Friedrich Hölderlin
1770 - 1843
Gedichtein chronologischer Folge
1799
Textgrundlage:Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 1, Gedichte bis 1800Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1953
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Emilie vor ihrem Brauttag
Emilie an Klara
Ich bin im Walde mit dem Vater drausGewesen, diesen Abend, auf dem Pfade,Du kennest ihn, vom vor'gen Frühlinge.Es blühten wilde Rosen nebenan,Und von der Felswand überschattet' unsDer Eichenbüsche sonnenhelles Grün;Und oben durch der Buchen Dunkel quilltDas klare flüchtige Gewässer nieder.Wie oft, du Liebe! stand ich dort und sahIhm nach aus seiner Bäume DämmerungHinunter in die Ferne, wo zum Bach'Es wird, zum Strome, sehnte mich mit ihmHinaus – wer weiß, wohin?
Das hast du oftMir vorgeworfen, daß ich immerhinAbwesend bin mit meinem Sinne, hastMirs oft gesagt, ich habe bei den MenschenKein friedlich Bleiben nicht, verschwendeDie Seele an die Lüfte, lieblos seiIch öfters bei den Meinen. Gott! ich lieblos?
Wohl mag es freudig seyn und schön, zu bleiben,Zu ruhn in einer lieben Gegenwart,Wenn eine große Seele, die wir kennen,Vertraulich nahe wartet über uns,Sich um uns schließt, daß wir, die Heimathlosen,Doch wissen, wo wir wohnen.
Gute! Treue!Dorch hast du recht. Bist du denn nicht mir eigen?Und hab' ich ihn den theuern Vater nicht,Den Heiligjugendlichen, Vielerfahrnen,Der, wie ein stiller Gott auf dunkler Wolke,Verborgenwirkend über seiner Weltmit freiem Auge ruht, und wenn er schonEin Höhers weiß, und ich des Mannes GeistNur ahnen kann, doch ehrt er liebend mich,Und nennt mich seine Freude, ja! und oftGiebt eine neue Seele mir sein Wort.
Dann möcht' ich wohl den Seegen, den er gab,Mit einem, das ich liebte, gerne theilen,Und bin allein – ach! ehmals war ichs nicht!
Mein Eduard! mein Bruder! denkst du seinUnd denkst du noch der frommen Abende,Wenn wir im Garten oft zusammensaßenNach schönem Sommertage, wenn die LuftUm unsre Stille freundlich athmete,Und über uns des Aethers Blumen glänzten;Wenn von den Alten er, den Hohen, unsErzählte, wie in Freude sie und FreiheitAufstrebten seine Meister; tönenderHub dann aus seiner Brust die Stimme sich,Und zürnend war und liebend oft voll ThränenDas Auge meinem Stolzen; ach! den leztenDer Abende, wie nun, da Großes ihmBevorstand, ruhiger der Jüngling war,Noch mit Gesängen, die wir gerne hörten,Und mit der Zithar uns die TrauerndenVergnügt'!
Ich seh ihn immer, wie er gieng.Nie war er schöner, kühn, die Seele glänzt'Ihm auf der Stirne, dann voll Andacht tratEr vor den alten Vater. Kann ich GlükVon dir empfangen, sprach er, heil'ger Mann!So wünsche lieber mir das größte, dennEin anders, und betroffen schien der Vater.Wenns seyn soll, wünsch' ich dirs, antwortet' er.Ich stand beiseit, und wehemüthig sahDer Scheidende mich an und rief mich laut;Mir bebt' es durch die Glieder, und er hieltMich zärtlich vest, in seinen Armen stärkteDer Starke mir das Herz, und da ich aufsahNach meinem Lieben, war er fortgeeilt.
«Ein edel Volk ist hier auf Korsika;»Schrieb freudig er im lezten Briefe mir,«Wie wenn ein zahmer Hirsch zum Walde kehrt«Und seine Brüder trift, so bin ich hier,«Und mir bewegt im Männerkriege sich«Die Brust, daß ich von allem Weh genese.
«Wie lebst du, theure Seele! und der Vater?«Hier unter frohem Himmel, wo zu schnell«Die Frühlinge nicht altern, und der Herbst«Aus lauer Luft dir goldne Früchte streut,«Auf dieser guten Insel werden wir«Uns wiedersehen; diß ist meine Hofnung.
«Ich lobe mir den Feldherrn. Oft im Traum'«Hab' ich ihn fast gesehen, wie er ist,«Mein Paoli, noch eh' er freundlich mich«Empfieng und zärtlich vorzog, wie der Vater«Den Jüngstgebornen, der es mehr bedarf.
«Und schämen muß ich vor den andern mich,«Den furchtbarstillen, ernsten Jünglingen.«Sie dünken traurig dir bei Ruh und Spiel;«Unscheinbar sind sie, wie die Nachtigall,«Wenn von Gesang sie ruht; am Ehrentag'«Erkennst du sie. Ein eigen Leben ists! –«Wenn mit der Sonne wir, mit heil'gem Lied'«Heraufgehn übern Hügel, und die Fahnen«Ins Thal hinab im Morgenwinde wehn,«Und drunten auf der Ebne fernher sich,«Ein gährend Element, entgegen uns«Die Menge regt und treibt, da fühlen wir«Frohlokender, wie wir uns herrlich lieben;«Denn unter unsern Zelten und auf Woogen«Der Schlacht begegnet uns der Gott, der uns«Zusammenhält.
«Wir thun, was sich gebührt,«Und führen wohl das edle Werk hinaus.«Dann küßt ihr noch den heimatlichen Boden,«Den trauernden, und kommt und lebt mit uns«Emilie! –Wie wirds dem alten Vater«Gefallen, bei den Lebenden noch Einmal«Zum Jüngling aufzuleben und zu ruhn«In unentweihter Erde, wenn er stirbt.
«Denkst du des tröstenden Gesanges noch,«Emilie, den seiner theuern Stadt«In ihrem Fall der stille Römer sang,«Noch hab' ich einiges davon im Sinne.
«Klagt nicht mehr! kommt in neues Land! so sagt' er.«Der Ocean, der die Gefild' umschweift,«Erwartet uns. Wir suchen seelige«Gefilde, reiche Inseln, wo der Boden«Noch ungepflügt die Früchte jährlich giebt,«Und unbeschnitten noch der Weinstok blüht,«Wo der Olivenzweig nach Wunsche wächst,«Und ihren Baum die Feige keimend schmükt,«Wo Honig rinnt aus hohler Eich' und leicht«Gewässer rauscht von Bergeshöhn. – Noch manches«Bewundern werden wir die Glüklichen. –«Es sparte für ein frommes Volk Saturnus Sohn«Diß Ufer auf, da er die goldne Zeit«Mit Erze mischte. – Lebe wohl, du Liebe!»
Der Edle fiel des Tags darauf im TreffenMit seiner Liebsten Einem, ruht mit ihmIn Einem Grab'.
In deinem Schoose ruhtEr, schönes Korsika! und deine WälderUmschatten ihn, und deine Lüfte wehnAm milden Herbsttag freundlich über ihm,Dein Abendlicht vergoldet seinen Hügel.
Ach! dorthin möcht' ich wohl, doch hälf es nicht.Ich sucht' ihn, so wie hier. Ich würde fastDort weniger, wie hier, mich sein entwöhnen.So wuchs ich auf mit ihm, und weinen muß ichUnd lächeln, deuk' ich, wie mirs ehmals oftBeschwerlich ward, dem Wilden nachzukommen,Wenn nirgend er beim Spiele bleiben wollte.Nun bist du dennoch fort und lässest michAllein, du Lieber! und ich habe nunKein Bleiben auch, und meine Augen sehnDas Gegenwärtige nicht mehr, o Gott!Und mit Phantomen peiniget und tröstetNun meine Seele sich, die einsame.Das weißt du, gutes Mädchen! nicht, wie sehrIch unvernünftig bin. Ich will dirs all'Erzählen. Morgen! Mich besucht doch immerDer süße Schlaf, und wie die Kinder bin ich,Die besser schlummern, wenn sie ausgeweint.
Emilie an Klara
Der Vater schwieg im Laide tagelang,Da ers erfuhr; und scheuen mußt' ich mich,Mein Weh ihn sehn zu lassen; lieber giengIch dann hinaus zum Hügel und das HerzGewöhnte mir zum freien Himmel sich.Ich tadelt' oft ein wenig mich darüber,Daß nirgend mehr im Hauße mirs gefiel.Vergnügt mit allem war ich ehmals da,Und leicht war alles mir. Nun ängstigt' esMich oft; noch trieb ich mein Geschäft, doch leblos,Bis in die Seele stumm in meiner Trauer.
Es war, wie in der Schattenwelt, im Hauße.Der stille Vater und das stumme Kind!
Wir wollen fort auf eine Reise, Tochter!Sagt' eines Tags mein Vater, und wir giengen,Und kamen dann zu dir. In diesem Land',An deines Nekars friedlichschönen Ufern,Da dämmert' eine stille Freude mirZum erstenmale wieder auf. Wie oftIm Abendlichte stand ich auf dem HügelMit dir, und sah das grüne Thal hinauf,Wo zwischen Bergen, da die Rebe wächst,An manchem Dorf vorüber, durch die WiesenZu uns herab, von luft'ger Weid' umkränzt,Das goldne ruhige Gewässer wallte!Mir bleibt die Stelle lieb, wo ich gelebt.
Ihr heiterfreien Ebenen des Mains,Ihr reichen, blühenden! wo nahe baldDer frohe Strom, des stolzen Vaters Liebling,Mit offnem Arm' ihn grüßt, den alten Rhein!
Auch ihr! Sie sind wie Freunde mir geworden,Und aus der Seele mir vergehen sollKein frommer Dank, und trag' ich Laid im Busen,So soll mir auch die Freude lebend bleiben.
Erzählen wollt' ich dir, doch hell ist nieDas Auge mir, wenn dessen ich gedenke.Vor seinen kindischen, geliebten TräumenBebt immer mir das Herz.
Wir reisten dannHinein in andre Gegenden, ins LandDes Varusthals, dort bei den dunkeln SchattenDer wilden heil'gen Berge lebten wir,Die Sommertage durch, und sprachen gernVon Helden, die daselbst gewohnt, und Göttern.
Noch giengen wir des Tages, ehe wirVom Orte schieden, in den EichenwaldDes herrlichen Gebirgs hinaus, und standenIn kühler Luft auf hoher Haide nun.
«Hier unten in dem Thale schlafen sie«Zusammen», sprach mein Vater, «lange schon«Die Römer mit den Deutschen, und es haben«Die Freigebornen sich, die stolzen, stillen,«Im Tode mit den Welteroberern«Versöhnt, und Großes ist und Größeres«Zusammen in der Erde Schoos gefallen.«Wo seid ihr, meine Todten all? Es lebt«Der Menschengenius, der Sprache Gott,«Der alte Braga noch, und Hertha grünt«Noch immer ihren Kindern, und Walhalla«Blaut über uns, der heimatliche Himmel;«Doch euch, ihr Heldenbilder, find' ich nicht.»
Ich sah hinab und leise schauerteMein Herz, und bei den Starken war mein Sinn,Den Guten, die hier unten vormals lebten.
Izt stand ein Jüngling, der, uns ungesehn,Am einsamen Gebüsch beiseit gesessen,Nicht ferne von mir auf. O Vater! mußt'Ich rufen, das ist Eduard! – Du bistNicht klug, mein Kind! erwiedert' er und sahDen Jüngling an; es mocht' ihn wohl auch treffen,Er faßte schnell mich bei der Hand und zogMich weiter. Einmal mußt' ich noch mich umsehn.Derselbe wars und nicht derselbe! Stolz und groß,Voll Macht war die Gestalt, wie des Verlornen,Und Aug und Stirn' und Loke; schärfer blikt'Er nur, und um die seelenvolle MieneWar, wie ein Schleier, ihm ein stiller ErnstGebreitet. Und er sah mich an. Es war,Als sagt' er, gehe nur auch du, so gehtMir alles hin, doch duld' ich aus und bleibe.
Wir reisten noch desselben Abends ab,Und langsamtraurig fuhr der Wagen weiterUnd weiter durchs unwegsame Gebirg.Es wechselten in Nebel und in ReegenDer Bäum' und des Gebüsches dunkle BilderIm Walde nebenan. Der Vater schlief,In dumpfem Schmerze träumt' ich hin, und kaumNur eben noch, die lange Zeit zu zählen,War mir die Seele wach.
Ein schöner StromErwekt' ein wenig mir das Aug; es standenIm breiten Boot die Schiffer am Gestad;Die Pferde traten folgsam in die Fähre,Und ruhig schifften wir. Erheitert warDie Nacht, und auf die Wellen leuchtet'Und Hütten, wo der fromme Landmann schlief,Aus blauer Luft das stille Mondlicht nieder;Und alles dünkte friedlich mir und sorglos,In Schlaf gesungen von des Himmels Sternen.
Und ich sollt' ohne Ruhe seyn von nun an,Verloren ohne Hofnung mir an FremdesDie Seele meiner Jugend! Ach! ich fühlt'Es izt, wie es geworden war mit mir.Dem Adler gleich, der in der Wolke fliegt,Erschien und schwand mir aus dem Auge wieder,Und wieder mir des hohen Fremdlings Bild,Daß mir das Herz erbebt' und ich umsonstMich fassen wollte. Schliefst du gut, mein Kind!Begrüßte nun der gute Vater mich,Und gerne wollt' ich auch ein Wort ihm sagen.Die Thränen doch erstikten mir die Stimme,Und in den Strom hinunter mußt' ich sehn,Und wußte nicht, wo ich mein AngesichtVerbergen sollte.
Glükliche! die duDiß nie erfahren, überhebe meinDich nicht. Auch du, und wer von allen magSein eigen bleiben unter dieser Sonne?Oft meint' ich schon, wir leben nur, zu sterben,Uns opfernd hinzugeben für ein Anders.O schön zu sterben, edel sich zu opfern,Und nicht so fruchtlos, so vergebens, Liebe!Das mag die Ruhe der UnsterblichenDem Menschen seyn.
Bedaure du mich nur!Doch tadeln, Gute, sollst du mir es nicht!Nennst du sie Schatten, jene, die ich liebe?Da ich kein Kind mehr war, da ich ins LebenErwachte, da aufs neu mein Auge sichDem Himmel öffnet' und dem Licht, da schlugMein Herz dem Schönen; und ich fand es nah;Wie soll ichs nennen, nun es nicht mehr istFür mich? O laßt! Ich kann die Todten lieben,Die Fernen; und die Zeit bezwingt mich nicht.Mein oder nicht! du bist doch schön, ich dieneNicht Eitlem, was der Stunde nur gefällt,Dem Täglichen gehör ich nicht; es istEin anders, was ich lieb'; unsterblichIst was du bist, und du bedarfst nicht meiner,Damit du groß und gut und liebenswürdigUnd herrlich seist, du edler Genius!
Laßt nur mich stolz in meinem Laide seyn,Und zürnen, wenn ich ihn verläugnen soll;Bin ich doch sonst geduldig, und nicht oftAus meinem Munde kömmt ein Männerwort.Demüthigt michs doch schon genug, daß ichWas ich dir lang verborgen, nun gesagt.
Wie dank' ich dir, du Liebe, daß du mirVertrauen abgewonnen, daß ich dirMein still Geheimniß endlich ausgesprochen.
Ich bin nun ruhiger – wie nenn' ichs dir?Und an die schönen Tage denk ich, wenn ich oftHinausgieng mit dem Bruder, und wir obenAuf unserm Hügel beieinander saßen,Und ich den Lieben bei den Händen hielt,Und mirs gefallen ließ am offnen Feld'Und an der Straß', und ins Gewölb' hinaufDes grünen Ahorns staunt', an dem wir lagen.Ein Sehnen war in mir, doch war ich still.Es blühten uns der ersten Hofnung Tage,Die Tage des Erwachens.
Holde Dämmerung!So schön ists, wenn die gütige NaturIns Leben lokt ihr Kind. Es singen nurDen Schlummersang am Abend unsre Mütter.Sie brauchen nie das Morgenlied zu singen.Diß singt die andre Mutter uns, die gute,Die wunderbare, die uns LebenslustIn unsern Busen athmet, uns mit süßenVerheißungen erwekt.
Wie ist mir, Liebe!Ich kann an Jugend heute nur, und nurAn Jugend denken.
Sieh! ein heitrer TagIsts eben auch. Seit frühem Morgen siz' ichAm lieben Fenster. und es wehn die Lüfte,Die zärtlichen, herein, mir blikt das LichtDurch meine Bäume, die zu nahe mirGewachsen sind, und mählig mit den BlüthenDas ferne Land verhüllen, daß ich michBescheiden muß, und hie und da noch kaumHinaus mich find' aus diesem freundlichenGefängniß; und es fliegen über ihnenDie Schwalben und die Lerchen, und es singenDie Stunde durch genug die Nachtigallen,Und wie sie heißen all die LieblingeDer schönen Jahrszeit; eigne Nahmen möcht'Ich ihnen geben, und den Blumen auch,Den stillen, die aus dunklem Beete duften,Zu mir herauf wie junge Sterne glänzend.
Und wie es lebt und glüklich ist im Wachstum,Und seiner Reife sich entgegen freut!
Es findet jedes seine Stelle doch,Sein Haus, die Speise, die das Herz ihm sättigt,Und jedes seegnest du mit eignem Seegen,Natur! und giebst dich ihnen zum Geschäfft,Und trägst und nährst zu ihrer Blüthenfreud'Und ihrer Frucht sie fort, du gütige!
Und klagtest du doch öfters, trauernd Herz!Vergaßest mir den Glauben, danktest nicht,Und dachtest nicht, wenn dir dein Thun zu wenigBedeuten wollt', es sei ein frommes Opfer,Das du, wie andre, vor das Leben bringest,Wohlmeinend, wie der Lerche Lied, das sieDen Lüften singt, den freudegebenden –
Nun geh' ich noch hinaus und hohle BlumenDem Vater aus dem Feld', und bind' ihm sieIn Einen Straus, die drunten in dem Garten,Und die der Bach erzog; ich will's schon richten,Daß ihm's gefallen soll. Und dir? dir bring' ichGenug des Neuen. Da ist's immer anders.Izt blühn die Weiden; izt vergolden sichDie Wiesen; izt beginnt der Buche Grün,Und izt der Eiche – nun! leb wohl indessen!
Emilie an Klara
Ihr Himmlischen! das war er. Kannst du mirEs glauben? – Beste! – wärst du bei mir! – Er!Der Hohe, der Gefürchtete, Geliebte! –Mein bebend Herz, hast du so viel gewollt?
Da gieng ich so zurük mit meinen Blumen,Sah auf den Pfad, den abendröthlichen,In meiner Stille nieder, und es schliefMir sanft im Busen das Vergangene,Ein kindlich Hoffen athmete mir auf;Wie wenn uns zwischen süßem Schlaf und WachenDie Augen halb geöffnet sind, so warIch Blinde. Sieh! da stand er vor mir meinHeroë und ich Arme war, wie todt,Und ihm, dem Brüderlichen, überglänzteDas Angesicht, wie einem Gott, die Freude.
«Emilie!» – das war sein frommer Gruß.Ach! alles Sehnen wekte mir und allDas liebe Leiden, so ich eingewiegt,Der goldne Ton des Jünglings wieder auf!Nicht aufsehn durft' ich! keine Sylbe durft'Ich sagen! O, was hätt' ich ihm gesagt!
Was wein' ich denn, du Gute? – laß mich nur!Nun darf ich ja, nun ists so thöricht nimmer,Und schön ists, wenn der Schmerz mit seiner SchwesterDer Wonne sich versöhnt, noch eh' er weggeht.
O Wiedersehn! das ist noch mehr, du Liebe!Als wenn die Bäume wieder blühn, und QuellenVon neuem fröhlich rauschen –
Ja! ich hab'Ihn oft gesucht und ernstlich oft es mirVersagt, doch wollt' ich sein Gedächtniß ehren.
Die Bilder der Gespielen, die mit mirAuf grüner Erd' in stummer Kindheit saßen,Sie dämmern ja um meine Seele mir,Und dieser edle Schatte, sollt' er nicht?Das Herz im Busen, das unsterbliche,Kann nicht vergessen, sieh! und öfters bringtEin guter Genius die LiebendenZusammen, daß ein neuer Tag beginnt,Und ihren Mai die Seele wieder feiert.
O wunderbar ist mir! auch er! – daß duHinunter mußtest, Lieber! ehe dirDas deine ward, und dich die frohe BrautZum Männerruhme seegnete! Doch starbstDu schön, und oft hab' ich gehört, es fallenDie Lieblinge des Himmels früh, damitSie sterblich Glük und Laid und Alter nichtErfahren. Nimmermehr vergeß ich dich,Und ehren soll er dich. Dein Bild will ichIhm zeigen, wenn er kömmt; und wenn der StolzeSich dann verwundert, daß er sich bei mirGefunden, sag' ich ihm, es sei ein Andrer,Und den er lieben müsse. O, er wirds!
Da schrieb er mir. Ja! theures Herz! er ists,Den ich gesucht. Wie dieser Jüngling michDemüthiget und hebt! Nun! lies es nur!«So bist du's wieder, und ich habe dich«Gegrüßt, gefunden, habe dich noch Einmal«In deiner frommen Ruh gestört, du Kind«Des Himmels! – Nein Emilie! du kanntest«Mich ja. Ich kann nicht fragen. Wir sind's,«Die Längstverwandten, die der Gott getraut,«Und bleiben wird es, wie die Sonne droben.«Ich bin voll Freude, schöne Seele! bin«Der neuen Melodieen ungewohnt.«Es ist ein anders Lied, als jenes, so«Dem Jünglinge die Parze lehrend singt«Bis ihm, wie Wohllaut, ihre Weise tönt;«Dann gönnt sie ihm, du Friedliche! von dir«Den süßern Ton, den liebsten, einzigen«Zu hören. Mein? o sieh! du wirst in Lust«Die Mühe mir und was mein Herz gebeut,«Du wirst es all in heil'ge Liebe wandeln.«Und hab' ich mit Unmöglichem gerungen,«Und mir die Brust zu Treu und Ruh gehärtet,«Du wärmest sie mit frommer Hofnung mir,«Daß sie vertrauter mit dem Siege schlägt.«Und wenn das Urbild, das, wie Morgenlicht,«Mir aus des Lebens dunkler Wolke stieg,«Das himmlische mir schwindet, seh ich Dich,«Und eine schöne Götterbotinn, mahnst«Du lächelnd mich an meinen Phöbus wieder;«Und wenn ich zürne, sänftigest du mich.«Dein Schüler bin ich dann, und lausch' und lerne.«Von deinem Munde nehm' ich, Zauberinn,«Des überredens süße Gaabe mir,«Daß sie die Geister freundlich mir bezwingt,«Und wenn ich ferne war von dir, und wund«Und müd dir wiederkehre, heilst du mich«Und singst in Ruhe mich, du holde Muse!
«Emilie! daß wir uns wiedersahn!«Daß wir uns einst gefunden, und du nun«Mich nimmer fliehst und nahe bist! Zu gern,«Zu gern entwich dein stolzes Bild dem Wandrer,«Das zarte, reine, da du ferne warst,«Du Heiligschönes! Doch ich sah dich oft,«Wenn ich des Tags allein die Pfade gieng,«Und Abends in der fremden Hütte schwieg.
«O heute! grüße, wenn du willst, den Vater!«Ich kenn' ihn wohl; auch meinen Nahmen kennt er;«Und seiner Freunde Freund bin ich. Ich wußte nicht,«Daß er es war, da wir zuerst einander«Begegneten, und lang erfuhr ichs nicht.«Bald grüß ich schöner dich. – Armenion.»
Emilie an Klara
Er woll' ihn morgen sprechen, sagte mirMein Vater, morgen! und er schien nicht freundlich.Nun siz ich hier und meine Augen ruhnUnd schlummern nicht – ach! schämen muß ich mich,Es dir zu klagen – will ich stille werden,So regt ein Laut mich auf; ich sinn und bitte,Und weiß nicht, was? und sagen möcht' ich viel,Doch ist die Seele stumm – o fragen möcht' ichDie sorgenfreien Bäume hier, die StralenDer Nacht und ihre Schatten, wie es nunMir endlich werden wird.
Zu still ists mirIn dieser schönen Nacht, und ihre LüfteSind mir nicht hold, wie sonst. Die Thörin!So lang er ferne war, so liebt' ich ihn;Nun bin ich kalt, und zag' und zürne mirUnd andern. – Auch die Worte, so ich dirIn dieser bösen Stunde schreibe, lieb'Ich nicht, und was ich sonst von ihm geschrieben,Unleidlich ist es mir. Was ist es denn?Ich wünsche fast, ich hätt' ihn nie gesehn.Mein Friede war doch schöner. Theures Herz!Ich bin betrübt, und anders, denn ichs war,Da ich um den Verlornen trauerte.Ich bin es nimmer, nein! ich bin es nicht.Ich bin nicht gut, und seellos bin ich auch.Mich läßt die Furcht, die häßliche, nicht ruhn.
O daß der goldne Tag die Ruhe mir,Mein eigen Leben wiederbrächt'! –
Ich willGeduldig seyn, und wenn der Vater ihnNicht ehrt, mir ihn versagt, den Theuren,So schweig' ich lieber, und es soll mir nichtZu sehr die Seele kränken; kann ich stillIhn ehren doch, und bleiben, wie ich bin.
Emilie an Klara
Nun muß ich lächeln über alles Schlimme,Was ich die vor'ge Nacht geträumt; und hab'Ich dir es gar geschrieben? Anders binIch izt gesinnt.
Er kam und mir frohlokteDas Herz, wie er herab die Straße gieng,Und mir das Volk den fremden HerrlichenBestaunt'! und lobend über ihn geheimDie Nachbarn sich besprachen, und er iztDen Knaben, der an ihm vorübergieng,Nach meinem Hauße fragt'; ich sahe nichtHinaus, ich konnt', an meinem Tische sizend,Ihn ohne Scheue sehn – wie red' ich viel?Und da er nun herauf die Treppe kam,Und ich die Tritte hört' und seine ThüreMein Vater öffnete, sie draußen sichStillschweigend grüßten, daß ich nichtEin Wort vernehmen konnt', ich Unvernünft'geWie ward mir bange wieder? Und sie bliebenNicht kurze Zeit allein im andern Zimmer,Daß ich es länger nicht erdulden konnt',Und dacht': ich könnte wohl den Vater fragenUm diß und jenes, was ich wissen mußte.Dann hätt' ichs wohl gesehn in ihren Augen,Wie mir es werden sollte. Doch ich kamBis an die Schwelle nur, gieng lieber dochIn meinen Garten, wo die Pflanzen sonst,In andrer Zeit, die Stunde mir gekürzt.
Und fröhlich glänzten, von des Morgens ThauGesättiget, im frischen Lichte sieIns Auge mir, wie liebend sich das KindAn die betrübte Mutter drängt, so warenDie Blumen und die Blüthen um mich rings,Und schöne Pforten wölbten über mirDie Bäume.
Doch ich konnt' es izt nicht achten,Nur ernster ward und schwerer nur, und bängerDas Herz mir Armen immer, und ich sollteWie eine Dienerinn von ferne lauschen,Ob sie vieleicht mich riefen, diese Männer.Ich wollte nun auch nimmer um mich sehn,Und barg in meiner Laube mich und weinte,Und hielt die Hände vor das Auge mir.
Da hört' ich sanft des Vaters Stimme nah'Und lächelnd traten, da ich noch die ThränenMir troknete, die beiden in die Laube:«Hast du dich so geängstiget, mein Kind!«Und zürnst du, sprach der Vater, daß ich erst«Vor mich den edeln Gast behalten wollt'?«Ihn hast du nun. Er mag die Zürnende«Mit mir versöhnen, wenn ich Unrecht that.»
So sprach er; und wir reichten alle dreiDie Händ' einander, und der Vater sahMit stiller Freud' uns an –
«Ein Treflicher«Ist dein geworden, Tochter! sprach er izt,«Und dein, o Sohn! diß heiligliebend Weib.«Ein freudig Wunder, daß die alten Augen«Mir übergehen, seid ihr mir, und blüht,«Wie eine seltne Blume mir, ihr Beiden!
«Denn nicht gelingt es immerhin den Menschen,«Das Ihrige zu finden. Großes Glük«Zu tragen und zu opfern giebt der Gott«Den Einen, weniger gegeben ist«Den Andern; aber hoffend leben sie.
«Zwei Genien geleiten auf und ab«Uns Lebende, die Hofnung und der Dank.«Mit Einsamen und Armen wandelt jene,«Die Immerwache; dieser führt aus Wonne«Die Glüklichen des Weges freundlich weiter,«Vor bösem Schiksaal sie bewahrend. Oft,«Wenn er entfloh, erhuben sich zu sehr«Die Freudigen, und rächend traf sie bald«Das ungebetne Weh.
«Doch gerne theilt«Das freie Herz von seinen Freuden aus,«Der Sonne gleich, die liebend ihre Stralen«An ihrem Tag' aus goldner Fülle giebt;«Und um die Guten dämmert oft und glänzt«Ein Kreis voll Licht und Lust, so lang sie leben.
«O Frühling meiner Kinder, blühe nun,«Und altre nicht zu bald, und reife schön!»
So sprach der gute Vater. Vieles wollt'Er wohl noch sagen, denn die Seele warIhm aufgegangen; aber Worte fehlten ihm.
Er gab ihn mir und seegnet' uns und giengHinweg.
Ihr Himmelslüfte, die ihr oftMich tröstend angeweht, nun athmetetIhr heiligend um unser goldnes Glük!
Wie anders wars, wie anders, da mit ihmDem Liebenden, dem Freudigen ich iztIch Freudige zu unsrer Mutter auf,Zur schönen Sonne sah! nun dämmert' esIm Auge nicht, wie sonst im sehnenden,Nun grüßt' ich helle dich, du stolzes Licht!
Und lächelnd weiltest du, und kamst und schmüktestDen Lieben mir, und kränztest ihm mit RosenDie Schläfe, Freundliches!
Und meine Bäume,Sie streuten auch ein hold Geschenk herab,Zu meinem Fest, vom überfluß der Blüthen!
Da gieng ich sonst; ach! zu den Pflanzen flüchtet'Ich oft mein Herz, bei ihnen weilt' ich oftUnd hieng an ihnen; dennoch ruht' ich nie,Und meine Seele war nicht gegenwärtig.
Wie eine Quelle, wenn die jugendlicheDem heimathlichen Berge nun entwich,Die Pfade bebend sucht, und flieht und zögert,Und durch die Wiesen irrt und bleiben möcht',Und sehnend, hoffend immer doch enteilt:So war ich; aber liebend hat der stolze,Der schöne Strom die flüchtige genommen,Und ruhig wall' ich nun, wohin der sichreMich bringen will, hinab am heitern Ufer. |