicht dich ergründet, hab' ich den Genius nicht in seinen Wolken erkannt? Verhülle dich nur und siehe dich selbst nicht; ich will dich hervorbeschwören, ich will –Aber er ist ja da, er ist hervorgegangen, wie ein Stern; er hat die Hülse durchbrochen und steht, wie ein Frühling, da; wie ein Kristallquell aus der düstern Grotte, ist er hervorgegangen; das ist der finstre Hyperion nicht, das ist die wilde Trauer nicht mehr – o mein, mein herrlicher Junge!Das alles war mir, wie ein Traum. Konnt' ich glauben an diß Wunder der Liebe? konnt' ich? mich hätte die Freude getödtet.Göttliche! rief ich, sprichst du mit mir? kannst du so dich verläugnen, seelige Selbstgenügsame! kannst du so dich freuen an mir? O ich seh' es nun, ich weiß nun, was ich oft geahnet, der Mensch ist ein Gewand, das oft ein Gott sich umwirft, ein Kelch, in den der Himmel seinen Nektar gießt, um seinen Kindern vom Besten zu kosten zu geben. –Ja, ja! fiel sie schwärmerisch lächelnd mir ein, dein Nahmensbruder, der herrliche Hyperion des Himmels ist in dir.Laß mich, rief ich, laß mich dein seyn, laß mich mein vergessen, laß alles Leben in mir und allen Geist nur dir zufliegen; nur dir, in seeliger endeloser Betrachtung! O Diotima! so stand ich sonst auch vor dem dämmernden Götterbilde, das meine Liebe sich schuff, vor dem Idole meiner einsamen Träume; ich nährt' es traulich; mit meinem Leben belebt' ich es, mit den Hoffnungen meines Herzens erfrischt', erwärmt' ich es, aber es gab mir nichts, als was ich gegeben, und wenn ich verarmt war, ließ es mich arm, und nun! nun hab' ich im Arme dich, und fühle den Othem deiner Brust, und fühle dein Aug' in meinem Auge, die schöne Gegenwart rinnt mir in alle Sinnen herein, und ich halt' es aus, ich habe das Herrlichste so und bebe nicht mehr – ja! ich bin wirklich nicht der ich sonst war, Diotima! ich bin deines gleichen geworden, und Göttliches spielt mit Göttlichem jezt, wie Kinder unter sich spielen. –Aber etwas stiller mußt du mir werden, sagte sie.Du hast auch recht, du Liebenswürdige! rief ich freudig, sonst erscheinen mir ja die Grazien nicht; sonst seh' ich ja im Meere der Schönheit seine leisen lieblichen Bewegungen nicht. O ich will es noch lernen, nichts an dir zu übersehen. Gieb mir nur Zeit!Schmeichler! rief sie, aber für heute sind wir zu Ende, lieber Schmeichler! die goldne Abendwolke hat mich gemahnt. O traure nicht! Erhalte dir und mir die reine Freude! Laß sie nachtönen in dir, bis Morgen, und tödte sie nicht durch Mismuth! – die Blumen des Herzens wollen freundliche Pflege. Ihre Wurzel ist überall, aber sie selbst gedeihn in heitrer Witterung nur. Leb wohl, Hyperion!Sie machte sich los. Mein ganzes Wesen flammt' in mir auf, wie sie so vor mir hinwegschwand in ihrer glühenden Schönheit.O du! – rief ich und stürzt ihr nach, und gab meine Seele in ihre Hand in unendlichen Küssen.Gott! rief sie, wie wird das künftig werden!Das traf mich. Verzeih, Himmlische! sagt' ich; ich gehe. Gute Nacht, Diotima! denke noch mein ein wenig!Das will ich, rief sie, gute Nacht!Und nun kein Wort mehr, Bellarmin! Es wäre zuviel für mein geduldiges Herz. Ich bin erschüttert, wie ich fühle. Aber ich will hinausgehn unter die Pflanzen und Bäume, und unter sie hin mich legen und beten, daß die Natur zu solcher Ruhe mich bringe.
Hyperion an Bellarmin
Unsere Seelen lebten nun immer freier und schöner zusammen, und alles in und um uns vereinigte sich zu goldenem Frieden. Es schien, als wäre die alte Welt gestorben und eine neue begönne mit uns, so geistig und kräftig und liebend und leicht war alles geworden, und wir und alle Wesen schwebten, seelig vereint, wie ein Chor von tausend unzertrennlichen Tönen, durch den unendlichen Aether.Unsre Gespräche gleiteten weg, wie ein himmelblau Gewässer, woraus der Goldsand hin und wieder blinkt, und unsre Stille war, wie die Stille der Berggipfel, wo in herrlich einsamer Höhe, hoch über dem Raume der Gewitter, nur die göttliche Luft noch in den Loken des kühnen Wanderers rauscht.Und die wunderbare heilige Trauer, wann die Stunde der Trennung in unsre Begeisterung tönte, wenn ich oft rief: nun sind wir wieder sterblich, Diotima! und sie mir sagte: Sterblichkeit ist Schein, ist, wie die Farben, die vor unsrem Auge zittern, wenn es lange in die Sonne sieht!Ach! und alle die holdseeligen Spiele der Liebe! die Schmeichelreden, die Besorgnisse, die Empfindlichkeiten, die Strenge und Nachsicht.Und die Allwissenheit, womit wir uns durchschauten, und der unendliche Glaube, womit wir uns verherrlichten!Ja! eine Sonne ist der Mensch, allsehend, allverklärend, wenn er liebt, und liebt er nicht, so ist er eine dunkle Wohnung, wo ein rauchend Lämpchen brennt.Ich sollte schweigen, sollte vergessen und schweigen.Aber die reizende Flamme versucht mich, bis ich mich ganz in sie stürze, und, wie die Fliege, vergehe.Mitten in all dem seeligen unverhaltnen Geben und Nehmen fühlt' ich einmal, daß Diotima stiller wurde und immer stiller.Ich fragt' und flehte; aber das schien nur mehr sie zu entfernen, endlich flehte sie, ich möchte nicht mehr fragen, möchte gehn, und wenn ich wiederkäme, von etwas anderm sprechen. Das gab auch mir ein schmerzliches Verstummen, worein ich selbst mich nicht zu finden wußte.Mir war, als hätt' ein unbegreiflich plözlich Schiksaal unsrer Liebe den Tod geschworen, und alles Leben war hin, außer mir und allem.Ich schämte mich freilich deß; ich wußte gewiß, das Ungefähr beherrsche Diotima's Herz nicht. Aber wunderbar blieb sie mir immer, und mein verwöhnter untröstlicher Sinn wollt' immer offenbare gegenwärtige Liebe; verschloßne Schäze waren verlorne Schäze für ihn. Ach! ich hatt' im Glüke die Hoffnung verlernt, ich war noch damals, wie die ungeduldigen Kinder, die um den Apfel am Baume weinen, als wär' er gar nicht da, wenn er ihnen den Mund nicht küßt. Ich hatte keine Ruhe, ich flehte wieder, mit Ungestümm und Demuth, zärtlich und zürnend, mit ihrer ganzen allmächtigen bescheidnen Beredsamkeit rüstete die Liebe mich aus und nun – o meine Diotima! nun hatt' ich es, das reizende Bekenntniß, nun hab' ich und halt' es, bis auch mich, mit allem, was an mir ist, in die alte Heimath, in den Schoos der Natur die Wooge der Liebe zurükbringt.Die Unschuldige! noch kannte sie die mächtige Fülle ihres Herzens nicht, und lieblich erschroken vor dem Reichtum in ihr, begrub sie ihn in die Tiefe der Brust – und wie sie nun bekannte, heilige Einfalt, wie sie mit Thränen bekannte, sie liebe zu sehr, und wie sie Abschied nahm von allem, was sie sonst am Herzen gewiegt, o wie sie rief: abtrünnig bin ich geworden von Mai und Sommer und Herbst, und achte des Tages und der Nacht nicht, wie sonst, gehöre dem Himmel und der Erde nicht mehr, gehöre nur Einem, Einem, aber die Blüthe des Mai's und die Flamme des Sommers und die Reife des Herbsts, die Klarheit des Tags und der Ernst der Nacht, und Erd' und Himmel ist mir in diesem Einen vereint! so lieb' ich! – und wie sie nun in voller Herzenslust mich betrachtete, wie sie, in kühner heiliger Freude, in ihre schönen Arme mich nahm und die Stirne mir küßte und den Mund, ha! wie das göttliche Haupt, sterbend in Wonne, mir am offnen Halse herabsank, und die süßen Lippen an der schlagenden Brust mir ruhten und der liebliche Othem an die Seele mir gieng – o Bellarmin! die Sinne vergehn mir und der Geist entflieht.Ich seh', ich sehe, wie das enden muß. Das Steuer ist in die Wooge gefallen und das Schiff wird, wie an den Füßen ein Kind, ergriffen und an die Felsen geschleudert.
Hyperion an Bellarmin
Es giebt große Stunden im Leben. Wir schauen an ihnen hinauf, wie an den kolossalischen Gestalten der Zukunft und des Altertums, wir kämpfen einen herrlichen Kampf mit ihnen, und bestehn wir vor ihnen, so werden sie, wie Schwestern, und verlassen uns nicht.Wir saßen einst zusammen auf unsrem Berge, auf einem Steine der alten Stadt dieser Insel und sprachen davon, wie hier der Löwe Demosthenes sein Ende gefunden, wie er hier mit heiligem selbsterwähltem Tode aus den Macedonischen Ketten und Dolchen sich zur Freiheit geholfen – Der herrliche Geist gieng scherzend aus der Welt, rief einer; warum nicht? sagt' ich; er hatte nichts mehr hier zu suchen; Athen war Alexanders Dirne geworden, und die Welt, wie ein Hirsch, von dem großen Jäger zu Tode gehezt.O Athen! rief Diotima; ich habe manchmal getrauert, wenn ich dahinaussah, und aus der blauen Dämmerung mir das Phantom des Olympion aufstieg!Wie weit ist's hinüber? fragt' ich.Eine Tagreise vieleicht, erwiederte Diotima.Eine Tagereise, rief ich, und ich war noch nicht drüben? Wir müssen gleich hinüber zusammen.Recht so! rief Diotima; wir haben morgen heitere See, und alles steht jezt noch in seiner Grüne und Reife.Man braucht die ewige Sonne und das Leben der unsterblichen Erde zu solcher Wallfahrt.Also morgen! sagt' ich, und unsre Freunde stimmten mit ein.Wir fuhren früh, unter dem Gesange des Hahns, aus der Rhede. In frischer Klarheit glänzten wir und die Welt. Goldne stille Jugend war in unsern Herzen. Das Leben in uns war, wie das Leben einer neugebornen Insel des Oceans, worauf der erste Frühling beginnt.Schon lange war unter Diotima's Einfluß mehr Gleichgewicht in meine Seele gekommen; heute fühlt' ich es dreifach rein, und die zerstreuten schwärmenden Kräfte waren all' in Eine goldne Mitte versammelt.Wir sprachen unter einander von der Treflichkeit des alten Athenervolks, woher sie komme, worinn sie bestehe.Einer sagte, das Klima hat es gemacht; der andere: die Kunst und Philosophie; der dritte: Religion und Staatsform.Athenische Kunst und Religion, und Philosophie und Staatsform, sagt' ich, sind Blüthen und Früchte des Baums, nicht Boden und Wurzel. Ihr nehmt die Wirkungen für die Ursache.Wer aber mir sagt, das Klima habe diß alles gebildet, der denke, daß auch wir darinn noch leben.Ungestörter in jedem Betracht, von gewaltsamem Einfluß freier, als irgend ein Volk der Erde, erwuchs das Volk der Athener. Kein Eroberer schwächt sie, kein Kriegsglük berauscht sie, kein fremder Götterdienst betäubt sie, keine eilfertige Weisheit treibt sie zu unzeitiger Reife. Sich selber überlassen, wie der werdende Diamant, ist ihre Kindheit. Man hört beinahe nichts von ihnen, bis in die Zeiten des Pisistratus und Hipparch. Nur wenig Antheil nahmen sie am trojanischen Kriege, der, wie im Treibhaus, die meisten griechischen Völker zu früh erhizt' und belebte. – Kein außerordentlich Schiksaal erzeugt den Menschen. Groß und kolossalisch sind die Söhne einer solchen Mutter, aber schöne Wesen, oder, was dasselbe ist, Menschen werden sie nie, oder spät erst, wenn die Kontraste sich zu hart bekämpfen, um nicht endlich Frieden zu machen.In üppiger Kraft eilt Lacedämon den Atheniensern voraus, und hätte sich eben deswegen auch früher zerstreut und aufgelöst, wäre Lycurg nicht gekommen, und hätte mit seiner Zucht die übermüthige Natur zusammengehalten. Von nun an war denn auch an dem Spartaner alles erbildet, alle Vortreflichkeit errungen und erkauft durch Fleiß und selbstbewußtes Streben, und soviel man in gewissem Sinne von der Einfalt der Spartaner sprechen kann, so war doch, wie natürlich, eigentliche Kindereinfalt ganz nicht unter ihnen. Die Lacedämonier durchbrachen zu frühe die Ordnung des Instinkts, sie schlugen zu früh aus der Art, und so mußte denn auch die Zucht zu früh mit ihnen beginnen; denn jede Zucht und Kunst beginnt zu früh, wo die Natur des Menschen noch nicht reif geworden ist. Vollendete Natur muß in dem Menschenkinde leben, eh' es in die Schule geht, damit das Bild der Kindheit ihm die Rükkehr zeige aus der Schule zu vollendeter Natur.Die Spartaner blieben ewig ein Fragment; denn wer nicht einmal ein vollkommenes Kind war, der wird schwerlich ein vollkommener Mann. –Freilich hat auch Himmel und Erde für die Athener, wie für alle Griechen, das ihre gethan, hat ihnen nicht Armuth und nicht Überfluß gereicht. Die Stralen des Himmels sind nicht, wie ein Feuerregen, auf sie gefallen. Die Erde verzärtelte, berauschte sie nicht mit Liebkosungen und übergütigen Gaben, wie sonst wohl hie und da die thörige Mutter thut.Hiezu kam die wundergroße That des Theseus, die freiwillige Beschränkung seiner eignen königlichen Gewalt.O! solch ein Saamenkorn in die Herzen des Volks geworfen, muß einen Ocean von goldnen Ähren erzeugen, und sichtbar wirkt und wuchert es spät noch unter den Athenern.Also noch einmal! daß die Athener so frei von gewaltsamem Einfluß aller Art, so recht bei mittelmäßiger Kost aufwuchsen, das hat sie so vortreflich gemacht, und diß nur konnt' es!Laßt von der Wiege an den Menschen ungestört! treibt aus der engvereinten Knospe seines Wesens, treibt aus dem Hüttchen seiner Kindheit ihn nicht heraus! thut nicht zu wenig, daß er euch nicht entbehre und so von ihm euch unterscheide, thut nicht zu viel, daß er eure oder seine Gewalt nicht fühle, und so von ihm euch unterscheide, kurz, laßt den Menschen spät erst wissen, daß es Menschen, daß es irgend etwas außer ihm giebt, denn so nur wird er Mensch. Der Mensch ist aber ein Gott, so bald er Mensch ist. Und ist er ein Gott, so ist er schön.Sonderbar! rief einer von den Freunden.Du hast noch nie so tief aus meiner Seele gesprochen, rief Diotima.Ich hab' es von dir, erwiedert' ich.So war der Athener ein Mensch, fuhr ich fort, so mußt' er es werden. Schön kam er aus den Händen der Natur, schön, an Leib und Seele, wie man zu sagen pflegt.Das erste Kind der menschlichen, der göttlichen Schönheit ist die Kunst. In ihr verjüngt und wiederholt der göttliche Mensch sich selbst. Er will sich selber fühlen, darum stellt er seine Schönheit gegenüber sich. So gab der Mensch sich seine Götter. Denn im Anfang war der Mensch und seine Götter Eins, da, sich selber unbekannt, die ewige Schönheit war. – Ich spreche Mysterien, aber sie sind. –Das erste Kind der göttlichen Schönheit ist die Kunst. So war es bei den Athenern.Der Schönheit zweite Tochter ist Religion. Religion ist Liebe der Schönheit. Der Weise liebt sie selbst, die Unendliche, die Allumfassende; das Volk liebt ihre Kinder, die Götter, die in mannigfaltigen Gestalten ihm erscheinen. Auch so war's bei den Athenern. Und ohne solche Liebe der Schönheit, ohne solche Religion ist jeder Staat ein dürr Gerippe ohne Leben und Geist, und alles Denken und Thun ein Baum ohne Gipfel, eine Säule, wovon die Krone herabgeschlagen ist.Daß aber wirklich diß der Fall war bei den Griechen und besonders den Athenern, daß ihre Kunst und ihre Religion die ächten Kinder ewiger Schönheit – vollendeter Menschennatur – sind, und nur hervorgehn konnten aus vollendeter Menschennatur, das zeigt sich deutlich, wenn man nur die Gegenstände ihrer heiligen Kunst, und die Religion mit unbefangenem Auge sehn will, womit sie jene Gegenstände liebten und ehrten.Mängel und Mißtritte giebt es überall und so auch hier. Aber das ist sicher, daß man in den Gegenständen ihrer Kunst doch meist den reifen Menschen findet. Da ist nicht das Kleinliche, nicht das Ungeheure der Aegyptier und Gothen, da ist Menschensinn und Menschengestalt. Sie schweifen weniger als andre, zu den Extremen des Übersinnlichen und des Sinnlichen aus. In der schönen Mitte der Menschheit bleiben ihre Götter mehr, denn andre.Und wie der Gegenstand, so auch die Liebe. Nicht zu knechtisch und nicht gar zu sehr vertraulich! –Aus der Geistesschönheit der Athener folgte denn auch der nöthige Sinn für Freiheit.Der Aegyptier trägt ohne Schmerz die Despotie der Willkühr, der Sohn des Nordens ohne Widerwillen die Gesezesdespotie, die Ungerechtigkeit in Rechtsform; denn der Aegyptier hat von Mutterleib an einen Huldigungs- und Vergötterungstrieb; im Norden glaubt man an das reine freie Leben der Natur zu wenig, um nicht mit Aberglauben am Gesezlichen zu hängen.Der Athener kann die Willkühr nicht ertragen, weil seine göttliche Natur nicht will gestört seyn, er kann Gesezlichkeit nicht überall ertragen, weil er ihrer nicht überall bedarf. Drako taugt für ihn nicht. Er will zart behandelt seyn, und thut auch recht daran.Gut! unterbrach mich einer, das begreif ich, aber, wie diß dichterische religiöse Volk nun auch ein philosophisch Volk seyn soll, das seh' ich nicht.Sie wären sogar, sagt' ich, ohne Dichtung nie ein philosophisch Volk gewesen!Was hat die Philosophie, erwiedert' er, was hat die kalte Erhabenheit dieser Wissenschaft mit Dichtung zu thun?Die Dichtung, sagt' ich, meiner Sache gewiß, ist der Anfang und das Ende dieser Wissenschaft. Wie Minerva aus Jupiters Haupt, entspringt sie aus der Dichtung eines unendlichen göttlichen Seyns. Und so läuft am End' auch wieder in ihr das Unvereinbare in der geheimnißvollen Quelle der Dichtung zusammen.Das ist ein paradoxer Mensch, rief Diotima, jedoch ich ahn' ihn. Aber ihr schweift mir aus. Von Athen ist die Rede.Der Mensch, begann ich wieder, der nicht wenigstens im Leben Einmal volle lautre Schönheit in sich fühlte, wenn in ihm die Kräfte seines Wesens, wie die Farben am Irisbogen, in einander spielten, der nie erfuhr, wie nur in Stunden der Begeisterung alles innigst übereinstimmt, der Mensch wird nicht einmal ein philosophischer Zweifler werden, sein Geist ist nicht einmal zum Niederreißen gemacht, geschweige zum Aufbaun. Denn glaubt es mir, der Zweifler findet darum nur in allem, was gedacht wird, Widerspruch und Mangel, weil er die Harmonie der mangellosen Schönheit kennt, die nie gedacht wird. Das trokne Brod, das menschliche Vernunft wohlmeinend ihm reicht, verschmähet er nur darum, weil er ingeheim am Göttertische schwelgt.Schwärmer! rief Diotima, darum warst auch du ein Zweifler. Aber die Athener!Ich bin ganz nah an ihnen, sagt' ich. Das große Wort, das ἓν διαφέρον ἑαυτῶι (das Eine in sich selber unterschiedne) des Heraklit, das konnte nur ein Grieche finden, denn es ist das Wesen der Schönheit, und ehe das gefunden war, gabs keine Philosophie.Nun konnte man bestimmen, das ganze war da. Die Blume war gereift; man konnte nun zergliedern.Der Moment der Schönheit war nun kund geworden unter den Menschen, war da im Leben und Geiste, das Unendlicheinige war.Man konnt' es aus einander sezen, zertheilen im Geiste, konnte das Getheilte neu zusammendenken, konnte so das Wesen des Höchsten und Besten mehr und mehr erkennen und das Erkannte zum Geseze geben in des Geistes mannigfaltigen Gebieten.Seht ihr nun, warum besonders die Athener auch ein philosophisch Volk seyn mußten?Das konnte der Aegyptier nicht. Wer mit dem Himmel und der Erde nicht in gleicher Lieb' und Gegenliebe lebt, wer nicht in diesem Sinne einig lebt mit dem Elemente, worinn er sich regt, ist von Natur auch in sich selbst so einig nicht, und erfährt die ewige Schönheit wenigstens so leicht nicht wie ein Grieche.Wie ein prächtiger Despot, wirft seine Bewohner der orientalische Himmelsstrich mit seiner Macht und seinem Glanze zu Boden, und, ehe der Mensch noch gehen gelernt hat, muß er knieen, eh' er sprechen gelernt hat, muß er beten; ehe sein Herz ein Gleichgewicht hat, muß es sich neigen, und ehe der Geist noch stark genug ist, Blumen und Früchte zu tragen, ziehet Schiksaal und Natur mit brennender Hizze alle Kraft aus ihm. Der Aegyptier ist hingegeben, eh' er ein Ganzes ist, und darum weiß er nichts vom Ganzen, nichts von Schönheit, und das Höchste, was er nennt, ist eine verschleierte Macht, ein schauerhaft Räthsel; die stumme finstre Isis ist sein Erstes und Leztes, eine leere Unendlichkeit und da heraus ist nie Vernünftiges gekommen. Auch aus dem erhabensten Nichts wird Nichts geboren.Der Norden treibt hingegen seine Zöglinge zu früh in sich hinein, und wenn der Geist des feurigen Aegyptiers zu reiselustig in die Welt hinaus eilt, schikt im Norden sich der Geist zur Rükkehr in sich selbst an, ehe er nur reisefertig ist.Man muß im Norden schon verständig seyn, noch eh' ein reif Gefühl in einem ist, man mißt sich Schuld von allem bei, noch ehe die Unbefangenheit ihr schönes Ende erreicht hat; man muß vernünftig, muß zum selbstbewußten Geiste werden, ehe man Mensch, zum klugen Manne, ehe man Kind ist; die Einigkeit des ganzen Menschen, die Schönheit läßt man nicht in ihm gedeihn und reifen, eh' er sich bildet und entwikelt. Der blose Verstand, die blose Vernunft sind immer die Könige des Nordens.Aber aus blosem Verstand ist nie verständiges, aus bloser Vernunft ist nie vernünftiges gekommen.Verstand ist ohne Geistesschönheit, wie ein dienstbarer Geselle, der den Zaun aus grobem Holze zimmert, wie ihm vorgezeichnet ist, und die gezimmerten Pfähle an einander nagelt, für den Garten, den der Meister bauen will. Des Verstandes ganzes Geschäft ist Nothwerk. Vor dem Unsinn, vor dem Unrecht schüzt er uns, indem er ordnet; aber sicher zu seyn vor Unsinn und vor Unrecht ist doch nicht die höchste Stuffe menschlicher Vortreflichkeit.Vernunft ist ohne Geistes-, ohne Herzensschönheit, wie ein Treiber, den der Herr des Hauses über die Knechte gesezt hat; der weiß, so wenig, als die Knechte, was aus all' der unendlichen Arbeit werden soll, und ruft nur: tummelt euch, und siehet es fast ungern, wenn es vor sich geht, denn am Ende hätt' er ja nichts mehr zu treiben, und seine Rolle wäre gespielt.Aus blosem Verstande kömmt keine Philosophie, denn Philosophie ist mehr, denn nur die beschränkte Erkenntniß des Vorhandnen.Aus bloser Vernunft kömmt keine Philosophie, denn Philosophie ist mehr, denn blinde Forderung eines nie zu endigenden Fortschritts in Vereinigung und Unterscheidung eines möglichen Stoffs.Leuchtet aber das göttliche ἓν διαφέρον ἑαυτῶι, das Ideal der Schönheit der strebenden Vernunft, so fodert sie nicht blind, und weiß, warum, wozu sie fodert.Scheint, wie der Maitag in des Künstlers Werkstatt, dem Verstande die Sonne des Schönen zu seinem Geschäfte, so schwärmt er zwar nicht hinaus und läßt sein Nothwerk stehn, doch denkt er gerne des Festtags, wo er wandeln wird im verjüngenden Frühlingslichte.So weit war ich, als wir landeten an der Küste von Attika. Das alte Athen lag jezt zu sehr uns im Sinne, als daß wir hätten viel in der Ordnung sprechen mögen, und ich wunderte mich jezt selber über die Art meiner Äußerungen. Wie bin ich doch, rief ich, auf die troknen Berggipfel gerathen, worauf ihr mich saht?Es ist immer so, erwiederte Diotima, wenn uns recht wohl ist. Die üppige Kraft sucht eine Arbeit. Die jungen Lämmer stoßen sich die Stirnen an einander, wenn sie von der Mutter Milch gesättiget sind.Wir giengen jezt am Lykabettus hinauf, und blieben, troz der Eile, zuweilen stehen, in Gedanken und wunderbaren Erwartungen.Es ist schön, daß es dem Menschen so schwer wird, sich vom Tode dessen, was er liebt, zu überzeugen, und es ist wohl keiner noch zu seines Freundes Grabe gegangen, ohne die leise Hofnung, da dem Freunde wirklich zu begegnen. Mich ergriff das schöne Phantom des alten Athens, wie einer Mutter Gestalt, die aus dem Todtenreiche zurükkehrt.O Parthenon! rief ich, Stolz der Welt! zu deinen Füßen liegt das Reich des Neptun, wie ein bezwungener Löwe, und wie Kinder, sind die andern Tempel um dich versammelt, und die beredte Agora und der Hain des Akademus –Kannst du so dich in die alte Zeit versezen, sagte Diotima.Mahne mich nicht an die Zeit! erwiedert' ich; es war ein göttlich Leben und der Mensch war da der Mittelpunkt der Natur. Der Frühling, als er um Athen her blühte, war er, wie eine bescheidne Blume an der Jungfrau Busen; die Sonne gieng schaamroth auf über den Herrlichkeiten der Erde.Die Marmorfelsen des Hymettus und Pentele sprangen hervor aus ihrer schlummernden Wiege, wie Kinder aus der Mutter Schoos, und gewannen Form und Leben unter den zärtlichen Athener-Händen.Honig reichte die Natur und die schönsten Veilchen und Myrten und Oliven.Die Natur war Priesterin und der Mensch ihr Gott, und alles Leben in ihr und jede Gestalt und jeder Ton von ihr nur Ein begeistertes Echo des Herrlichen, dem sie gehörte.Ihn feiert', ihm nur opferte sie.Er war es auch werth, er mochte liebend in der heiligen Werkstatt sizen und dem Götterbilde, das er gemacht, die Kniee umfassen, oder auf dem Vorgebirge, auf Suniums grüner Spize, unter den horchenden Schülern gelagert, sich die Zeit verkürzen mit hohen Gedanken, oder er mocht' im Stadium laufen, oder vom Rednerstuhle, wie der Gewittergott, Regen und Sonnenschein und Blize senden und goldene Wolken –O siehe! rief jezt Diotima mir plözlich zu.Ich sah, und hätte vergehen mögen vor dem allmächtigen Anblik.Wie ein unermeßlicher Schiffbruch, wenn die Orkane verstummt sind und die Schiffer entflohn, und der Leichnam der zerschmetterten Flotte unkenntlich auf der Sandbank liegt, so lag vor uns Athen, und die verwaisten Säulen standen vor uns, wie die nakten Stämme eines Walds, der am Abend noch grünte, und des Nachts darauf im Feuer aufging.Hier, sagte Diotima, lernt man stille seyn über sein eigen Schiksal, es seye gut oder böse.Hier lernt man stille seyn über Alles, fuhr ich fort. Hätten die Schnitter, die diß Kornfeld gemäht, ihre Scheunen mit seinen Halmen bereichert, so wäre nichts verloren gegangen, und ich wollte mich begnügen, hier als Ährenleser zu stehn; aber wer gewann denn?Ganz Europa, erwiedert' einer von den Freunden.O, ja! rief ich, sie haben die Säulen und Statuen weggeschleift und an einander verkauft, haben die edlen Gestalten nicht wenig geschäzt, der Seltenheit wegen, wie man Papagayen und Affen schäzt.Sage das nicht! erwiederte derselbe; und mangelt' auch wirklich ihnen der Geist von all' dem Schönen, so wär' es, weil der nicht weggetragen werden konnte und nicht gekauft.Ja wohl! rief ich. Dieser Geist war auch untergegangen noch ehe die Zerstörer über Attika kamen. Erst, wenn die Häuser und Tempel ausgestorben, wagen sich die wilden Thiere in die Thore und Gassen.Wer jenen Geist hat, sagte Diotima tröstend, dem stehet Athen noch, wie ein blühender Fruchtbaum. Der Künstler ergänzt den Torso sich leicht.Wir giengen des andern Tages früh aus, sahn die Ruinen des Parthenon, die Stelle des alten Bacchustheaters, den Theseustempel, die sechszehn Säulen, die noch übrig stehn vom göttlichen Olympion; am meisten aber ergriff mich das alte Thor, wodurch man ehmals aus der alten Stadt zur neuen herauskam, wo gewiß einst tausend schöne Menschen an Einem Tage sich grüßten. Jezt kömmt man weder in die alte noch in die neue Stadt durch dieses Thor, und stumm und öde stehet es da, wie ein vertrokneter Brunnen, aus dessen Röhren einst mit freundlichem Geplätscher das klare frische Wasser sprang.Ach! sagt' ich, indeß wir so herumgiengen, es ist wohl ein prächtig Spiel des Schiksaals, daß es hier die Tempel niederstürzt und ihre zertrümmerten Steine den Kindern herumzuwerfen giebt, daß es die zerstümmelten Götter zu Bänken vor der Bauernhütte und die Grabmäler hier zur Ruhestätte des waidenden Stiers macht, und eine solche Verschwendung ist königlicher, als der Muthwille der Kleopatra, da sie die geschmolzenen Perlen trank; aber es ist doch Schade um all die Größe und Schönheit!Guter Hyperion! rief Diotima, es ist Zeit, daß du weggehst; du bist blaß und dein Auge ist müde, und du suchst dir umsonst mit Einfällen zu helfen. Komm hinaus! in's Grüne! unter die Farben des Lebens! das wird dir wohlthun.Wir giengen hinaus in die nahegelegenen Gärten.Die andern waren auf dem Wege mit zwei brittischen Gelehrten, die unter den Altertümern in Athen ihre Erndte hielten, in's Gespräch gerathen und nicht von der Stelle zu bringen. Ich ließ sie gerne.Mein ganzes Wesen richtete sich auf, da ich einmal wieder mit Diotima allein mich sah; sie hatte einen herrlichen Kampf bestanden mit dem heiligen Chaos von Athen. Wie das Saitenspiel der himmlischen Muse über den uneinigen Elementen, herrschten Diotima's stille Gedanken über den Trümmern. Wie der Mond aus zartem Gewölke, hob sich ihr Geist aus schönem Leiden empor; das himmlische Mädchen stand in seiner Wehmuth da, wie die Blume, die in der Nacht am lieblichsten duftet.Wir giengen weiter und weiter, und waren am Ende nicht umsonst gegangen.O ihr Haine von Angele, wo der Ölbaum und die Zypresse, umeinander flüsternd, mit freundlichen Schatten sich kühlen, wo die goldne Frucht des Zitronenbaums aus dunklem Laube blinkt, wo die schwellende Traube muthwillig über den Zaun wächst, und die reife Pomeranze, wie ein lächelnder Fündling, im Wege liegt! ihr duftenden heimlichen Pfade! ihr friedlichen Size, wo das Bild des Myrtenstrauchs aus der Quelle lächelt! euch werd' ich nimmer vergessen.Diotima und ich giengen eine Weile unter den herrlichen Bäumen umher, bis eine große heitere Stelle sich uns darbot.Hier sezten wir uns. Es war eine seelige Stille unter uns. Mein Geist umschwebte die göttliche Gestalt des Mädchens, wie eine Blume der Schmetterling, und all' mein Wesen erleichterte, vereinte sich in der Freude der begeisternden Betrachtung.Bist du schon wieder getröstet, Leichtsinniger? sagte Diotima.Ja! ja! ich bins, erwiedert' ich. Was ich verloren wähnte, hab' ich, wonach ich schmachtete, als wär' es aus der Welt verschwunden, das ist vor mir. Nein, Diotima! noch ist die Quelle der ewigen Schönheit nicht versiegt.Ich habe dir's schon einmal gesagt, ich brauche die Götter und die Menschen nicht mehr. Ich weiß, der Himmel ist ausgestorben, entvölkert, und die Erde, die einst überfloß von schönem menschlichen Leben, ist fast, wie ein Ameisenhaufe, geworden. Aber noch giebt es eine Stelle, wo der alte Himmel und die alte Erde mir lacht. Denn alle Götter des Himmels und alle göttlichen Menschen der Erde vergess' ich in dir.Was kümmert mich der Schiffbruch der Welt, ich weiß von nichts, als meiner seeligen Insel.Es giebt eine Zeit der Liebe, sagte Diotima mit freundlichem Ernste, wie es eine Zeit giebt, in der glüklichen Wiege zu leben. Aber das Leben selber treibt uns heraus.Hyperion! – hier ergriff sie meine Hand mit Feuer, und ihre Stimme erhub mit Größe sich – Hyperion! mich deucht, du bist zu höhern Dingen geboren. Verkenne dich nicht! der Mangel am Stoffe hielt dich zurük. Es gieng nicht schnell genug. Das schlug dich nieder. Wie die jungen Fechter, fielst du zu rasch aus, ehe noch dein Ziel gewiß und deine Faust gewandt war, und weil du, wie natürlich, mehr getroffen wurdest, als du trafst, so wurdest du scheu und zweifeltest an dir und allem; denn du bist so empfindlich, als du heftig bist. Aber dadurch ist nichts verloren. Wäre dein Gemüth und deine Thätigkeit so frühe reif geworden, so wäre dein Geist nicht, was er ist; du wärst der denkende Mensch nicht, wärst du nicht der leidende, der gährende Mensch gewesen. Glaube mir, du hättest nie das Gleichgewicht der schönen Menschheit so rein erkannt, hättest du es nicht so sehr verloren gehabt. Dein Herz hat endlich Frieden gefunden. Ich will es glauben. Ich versteh es. Aber denkst du wirklich, daß du nun am Ende seyst? Willst du dich verschließen in den Himmel deiner Liebe, und die Welt, die deiner bedürfte, verdorren und erkalten lassen unter dir? Du mußt, wie der Lichtstral, herab, wie der allerfrischende Regen, mußt du nieder in's Land der Sterblichkeit, du mußt erleuchten, wie Apoll, erschüttern, beleben, wie Jupiter, sonst bist du deines Himmels nicht werth. Ich bitte dich, geh nach Athen hinein, noch Einmal, und siehe die Menschen auch an, die dort herumgehn unter den Trümmern, die rohen Albaner und die andern guten kindischen Griechen, die mit einem lustigen Tanze und einem heiligen Mährchen sich trösten über die schmähliche Gewalt, die über ihnen lastet – kannst du sagen, ich schäme mich dieses Stoffs? Ich meine, er wäre doch noch bildsam. Kannst du dein Herz abwenden von den Bedürftigen? Sie sind nicht schlimm, sie haben dir nichts zu laide gethan!Was kann ich für sie thun, rief ich.Gieb ihnen, was du in dir hast, erwiederte Diotima, gieb –Kein Wort, kein Wort mehr, große Seele! rief ich, du beugst mich sonst, es ist ja sonst, als hättest du mit Gewalt mich dazu gebracht –Sie werden nicht glüklicher seyn, aber edler, nein! sie werden auch glüklicher seyn. Sie müssen heraus, sie müssen hervorgehn, wie die jungen Berge aus der Meersfluth, wenn ihr unterirrdisches Feuer sie treibt.Zwar steh' ich allein und trete ruhmlos unter sie. Doch Einer, der ein Mensch ist, kann er nicht mehr, denn Hunderte, die nur Theile sind des Menschen?Heilige Natur! du bist dieselbe in und außer mir. Es muß so schwer nicht seyn, was außer mir ist, zu vereinen mit dem Göttlichen in mir. Gelingt der Biene doch ihr kleines Reich, warum sollte denn ich nicht pflanzen können und baun, was noth ist?Was? der arabische Kaufmann säete seinen Koran aus, und es wuchs ein Volk von Schülern, wie ein unendlicher Wald, ihm auf, und der Aker sollte nicht auch gedeihn, wo die alte Wahrheit wiederkehrt in neu lebendiger Jugend?Es werde von Grund aus anders! Aus der Wurzel der Menschheit sprosse die neue Welt! Eine neue Gottheit walte über ihnen, eine neue Zukunft kläre vor ihnen sich auf.In der Werkstatt, in den Häusern, in den Versammlungen, in den Tempeln, überall werd' es anders!Aber ich muß noch ausgehn, zu lernen. Ich bin ein Künstler, aber ich bin nicht geschikt. Ich bilde im Geiste, aber ich weiß noch die Hand nicht zu führen –Du gehest nach Italien, sagte Diotima, nach Deutschland, Frankreich – wie viel Jahre brauchst du? drei – vier – ich denke drei sind genug; du bist ja keiner von den Langsamen, und suchst das Größte und das Schönste nur –"Und dann?"Du wirst Erzieher unsers Volks, du wirst ein großer Mensch seyn, hoff' ich. Und wenn ich dann dich so umfasse, da werd' ich träumen, als wär' ich ein Theil des herrlichen Manns, da werd' ich frohloken, als hättst du mir die Hälfte deiner Unsterblichkeit, wie Pollux dem Kastor, geschenkt, o! ich werd' ein stolzes Mädchen werden, Hyperion!Ich schwieg eine Weile. Ich war voll unaussprechlicher Freude.Gibt's denn Zufriedenheit zwischen dem Entschluß und der That, begann ich endlich wieder, giebt's eine Ruhe vor dem Siege?Es ist die Ruhe des Helden, sagte Diotima, es giebt Entschlüsse, die, wie Götterworte, Gebot und Erfüllung zugleich sind, und so ist der deine. –Wir giengen zurük, wie nach der ersten Umarmung. Es war uns alles fremd und neu geworden.Ich stand nun über den Trümmern von Athen, wie der Akersmann auf dem Brachfeld. Liege nur ruhig, dacht' ich, da wir wieder zu Schiffe giengen, liege nur ruhig, schlummerndes Land! Bald grünt das junge Leben aus dir, und wächst den Seegnungen des Himmels entgegen. Bald regnen die Wolken nimmer umsonst, bald findet die Sonne die alten Zöglinge wieder.Du frägst nach Menschen, Natur? Du klagst, wie ein Saitenspiel, worauf des Zufalls Bruder, der Wind, nur spielt, weil der Künstler, der es ordnete, gestorben ist? Sie werden kommen, deine Menschen, Natur! Ein verjüngtes Volk wird dich auch wieder verjüngen, und du wirst werden, wie seine Braut und der alte Bund der Geister wird sich erneuen mit dir.Es wird nur Eine Schönheit seyn; und Menschheit und Natur wird sich vereinen in Eine allumfassende Gottheit. |