BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Hölderlin

1770 - 1843

 

Über das Gesez der Freiheit

 

1794

 

Textgrundlage:

Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 4, Der Tod des Empedokles. Aufsätze.

Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1962

 

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Über das Gesez der Freiheit

 

Es giebt einen Naturzustand der Einbildungskraft, der mit jener Anarchie der Vorstellungen, die der Verstand organisirte, zwar die Gesezlosigkeit gemein hat, aber in Rüksicht auf das Gesez, durch das er geordnet werden soll, von jenem wol unterschieden werden muß.

Ich meine unter diesem Naturzustande der Einbildungskraft, unter dieser Gesezlosigkeit die moralische, unter diesem Geseze, das Gesez der Freiheit.

Dort wird die Einbildungskraft an und für sich, hier in Verbindung mit dem Begehrungsvermögen betrachtet.

In jener Anarchie der Vorstellungen wo die Einbildungskraft theoretisch betrachtet wird, war zwar eine Einheit des Mannigfaltigen, Ordnung der Warnemungen möglich, aber zufällig.

In diesem Naturzustande der Phantasie, wo sie in Verbindung mit dem Begehrungsvermögen betrachtet wird, ist zwar moralische Gesezmäsigkeit möglich, aber zufällig.

Es giebt eine Seite des empirischen Begehrungsvermögens, die Analogie dessen, was Natur heißt, die am auffallendsten ist, wo das notwendige mit der Freiheit, das Bedingte mit dem Unbedingten, das Sinnliche mit dem Heiligen sich zu verbrüdern scheint, eine natürliche Unschuld, man möchte sagen eine Moralität des Instinkts, und die ihm gleichgestimmte Phantasie ist himmlisch.

Aber dieser Naturzustand hängt als ein solcher auch von Naturursachen ab.

Es ist ein bloses Glük, so gestimmt zu sein.

Wäre das Gesez der Freiheit nicht, unter welchem das Begehrungsvermögen zusamt der Phantasie stände, so würde es niemals einen vesten Zustand geben, der demjenigen gliche, der so eben angedeutet worden ist, wenigstens würde es nicht von uns abhängen, ihn vestzuhalten. Sein Gegenteil würde eben so stattfinden, ohne daß wir es hindern könnten.

Das Gesez der Freiheit aber gebietet, one alle Rüksicht auf die Hülfe der Natur. Die Natur mag zu Ausübung desselben förderlich sein, oder nicht, es gebietet. Vielmer sezt es einen Widerstand in der Natur voraus, sonst würde es nicht gebieten. Das erstemal, daß das Gesez der Freiheit sich an uns äußert, erscheint es strafend. Der Anfang all' unsrer Tugend geschieht vom Bösen. Die Moralität kann also niemals der Natur anvertraut werden. Denn wenn die Moralität auch nicht aufhörte Moralität zu sein, so bald die Bestimmungsgründe in der Natur und nicht in der Freiheit liegen, so wäre doch die Legalität, die durch blose Natur hervorgebracht werden könnte, ein ser unsicheres, nach Zeit und Umständen wandelbares Ding. So wie die Naturursachen anders bestimmt würden, würde diese Legalität [...]